(Un-)Pfändbarkeit einer Corona-Sonderzahlung

Zahlt ein Arbeitgeber, der nicht dem Pflegebereich angehört, freiwillig an seine Beschäftigten eine Corona-Prämie, ist diese Leistung als Erschwerniszulage nach § 850a Nr. 3 ZPO unpfändbar, wenn ihr Zweck in der Kompensation einer coronabedingten, im Einzelfall tatsächlich gegebenen Erschwernis bei der Arbeitsleistung liegt, soweit die Prämie den Rahmen des Üblichen nicht übersteigt.

(Un-)Pfändbarkeit einer Corona-Sonderzahlung

Bei einer insolventen Arbeitnehmerin gelangt die Forderung der Arbeitnehmerin gegen den Arbeitgeber auf Zahlung der „Corona-Unterstützung“ wegen Unpfändbarkeit nicht in die Insolvenzmasse der Arbeitnehmerin. Nach § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO gehören Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, nicht zur Insolvenzmasse, wobei nach § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO die §§ 850, 850a, 850c, 850e, 850f Abs. 1, §§ 850g bis 850k, 851c und 851d ZPO entsprechend gelten. Die vom Arbeitgeber an die Arbeitnehmerin geleistete „Corona-Unterstützung“ ist als Erschwerniszulage nach § 850a Nr. 3 ZPO unpfändbar.

Nach § 850 Abs. 1 ZPO kann Arbeitseinkommen, das in Geld zahlbar ist, nur nach Maßgabe der §§ 850a bis 850i ZPO gepfändet werden.

Die vom Arbeitgeber an die Arbeitnehmerin gezahlte „Corona-Unterstützung“ ist zwar nicht nach § 850a Nr. 2 ZPO unpfändbar.

Nach § 850a Nr. 2 ZPO unpfändbar sind die für die Dauer eines Urlaubs über das Arbeitseinkommen hinaus gewährten Bezüge, Zuwendungen aus Anlass eines besonderen Betriebsereignisses und Treu(e)gelder, soweit sie den Rahmen des Üblichen nicht übersteigen.

Der Arbeitgeber hat die „Corona-Unterstützung“ weder als zusätzliche Leistung für die Dauer eines Urlaubs der Arbeitnehmerin iSv. § 850a Nr. 2 ZPO noch als Zuwendung aus Anlass eines besonderen Betriebsereignisses iSv. § 850a Nr. 2 ZPO erbracht. Unter den Begriff der Zuwendungen aus Anlass eines besonderen Betriebsereignisses fallen Sonderleistungen, die der Arbeitgeber nicht regelmäßig, sondern aus einem bestimmten, besonderen Anlass, zB einem Betriebsjubiläum oder einem ganz außergewöhnlichen Erfolg des Betriebes gewährt1. Die vom Arbeitgeber erbrachte Leistung hatte indes keinen Bezug zu einem (Betriebs)Ereignis im Betrieb des Arbeitgebers.

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Bei der vom Arbeitgeber gezahlten „Corona-Unterstützung“ handelt es sich auch nicht um ein Treu(e)geld iSv. § 850a Nr. 2 ZPO. Treu(e)gelder sind die einem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber aus Anlass langjähriger Betriebszugehörigkeit gewährten Zuwendungen, insbesondere Zahlungen anlässlich eines Jubiläums2. Danach stellt die Leistung des Arbeitgebers an die – im Übrigen nur für die Dauer eines halben Jahres bei ihm beschäftigte – Arbeitnehmerin kein Treu(e)geld iSv. § 850a Nr. 2 ZPO dar.

Die von dem Arbeitgeber an die Arbeitnehmerin im September 2020 gezahlte „Corona-Unterstützung“ iHv. 400, 00 Euro ist jedoch als Erschwerniszulage nach § 850a Nr. 3 ZPO unpfändbar. Ihr Zweck liegt in der Kompensation einer coronabedingten tatsächlichen Erschwernis bei der Arbeitsleistung. Die Zahlung übersteigt auch nicht den Rahmen des Üblichen.

Nach § 850a Nr. 3 ZPO unpfändbar sind Aufwandsentschädigungen, Auslösungsgelder und sonstige soziale Zulagen für auswärtige Beschäftigungen, das Entgelt für selbstgestelltes Arbeitsmaterial, Gefahrenzulagen sowie Schmutz- und Erschwerniszulagen, soweit diese Bezüge den Rahmen des Üblichen nicht übersteigen.

Danach kann eine vom Arbeitgeber freiwillig gezahlte Corona-Prämie im Einzelfall eine Erschwerniszulage iSv. § 850a Nr. 3 ZPO sein. Dies ist der Fall, wenn der Zweck der Leistung in der Kompensation einer coronabedingten tatsächlichen Erschwernis bei der Arbeitsleistung liegt.

Aus Sinn und Zweck der Pfändungsschutzvorschriften ergibt sich, dass eine Erschwernis iSv. § 850a Nr. 3 ZPO eine besondere Belastung bei der bzw. durch die Erbringung der Arbeitsleistung voraussetzt3. Es muss sich dabei um eine im Einzelfall tatsächlich gegebene Erschwernis handeln. Entgegen der Auffassung der Insolvenzverwalterin muss diese weder berufsspezifisch noch dauerhaft mit der Erbringung der Arbeitsleistung verbunden sein. Der Begriff der Erschwerniszulage spricht für ein weites, nicht auf die der Ausübung der Arbeit innewohnenden Belastungen begrenztes Verständnis4 und dafür, dass es ausreicht, wenn die Tätigkeit im Einzelfall nur vorübergehend mit Erschwernissen verbunden ist.

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Die Regelung in § 150a SGB XI, der durch Gesetz vom 19.05.2020 mit Wirkung zum 23.05.2020 in das SGB XI eingefügt5 wurde, steht der Qualifizierung der vom Arbeitgeber gezahlten „Corona-Unterstützung“ als Erschwerniszulage iSv. § 850a Nr. 3 ZPO nicht entgegen. Diese Bestimmung schließt eine Anwendung von § 850a ZPO nicht aus.

Nach § 150a Abs. 1 SGB XI sind die zugelassenen Pflegeeinrichtungen sowie die Arbeitgeber, die Arbeitnehmer bei solchen Einrichtungen im Wege der Arbeitnehmerüberlassung oder eines Werk- oder Dienstleistungsvertrags einsetzen, verpflichtet, ihren Beschäftigten im Jahr 2020 zum Zweck der Wertschätzung für die besonderen Anforderungen während der Coronavirus-SARS-CoV-2-Pandemie eine für jeden Beschäftigten einmalige Sonderleistung nach Maßgabe von § 150a Abs. 2 bis 6 und Abs. 8 SGB XI zu zahlen (Corona-Prämie). Nach § 150a Abs. 8 Satz 4 SGB XI ist die Corona-Prämie unpfändbar.

Die in § 150a SGB XI getroffene Bestimmung steht der Qualifizierung der vom Arbeitgeber an die Arbeitnehmerin gezahlten „Corona-Unterstützung“ als Erschwerniszulage iSv. § 850a Nr. 3 ZPO nicht entgegen. Bei § 150a SGB XI handelt es sich um eine spezialgesetzliche Regelung, die ausschließlich für die Beschäftigten in zugelassenen Pflegeeinrichtungen gilt und die diesem Personenkreis zum Zweck der Wertschätzung für die besonderen Anforderungen während der Coronavirus-SARS-CoV-2-Pandemie – und insoweit auch teilweise unabhängig von einer besonderen Belastung bei der bzw. durch die Erbringung der Arbeitsleistung – einen öffentlich-rechtlichen Zahlungsanspruch einräumt, § 150a Abs. 1 SGB XI6. Mit der ausdrücklichen Festlegung der Unpfändbarkeit dieser öffentlich-rechtlichen Forderung in § 150a Abs. 8 Satz 4 SGB XI hat der Gesetzgeber keine Aussagen getroffen im Hinblick auf eine etwaige Pfändbarkeit von Corona-Prämien, die vom Arbeitgeber freiwillig an Beschäftigte außerhalb des Anwendungsbereichs des § 150a SGB XI gezahlt werden.

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Auch aus dem Umstand, dass aufgrund der Corona-Krise erbrachte Beihilfen und Unterstützungen bis zu einem Betrag iHv.01.500, 00 Euro steuer- und sozialversicherungsfrei waren, ergibt sich nichts anderes.

Das Bundesministerium der Finanzen hat durch Schreiben vom 09.04.2020 – IV C 5 – S 2342/20/10009 :0017 im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder für Beihilfen und Unterstützungen während der Corona-Krise mitgeteilt, dass Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern in der Zeit vom 01.03.2020 bis zum 31.12.2020 aufgrund der Corona-Krise Beihilfen und Unterstützungen bis zu einem Betrag von 1.500, 00 Euro nach § 3 Nr. 11 EStG steuerfrei in Form von Zuschüssen und Sachbezügen gewähren können, soweit diese zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn geleistet werden. Nachfolgend wurde § 3 EStG durch das Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Corona-Steuerhilfegesetz) vom 19.06.20208 dahin geändert, dass in diese Bestimmung Nr. 11a eingefügt wurde. Danach waren vom Arbeitgeber zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn in der Zeit vom 01.03.bis zum 31.12.2020 aufgrund der Corona-Krise an seine Arbeitnehmer in Form von Zuschüssen und Sachbezügen gewährte Beihilfen und Unterstützungen bis zu einem Betrag iHv.01.500, 00 Euro steuerfrei. Ausweislich der Gesetzesbegründung wurde damit im Interesse einer umfassenden Rechtssicherheit nachträglich eine gesetzliche Rechtsgrundlage für die Steuerfreiheit der Corona-Sonderleistungen geschaffen9. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialversicherungsentgeltverordnung (SvEV) in der vom 01.01.2018 bis zum 30.06.2021 geltenden Fassung war die steuerfreie Corona-Prämie nicht dem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsentgelt zuzurechnen.

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Weder aus dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 09.04.2020 noch aus § 3 Nr. 11a EStG oder § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SvEV lässt sich etwas dafür herleiten, dass eine vom Arbeitgeber freiwillig an seine Beschäftigten gezahlte Corona-Prämie nicht als Erschwerniszulage iSv. § 850a Nr. 3 ZPO unpfändbar sein könnte. Es gibt schon keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass sich das Bundesministerium der Finanzen und/oder der Gesetzgeber mit der Frage nach der Pfändbarkeit einer Corona-Sonderzahlung überhaupt befasst hätten.

Die Erschwerniszulage ist nach § 850a Nr. 3 ZPO unpfändbar, soweit sie den Rahmen des Üblichen nicht übersteigt. Zur Ermittlung dieses Rahmens kann auf die in § 3 Nr. 11a EStG enthaltene Wertung zurückgegriffen werden10.

Danach handelt es sich bei der hier streitgegenständlichen; vom Arbeitgeber an die Arbeitnehmerin gezahlten „Corona-Unterstützung“ um eine Erschwerniszulage iSv. § 850a Nr. 3 ZPO, die den Rahmen des Üblichen nicht übersteigt und demgemäß nicht zum pfändbaren Einkommen der Arbeitnehmerin gehört.

Der Zweck der vom Arbeitgeber der Arbeitnehmerin gezahlten „Corona-Unterstützung“ liegt in der Kompensation einer tatsächlichen Erschwernis bei der Arbeitsleistung.

Die Arbeitnehmerin war bei Ausübung ihrer Tätigkeit für den Arbeitgeber im September 2020 einer coronabedingten tatsächlichen Erschwernis ausgesetzt. Sie war in dieser Zeit in dem vom Arbeitgeber betriebenen B in G mit – auch im September 2020 – hoher Besucherzahl nicht nur als Küchenhilfe, sondern vielmehr – unstreitig – auch als Thekenkraft mit unmittelbarem Kontakt zur Kundschaft tätig. Wie das Landesarbeitsgericht festgestellt hat, bestand infolge des unmittelbaren Kundenkontakts im September 2020 für die Arbeitnehmerin tatsächlich eine konkrete höhere Gefahr, sich mit dem Corona-Virus zu infizieren, als wenn sie die Tätigkeit im Betrieb des Arbeitgebers nicht verrichtet hätte, zumal die Kunden zum Verzehr von Getränken und Speisen ihre Masken – jedenfalls vorübergehend – ablegen mussten. Zudem war die Arbeitnehmerin bei der Erbringung der Arbeitsleistung einer besonderen psychischen Belastung ausgesetzt, da es zum damaligen Zeitpunkt kein wirksames Medikament gegen diese Erkrankung gab und auch keine Möglichkeit bestand, sich impfen zu lassen. Die Tätigkeit der Arbeitnehmerin bei dem Arbeitgeber als Thekenkraft mit unmittelbarem Kundenkontakt war für die Arbeitnehmerin demzufolge mit einer coronabedingten besonderen Belastung verbunden. Soweit die Insolvenzverwalterin demgegenüber anführt, die Arbeitnehmerin sei bei ihrer Arbeit einem allgemeinen pandemiebedingten Risiko ausgesetzt gewesen, welches ua. auch in öffentlichen Verkehrsmitteln oder beim Einkauf im Einzelhandel bestehe, führt dies nicht zu einer anderen Bewertung. Die Arbeitnehmerin hatte bei ihrer Arbeit als Thekenkraft mit unmittelbarem Kundenkontakt – wenn sie ihre arbeitsvertraglichen Pflichten nicht verletzen wollte – nicht die Möglichkeit, sich den coronabedingten Risiken und besonderen Belastungen zu entziehen bzw. diese Risiken zu minimieren. Demgegenüber waren alle Menschen, was beispielsweise die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel und den Einkauf im Einzelhandel anbelangt, grundsätzlich frei in der Entscheidung, in welcher Intensität sie sich den damit verbundenen Risiken einer Infektion aussetzen wollten. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Einhaltung von Abständen. Dass der Arbeitgeber – wie das Landesarbeitsgericht festgestellt hat – mit der an die Arbeitnehmerin gezahlten „Corona-Unterstützung“ die bei der Arbeitsleistung der Arbeitnehmerin tatsächlich gegebene coronabedingte besondere Erschwernis kompensieren wollte, hat die Insolvenzverwalterin in der Revision nicht in Abrede gestellt.

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Die „Corona-Unterstützung“ des Arbeitgebers iHv. 400, 00 Euro überstieg auch nicht den Rahmen des Üblichen iSv. § 850a Nr. 3 ZPO, der sich unter Rückgriff auf die in § 3 Nr. 11a EStG enthaltene Wertung bestimmt. § 3 Nr. 11a EStG sieht insoweit einen Betrag iHv.01.500, 00 Euro vor.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25. August 2022 – 8 AZR 14/22

  1. BAG 30.07.2008 – 10 AZR 459/07, Rn. 30 mwN[]
  2. BAG 30.07.2008 – 10 AZR 459/07, Rn. 23[]
  3. vgl. BAG 23.08.2017 – 10 AZR 859/16, Rn. 24, 37 ff., BAGE 160, 57; in diesem Sinne auch BGH 29.06.2016 – VII ZB 4/15, Rn. 13, BGHZ 211, 46[]
  4. BAG 23.08.2017 – 10 AZR 859/16, Rn. 23, aaO[]
  5. BGBl. I S. 1018[]
  6. vgl. BAG 1.03.2022 – 9 AZB 25/21, Rn. 15 ff.[]
  7. BStBl. I S. 503[]
  8. BGBl. I S. 1385[]
  9. BT-Drs.19/19601 S. 33[]
  10. vgl. BAG 23.08.2017 – 10 AZR 859/16, Rn. 52, BAGE 160, 57; vgl. BGH 20.09.2018 – IX ZB 41/16, Rn. 6; 29.06.2016 – VII ZB 4/15, Rn. 13 f., BGHZ 211, 46[]