Gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG ist der Urlaub abzugelten, wenn er wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann. Ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung setzt deshalb voraus, dass zum Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch offene Urlaubsansprüche bestehen, die nicht mehr erfüllt werden können, weil das Arbeitsverhältnis beendet ist.

In dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall stand der beim Land Schleswig-Holstein beschäftigten Arbeitnehmerin für das Kalenderjahr 2019 ein Urlaubsanspruch iHv. insgesamt 35 Arbeitstagen zu. Dieser setzte sich aus dem gesetzlichen Mindesturlaub (§§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG) einschließlich des deckungsgleichen Teils des Tarifurlaubs von einheitlich 20 Arbeitstagen, dem diesen übersteigenden – übergesetzlichen – Teil des Tarifurlaubs von zehn Arbeitstagen (§ 26 Abs. 1 Satz 2 TV-L) sowie dem Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen von fünf Arbeitstagen (§ 208 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) zusammen. Das in der Vorinstanz tätige Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein1 hat im Ergebnis zutreffend erkannt, dass die Arbeitnehmerin gegen das beklagte Land Anspruch auf Abgeltung weiterer zehn Arbeitstage Urlaub hat. Die vom beklagten Land nicht abgegoltenen zehn Urlaubstage sind nicht verfallen.
Der Verfall des Resturlaubs ist allein am Maßstab des § 26 Abs. 2 Buchst. a Satz 2 TV-L iVm. dem Erlass des Finanzministeriums des Landes Schleswig-Holstein zu prüfen. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts setzen sich die vom beklagten Land nicht abgegoltenen weiteren zehn Urlaubstage nicht aus 5, 5 Tagen gesetzlichem Urlaub, dessen Verfall in § 7 Abs. 3 BUrlG geregelt ist, und 4, 5 Tagen tariflichem Mehrurlaub zusammen. Mit der bezahlten Freistellung der Arbeitnehmerin von der Arbeitspflicht an 17 Arbeitstagen im Jahr 2019 und Zahlung von Urlaubsabgeltung für acht Urlaubstage nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat die Beklagte die gesetzlich begründeten Urlaubsansprüche aus §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG und § 208 Abs. 1 Satz 1 SGB IX getilgt. Offen ist damit noch der übergesetzliche Teil des Tarifurlaubs iHv. zehn Arbeitstagen.
Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, der Arbeitgeber gewähre gesetzlichen Urlaub, Zusatzurlaub wegen Schwerbehinderung und tariflichen Mehrurlaub anteilig zu gleichen Teilen, wenn der Arbeitnehmer seinen Urlaub im Jahr einer Langzeiterkrankung nicht vollständig in Anspruch genommen und der Arbeitgeber keine Tilgungsbestimmung vorgenommen habe, trifft nicht zu. Nach der weiterentwickelten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die das Landesarbeitsgericht seiner Entscheidung noch nicht zugrunde legen konnte, ist im Verhältnis von gesetzlichen Urlaubsansprüchen aus Mindesturlaub und Zusatzurlaub wegen Schwerbehinderung zu arbeits- und tarifvertraglichem Mehrurlaub nicht von einer einheitlichen Forderung auszugehen2. Stehen dem Arbeitnehmer im Kalenderjahr auf unterschiedlichen Anspruchsgrundlagen beruhende Ansprüche auf Erholungsurlaub zu, für die unterschiedliche Regelungen gelten, handelt es sich um selbständige Urlaubsansprüche. Deshalb findet § 366 BGB Anwendung, wenn die Urlaubsgewährung durch den Arbeitgeber nicht zur Erfüllung sämtlicher Urlaubsansprüche ausreicht.
Nimmt der Arbeitgeber keine Tilgungsbestimmung iSv. § 366 Abs. 1 BGB vor, ist die in § 366 Abs. 2 BGB vorgegebene Tilgungsreihenfolge mit der Maßgabe heranzuziehen, dass zuerst gesetzliche Urlaubsansprüche und erst dann den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigende Urlaubsansprüche erfüllt werden, um anderenfalls eintretende systemwidrige und dem hypothetischen Parteiwillen widersprechende Ergebnisse zu vermeiden3. Ohne entsprechende Anpassung würde die Anwendung der Auslegungsregel des § 366 Abs. 2 BGB dazu führen, dass der übergesetzliche Teil eines Tarifurlaubs, der anders als der gesetzliche Mindesturlaub frei geregelt werden4 und deshalb gegenüber dem gesetzlichen Mindesturlaub unter geringeren Voraussetzungen erlöschen kann, die geringere Sicherheit bietet und damit zuerst getilgt würde5. Ein solches Ergebnis stünde nicht im Einklang damit, dass der nach § 13 BUrlG unabdingbare und als besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Europäischen Union besonders geschützte Mindesturlaub6 das nicht unterschreitbare Grunderholungsbedürfnis eines jeden Arbeitnehmers abbildet. Dieser Mindestanforderung für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung7 soll im Zweifel mit den ersten gewährten Urlaubstagen nachgekommen werden, bevor der durch Arbeits- oder Tarifvertrag zusätzlich eingeräumte Urlaub gewährt wird5. Aufgrund seiner sog. urlaubsrechtlichen Akzessorietät gilt Entsprechendes für den Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen, der zusammen mit dem bezahlten Erholungsurlaub aus §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG den Mindesturlaub für diese Personengruppe bildet.
Die Anwendungsvoraussetzungen des (modifizierten) § 366 Abs. 2 BGB liegen vor.
Das beklagte Land nahm bei der Gewährung der 17 Urlaubstage im Jahr 2019 keine nach Anspruchsgrundlagen differenzierende Leistungsbestimmung iSv. § 366 Abs. 1 BGB vor. Die bezahlte Freistellung von der Arbeit als solche lässt sich nach §§ 133, 157 BGB nicht so verstehen, dass bestimmte Urlaubsansprüche vorrangig erfüllt werden sollen8. Mit dem Schreiben vom 30.06.2020 hat das beklagte Land keine wirksame Festlegung der Tilgungsreihenfolge vorgenommen. Die Tilgungsbestimmung muss „bei Leistung“ getroffen werden. Eine nachträgliche Bestimmung kommt nicht in Betracht9.
Die Länge der für den tarifvertraglichen Mehrurlaub maßgeblichen Verfallfristen ist gegenüber den gesetzlichen Urlaubsansprüchen eigenständig geregelt. Nach § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG muss der Urlaub im Fall der Übertragung in den ersten drei Monaten des Folgejahres gewährt und genommen werden. Demgegenüber reicht es gemäß § 26 Abs. 2 Buchst. a Satz 1 TV-L aus, dass der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres lediglich angetreten wird. Kann der Erholungsurlaub wegen Arbeitsunfähigkeit oder aus betrieblichen/dienstlichen Gründen nicht bis zum 31.03.angetreten werden, ist er – ebenfalls abweichend von den gesetzlichen Bestimmungen – bis zum 31.05.des folgenden Jahres anzutreten. Durch den Erlass des Finanzministeriums des Landes Schleswig-Holstein vom 09.08.2016 ist der Übertragungszeitraum um vier Monate bis zum 30.09.des Folgejahres verlängert worden. Im Falle einer langanhaltenden Erkrankung ist der für den tarifvertraglichen Mehrurlaub maßgebliche Übertragungszeitraum damit fünf Monate kürzer als der für den gesetzlichen Mindesturlaub einschlägige Übertragungszeitraum von 15 Monaten10.
Der den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigende Tarifurlaub aus dem Jahr 2019 ist nicht gemäß § 26 Abs. 2 Buchst. a Satz 2 TV-L iVm. dem Erlass des Finanzministeriums des Landes Schleswig-Holstein vom 09.08.2016 mit Ablauf des 30.09.2020 verfallen.
Das beklagte Land hat die Arbeitnehmerin nicht durch Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten rechtzeitig in die Lage versetzt, diesen Anspruch auszuüben.
Unabhängig von den eigenständigen Regelungen über die Länge der für den tarifvertraglichen Urlaub geltenden Verfallfristen setzt die hier allein in Rede stehende Ingangsetzung des Fristenlaufs die Erfüllung der dem Arbeitgeber obliegenden Mitwirkungshandlungen voraus. Ebenso wie bei dem gesetzlichen Mindesturlaub im Umfang von 20 Arbeitstagen (§§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG) und dem akzessorischen Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen im Umfang von fünf Arbeitstagen (§ 208 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) trifft den Arbeitgeber unter dem Anwendungsbereich des § 26 TV-L die Obliegenheit, dafür Sorge zu tragen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, den tariflichen Mehrurlaub zu nehmen11. Daran ändert auch der Erlass des Finanzministeriums des Landes Schleswig-Holstein vom 09.08.2016 iVm. der Erholungsurlaubsverordnung nichts. Deren Bestimmungen weisen keine deutlichen Anhaltpunkte12 dafür auf, dass die darin aufgeführten Verfallfristen unabhängig von der Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten in Gang gesetzt werden sollen.
Der Arbeitgeber hat zur Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten konkret und in völliger Transparenz dafür Sorge zu tragen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Er muss den Arbeitnehmer – erforderlichenfalls förmlich – auffordern, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfällt, wenn er ihn nicht beantragt. Zudem darf der Arbeitgeber, will er seinen Mitwirkungsobliegenheiten genügen, den Arbeitnehmer nicht in sonstiger Weise daran hindern, den Urlaub wahrzunehmen. Er darf ihn insbesondere nicht mit Umständen konfrontieren, die ihn davon abhalten könnten, seinen Jahresurlaub zu nehmen13.
Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf den gesetzlichen Mindesturlaub, den er in einem Bezugszeitraum erworben hat, in dessen Verlauf er tatsächlich gearbeitet hat, bevor er aufgrund einer seitdem fortbestehenden Krankheit arbeitsunfähig geworden ist, kann bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 7 Abs. 1 und Abs. 3 BUrlG grundsätzlich nur dann nach Ablauf eines Übertragungszeitraums von 15 Monaten erlöschen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer durch Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten rechtzeitig vor Krankheitsbeginn in die Lage versetzt hat, diesen Anspruch zu realisieren14. Der Urlaubsanspruch verfällt nach Ablauf der 15 Monatsfrist jedoch dann unabhängig davon, ob der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen ist, wenn der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31.03.des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres arbeitsunfähig war oder es dem Arbeitgeber tatsächlich nicht möglich war, den Arbeitnehmer vor dessen Erkrankung in die Lage zu versetzen, seinen Urlaub zu nehmen15.
Unter Berücksichtigung dieser – auf den tarifvertraglichen Mehrurlaub anwendbaren – Grundsätze hat das beklagte Land den Anspruch der Arbeitnehmerin auf den tariflichen Mehrurlaub iHv. zehn Arbeitstagen für das Jahr 2019 nicht der Fristenregelung des § 26 Abs. 2 Buchst. a TV-L unterworfen. Es ist seinen Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit der Arbeitnehmerin nicht nachgekommen, obwohl es angesichts des Krankheitsbeginns am 24.07.2019 ausreichend Zeit hatte, die Arbeitnehmerin in die Lage zu versetzen, ihren Urlaub zu nehmen. Das erst nach Krankheitsbeginn an die Arbeitnehmerin gerichtete Schreiben vom 12.06.2020, in dem diese darauf hingewiesen worden ist, ihre aus dem Jahr 2019 übertragenen 18 Urlaubstage verfielen am 1.10.2020, wenn sie sie nicht vorher rechtzeitig genommen habe, war nicht mehr dazu geeignet, die Arbeitnehmerin zur Inanspruchnahme ihres Urlaubs zu veranlassen. Entsprechendes gilt für das Schreiben vom 30.06.2020.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 28. März 2023 – 9 AZR 488/21
- LAG Schleswig-Holstein 06.07.2021 – 2 Sa 73 öD/21[↩]
- grundl. BAG 1.03.2022 – 9 AZR 353/21, Rn. 18 ff.; anders noch BAG 19.01.2016 – 9 AZR 507/14, Rn. 10; 17.11.2015 – 9 AZR 275/14, Rn. 18; 7.08.2012 – 9 AZR 760/10, Rn. 12, BAGE 143, 1[↩]
- grds. BAG 1.03.2022 – 9 AZR 353/21, Rn. 34 mwN[↩]
- BAG 9.03.2021 – 9 AZR 310/20, Rn. 15[↩]
- BAG 1.03.2022 – 9 AZR 353/21, Rn. 35[↩][↩]
- vgl. EuGH 25.06.2020 – C-762/18 und – C-37/19 – [Varhoven kasatsionen sad na Republika Bulgaria] Rn. 64[↩]
- vgl. EuGH 13.01.2022 – C-514/20 – [Koch Personaldienstleistungen] Rn. 29[↩]
- BAG 1.03.2022 – 9 AZR 353/21, Rn. 37[↩]
- vgl. zu etwaigen Ausn. Grüneberg/Grüneberg 82. Aufl. § 366 BGB Rn. 7[↩]
- vgl. dazu BAG 20.12.2022 – 9 AZR 401/19, Rn.20[↩]
- vgl. BAG 19.02.2019 – 9 AZR 541/15, Rn. 37[↩]
- vgl. zu diesem Erfordernis BAG 29.09.2020 – 9 AZR 113/19, Rn. 12 mwN[↩]
- st. Rspr., vgl. BAG 29.09.2020 – 9 AZR 113/19, Rn. 23; 21.05.2019 – 9 AZR 579/16, Rn. 50[↩]
- BAG 20.12.2022 – 9 AZR 401/19, Rn. 12[↩]
- vgl. BAG 31.01.2023 – 9 AZR 107/20, Rn. 10[↩]