Der Anspruch des Arbeitnehmers auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs (§ 7 Abs. 4 BUrlG) unterliegt gemäß § 194 Abs. 1 BGB der Verjährung. Die dreijährige Verjährungsfrist (§ 195 BGB) beginnt im Regelfall mit dem Schluss des Jahres, in dem das Arbeitsverhältnis rechtlich endet. Dies gilt unabhängig davon, ob der Arbeitgeber zuvor seinen Mitwirkungsobliegenheiten bei der tatsächlichen Gewährung von Urlaub im laufenden Arbeitsverhältnis genügt hat.

Endete das Arbeitsverhältnis vor der Verkündigung der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 06.11.20181 und war es dem Arbeitnehmer im Hinblick auf die vormalige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Verfall von Urlaubsansprüchen zuvor nicht zumutbar, Klage auf Abgeltung zu erheben, begann die Verjährungsfrist aufgrund des verfassungsrechtlichen Schutzes, den der Abgeltungsanspruch als dem Arbeitnehmer zugeordnete Eigentumsposition genießt (Art. 2 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG iVm. Art.20 Abs. 3 GG), nicht vor dem Ende des Jahres 2018.
In dem hier entschiedenen Fall war das Landesarbeitsgericht Niedersachsen in der Vorinstanz2 hat angenommen, zwischen der Arbeitgeberin und dem Arbeitnehmer habe vom 09.06.2010 bis zum 19.10.2015 ein Arbeitsverhältnis bestanden, in dem der Arbeitnehmer Urlaubsansprüche erworben habe. Der mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses am 19.10.2015 entstandene und fällige Anspruch auf Abgeltung des aus den Jahren 2010 bis 2015 stammenden Urlaubs sei mit Ablauf des 31.12.2018 verjährt, sodass die Arbeitgeberin nach § 214 Abs. 1 BGB berechtigt sei, die Zahlung des von dem Arbeitnehmer verlangten Betrages zu verweigern. Diese Ausführungen hielten einer revisionsrechtlichen Kontrolle durch das Bundesarbeitsgericht nicht in allen Punkten stand:
Im Grundsatz zu Recht ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, der Anspruch eines Arbeitnehmers auf Urlaubsabgeltung unterliege als reiner Geldanspruch der Verjährung. Unzutreffend ist jedoch die Annahme, zum Zeitpunkt der Klageerhebung im Jahr 2019 seien die Ansprüche auf Abgeltung für den Urlaub des Arbeitnehmers aus den Jahren 2010 bis 2014 verjährt gewesen. Die dreijährige Verjährungsfrist begann insoweit nicht bereits Ende des Jahres 2015, in dem das Arbeitsverhältnis der Parteien endete, sondern erst Ende des Jahres 2018, nachdem der Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteil vom 06.11.2018 neue Regeln für den Verfall von Urlaub vorgegeben hatte. Zuvor war es dem Arbeitnehmer nicht zumutbar, Klage auf Abgeltung zu erheben.
Gemäß § 194 Abs. 1 BGB unterliegt das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen, der Verjährung. Die regelmäßige Verjährungsfrist, die nach § 195 BGB drei Jahre beträgt, beginnt dem Grundsatz nach mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Gläubiger von den Umständen, die den Anspruch begründen, und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB).
Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf Urlaubsabgeltung unterliegt der Verjährung. Die Verpflichtung des Arbeitgebers aus § 7 Abs. 4 BUrlG zur Abgeltung des Urlaubs, der wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann, begründet einen Zahlungsanspruch. Dieses Recht ist auf ein Tun des Arbeitgebers als Schuldner gerichtet und damit Anspruch iSd. § 194 Abs. 1 BGB. Die dreijährige Verjährungsfrist (§ 195 BGB) beginnt in der Regel mit dem Ende des Jahres, in dem der Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet (§ 199 Abs. 1 BGB). Die Frist ist allerdings gehemmt, solange der verfassungsrechtliche Schutz des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) und der Anspruch des Arbeitnehmers auf effektiven Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG iVm. Art.20 Abs. 3 GG) die Erhebung einer Klage als unzumutbar erscheinen lassen.
§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB knüpft den Beginn der Verjährungsfrist an die Entstehung des Anspruchs. Ein Anspruch ist entstanden, wenn er erstmals geltend gemacht und notfalls klageweise durchgesetzt werden kann. Regelmäßig entsteht ein Anspruch im verjährungsrechtlichen Sinne, wenn er nach § 271 BGB fällig ist, weil der Gläubiger von diesem Zeitpunkt an nach § 271 Abs. 2 BGB mit Erfolg die Leistung fordern und den Ablauf der Verjährungsfrist durch Klageerhebung verhindern kann3. Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf Abgeltung nicht gewährten Urlaubs entsteht als solcher mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses und wird grundsätzlich zu diesem Zeitpunkt fällig4.
Für den Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist kommt es darauf an, dass der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Die danach geforderte Kenntnis des Gläubigers ist vorhanden, wenn er aufgrund der ihm bekannten Tatsachen gegen eine bestimmte Person eine Klage, sei es auch nur eine Feststellungsklage, erheben kann, die bei verständiger Würdigung so viel Erfolgsaussicht hat, dass sie dem Gläubiger zumutbar ist. Der Verjährungsbeginn setzt aus Gründen der Rechtssicherheit und Billigkeit grundsätzlich nur die Kenntnis der den Anspruch begründenden Umstände voraus. Nicht erforderlich ist es in der Regel, dass der Gläubiger aus den ihm bekannten Tatsachen die zutreffenden rechtlichen Schlüsse zieht5.
Erhebt ein Gläubiger gegen den Schuldner Klage, sind die Zivilgerichte gehalten, bei der Bestimmung des Verjährungsbeginns das Eigentumsrecht des Arbeitnehmers und seinen Anspruch auf effektiven Rechtsschutz gegen das Interesse an Rechtssicherheit und Rechtsfrieden abzuwägen. Dies gilt auch in den Fällen, in denen ein Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung geltend macht.
Die Zivilgerichte haben bei der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts die durch die Grundrechte gezogenen Grenzen zu beachten. Sie müssen die im Gesetz zum Ausdruck kommende Interessenabwägung in einer Weise nachvollziehen, die die konkurrierenden Grundrechte der verschiedenen Grundrechtsträger beachtet und unverhältnismäßige Grundrechtsbeschränkungen vermeidet. Sind bei der gerichtlichen Auslegung und Anwendung einfachrechtlicher Normen mehrere Deutungen möglich, verdient diejenige den Vorzug, die den Wertentscheidungen der Verfassung entspricht und die Grundrechte der Beteiligten möglichst weitgehend in praktischer Konkordanz zur Geltung bringt. Der Einfluss der Grundrechte auf die Auslegung und Anwendung der zivilrechtlichen Normen ist nicht auf Generalklauseln beschränkt, sondern erstreckt sich auf alle auslegungsfähigen und -bedürftigen Tatbestandsmerkmale der zivilrechtlichen Vorschriften6.
Begehrt ein Arbeitnehmer von dem Arbeitgeber, nicht genommenen Urlaub abzugelten, ist bei der Beurteilung, zu welchem Zeitpunkt die Verjährungsfrist beginnt, auf Seiten des Arbeitnehmers sowohl die grundrechtliche Gewährleistung des Eigentums als auch der grundrechtsgleiche Anspruch auf effektiven Rechtsschutz betroffen.
Der Anspruch des Arbeitnehmers auf Abgeltung des Urlaubs, den der Arbeitgeber im laufenden Arbeitsverhältnis nicht gewährt hat, genießt als obligatorisches Recht den verfassungsrechtlichen Schutz des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 GG5. In den Schutzbereich des Grundrechts auf Eigentum fallen neben absoluten auch relative Rechte wie die schuldrechtliche Forderung eines Gläubigers gegen einen Schuldner7. Der auf Zahlung gerichtete Abgeltungsanspruch aus § 7 Abs. 4 BUrlG ist eine „geldwerte Forderung“8 und als solcher dem Arbeitnehmer als Anspruchsinhaber ebenso ausschließlich zugewiesen wie das Eigentum an einer Sache9.
2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art.20 Abs. 3 GG) garantiert den Parteien im Zivilprozess effektiven Rechtsschutz10. Durch die zeitliche Begrenzung eines Anspruchs wird die Möglichkeit des Inhabers, sein Recht mit Hilfe der staatlichen Gerichte gegebenenfalls zwangsweise dem Gläubiger gegenüber durchzusetzen, eingeschränkt. Dies gilt unabhängig davon, dass die Beschränkungen, denen das Verjährungsrecht den Abgeltungsanspruch unterwirft, ihrer Rechtsfolge nach weniger weitreichend sind als die Beschränkungen aufgrund von Ausschlussfristen. Die Verjährung berührt nach der Konzeption des Bürgerlichen Gesetzbuchs zwar weder den anspruchsbegründenden Tatbestand noch das Bestehen des Rechts des Gläubigers. Sie führt nicht zum Erlöschen des Anspruchs, sondern gibt dem Schuldner lediglich eine Einrede, die er geltend machen muss. Erhebt er die Einrede der Verjährung, wird jedoch für den Gläubiger nach Ablauf der Verjährungsfrist ein dauerhaftes Hindernis geschaffen, den bestehenden Anspruch erfolgreich durchzusetzen11.
In Fällen, in denen zwischen der Entstehung des Anspruchs und dessen Geltendmachung durch den Gläubiger ein erheblicher Zeitraum liegt, steht der grundrechtliche Schutz, den der Abgeltungsanspruch genießt, in einem Spannungsverhältnis zum Regelungsziel der Vorschriften über die Verjährung. Die §§ 194 ff. BGB sind Ausdruck des vom Gesetz verfolgten Ziels, Rechtsfrieden und Rechtssicherheit herzustellen12. Die Verjährung will nicht nur eine Inanspruchnahme aus unbekannten oder unerwarteten Forderungen vermeiden, sondern bezweckt auch den Schutz vor unbegründeten Forderungen. Die gesetzlichen Bestimmungen über die Verjährung dienen damit zugleich öffentlichen Interessen. Der Rechtsverkehr benötigt klare Verhältnisse und soll deshalb vor einer Verdunkelung der Rechtslage bewahrt bleiben, wie sie bei Geltendmachung von Ansprüchen aufgrund längst vergangener Tatsachen zu befürchten wäre. Je länger die Entstehung eines angeblichen oder tatsächlichen Anspruchs zurückliegt, desto schwieriger wird es, zuverlässige Feststellungen über jene Tatsachen zu treffen, die für die Rechtsbeziehungen der Parteien maßgebend sind. Der Gläubiger kann sich gegen derartige Beweisnöte durch rechtzeitige Geltendmachung des Anspruchs oder entsprechende Beweissicherung schützen. Der Schuldner hingegen muss regelmäßig warten, bis der Gläubiger tätig wird. Er trägt demzufolge gerade für anspruchshemmende und anspruchsvernichtende Tatsachen in höherem Maße das Risiko zeitablaufbedingter Unaufklärbarkeit als der Gläubiger für anspruchsbegründende Tatsachen13.
Im Rahmen eines angemessenen Ausgleichs zwischen dem Interesse des Gläubigers, seine Rechtsposition auch nach dem Verstreichen geraumer Zeit gegenüber dem Schuldner gerichtlich durchsetzen zu können, und dem Interesse des Schuldners, ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr in Anspruch genommen zu werden, ist zu beachten, dass dem Gläubiger keine übersteigerten Obliegenheiten auferlegt werden dürfen14. Die Beschreitung des Rechtswegs und die Ausschöpfung prozessualer Möglichkeiten droht insbesondere in den Fällen vereitelt zu werden, in denen das Kostenrisiko zu dem mit dem Verfahren angestrebten Erfolg außer Verhältnis steht, so dass die Inanspruchnahme der Gerichte nicht mehr sinnvoll erscheint15. Dies ist insbesondere anzunehmen, wenn der Durchsetzung des Anspruchs eine gegenteilige höchstrichterliche Rechtsprechung entgegensteht5. Maßgeblich für die Beurteilung, ob eine Rechtsprechung vorliegt, die eine erfolgreiche Klage aus Sicht des Gläubigers als ausgeschlossen erscheinen lässt, ist der Zeitpunkt, in dem der Anspruch entsteht16.
Vor Verkündung der Entscheidung des Unionsgerichtshofs vom 06.11.201817 war es einem Arbeitnehmer nicht zuzumuten, Ansprüche auf Abgeltung nicht in Anspruch genommenen Urlaubs gerichtlich durchzusetzen, die nach der bis dahin geltenden höchstrichterlichen Rechtsprechung mit Ablauf der in § 7 Abs. 3 Satz 1 und Satz 3 BUrlG bezeichneten Fristen jeweils am Ende des jeweiligen Urlaubsjahres oder Übertragungszeitraumes als verfallen galten, bzw. ausnahmsweise 15 Monate nach dem Ende des Urlaubsjahres, wenn der Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen gehindert war, seine Arbeitsleistung zu erbringen18.
Eine Änderung der Rechtslage zeichnete sich hinreichend konkret erst mit Verkündung der Entscheidung des Unionsgerichtshofs vom 06.11.201819 ab. Zu diesem Zeitpunkt erkannte der EuGH erstmals, dass Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 GRC nationalen Regelungen wie § 7 Abs. 3 Satz 1 und Satz 3 BUrlG entgegenstehen, nach denen der dem Arbeitnehmer zustehende Mindesturlaub und entsprechend der Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für den bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen Urlaub am Ende des Bezugszeitraums automatisch verfällt. Angesichts der besonderen Bedeutung des Urlaubs komme ein Verfall nur in Betracht, wenn der Arbeitgeber zuvor konkret und in völliger Transparenz dafür Sorge getragen habe, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage gewesen sei, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er ihn – erforderlichenfalls förmlich – auffordere, dies zu tun, und ihm klar und rechtzeitig mitteile, dass der Urlaub, wenn er ihn nicht nehme, am Ende des Bezugszeitraums oder eines zulässigen Übertragungszeitraums verfallen werde20.
Mit einer unionsrechtskonformen Umsetzung dieser Vorgaben, die das Bundesarbeitsgericht am 19.02.201921 vollzogen hat, konnten betroffene Arbeitnehmer bereits ab Verkündung des Urteils des Gerichtshofs rechnen. Zu diesem Zeitpunkt war das Hindernis einer Geltendmachung von Urlaubsansprüchen aufgrund der vormaligen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts beseitigt. Die Verjährungsfristen für diese Ansprüche begannen somit spätestens mit Ablauf des Jahres 2018 zu laufen. Nachdem der Gerichtshof das am gleichen Tage veröffentlichte Urteil verkündet hatte, mussten Arbeitnehmer in Erwägung ziehen, dass nicht erfüllte Ansprüche auf Urlaub nach Ablauf der Fristen des § 7 Abs. 3 Satz 1 und Satz 3 BUrlG nur dann verfallen würden, wenn der Arbeitgeber zuvor seine Obliegenheiten bei der Verwirklichung des Urlaubs erfüllt hat. Der EuGH stellte klar, Adressaten von Art. 31 Abs. 2 GRC seien nicht allein die Mitgliedsstaaten, sondern auch Privatpersonen, soweit ihre Rechtsbeziehung unionsrechtliche Sachverhalte umfasse. In Fällen, in denen nationale Regelungen nicht im Einklang mit Art. 31 Abs. 2 GRC ausgelegt werden könnten, obliege es dem mit der Entscheidung des Rechtsstreits befassten Gericht, im Rahmen seiner Befugnisse den aus Art. 31 Abs. 2 GRC erwachsenden Rechtsschutz zu gewährleisten und für die volle Wirksamkeit der Bestimmung zu sorgen, indem es erforderlichenfalls die nationale Regelung unangewendet lasse.
In diesem Verständnis stehen die Vorschriften über die Verjährung im Einklang auch mit dem Unionsrecht, insbesondere mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 GRC, wie sie der EuGH mit für das Bundesarbeitsgericht nach Art. 267 AEUV verbindlicher Wirkung ausgelegt hat. Eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 Abs. 3 AEUV22 bedarf es nicht.
Die Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 GRC enthalten keine Vorgaben hinsichtlich der Möglichkeit, den Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen Jahresurlaub23 nach nationalem Recht einer zeitlich befristeten Geltendmachung zu unterwerfen. Fehlt es an einer unionsrechtlichen Regelung des Verfahrens der Rechtsdurchsetzung, ist es nach ständiger Rechtsprechung des EuGH entsprechend dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedsstaaten Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung, die Verfahrensmodalitäten auszugestalten, die den Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten24. Die getroffenen Regelungen dürfen jedoch nicht ungünstiger sein als diejenigen, die gleichartige Sachverhalte innerstaatlicher Art regeln (Äquivalenzgrundsatz), und die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz)25.
Nach dieser Rechtsprechung des EuGH ist die Anwendung der § 194 Abs. 1, §§ 195, 199 Abs. 1 BGB auf den in Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 GRC verankerten Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs mit Unionsrecht vereinbar, soweit die Verjährung ausnahmsweise erst Ende des Jahres 2018 beginnt, wenn es dem Arbeitnehmer zuvor nicht zumutbar war, seine Rechte dem Arbeitgeber gegenüber gerichtlich geltend zu machen.
Der Grundsatz der Äquivalenz ist gewahrt. § 194 Abs. 1, §§ 195, 199 Abs. 1 BGB unterscheiden nicht zwischen Ansprüchen, die auf Unionsrecht beruhen, und solchen, die einen ähnlichen Gegenstand und Rechtsgrund haben26 und aus innerstaatlichem Recht resultieren. Der streitgegenständliche auf Abgeltung von Urlaub gerichtete Zahlungsanspruch ist mit sonstigen Zahlungsansprüchen des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber vergleichbar, insbesondere mit Ansprüchen auf Zahlung von Vergütung, für die das Verjährungsrecht in gleicher Weise gilt.
Die Regelungen in § 194 Abs. 1, §§ 195, 199 Abs. 1 BGB verstoßen nicht gegen den unionsrechtlichen Grundsatz der Effektivität.
Die Festsetzung von angemessenen Fristen, binnen deren ein Anspruch geltend gemacht werden muss, ist als ein Anwendungsfall des grundlegenden Prinzips der Rechtssicherheit grundsätzlich mit dem Erfordernis der Effektivität vereinbar27. Derartige Fristen sind nicht geeignet, die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren28, soweit die Festlegung des Zeitpunkts, mit dem der Lauf dieser Frist beginnt, die Ausübung der von der Richtlinie verliehenen Rechte nicht unmöglich macht oder übermäßig erschwert29.
Das Verjährungsrecht schränkt die Effektivität der Durchsetzung des unionsrechtlich gewährleisteten Anspruchs auf Urlaubsabgeltung nicht unzulässig ein. Es ist nicht ersichtlich, dass die in § 195 BGB bestimmte Frist von drei Jahren nach Schluss des Jahres, in dem das Arbeitsverhältnis rechtlich beendet ist, als solche die Ausübung der vom Unionsrecht verliehenen Rechte unmöglich machen oder übermäßig erschweren könnte30. Der ausscheidende Arbeitnehmer ist grundsätzlich in der Lage, seinen Abgeltungsanspruch anhand des Bundesurlaubsgesetzes und der übrigen einschlägigen Vorschriften selbst zu berechnen und geltend zu machen. Er ist regelmäßig nicht auf weitere Auskünfte angewiesen, deren Einholung zusätzliche Zeit beanspruchen würde31. In den Fällen, in denen der Durchsetzung des Abgeltungsanspruchs die gegenteilige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Verfall von Urlaubsansprüchen entgegenstand, begann die Verjährungsfrist ausnahmsweise erst mit dem Ende des Jahres 2018. Erst ab dem 6.11.2018 konnte und musste ein Arbeitnehmer in Anbetracht der Entscheidung des Unionsgerichtshofs vom selben Tage17 erkennen, dass der Urlaub entgegen der überkommenen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht ohne Weiteres mit Ablauf der in § 7 Abs. 3 Satz 1 und Satz 3 BUrlG bestimmten Fristen erlischt.
Die Entscheidung des Unionsgerichtshofs vom 22.09.202232 steht dem nicht entgegen. Sie hat die Verjährung von Urlaub im laufenden Arbeitsverhältnis zum Gegenstand und betrifft nicht Fristen, die der Arbeitnehmer nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei der Geltendmachung von Abgeltungsansprüchen zu beachten hat.
Auf das Vorabentscheidungsersuchen des Bundesarbeitsgerichts vom 29.09.202033 hat der Unionsgerichtshof durch Urteil vom 22.09.202232 entschieden, dass Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 GRC einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, den ein Arbeitnehmer für einen Bezugszeitraum erworben hat, nach Ablauf einer Frist von drei Jahren verjährt, deren Lauf mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem dieser Anspruch entstanden ist, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht tatsächlich in die Lage versetzt hat, diesen Anspruch wahrzunehmen. Da der Arbeitnehmer als die schwächere Partei des Arbeitsvertrags anzusehen sei, dürfe die Aufgabe, für die tatsächliche Wahrnehmung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub zu sorgen, nicht vollständig auf den Arbeitnehmer verlagert werden. Der Zweck der Verjährungsvorschriften, die Gewährleistung von Rechtssicherheit, dürfe nicht dazu führen, dass dem Arbeitgeber aus seinem Versäumnis, seinen Mitwirkungsobliegenheiten zu genügen, ein Vorteil erwachse, der darin bestehe, dass die Erfüllung des Urlaubsanspruchs in sein Belieben gestellt sei. Wollte man anders entscheiden, führte dies zu einer unrechtmäßigen Bereicherung des Arbeitgebers und liefe dem Ziel von Art. 31 Abs. 2 GRC, die Gesundheit des Arbeitnehmers zu schützen, zuwider.
Diese Erwägungen lassen sich nicht auf den Streitfall übertragen.
Zwar wandelt sich nach der neueren Bundesarbeitsgerichtsrechtsprechung mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses der aus Freistellung von der Arbeitspflicht und Bezahlung zusammengesetzte Urlaubsanspruch nach § 1 BUrlG in einen Anspruch auf Abgeltung des noch nicht erfüllten Urlaubs gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG um, ohne dass der finanzielle Aspekt des originären Urlaubsanspruchs zunächst erlischt34.
Trotz des gemeinsamen Ursprungs besteht jedoch zwischen dem Urlaubs- und dem Urlaubsabgeltungsanspruch keine Zweckidentität, die es erforderte, den Urlaubsanspruch, der eine bezahlte Freistellung zum Inhalt hat, und den Abgeltungsanspruch, der einen reinen Geldanspruch darstellt35, gleich zu behandeln. Der Beendigungszeitpunkt bildet eine Zäsur, die nicht nur die gegenseitigen Hauptleistungspflichten, sondern auch den Anspruch auf den bezahlten Jahresurlaub betrifft. Ab der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann der Arbeitnehmer nicht mehr zu Erholungszwecken unter Fortzahlung seines Arbeitsentgelts von der Arbeitspflicht freigestellt werden36. Zudem können weder neue Urlaubsansprüche entstehen noch bestehende nach § 7 Abs. 3 BUrlG erlöschen. Der innere Zusammenhang zwischen der auf der Grundlage des Arbeitsvertrags tatsächlich geleisteten bzw. zu leistenden Arbeit und dem Urlaub wird durch die Ablösung des Freistellungsanspruchs von der Vergütungskomponente und deren Umwandlung in einen Abgeltungsanspruch aufgelöst37.
Ist das Arbeitsverhältnis beendet, trifft den Arbeitgeber nicht mehr die Obliegenheit, daran mitzuwirken, dass der Arbeitnehmer seinen Urlaub tatsächlich in Anspruch nimmt. Die Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten ist davon abhängig, dass es dem Arbeitgeber objektiv möglich ist, den Arbeitnehmer durch Mitwirkung in die Lage zu versetzen, den Urlaubsanspruch zu realisieren38. Da die Verpflichtung zur Arbeitsleistung mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erlischt, ist es dem Arbeitgeber nicht nur unmöglich, den Arbeitnehmer zu Urlaubszwecken von der Arbeitspflicht zu befreien, sondern auch, ihm mitzuteilen, welcher Urlaub zu welchem Zeitpunkt zu verfallen droht, und ihn aufzufordern, den Urlaub rechtzeitig vor diesem Zeitpunkt zu nehmen.
Die strukturell schwächere Stellung des Arbeitnehmers gegenüber seinem Arbeitgeber, aus der der EuGH die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers bei der Inanspruchnahme von Urlaub ableitet39, endet mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Spätestens ab diesem Zeitpunkt besteht nicht mehr die Gefahr, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer „eine Beschränkung seiner Rechte auferlegen kann“. Der Arbeitnehmer kann nicht mehr „aufgrund dieser schwächeren Position … davon abgeschreckt werden, seine Rechte gegenüber seinem Arbeitgeber ausdrücklich geltend zu machen, da insbesondere die Einforderung dieser Rechte ihn Maßnahmen des Arbeitgebers aussetzen könnte, die sich zu seinem Nachteil auf das Arbeitsverhältnis auswirken können.“
Danach war es dem Arbeitnehmer bis zur Verkündung der Entscheidung des Unionsgerichtshofs vom 06.11.201817 nicht zuzumuten, seine Ansprüche auf Abgeltung des Urlaubs aus den Jahren 2010 bis 2014 gerichtlich durchzusetzen. Hätte der Arbeitnehmer die Arbeitgeberin nach seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis im Jahr 2015 auf Abgeltung seines Urlaubs aus den Jahren 2010 bis 2014 in Anspruch genommen, wäre seine Klage auf der Grundlage der damaligen höchstrichterlichen Rechtsprechung abgewiesen worden.
Das Urteil des Landesarbeitsgerichts, das diesen Gesichtspunkt nicht berücksichtigt hat, stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).
Die aus den Jahren 2010 bis 2014 stammenden Urlaubsansprüche, die der Arbeitnehmer abgegolten verlangt, sind nicht gemäß § 7 Abs. 3 Satz 1 und Satz 3 BUrlG verfallen. Dies gilt sowohl für die Ansprüche auf den gesetzlichen Mindesturlaub als auch für den Anspruch auf den vertraglichen Mehrurlaub (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Anstellungsvertrag).
Die Befristung des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3 BUrlG setzt bei einer mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG konformen Auslegung von § 7 BUrlG grundsätzlich voraus, dass der Arbeitgeber konkret und in völliger Transparenz dafür Sorge trägt, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Dazu muss er den Arbeitnehmer – erforderlichenfalls förmlich – auffordern, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraumes verfällt, wenn er ihn nicht beantragt. In richtlinienkonformer Auslegung von § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG trifft den Arbeitgeber die Initiativlast bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs. Die Erfüllung der hieraus abgeleiteten Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers ist grundsätzlich Voraussetzung für das Eingreifen des urlaubsrechtlichen Fristenregimes40. Hat der Arbeitgeber diesen Mitwirkungsobliegenheiten nicht entsprochen, tritt der am 31.12. des Urlaubsjahres nicht verfallene Urlaub zu dem Urlaubsanspruch hinzu, der am 1.01.des Folgejahres entsteht. Für ihn gelten, wie für den neu entstandenen Urlaubsanspruch, die Regelungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 BUrlG41.
Die Arbeitgeberin hat dem Arbeitnehmer weder mitgeteilt, auf wie viele Arbeitstage Urlaub er Anspruch hat, noch, dass dieser Urlaubsanspruch am Ende des Kalenderjahres verfällt, wenn er nicht rechtzeitig genommen wird, noch hat sie ihn aufgefordert, den Urlaub rechtzeitig zu nehmen.
Die für den gesetzlichen Urlaubsanspruch geltenden Grundsätze sind auch auf den vertraglichen Mehrurlaub anzuwenden, den der Arbeitnehmer und die Arbeitgeberin unter § 4 Anstellungsvertrag geregelt haben. Die Parteien des Anstellungsvertrags haben ihre jeweiligen Mitwirkungsobliegenheiten bei der Verwirklichung des vertraglichen Mehrurlaubs und die Voraussetzungen seiner Befristung nicht abweichend von den gesetzlichen Vorgaben geregelt.
Während der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub arbeitsvertraglichen Dispositionen entzogen ist, die sich zuungunsten des Arbeitnehmers auswirken (§ 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG), können die Arbeitsvertragsparteien Urlaubsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG gewährleisteten und von §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigen, frei regeln. Für einen Regelungswillen der Arbeitsvertragsparteien, dem zufolge der vertragliche Mehrurlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder am Ende des Übertragungszeitraums unabhängig davon verfallen soll, ob der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten entsprochen hat, müssen deutliche Anhaltspunkte vorliegen. Fehlen solche, ist von einem diesbezüglichen Gleichlauf des gesetzlichen Urlaubsanspruchs und des Anspruchs auf vertraglichen Mehrurlaub auszugehen42.
Die Parteien haben im Anstellungsvertrag vom 09.06.2010 zwar die Dauer der Verfallfrist (31.03.des Folgejahres anstatt Ende des Kalenderjahres) abweichend von den gesetzlichen Vorgaben geregelt, nicht jedoch die hier allein in Rede stehenden Mitwirkungsobliegenheiten bei der Verwirklichung des vertraglichen Mehrurlaubs sowie die Voraussetzungen seiner Befristung und seines Verfalls. § 4 Abs. 1 Satz 2 des Anstellungsvertrags, dem zufolge Urlaub so rechtzeitig mit der Geschäftsführung abzustimmen ist, dass die Unternehmensbelange nicht beeinträchtigt werden, verlagert nicht Initiativlast, die gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG bei der Arbeitgeberin als Arbeitgeberin lag, auf den Arbeitnehmer. Vielmehr ist insoweit von einem Gleichlauf des gesetzlichen und des diesen übersteigenden vertraglichen Urlaubsanspruchs auszugehen.
Die Vereinbarung des Arbeitnehmers und der Arbeitgeberin vom 19.10.2015, dass beide Vertragsparteien keinerlei Ansprüche aus der bisherigen Geschäftsbeziehung haben, keine der Vertragsparteien Ansprüche für die Vergangenheit herleitet oder geltend macht und sämtliche Ansprüche aus der bisherigen Tätigkeit des Auftragnehmers abgegolten seien, hat den Abgeltungsanspruch des Arbeitnehmers nicht entfallen lassen. Die Abgeltungsklausel ist ein negatives Schuldanerkenntnis, das deklaratorisch die Rechtsauffassung der Vertragsparteien wiedergibt, ohne die Rechtslage mit konstitutiver Wirkung zu gestalten.
Welche Rechtsqualität und welchen Umfang eine vertragliche Abrede hat, der zufolge die Parteien keine Ansprüche gegeneinander erheben, ist durch Auslegung zu ermitteln43. Der Wille der Parteien, ihre Rechtsbeziehung zu bereinigen, kann insbesondere durch Erlassvertrag, konstitutives oder deklaratorisches negatives Schuldanerkenntnis ausgedrückt werden44. Ein Erlassvertrag liegt vor, wenn die Parteien vom Bestehen einer bestimmten Schuld ausgehen, diese aber übereinstimmend als nicht mehr zu erfüllen betrachten45. In einem konstitutiven negativen Schuldanerkenntnis wird der Wille der Parteien zum Ausdruck gebracht, alle oder eine bestimmte Gruppe von bekannten oder unbekannten Ansprüchen zum Erlöschen zu bringen46. Ein deklaratorisches negatives Schuldanerkenntnis ist anzunehmen, wenn die Parteien nur die von ihnen angenommene Rechtslage eindeutig dokumentieren und damit fixieren wollen47. Ein solches Anerkenntnis hindert den Gläubiger nicht, Ansprüche gegenüber dem Schuldner geltend zu machen, wenn er darlegt und gegebenenfalls beweist, dass ihm ungeachtet der abgegebenen Erklärung Ansprüche zustehen48.
Die Vereinbarung der Parteien vom 19.10.2015 stellt eine atypische Willenserklärung dar. Die Auslegung solcher Erklärungen ist grundsätzlich den Tatsachengerichten vorbehalten. Sie kann in der Revision in der Regel nur darauf überprüft werden, ob das Berufungsgericht Auslegungsregeln verletzt hat oder gegen Denk- und Erfahrungssätze verstoßen, wesentliche Tatsachen unberücksichtigt gelassen oder eine gebotene Auslegung unterlassen hat49. Hat das Landesarbeitsgericht die Erklärung – wie vorliegend – nicht ausgelegt, darf das Revisionsgericht sie selbst auslegen, wenn das Landesarbeitsgericht den erforderlichen Sachverhalt – wie im Streitfall – vollständig festgestellt hat und kein weiteres tatsächliches Vorbringen der Parteien zu erwarten ist50.
Nach diesen Grundsätzen stellt sich die Vereinbarung vom 19.10.2015 als deklaratorisches negatives Schuldanerkenntnis dar, das den Arbeitnehmer nicht daran hindert, seinen Abgeltungsanspruch gegenüber der Arbeitgeberin mit der vorliegenden Klage geltend zu machen.
Die Arbeitgeberin konnte angesichts des Wortlauts „die Vertragsparteien nehmen Bezug auf die bisherige Geschäftsbeziehung und stellen hiermit klar“ nicht davon ausgehen, der Arbeitnehmer wolle den Bestand seiner Rechte verändern und damit auf seine Ansprüche verzichten. Mit der Formulierung „stellen klar“ bringen die Parteien vielmehr ihr Interesse an einer Dokumentation und Fixierung der von ihnen am 19.10.2015 angenommenen Rechtslage zum Ausdruck, wie sie für ein deklaratorisches negatives Schuldanerkenntnis kennzeichnend ist. Von einem Verzicht ist in der Vereinbarung vom 19.10.2015 nicht die Rede.
Nichts anderes folgt aus der Erklärung „Sämtliche Ansprüche aus der bisherigen Tätigkeit des Auftragnehmers sind abgegolten“. Eine solche Abgeltungsklausel ist – anders als in Fällen eines bereits zwischen den Parteien bestehenden Rechtsstreits51 – bei objektiver Auslegung als deklaratorisches negatives Schuldanerkenntnis aufzufassen52. Mit der Verwendung „abgegolten“ fixieren die Vertragsparteien typischerweise die von ihnen angenommene Rechtslage und dokumentieren das, wovon sie zum Zeitpunkt der Vereinbarung ausgingen53. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die Parteien ihre Rechtsbeziehung auf eine neue vertragliche Grundlage stellen. Eine Abgeltungsklausel in dem Vertrag, der an die Stelle der vorherigen Vereinbarung tritt, ist im Regelfall dahingehend zu verstehen, dass die Parteien lediglich ihre Rechtsauffassung festhalten, der zufolge keine Ansprüche aus dem „alten“ Rechtsverhältnis bestehen54. Eine Regelung, mittels deren eine Seite mit konstitutiver Wirkung auf bestehende Rechte verzichtet, liegt hierin – wie im Streitfall – nicht.
Die dreijährige Verjährungsfrist (§ 195 BGB) begann mit Ende des Jahres 2015 (§ 199 Abs. 1 BGB) und nicht erst mit Ende des Jahres 2018. Der Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs aus dem Jahr 2015 entstand mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses der Parteien am 19.10.2015 (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB)55. Dem Arbeitnehmer war es zu diesem Zeitpunkt auch zuzumuten, Klage auf Abgeltung des aus dem Jahr 2015 stammenden Urlaubs zu erheben. Ohne Rücksicht darauf, dass das Bundesarbeitsgericht zu dieser Zeit noch davon ausging, Urlaubsansprüche verfielen mit Ablauf des Urlaubsjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraumes unabhängig von der Erfüllung von Mitwirkungsobliegenheiten, war der Urlaub aus dem Jahr 2015 am 19.10.2015 nicht verfallen und – auch auf der Grundlage der damaligen Rechtsprechung – von der Arbeitgeberin abzugelten. Der Arbeitnehmer hatte zu diesem Zeitpunkt sowohl Kenntnis von der Arbeitgeberin als Schuldnerin des Abgeltungsanspruchs als auch von den seinen Anspruch begründenden Tatsachen (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB) und der Urlaubsregelung unter § 4 Abs. 1 des Anstellungsvertrags.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 31. Januar 2023 – 9 AZR 456/20
- EuGH, Urteil vom 06.11.2018 – C-684/16 – [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften][↩]
- LAG Niedersachsen 20.08.20220 – 5 Sa 614/20[↩]
- vgl. BAG 29.09.2020 – 9 AZR 266/20 (A), Rn. 30, BAGE 172, 337[↩]
- vgl. BAG 22.01.2019 – 9 AZR 45/16, Rn. 30 mwN, BAGE 165, 90[↩]
- vgl. BAG 29.09.2020 – 9 AZR 266/20 (A), Rn. 31, BAGE 172, 337[↩][↩][↩]
- BAG 25.01.2022 – 9 AZR 146/21, Rn. 13[↩]
- vgl. hierzu Dürig/Herzog/Scholz/Papier/Shirvani 99. EL September 2022 GG Art. 14 Rn. 322[↩]
- vgl. BVerfG 8.07.1976 – 1 BvL 19/75, 1 BvL 20/75, 2 BvR 148/75, zu D II 3 der Gründe, BVerfGE 42, 263[↩]
- vgl. zum Schutz schuldrechtlicher Positionen BVerfG 8.06.1977 – 2 BvR 499/74, 2 BvR 1042/75, zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 45, 142[↩]
- BVerfG 2.11.2020 – 1 BvR 533/20, Rn. 12[↩]
- vgl. BAG 29.09.2020 – 9 AZR 266/20 (A), Rn. 32, BAGE 172, 337[↩]
- vgl. BAG 5.07.2022 – 9 AZR 341/21, Rn. 23[↩]
- BAG 24.06.2015 – 5 AZR 509/13, Rn. 23, BAGE 152, 75[↩]
- vgl. BAG 24.06.2015 – 5 AZR 509/13, Rn. 26, BAGE 152, 75[↩]
- vgl. BAG 8.09.2021 – 10 AZR 11/19, Rn. 37 unter Hinweis auf BVerfG 1.12.2010 – 1 BvR 1682/07, Rn. 22; 19.03.2014 – 1 BvR 2169/13 ua., Rn. 10; 12.02.1992 – 1 BvL 1/89, zu C I 1 b der Gründe, BVerfGE 85, 337[↩]
- vgl. BAG 9.02.2022 – 5 AZR 368/21, Rn. 27[↩]
- EuGH 06.11.2018 – C-684/16 – [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften][↩][↩][↩]
- grundlegend BAG 7.08.2012 – 9 AZR 353/10, Rn. 32, BAGE 142, 371[↩]
- EuGH 06.11.2018- C-684/16 – [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften][↩]
- EuGH 6.11.2018 – C-684/16 – [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 45[↩]
- BAG 19.02.2019 – 9 AZR 423/16, Rn. 14, BAGE 165, 376[↩]
- vgl. zu den Voraussetzungen hierfür BVerfG 9.05.2018 – 2 BvR 37/18, Rn. 29; BAG 23.05.2018 – 5 AZR 303/17, Rn. 23 mwN[↩]
- EuGH 25.06.2020 – C-762/18 und – C-37/19 – [Varhoven kasatsionen sad na Republika Bulgaria] Rn. 83[↩]
- vgl. EuGH 19.06.2014 – C-501/12 bis – C-506/12, – C-540/12 und – C-541/12, Rn. 112; 8.07.2010 – C-246/09 – [Bulicke] Rn. 24 f. mwN[↩]
- vgl. EuGH 19.06.2014 – C-501/12 bis – C-506/12, – C-540/12 und – C-541/12, Rn. 112[↩]
- vgl. EuGH 8.07.2010 – C-246/09 – [Bulicke] Rn. 26 mwN[↩]
- st. Rspr. des EuGH, vgl. nur 21.12.2016 – C-154/15, – C-307/15 und – C-308/15 – [Gutiérrez Naranjo] Rn. 69; 8.07.2010 – C-246/09 – [Bulicke] Rn. 36 mwN; 10.07.1997 – C-261/95 – [Palmisani] Rn. 28 mwN[↩]
- vgl. EuGH 24.03.2009 – C-445/06 – [Danske Slagterier] Rn. 48[↩]
- vgl. EuGH 8.07.2010 – C-246/09 – [Bulicke] Rn. 41[↩]
- vgl. für eine Frist von zwei Monaten [zu § 15 Abs. 4 AGG] EuGH 8.07.2010 – C-246/09 – [Bulicke] Rn. 39; 6.10.2009 – C-40/08 – [Asturcom Telecomunicaciones] Rn. 42 ff.[↩]
- vgl. BAG 7.07.2020 – 9 AZR 323/19, Rn. 33 mwN[↩]
- EuGH 22.09.2022 – C-120/21[↩][↩]
- BAG 29.09.2020 – 9 AZR 266/20 (A), BAGE 172, 337[↩]
- vgl. BAG 22.01.2019 – 9 AZR 45/16, Rn. 23, BAGE 165, 90[↩]
- vgl. BAG 5.07.2022 – 9 AZR 341/21, Rn. 15[↩]
- vgl. zuletzt BAG 16.08.2022 – 9 AZR 76/22 (A), Rn. 15[↩]
- vgl. zum Kürzungsrecht des Arbeitgebers gemäß § 17 Abs. 1 BEEG BAG 19.03.2019 – 9 AZR 495/17, Rn. 34, BAGE 166, 189[↩]
- BAG 7.09.2021 – 9 AZR 3/21 (A), Rn. 28[↩]
- vgl. EuGH 6.11.2018 – C-684/16 – [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 41[↩]
- vgl. BAG 26.04.2022 – 9 AZR 367/21, Rn. 11[↩]
- vgl. BAG 26.04.2022 – 9 AZR 367/21, Rn. 12[↩]
- vgl. BAG 19.02.2019 – 9 AZR 321/16, Rn. 52[↩]
- vgl. BAG 9.08.2011 – 9 AZR 475/10, Rn. 45[↩]
- vgl. BAG 21.06.2011 – 9 AZR 203/10, Rn.20, BAGE 138, 136[↩]
- vgl. BAG 23.10.2013 – 5 AZR 135/12, Rn. 14, BAGE 146, 217[↩]
- vgl. BAG 28.10.2021 – 8 AZR 371/20, Rn. 32[↩]
- BAG 28.10.2021 – 8 AZR 371/20 – aaO[↩]
- vgl. BAG 24.05.2017 – 5 AZR 251/16, Rn. 59[↩]
- vgl. BAG 20.08.2019 – 9 AZR 468/18, Rn. 15[↩]
- vgl. BAG 7.09.2021 – 9 AZR 595/20, Rn. 16, BAGE 175, 351[↩]
- vgl. zu einer Ausgleichsklausel im gerichtlichen Vergleich BAG 27.05.2015 – 5 AZR 137/14, Rn. 21, BAGE 151, 382[↩]
- vgl. BAG 23.10.2013 – 5 AZR 135/12, Rn.19, BAGE 146, 217[↩]
- vgl. BAG 27.01.2016 – 5 AZR 277/14, Rn. 13, BAGE 154, 93[↩]
- vgl. BAG 28.01.2015 – 5 AZR 122/13, Rn. 21[↩]
- vgl. zum Entstehungszeitpunkt BAG 22.01.2019 – 9 AZR 45/16, Rn. 30 mwN, BAGE 165, 90[↩]