Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde eines Betriebsratsmitglieds nicht zur Entscheidung angenommen, die sich gegen arbeitsgerichtliche Entscheidungen zu einer Kündigung wegen einer groben menschenverachtenden Äußerung richtete:

Der Beschwerdeführer betitelte in einer kontrovers ablaufenden Betriebsratssitzung einen dunkelhäutigen Kollegen mit den Worten „Ugah, Ugah!“. Die daraufhin ausgesprochene Kündigung erachteten die Arbeitsgerichte – vom Arbeitsgericht Köln1 über das Landesarbeitsgericht Köln2 bis zum Bundesarbeitsgericht3 – als wirksam. Dagegen berief sich der Beschwerdeführer auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG. Seine Verfassungsbeschwerde hatte jedoch keinen Erfolg. Insbesondere waren die Entscheidungen der Gerichte für Arbeitssachen, wonach die Äußerung eine menschenverachtende Diskriminierung darstellt, die sich nicht unter Berufung auf Art. 5 Abs. 1 GG rechtfertigen lässt, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Der Ausgangssachverhalt
Der Beschwerdeführer war Betriebsratsmitglied. In einer ordentlichen Betriebsratssitzung betitelte er ein anderes, dunkelhäutiges Betriebsratsmitglied im Rahmen einer Auseinandersetzung über den Umgang mit einem EDV-System mit den Worten „Ugah, Ugah“, während der Angesprochene ihn als „Stricher“ bezeichnete. Unter anderem aufgrund dieses Vorfalls erhielt der Beschwerdeführer die außerordentliche Kündigung seines Arbeitsverhältnisses. Hiergegen ging er gerichtlich vor.
Die Entscheidung der Arbeitsgerichte
Die Gerichte für Arbeitssachen erachteten nach umfänglicher Beweisaufnahme die Kündigung auch aufgrund einer einschlägigen vorhergehenden Abmahnung als rechtmäßig.
Das Arbeitsgericht Köln stellte darauf ab, dass grobe Beleidigungen von Arbeitskollegen eine erhebliche Pflichtverletzung seien, die als wichtiger Grund im Sinne von § 626 BGB zur Kündigung berechtigen würden. Das ergebe sich schon aus den Wertungen in §§ 104, 75 Abs. 1 BetrVG und §§ 1, 7, 12 AGG. Die Äußerung sei eine grobe, wegen der ethnischen Herkunft diskriminierende Beleidigung, die nach der Beweisaufnahme zwar in einem Wortwechsel, aber nicht selbst in Reaktion auf „Du Stricher“ erfolgte. Die Gesamtwürdigung auch einer wirkungslosen Abmahnung in der Vergangenheit mache die Weiterbeschäftigung angesichts fortgesetzter Beleidigung von Kollegen unzumutbar. Der Arbeitgeber habe eine Fürsorgepflicht, diese vor Diskriminierung zu schützen1.
Das Landesarbeitsgericht Köln2 hat sich dem im Ergebnis angeschlossen. Die Äußerung sei als rassistische Beleidigung schon „für sich“ ein wichtiger Grund für die fristlose Kündigung nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BVerfGchG beziehungsweise § 626 BGB. Gegenüber einem dunkelhäutigen Kollegen sei sie als Offenbarung eines Rassisten zu verstehen. Auch ausweislich der vorangegangenen Konflikte im Betrieb liege darin keine Entgleisung oder ein Irrtum, sondern wissend und ohne Reue Ausdruck einer Grundhaltung. Daher sei die Weiterbeschäftigung nicht zumutbar gewesen.
Und auch das Bundesarbeitsgericht bestätigte die Rechtmäßigkeit der Kündigung3.
Die Verfassungsbeschwerde
Der Beschwerdeführer rügt unter anderem, dass die Gerichte sein Recht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG verletzten, indem sie die Kündigung für rechtmäßig erachteten. Sie hätten seine Grundrechte gegenüber dem Kündigungsinteresse der Arbeitgeberin nicht abgewogen. Die Arbeitsgerichte dürften ihm keine rassistische Grundeinstellung vorwerfen und ihn als Rassisten betiteln. Die Unschuldsvermutung sei nicht beachtet worden. Strafrechtliche Verurteilungen wegen der Äußerung hätte es nicht gegeben. Die ihm gegenüber von dem Betriebsratskollegen getätigte Äußerung „Du Stricher“ sei sanktionslos geblieben.
Das Bundesverfassungsgericht nahm die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an; die Verfassungsbeschwerde sei unzulässig; ihre Begründung entsprech insgesamt nicht den Anforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG. Sie wäre zudem auch unbegründet. Insbesondere verletzten die angegriffenen Entscheidungen des Arbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts den Beschwerdeführer nicht in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG, indem seine Äußerung als Grund für eine Kündigung gewertet worden ist.
Die Auslegung und Anwendung der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen ist Aufgabe der Arbeitsgerichte. Bei ihrer Entscheidung haben sie dem Einfluss der Grundrechte auf die anwendbaren gesetzlichen Vorschriften Rechnung zu tragen4.
Insofern sind die angegriffenen Entscheidungen des Arbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die sich aus Art. 5 Abs. 1 GG5 sowie Art. 1 beziehungsweise Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG ergebenden Wertungen haben die Gerichte nicht verkannt.
Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit
Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gibt das Recht, die eigene Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Grundrechtlich geschützt sind damit insbesondere Werturteile, also Äußerungen, die durch ein Element der Stellungnahme gekennzeichnet sind, ungeachtet des womöglich ehrschmälernden, polemischen oder verletzenden Gehalts einer Äußerung6. Damit liegt in der arbeitsgerichtlichen Bestätigung einer Kündigung, die sich auf eine solche Aussage stützt, eine Beeinträchtigung dieser Freiheit.
Rechtfertigung dieser Beeinträchtigung
Diese Beeinträchtigung ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt.
Nach Art. 5 Abs. 2 GG findet das Grundrecht der Meinungsfreiheit seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Dazu gehören auch die arbeitsrechtlichen Vorschriften, auf die sich die angegriffenen Entscheidungen stützen7.
Stützt sich eine Kündigung wesentlich auf eine Äußerung, verlangt Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG zunächst eine der Meinungsfreiheit gerecht werdende Ermittlung ihres Sinns8. Diese ist hier erfolgt. Die Arbeitsgerichte haben sich dabei auch ausführlich mit den Deutungsangeboten des Beschwerdeführers befasst. Zutreffend haben sie allerdings die konkrete Situation als maßgeblich angesehen, in der ein Mensch mit dunkler Hautfarbe direkt mit der Nachahmung von Affenlauten adressiert wird. Der Schluss, dass es sich aufgrund der Verbindung zu einem nach § 1 AGG verpönten Merkmal nicht nur um eine derbe Beleidigung handele, sondern die Äußerung fundamental herabwürdigend sei, ist auch im Lichte von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG, der sich gegen rassistische Diskriminierung wendet, nicht zu beanstanden.
Sodann erfordert das Grundrecht der Meinungsfreiheit im Normalfall eine abwägende Gewichtung der Beeinträchtigungen, die der persönlichen Ehre auf der einen und der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite drohen9. Nur ausnahmsweise tritt die Meinungsfreiheit bei herabsetzenden Äußerungen, die die Menschenwürde anderer antasten oder sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen, zurück, ohne dass es einer Einzelfallabwägung bedarf10. An diese Ausnahmefälle sind aber jeweils strenge Kriterien anzulegen und ihr Vorliegen ist ausführlich zu begründen11.
Schmähkritik
Eine Schmähung oder Schmähkritik liegt nur vor, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht12. Auch überzogene, völlig unverhältnismäßige oder sogar ausfällige Kritik ist noch keine Schmähung, denn gerade Kritik darf auch grundlos, pointiert, polemisch und überspitzt ausfallen13. Entscheidend ist, dass sie letztlich nur die Person gravierend verletzt14.
Formalbeleidigung
Ähnlich eng ist die Formalbeleidigung im verfassungsrechtlichen Sinn zu verstehen15. Sie liegt etwa in mit Vorbedacht und nicht nur in der Hitze einer Auseinandersetzung verwendeten, nach allgemeiner Auffassung besonders krassen, aus sich heraus herabwürdigenden Schimpfwörtern16. Entscheidend ist die kontextunabhängig gesellschaftlich absolut missbilligte und tabuisierte Begrifflichkeit. Wer Personen mit solchen Begriffen bezeichnet, bedient sich gerade ihrer Funktion, verächtlich zu machen, um einen Menschen unabhängig von sachlichen Anliegen herabzusetzen17.
Verletzung der Menschenwürde
Die weitere eng zu verstehende Ausnahme vom Abwägungsgebot ist eine Äußerung, mit der die in Art. 1 Abs. 1 GG als unantastbar geschützte Menschenwürde verletzt wird. Da die Menschenwürde mit keinem Einzelgrundrecht abwägungsfähig ist, muss die Meinungsfreiheit dann stets zurücktreten. Auch das bedarf einer sorgfältigen Begründung18. Es kommt nur in Betracht, wenn einer konkreten Person der ihre menschliche Würde ausmachende Kern der Persönlichkeit abgesprochen wird19.
Erfordernis der Abwägung
Hinreichend begründet können Gerichte in diesen Ausnahmefällen auf eine Abwägung der Meinungsfreiheit mit anderen Rechten verzichten. Im Regelfall ist die Abwägung aber geboten und liegt auch in vielfach nicht eindeutig gelagerten Grenzfällen nahe. Sie knüpft an wertungsoffene Tatbestandsmerkmale des Fachrechts an20 und muss sich umfassend mit den konkreten Umständen auseinandersetzen, also in der Regel Inhalt, Form, Anlass und Wirkung der betreffenden Äußerung sowie Person und Anzahl der Äußernden, der Betroffenen und der Rezipienten berücksichtigen21.
Anwendung durch die Arbeitsgerichte im konkreten Fall
Auch diese grundrechtlichen Wertungen haben das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht in Anwendung des Kündigungsschutzrechts nicht verkannt. Sie stützen sich auf die Regelungen der §§ 104, 75 Abs. 1 BetrVG und §§ 1, 7, 12 AGG, in denen die verfassungsrechtlichen Wertungen der Unantastbarkeit der Menschenwürde und des Diskriminierungsverbots ihren Niederschlag finden, hinter denen die Meinungsfreiheit zurücktritt.
Die Urteile legen ausführlich dar, dass die Äußerung „Ugah, Ugah“ gegenüber einem dunkelhäutigen Kollegen für sich genommen einen Charakter hat, der die dem Beschwerdeführer auch im Betrieb zustehende Meinungsfreiheit zurücktreten lässt. Dabei haben sich die Arbeitsgerichte nicht ausdrücklich festgelegt, ob sie dies als Schmähung, Formalbeleidigung oder Verletzung der Menschenwürde ansehen. Sie begründen aber ausführlich, dass es sich um menschenverachtende Diskriminierung handelt. Eine solche lässt sich unter Berufung auf Art. 5 Abs. 1 GG nicht rechtfertigen. Das ergibt sich daraus, dass die Menschenwürde entgegen Art. 1 Abs. 1 GG angetastet wird, wenn eine Person nicht als Mensch, sondern als Affe adressiert wird, und damit das in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG ausdrücklich normierte Recht auf Anerkennung als Gleiche unabhängig von der „Rasse“ verletzt wird. Das Arbeitsgericht führt aus, dass die Äußerung „regelmäßig als grobe, wegen der ethnischen Herkunft diskriminierende Beleidigung aufzufassen“ sei, was sie verfassungsrechtlich zur Formalbeleidigung macht. Im Vergleich mit einer Situation im Fußball, wo dieselbe Äußerung die Leistung eines prominenten hellhäutigen, „weißen“ Spielers kommentierte, hat das Landesarbeitsgericht zudem klargestellt, dass die konkrete Situation einer Auseinandersetzung im Betriebsrat mit einem dunkelhäutigen Kollegen entscheidende Bedeutung dafür hat, dass hier die Herabwürdigung der Person im Vordergrund stand, was verfassungsrechtlich als Schmähkritik zu werten wäre.
Die Arbeitsgerichte haben sodann die im Fall der fristlosen Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB geforderte Gesamtwürdigung vorgenommen, die verfassungsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden ist. Sie stützen sich auf eine umfängliche Beweisaufnahme. Kündigungsrechtlich konnte die Äußerung unabhängig vom Strafrecht bewertet werden22. Zudem wurde berücksichtigt, dass dem Beschwerdeführer die Bedeutung seiner Äußerungen ausweislich vorheriger Auseinandersetzungen im Betrieb bekannt war, er auf eine frühere Abmahnung keinerlei Einsicht zeigte oder sich etwa entschuldigt hätte. Dazu kommt der Verweis auf die Pflicht des Arbeitgebers aus § 3 Abs. 3, § 12 Abs. 3 AGG und § 75 Abs. 1 BetrVG, sein Personal vor rassistischen Anfeindungen zu schützen, die wiederum das verfassungsrechtliche Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG ausgestalten.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 2. November 2020 – 1 BvR 2727/19
- AG Köln, Urteil vom 09.11.2018 – 18 Ca 7824/17[↩][↩]
- LAG Köln, Urteil vom 06.06.2019 – 4 Sa 18/19[↩][↩]
- BAG, Beschluss vom 23.10.2019 – 2 AZN 824/19[↩][↩]
- vgl. BVerfGE 7, 198 <208> 85, 1 <13> 148, 267 <280 Rn. 32> stRspr; zum Arbeitsrecht BVerfGE 42, 133 <140>[↩]
- jüngst BVerfG, Beschluss vom 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19, Rn. 12 ff.[↩]
- vgl. BVerfGE 54, 129 <138 f.> 61, 1 <7 f.> 93, 266 <289 f.> stRspr[↩]
- zu § 74 Abs. 2 BetrVG 72 bereits BVerfGE 42, 133 <140>[↩]
- vgl. BVerfGE 93, 266 <295 f.> BVerfG, Beschluss vom 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19, Rn. 15 m.w.N.[↩]
- vgl. BVerfGE 7, 198 <212> 85, 1 <16> 93, 266 <293> stRspr[↩]
- vgl. BVerfGE 82, 43 <51> 85, 1 <16> 90, 241 <248> 93, 266 <293 f.> 99, 185 <196> stRspr[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19, Rn. 15 ff., 23, 25[↩]
- vgl. BVerfGE 82, 272 <283 f.> 85, 1 <16> 93, 266 <294, 303>[↩]
- zu scharfer Kritik im Betrieb BVerfG, Beschluss vom 30.05.2018 – 1 BvR 1149/17, Rn. 7 f.[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19, Rn. 18 ff. m.w.N[↩]
- vgl. BVerfGE 93, 266 <294>[↩]
- vgl. BVerfGE 82, 43 <51> 93, 266 <294> BVerfG, Beschluss vom 14.06.2019 – 1 BvR 2433/17, Rn. 18[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19, Rn. 21[↩]
- vgl. BVerfGE 93, 266 <293> 107, 275 <284>[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.09.2000 – 1 BvR 1056/95, Rn. 40; Beschluss vom 04.02.2010 – 1 BvR 369/04 u.a., Rn. 31; Beschluss vom 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19, Rn. 22, jeweils m.w.N.[↩]
- vgl. für das Strafrecht BVerfGE 12, 113 <124 ff.> 90, 241 <248> 93, 266 <290>[↩]
- vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f.> 93, 266 <296> insgesamt BVerfG, Beschluss vom 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19, Rn. 25 ff., 35[↩]
- vgl. BAG, Urteil vom 01.07.1999 – 2 AZR 676/98 m.w.N.[↩]
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