Betreibt ein Arbeitgeber mit seinem Unternehmen deutschlandweit mehrere Betriebe in der Art, dass die Kündigungsberechtigung im Sinne von § 626 Absatz 2 BGB zentral durch eine Person oder Personengruppe am Unternehmenssitz wahrgenommen wird, liegt eine unsachgemäße Organisation des Betriebes im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichs1 vor, wenn die Weisung besteht, Kündigungssachverhalte zunächst vollständig vor Ort aufzuklären und erst den vollständig aufgeklärten Sachverhalt der kündigungsberechtigten Person vorzulegen.

Nach § 626 Absatz 2 Satz 1 BGB kann eine außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt nach Absatz 2 Satz 2 der Norm mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Der Kündigungsberechtigte, der bislang nur Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann deshalb nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Absatz 2 BGB zu laufen begänne. Sind die Ermittlungen abgeschlossen und hat er eine hinreichende Kenntnis vom Kündigungssachverhalt, beginnt der Lauf der Ausschlussfrist2.
Neben den Mitgliedern der Organe von juristischen Personen und Körperschaften gehören zu den kündigungsberechtigten Personen auch die Mitarbeiter, denen der Arbeitgeber das Recht zur außerordentlichen Kündigung übertragen hat. Dagegen ist die Kenntnis anderer Personen für den Lauf der Ausschlussfrist grundsätzlich unbeachtlich. Dies gilt auch dann, wenn den Mitarbeitern Aufsichtsfunktionen übertragen worden sind. Nur ausnahmsweise muss sich der Arbeitgeber die Kenntnis solcher Personen nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) zurechnen lassen. Dazu müssen diese Personen eine herausgehobene Position und Funktion im Betrieb haben sowie tatsächlich und rechtlich in der Lage sein, einen Sachverhalt, der Anhaltspunkte für eine außerordentliche Kündigung bietet, so umfassend zu klären, dass mit ihrer Mitteilung der Kündigungsberechtigte ohne weitere eigene Nachforschungen seine (Kündigungs-)Entscheidung abgewogen treffen kann. Dementsprechend müssen diese Mitarbeiter in einer ähnlich selbständigen Stellung sein, wie ein gesetzlicher oder rechtsgeschäftlicher Vertreter des Arbeitgebers. Voraussetzung für eine Zurechenbarkeit der Kenntnisse dieser Personen zum Arbeitgeber ist ferner, dass die Verzögerung bei der Kenntniserlangung in dessen eigener Person auf einer unsachgemäßen Organisation des Betriebs oder der Verwaltung beruht3.
Gemessen an diesem Maßstab war in dem hier vom Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern entschiedenen Fall die Kündigungserklärungsfrist wegen des Vorwurfs der Arbeitsverweigerung am 22.09.2014 schon lange vor Eingang der Kündigung abgelaufen. Denn der kaufmännische Leiter der Klinik muss aufgrund seiner betrieblichen Stellung als einer kündigungsberechtigten Person gleichgestellt behandelt werden. Außerdem beruht die verspätete Kenntnis der tatsächlich kündigungsberechtigten Personen auf der Leitungsebene des Unternehmens auf einer unsachgemäßen Organisation des Betriebes und der kaufmännische Leiter der Klinik hat die Aufklärung des Sachverhalts nicht zügig vorangetrieben. Daher hat die Kündigungserklärungsfrist bereits mit dem 22.09.2014 zu laufen begonnen.
Es kann dahinstehen, ob der kaufmännische Leiter der Klinik tatsächlich wie von der Arbeitgeberin behauptet keine Berechtigung hat, Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter vor Ort durch Kündigung zu beenden. Denn nach der oben zitierten Rechtsprechung ist er einer kündigungsberechtigten Person gleichzustellen, weil er im Betrieb in – C-Stadt eine herausgehobene Funktion und Stellung hat und er tatsächlich und rechtlich in der Lage war, den Kündigungssachverhalt abschließend aufzuklären. Letzteres ergibt sich indirekt schon daraus, dass die kündigungsberechtigte Unternehmensleitung dem Vorschlag des kaufmännischen Direktors zur Einleitung der Kündigung ohne weitere eigene Ermittlungen zugestimmt hat.
Nach Lage der Dinge muss das Gericht auch davon ausgehen, dass die verzögerte Unterrichtung der kündigungsberechtigten Unternehmensleitung auf einer unsachgemäßen Organisation des Betriebes bei der Arbeitgeberin beruht.
Nach dem Vortrag der beteiligten Arbeitgeberin hat der kaufmännische Leiter der Klinik die kündigungsberechtigten Personen von dem hier streitigen Kündigungsanlass erst in Zusammenhang mit dem abschließenden Bericht nach Anhörung des beteiligten Vorsitzenden am 27.10.2014 unterrichtet und diese späte Unterrichtung ist ihm nicht als pflichtwidriges Verhalten zum Vorwurf gemacht worden.
Diese Umstände offenbaren einen offensichtlichen Mangel in der Organisation des Betriebes. Denn durch die fehlende Pflicht des kaufmännischen Leiters, bereits bei Vorliegen von Anhaltspunkten für einen Kündigungsgrund der Unternehmensleitung zu berichten, begibt diese sich der Möglichkeit, steuernd in den weiteren Prozess einzugreifen. Gleichzeitig wird damit die Möglichkeit eröffnet, den Rückgriff auf einen vorhandenen Kündigungsgrund nahezu beliebig in die Länge zu ziehen, was gerade der Grund dafür war, dass die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die auf § 242 BGB aufbauende Rechtsprechung zur Zurechnung der Kenntnisse führender Mitarbeiter entwickelt hat, die nicht ihrerseits kündigungsberechtigt sind. Daher muss die fehlende Berichtspflicht des kaufmännischen Leiters der Klinik bei Auftauchen von Anhaltspunkten für einen Kündigungsgrund als eine unsachgemäße Betriebsorganisation bewertet werden.
Der kaufmännische Leiter der beteiligten Arbeitgeberin kann sich nicht auf das fehlende Anlaufen der Kündigungserklärungsfrist aus § 626 Absatz 2 BGB wegen weiterer Bemühungen zur Aufklärung des Sachverhalts berufen, da nicht erkennbar ist, welche Bemühungen er zwischen dem 22.09.und dem Tag der Anhörung des beteiligten Vorsitzenden am 27.10.2014 überhaupt zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts unternommen hat. Das Gericht ist daher nicht in der Lage die Feststellung zu treffen, die Aufklärung sei zügig vorgenommen worden. Die von Arbeitgeberseite vorgetragenen Gründe für die zögerliche Aufklärung (Urlaub und vorrangige Dienstaufgaben) sind nicht tragfähig.
Landesarbeitsgericht Mecklenburg -Vorpommern, Beschluss vom 24. Mai 2016 – 2 TaBV 22/15
- BAG 21.02.2013 – 2 AZR 433/12, AP Nr. 51 zu § 626 BGB Ausschlussfrist[↩]
- BAG 21.02.2013 – 2 AZR 433/12 – AP Nr. 51 zu § 626 BGB Ausschlussfrist, NZA-RR 2013, 515; BAG 25.11.2010 – 2 AZR 171/09 – AP Nr. 231 zu § 626 BGB; BAG 17.03.2005 – 2 AZR 245/04 – AP Nr. 46 zu § 626 BGB Ausschlussfrist, NZA 2006, 101[↩]
- BAG 21.02.2013 aaO; BAG 23.10.2008 – 2 AZR 388/07 – AP Nr. 217 zu § 626 BGB, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 23; BAG 26.11.1987 – 2 AZR 312/87 – RzK I 6g Nr. 13[↩]