Urlaub – und die Fiktion eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses

Wird einem Arbeitnehmer für die Zeit nach Ablauf seines befristeten Arbeitsverhältnisses Urlaub gewährt, ist der Tatbestand des § 15 Abs. 5 TzBfG in der bis zum 31.07.2022 geltenden Fassung (seit dem 1.08.2022 § 15 Abs. 6 TzBfG) nicht erfüllt.

Urlaub – und die Fiktion eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses

 Nach § 15 Abs. 5 TzBfG aF gilt ein Arbeitsverhältnis als auf unbestimmte Zeit verlängert, wenn es nach Ablauf der Zeit, für die es eingegangen ist, mit Wissen des Arbeitgebers fortgesetzt wird und der Arbeitgeber nicht unverzüglich widerspricht. Die Vorschrift regelt – ebenso wie § 625 BGB für die Fortsetzung von Dienstverhältnissen und Arbeitsverhältnissen außerhalb ihres Anwendungsbereichs – die stillschweigende Verlängerung von Arbeitsverhältnissen unabhängig vom Willen der Parteien. Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses durch die Vertragsparteien iSv. § 15 Abs. 5 TzBfG aF ist ein Tatbestand schlüssigen Verhaltens kraft gesetzlicher Fiktion, durch die ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zu den Bedingungen des vorangegangenen befristeten Arbeitsvertrags zustande kommt. Die Regelung beruht auf der Erwägung, die Fortsetzung der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer mit Wissen des Arbeitgebers sei im Regelfall der Ausdruck eines stillschweigenden Willens der Parteien zur Verlängerung des Arbeitsverhältnisses1. Dabei genügt nicht jegliche Weiterarbeit des Arbeitnehmers. Diese muss vielmehr mit Wissen des Arbeitgebers selbst erfolgen. Arbeitgeber iSv. § 15 Abs. 5 TzBfG aF ist nicht jeder Vorgesetzte2, sondern der Arbeitgeber selbst. Seiner Kenntnis steht die Kenntnis der zum Abschluss von Arbeitsverträgen berechtigten Vertreter gleich3.

Der Eintritt der in § 15 Abs. 5 TzBfG aF angeordneten Fiktion setzt voraus, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung bewusst und in der Bereitschaft fortsetzt, die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis weiter zu erfüllen. Der Arbeitnehmer muss die vertragsgemäßen Dienste nach Ablauf der Vertragslaufzeit tatsächlich ausführen4. Entgegen der Ansicht des Arbeitnehmers genügt es für den Eintritt der in § 15 Abs. 5 TzBfG aF angeordneten Fiktion nicht, dass der Arbeitgeber einseitig Leistungspflichten erfüllt, ohne aber die Gegenleistung des Arbeitnehmers tatsächlich in Anspruch zu nehmen, wie etwa bei der Gewährung von Urlaub oder Freizeitausgleich für geleistete Mehrarbeit bzw. der Leistung von Entgeltfortzahlung über das vereinbarte Vertragsende hinaus5.

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Die Fortsetzung des befristeten Arbeitsverhältnisses über den Ablauf der vereinbarten Vertragszeit war vor Inkrafttreten des TzBfG im Jahr 2001 neben der Fortsetzung über andere Beendigungstatbestände hinaus einheitlich von § 625 BGB erfasst. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 625 BGB ist der Tatbestand dieser Norm nicht erfüllt, wenn der Arbeitnehmer nach dem Ablauf eines befristeten Arbeitsverhältnisses Urlaub erhält6.

Mit der Einführung von § 15 Abs. 5 TzBfG aF durch das Inkrafttreten des TzBfG am 1.01.2001 wurde für die Fortsetzung befristeter Arbeitsverhältnisse über den vereinbarten Endzeitpunkt hinaus eine spezielle Regelung geschaffen, während § 625 BGB für Dienstverhältnisse und die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach sonstigen Beendigungssachverhalten (Kündigung, Aufhebung, Anfechtung) weiterhin Geltung beansprucht7. § 15 Abs. 5 TzBfG aF bindet die angeordnete Rechtsfolge zwar nicht ausdrücklich – wie § 625 BGB – an eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses „von dem Verpflichteten“, sondern bestimmt, dass das Arbeitsverhältnis als auf unbestimmte Zeit verlängert gilt, wenn es „nach Ablauf der Zeit, für die es eingegangen ist, … mit Wissen des Arbeitgebers fortgesetzt“ wird und „der Arbeitgeber nicht unverzüglich widerspricht“. Der Umstand, dass § 625 BGB und § 15 Abs. 5 TzBfG aF nicht wortlautidentisch sind, vermag aber nichts daran zu ändern, dass der Eintritt der Fiktion auch nach § 15 Abs. 5 TzBfG aF die tatsächliche Ausführung der vertragsgemäßen Dienste durch den Arbeitnehmer nach Ablauf der Vertragslaufzeit voraussetzt. Der buchstäbliche Ausdruck von § 15 Abs. 5 TzBfG aF mag eine Interpretation dahingehend zulassen, dass bereits die einseitige Erfüllung von Leistungspflichten durch den Arbeitgeber eine „Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses“ bewirken könne. Gegen ein solches Verständnis sprechen indes insbesondere normsystematische Gesichtspunkte: § 15 Abs. 5 TzBfG aF setzt – wie bereits § 625 BGB – eine Fortsetzung „mit Wissen des Arbeitgebers“ voraus. Diesem Kriterium kommt nur dann eine sinnvolle Bedeutung zu, wenn die Fortsetzungshandlung durch eine andere Person als die des Arbeitgebers oder der für ihn handelnden Personen vorgenommen werden muss, da der Arbeitgeber oder die für ihn handelnden Personen vom eigenen Handeln regelmäßig Kenntnis haben8.

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Der verlautbarte Regelungswille des Gesetzgebers stützt dieses Verständnis unmissverständlich. Ausweislich der Gesetzesbegründung9 regelt § 15 Abs. 5 TzBfG aF „übereinstimmend mit dem geltenden Recht (§ 625 des Bürgerlichen Gesetzbuchs), dass ein Arbeitsverhältnis kraft Gesetzes als auf unbestimmte Zeit verlängert gilt, wenn es der Arbeitnehmer nach seinem Ablauf mit Wissen des Arbeitgebers und ohne dessen unverzüglichen Widerspruch fortsetzt“. Diese Rechtsfolge betrifft nach der Gesetzesbegründung „die Weiterarbeit nach Auslaufen eines kalendermäßig befristeten Arbeitsvertrages“. Das belegt, dass mit § 15 Abs. 5 TzBfG aF kein von § 625 BGB abweichender Regelungsinhalt festgelegt ist. Auch setzt ausweislich der Gesetzesbegründung die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses eine Fortsetzung der Tätigkeit („Weiterarbeit“) durch den Arbeitnehmer voraus. Hätte der Gesetzgeber angesichts der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 625 BGB – nach der allein die Gewährung von Arbeitsbefreiung keine Fortsetzungshandlung darstellt10 – beabsichtigt, die Regelungsbereiche von § 625 BGB einerseits und § 15 Abs. 5 TzBfG aF andererseits mit inhaltlich unterschiedlichen Tatbestandsmerkmalen auszugestalten, erschlösse sich nicht, dass er einen mit § 625 BGB übereinstimmenden Regelungsgehalt ausdrücklich verlautbart.

Sinn und Zweck des § 15 Abs. 5 TzBfG aF gebieten nicht, (auch) die einseitige Erfüllung von Leistungspflichten durch den Arbeitgeber als Fortsetzungshandlung im Sinne der Vorschrift anzusehen. Die Regelung unterstellt nicht allen möglichen denkbaren Verhaltensweisen der Vertragsparteien, die auf die stillschweigende Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses schließen lassen könnten, einen entsprechenden Erklärungswert. Sie beruht vielmehr auf der Erwägung, gerade die Fortsetzung der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer mit Wissen des Arbeitgebers sei im Regelfall der Ausdruck eines solchen stillschweigenden Parteiwillens11. Die angeordnete Rechtsfolge – die Fiktion des (Fort-)Bestehens eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses – beschränkt sich damit aber auch auf eine solche Fallkonstellation; sie ist nicht auf andere Verhaltensweisen bzw. schlüssige Erklärungen beliebig übertragbar. Kommt es vor oder nach dem Ablauf eines befristeten Arbeitsvertrags durch andere ggf. schlüssige Erklärungen zu einer Vereinbarung über die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses, findet § 15 Abs. 5 TzBfG aF keine Anwendung12.

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Danach sind die Voraussetzungen von § 15 Abs. 5 TzBfG aF im hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Streitfall nicht erfüllt. Weder den gerichtlichen Feststellungen noch dem Vorbringen des Arbeitnehmers lässt sich entnehmen, dass dieser unmittelbar im Anschluss an den Befristungsablauf am 30.09.2020 seine im Arbeitsverhältnis geschuldeten Dienste für die Arbeitgeberin weiter erbracht hat.

Nach den vorstehenden Ausführungen konnte die Gewährung von Urlaub im Zeitraum nach Befristungsablauf im Oktober 2020 die Fiktion eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses nach § 15 Abs. 5 TzBfG aF nicht auslösen. Ungeachtet dessen hatte die Arbeitgeberin die von ihr im Zusammenhang mit der Urlaubsgewährung allein geschuldete Festlegung des Urlaubszeitraums auf Wunsch des Arbeitnehmers13 bereits im September 2020 und damit noch vor Befristungsablauf vorgenommen. Insoweit kommt es letztlich nicht darauf an, ob der Urlaub seitens der Arbeitgeberin tatsächlich – wie von ihr behauptet – im Rahmen des unstreitig fortbestehenden Beamtenverhältnisses gewährt wurde. Ohne Erfolg hat der Arbeitnehmer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesarbeitsgericht geltend gemacht, in der Zeit seines Urlaubs im Oktober 2020 habe er seiner arbeitsvertraglichen Verpflichtung entsprochen, sich im Urlaubszeitraum zu erholen; entsprechend sei die Inanspruchnahme des Urlaubs der Erbringung von „Arbeitsleistung“ gleichzusetzen. Der Arbeitnehmer verkennt, dass er mit einer etwaigen Urlaubserholung keine ihm obliegende vertragliche Pflicht erfüllt. Der Arbeitnehmer schuldet – abgesehen von dem Verbot dem Urlaubszweck zuwiderlaufender Erwerbstätigkeit in § 8 BUrlG – kein urlaubszweckgemäßes Verhalten. Wenngleich mit dem gesetzlichen Urlaubsanspruch das Ziel verfolgt wird, dem Arbeitnehmer Erholung zu ermöglichen14, besteht keine Verpflichtung, sich zu erholen15.

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Auch unter Berücksichtigung der Mitteilung der Arbeitgeberin zur steuerlichen Behandlung des Firmenwagens liegt mangels Fortsetzung der geschuldeten Tätigkeit durch ihn keine ausreichende Fortsetzungshandlung vor. Ungeachtet dessen ließe sich aus der E-Mail auch nicht hinreichend darauf schließen, dass eine zum Abschluss von Arbeitsverträgen befugte Person von der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ausging. Gleiches gilt für die Erteilung des Zwischenzeugnisses.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 9. Februar 2023 – 7 AZR 266/22

  1. BAG 28.09.2016 – 7 AZR 377/14, Rn. 30; 7.10.2015 – 7 AZR 40/14, Rn. 24 mwN[]
  2. BAG 28.09.2016 – 7 AZR 377/14, Rn. 31; vgl. zu § 625 BGB BAG 21.02.2001 – 7 AZR 98/00, zu B I der Gründe, BAGE 97, 78[]
  3. BAG 28.09.2016 – 7 AZR 377/14, Rn. 31 mwN[]
  4. BAG 28.09.2016 – 7 AZR 377/14, Rn. 30; 18.10.2006 – 7 AZR 749/05, Rn. 15[]
  5. ebenso Arnold/Gräfl/Arnold TzBfG 5. Aufl. § 15 Rn. 72; BeckOK ArbR/Bayreuther Stand 1.12.2022 TzBfG § 15 Rn. 21; Boewer TzBfG § 15 Rn. 70; ErfK/Müller-Glöge 23. Aufl. TzBfG § 15 Rn. 27; KR/Lipke/Bubach 13. Aufl. § 15 TzBfG Rn. 55; Schlachter in Laux/Schlachter TzBfG 2. Aufl. § 15 Rn. 27; Meinel/Heyn/Herms TzBfG 6. Aufl. § 15 Rn. 53; HaKo-BAGchR/Mestwerdt 7. Aufl. TzBfG § 15 Rn. 32; HWK/Rennpferdt 10. Aufl. § 15 TzBfG Rn. 40; Sievers TzBfG 7. Aufl. § 15 Rn. 50; aA Maschmann in Annuß/Thüsing TzBfG 3. Aufl. § 15 Rn. 18; APS/Backhaus 6. Aufl. TzBfG § 15 Rn. 61 f., wonach auch einseitige Fortsetzungshandlungen des Arbeitgebers ohne Erbringung der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer die Tatbestandsvoraussetzungen des § 15 Abs. 5 TzBfG aF erfüllen können sollen[]
  6. vgl. BAG 20.02.2002 – 7 AZR 748/00, zu B II 5 der Gründe, BAGE 100, 292; 24.10.2001 – 7 AZR 620/00, zu B II 1 der Gründe, BAGE 99, 223; 2.12.1998 – 7 AZR 508/97, zu 2 a der Gründe[]
  7. vgl. BAG 20.03.2018 – 9 AZR 479/17, Rn. 27, BAGE 162, 124; 3.09.2003 – 7 AZR 106/03, zu 4 a der Gründe, BAGE 107, 237[]
  8. zutr. Schlachter in Laux/Schlachter TzBfG 2. Aufl. § 15 Rn. 27; Meinel/Heyn/Herms TzBfG 6. Aufl. § 15 Rn. 53[]
  9. BT-Drs. 14/4374 S. 21[]
  10. vgl. BAG 2.12.1998 – 7 AZR 508/97, zu 2 a der Gründe[]
  11. BAG 28.09.2016 – 7 AZR 377/14, Rn. 30 mwN[]
  12. BAG 18.10.2006 – 7 AZR 749/05, Rn. 15[]
  13. vgl. dazu BAG 16.08.2022 – 9 AZR 76/22 (A), Rn. 16 mwN[]
  14. vgl. BAG 3.12.2019 – 9 AZR 33/19, Rn. 26; BT-Drs. IV/785 S. 1 f.[]
  15. Neumann in Neumann/Fenski/Kühn BUrlG 12. Aufl. § 8 Rn. 15[]
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