Überwachung der E-Mail-Kommunikation durch den Arbeitgeber – und die Mitbestimmung des Betriebsrats

Die Arbeitgeberin verletzt das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG nicht, wenn sie die mit Zustimmung des Betriebsrats im Betrieb eingeführten softwarebasierten Anwendungen zur Nutzung der E-Mail-Kommunikation einsetzt.

Überwachung der E-Mail-Kommunikation durch den Arbeitgeber – und die Mitbestimmung des Betriebsrats

Der Betriebsrat hat in diesem Fall sein auf die Einführung und Anwendung dieser technischen Einrichtungen im Betrieb bezogenes Mitbestimmungsrecht ausgeübt.

Sowohl die Einführung als auch die Nutzung der für eine E-Mail-Kommunikation bei der Arbeitgeberin notwendigen softwarebasierten Anwendungen ist nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG mitbestimmungspflichtig, da diese zur Überwachung von Verhalten oder Leistung der Arbeitnehmer geeignet sind1. Die für eine E-Mail-Kommunikation notwendigen Programme sind in der Lage, Verhaltens- oder Leistungsinformationen über die Arbeitnehmer zu generieren und aufzuzeichnen; auf eine subjektive Überwachungsabsicht der Arbeitgeberin kommt es nicht an.

Bezogen auf diese Anwendungen hat der Betriebsrat im vorliegenden Fall sein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ausgeübt.

Bereits vor Inkrafttreten der Betriebsvereinbarung BV 2015 hatte der Betriebsrat nach dem übereinstimmenden Vortrag beider Beteiligter der Einführung und Anwendung des im Betrieb der Arbeitgeberin genutzten „E-Mail-Systems“ auf der Grundlage der BV 2010 zugestimmt. Da es sich bei diesem um ein kommunikationstechnisches System („ICT-System“) handelt, unterfiel es dem Geltungsbereich der BV 2010 (vgl. deren § 1 A Nr. 1 bis Nr. 3 Satz 1). Für die Anwendung dieses „E-Mail-Systems“ haben die Beteiligten dann im Jahr 2015 die – insoweit gegenüber der BV 2010 speziellere – BV 2015 vereinbart. Diese erfasst nach ihrem § 1 Nr. 2 alle Systeme einschließlich Hardware, Software und Infrastruktur, die für den mittel, orts- und zeitunabhängigen Austausch von Informationen (Audio, Video und Daten) genutzt werden. Hierzu gehören auch softwarebasierte E-Mail-Programme.

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Entgegen der Annahme des Betriebsrats ist für eine Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG bei der Anwendung des im Betrieb genutzten E-Mail-Systems kein Raum mehr. Dies gilt auch für etwaige, in Zusammenhang mit der Nutzung dieses Systems durch die Arbeitnehmer in Betracht kommende Überwachungsvorgänge durch die Arbeitgeberin.

Wie die Auslegung ergibt, enthalten die Regelungen in § 10 Nr. 2 und Nr. 5 BV 2010 (mitbestimmte) Vorgaben dazu, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen die Arbeitgeberin Verhaltens- und Leistungskontrollen der Arbeitnehmer im Zusammenhang mit der Verwendung von informations- und kommunikationstechnischen Systemen vornehmen kann.

§ 10 Nr. 2 Satz 1 BV 2010 sieht ausdrücklich vor, dass „Leistungs- und Verhaltenskontrollen … unzulässig“ sind. Ausgehend von der sich aus dem allgemeinen Sprachgebrauch ergebenden Bedeutung dieser Begrifflichkeit („nicht erlaubt“) ist damit das Verbot normiert, in Zusammenhang mit der Nutzung der von der BV 2010 erfassten informations- und kommunikationstechnischen Systeme das Verhalten der Arbeitnehmer oder ihre Arbeitsleistung in welcher Art auch immer zu kontrollieren. Angesichts der weiten sprachlichen Fassung der Regelung bezieht sich dieses Verbot nicht nur auf eine Kontrolle des Verhaltens der Arbeitnehmer durch die im Betrieb verwendeten informations- und kommunikationstechnischen Systeme, sondern es untersagt auch eine Überwachung ihres Verhaltens oder ihrer Leistung bei der Nutzung dieser Systeme. Von dem damit geltenden Verbot einer solchen Kontrolle können die Betriebsparteien – entsprechend dem nachfolgenden Satz 2 in § 10 Nr. 2 BV 2010 – in einer „gesonderten“ Betriebsvereinbarung Ausnahmen beschließen. Dementsprechend kann in dieser bestimmt werden, unter welchen Voraussetzungen die Arbeitgeberin die Erhebung welcher arbeitnehmerleistungs- oder verhaltensbezogener Daten bei der Verwendung der von der BV 2010 erfassten ICT-Systeme dennoch vornehmen kann. Angesichts des ohnehin geltenden Zeitkollisionsprinzips für aufeinanderfolgende Betriebsvereinbarungen zum selben Regelungsgegenstand ist damit lediglich klargestellt, dass es einer gesonderten Kündigung der BV 2010 nicht bedarf, wenn einer der Beteiligten über eine von § 10 Nr. 2 Satz 1 BV 2010 abweichende Betriebsvereinbarung verhandeln will.

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Zusätzlich legt bereits § 10 Nr. 5 BV 2010 für spezifische Zwecke fest, dass und unter welchen Voraussetzungen die Arbeitgeberin das Verhalten der Arbeitnehmer bei der Verwendung der auf Grundlage der BV 2010 mitbestimmt eingeführt und genutzten ICT-Systeme kontrollieren darf.

Dies zeigt schon die Systematik. Ausweislich der Überschrift von § 10 BV 2010 betreffen seine Regelungen die „Leistungs- und Verhaltenskontrolle“ sowie den „Arbeitnehmer/innen-Datenschutz“ in Zusammenhang mit der Nutzung informations- und kommunikationstechnischer Systeme. Während in § 10 Nr. 2 Satz 1 BV 2010 hierzu zunächst der Grundsatz einer Unzulässigkeit von Verhaltens- und Leistungskontrollen der Arbeitnehmer aufgestellt wird, befasst sich Nr. 5 der Regelung mit Vorgaben für „Kontrollmaßnahmen“, die jeweils bestimmten Zwecken dienen sollen: Entweder zielen sie darauf ab, Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten zu verhindern (Abs. 1), oder sie dienen der Aufdeckung von Straftaten (Abs. 2). Die damit angesprochenen Kontrollmaßnahmen bewirken eine „Leistungs- und Verhaltenskontrolle“ der Arbeitnehmer, die (an sich) nach § 10 Nr. 2 Satz 1 BV 2010 ausdrücklich nicht erlaubt ist. Einer Aufnahme dieser Regelungen in § 10 BV 2010 hätte es nicht bedurft, wenn der Arbeitgeberin auch in Bezug auf die in Nr. 5 genannten funktionsbezogenen Maßnahmen eine Verhaltenskontrolle der Beschäftigten untersagt wäre.

Die Regelung des § 2 BV 2010 stützt dieses Verständnis. Die Betriebsparteien haben dort ua. vereinbart, dass „[b]ei auftretenden Problemen aus Anwendungen“ oder „aus der Kontrolle von Leistung und Verhalten … auf Verlangen des Betriebsrats mit ihm hierüber zu verhandeln“ ist. Sich aus einer Leistungs- oder Verhaltenskontrolle ergebende Probleme können nur entstehen, wenn § 10 Nr. 2 Satz 1 BV 2010 kein ausnahmslos striktes Kontrollverbot enthält.

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Der Regelungsinhalt von § 10 Nr. 5 BV 2010 spricht ebenfalls dafür, dass die Arbeitgeberin berechtigt sein soll, nach Maßgabe der dort festgelegten Voraussetzungen das Verhalten der Arbeitnehmer durch ein ICT-System oder bei dessen Anwendung zu kontrollieren.

Sowohl Abs. 1 Satz 1 als auch Abs. 2 der Bestimmung verweisen auf den mit Ablauf des 24.05.2018 außer Kraft getretenen § 32 BDSG aF, der die „Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses“ regelte. Nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF dürfen personenbezogene Daten eines Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder nach Begründung des Beschäftigungsverhältnisses für dessen Durchführung oder Beendigung erforderlich ist. Zur „Durchführung“ iSd. Norm gehört auch die Kontrolle, ob der Arbeitnehmer seinen Pflichten nachkommt2. Ist es zur Verhinderung einer Ordnungswidrigkeit oder einer Straftat notwendig, dass die Arbeitgeberin die Arbeitnehmer mit Hilfe oder bei der Nutzung eines der im Betrieb eingesetzten informations- oder kommunikationstechnischen Systems überprüft, kann eine damit einhergehende – zweckbezogene – „Kontrollmaßnahme“ vorgenommen werden.

Entsprechendes gilt für § 10 Nr. 5 Abs. 2 BV 2010. Mit der dortigen Regelung ist nicht lediglich der Wortlaut von § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG aF wiedergegeben, der – ähnlich der inhaltsgleichen Nachfolgeregelung in § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG – auf die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung von personenbezogenen Daten abstellt. Vielmehr haben die Betriebsparteien stattdessen die Formulierung „Kontrollmaßnahmen“ gewählt, die zur Aufdeckung von Straftaten bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen durchgeführt werden dürfen.

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Da § 32 BDSG aF für die Arbeitgeberin ohnehin von Gesetzes wegen galt, kann den Betriebsparteien nicht unterstellt werden, sie hätten mit § 10 Nr. 5 BV 2010 lediglich auf die gesetzliche Norm hinweisen wollen. Eines solchen „Hinweises“ in einer Betriebsvereinbarung hätte es nicht bedurft. Vielmehr zeigt vor allem § 10 Nr. 5 Abs. 1 BV 2010, dass die Arbeitgeberin bei Vorliegen der (auch) vom Gesetz verlangten Vorgaben befugt sein sollte, das Verhalten der Arbeitnehmer zum Zwecke der Verhinderung von Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten zu kontrollieren; damit kommt dieser Bestimmung eine konstitutive Bedeutung zu. Anhaltspunkte, dass für § 10 Nr. 5 Abs. 2 BV 2010 anderes gelten soll, bestehen nicht.

Entgegen der Ansicht des Betriebsrats sind in § 10 Nr. 5 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BV 2010 auch nicht bloß mögliche Kontrollmaßnahmen angesprochen, deren konkrete Durchführung durch die Arbeitgeberin noch einer gesonderten Mitbestimmung bedarf. Dies verdeutlicht § 10 Nr. 7 Satz 2 BV 2010. Danach ist ausdrücklich vorgesehen, dass Sonderprogramme zur „Abfrage oder Auswertung“ ua. von besonderen mitarbeiterbezogenen Daten iSd. § 3 Abs. 9 BDSG aF vor ihrer ersten Nutzung der Zustimmung des Betriebsrats bedürfen. Ein derartiges Zustimmungserfordernis enthält § 10 Nr. 5 BV 2010 nicht. Angesichts der Regelung in § 10 Nr. 7 Satz 2 BV 2010 lässt sich ein solches auch nicht aus einem Umkehrschluss zu § 10 Nr. 5 Abs. 1 Satz 2 BV 2010 ableiten. Der Umstand, dass der Betriebsrat bei Kontrollmaßnahmen zur Verhinderung von Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten „nachträglich und unverzüglich“ zu informieren ist, wenn – sofortiges Handeln erfordernde – Sicherheitsgefährdungen drohen, lässt lediglich darauf schließen, dass die Arbeitgeberin in den sonstigen Fällen den Betriebsrat vorher zu unterrichten hat. Ein Zustimmungsvorbehalt kann hieraus nicht entnommen werden.

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Der Umstand, dass es sich nach den Vorstellungen der Betriebsparteien bei der BV 2010 um eine „Rahmenbetriebsvereinbarung“ handelt, rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Wie ihre Bestimmungen in § 1 A Nr. 1 bis Nr. 3 zeigen, erfasst die BV 2010 nicht nur die bei ihrem Abschluss bereits im Betrieb der Arbeitgeberin vorhandenen ICT-Systeme, sondern sie enthält auch Regelungen für die Einführung weiterer sowie die Änderung bereits eingeführter oder noch einzuführender Systeme einschließlich ihrer Software-Applikationen. Hierfür haben die Betriebsparteien in den §§ 5 ff. BV 2010 ein Verfahren und weitere Maßgaben – mithin einen „Rahmen“ – vorgesehen; dies bedeutet indes nicht, dass auch § 10 Nr. 5 BV 2010 lediglich eine noch ausfüllungsbedürftige „Rahmenvorschrift“ darstellt. Anders als der Betriebsrat meint, hat das vorliegende Verständnis von § 10 Nr. 5 Abs. 2 BV 2010 weder zur Folge, dass die Arbeitgeberin in unzulässiger Weise einseitig ermächtigt wird, noch bewirkt es einen etwaigen „Verzicht“ auf das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Vielmehr legt die Norm abstrakt fest, zu welchem Zweck und unter welchen Voraussetzungen die Arbeitgeberin Überwachungs- oder sonstige Kontrollmaßnahmen der Arbeitnehmer vornehmen darf. Einer weitergehenden Konkretisierung bedurfte es nicht.

Die aus § 10 Nr. 2 und Nr. 5 BV 2010 folgenden Maßgaben zur Zulässigkeit etwaiger Verhaltens- und Leistungskontrollen der Arbeitnehmer im Zusammenhang mit der Verwendung von informations- und kommunikations-technischen Systemen gelten nach § 7 Satz 1 BV 2015 grundsätzlich auch für die Nutzung des betrieblichen E-Mail-Systems. Die Bestimmung ordnet ausdrücklich an, dass die „Vereinbarungen der … ICT-RBV 02/2010 entsprechend“ Anwendung finden. Hiervon erfasst sind mithin auch die Vorgaben in § 10 Nr. 2 und Nr. 5 BV 2010.

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Da der Betriebsrat sein Unterlassungsbegehren ausschließlich auf eine Verletzung seines Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, nicht aber auf ein betriebsvereinbarungswidriges Vorgehen der Arbeitgeberin stützt, hatte das Bundesarbeitsgericht nicht darüber zu befinden, ob diese mit den im Antrag zu 3. beschriebenen Handlungen gegen die Vorgaben der BV 2010 oder der BV 2015 verstoßen würden. Bei einem Verbotsausspruch als Rechtsfolge eines nicht betriebsvereinbarungsgemäßen Verhaltens des Arbeitgebers handelt es sich um einen anderen Verfahrensgegenstand als bei der auf einem mitbestimmungswidrigen Verhalten gründenden Unterlassungsfolge3.

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 23. März 2021 – 1 ABR 31/19

  1. vgl. zum Begriff der technischen Einrichtung iSv. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG etwa BAG 13.12.2016 – 1 ABR 7/15, Rn. 22 mwN, BAGE 157, 220[]
  2. vgl. BAG 31.01.2019 – 2 AZR 426/18, Rn. 50, BAGE 165, 255[]
  3. vgl. BAG 22.10.2019 – 1 ABR 17/18, Rn. 17 mwN[]

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