Gewährt ein Haustarifvertrag einer Klinik Arbeitnehmern ab Vollendung des 50. Lebensjahres 2 Tage mehr Urlaub, kann dies nach § 10 Abs. 1 AGG zulässig sein.

Zwar liegt unstreitig eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vor, da eine jüngere Arbeitnehmerin nach dem Tarifvertrag weniger Urlaub erhält, als Arbeitnehmer, die das 50. Lebensjahr vollendet haben. Diese Ungleichbehandlung ist jedoch gemäß § 10 Satz 1, Satz 2 und Satz 3 Nr. 1 AGG gerechtfertigt. Denn die tarifvertragliche Regelung bezweckt den in § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG genannten Schutz älterer Beschäftigter und ist geeignet, erforderlich und angemessen im Sinne von § 10 Satz 2 AGG.
Nach § 10 Satz 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters dann zulässig, wenn sie objektiv angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Dabei müssen die Mittel zur Erreichung des Zieles nach § 10 Satz 2 AGG angemessen und erforderlich sein. § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG konkretisiert unter anderem das legitime Ziel der Sicherstellung des Schutzes älterer Beschäftigter.
Bei der Gesamtabwägung ist zu beachten, dass dem Arbeitgeber ein von den Gerichten zu respektierender Gestaltungs- und Ermessensspielraum zusteht, wenn er über das gesetzliche Mindestmaß hinaus freiwillig zusätzliche Leistungen, auch Urlaubsleistungen, gewähren will1. Diese Rechtsprechung ist unproblematisch auch auf die Gewährung von Mehrurlaub im Rahmen eines Tarifvertrages anwendbar. Auch ist zu beachten, dass in der Rechtsprechung des EUGH anerkannt ist, dass die Sozialpartner auf nationaler Ebene nicht nur bei der Entscheidung, welches konkrete Ziel von mehreren im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik sie verfolgen wollen, sondern auch bei der Festlegung der Maßnahmen zu seiner Erreichung über einen weiten Gestaltungsspielraum verfügen2.
Gemessen an vorgenannten gesetzlichen Regelungen und grundsätzlichen Ansätzen ist die tarifvertragliche Regelung nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern nicht zu beanstanden.
Die tarifvertragliche Regelung gewährt Arbeitnehmern ab Vollendung des 50. Lebensjahres zwei weitere Urlaubstage. Sie bezweckt die Sicherstellung des Schutzes älterer Beschäftigter im Sinne von § 10 Abs. 3 Nr. 1 AGG.
In § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG ist nicht definiert, welcher Arbeitnehmer ein älterer Arbeitnehmer ist. Nicht ausreichend ist jedoch allein das höhere Alter. Aus diesem Grund war u. a. im Urteil des BAG vom 20.03.20123 die Altersstaffelung beim Urlaub im TVöD als unwirksam angesehen worden. Vielmehr ist erforderlich, dass die begünstigten Arbeitnehmer auf Grund ihres Alters der Förderung bei der beruflichen Eingliederung oder des Schutzes innerhalb des Berufes bedürfen. Bereits in seinem Urteil vom 20.03.20123 hatte es das Bundesarbeitsgericht für „eher nachvollziehbar“ gehalten, dass bei über 50- oder über 60jährigen Beschäftigen ein altersbedingt gesteigertes Erholungsbedürfnis vorliege. In seiner Entscheidung vom 21.10.20144 hatte das Bundesarbeitsgericht ein gesteigertes Erholungsbedürfnis für Arbeitnehmer bei einer Altersgrenze in dem dortigen Fall von 58 Jahren bestätigt.
Auch im nunmehr zur Entscheidung anstehenden Einzelfall ist davon auszugehen, dass unter Berücksichtigung eines gewissen Bewertungsspielraumes der Tarifvertragsparteien zulässigerweise eine Grenze von 50 Jahren als die Grenze festgelegt wurde, ab der Arbeitnehmer als sogenannte ältere Arbeitnehmer im Sinne des § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG eines besonderen Schutzes bedürfen.
Ausgangspunkt ist hierbei zunächst, dass es sich beim hier in Rede stehenden Tarifvertrag um einen Haustarifvertrag handelte. Anders als beim BAT oder TVöD, die für weiteste Bereiche des öffentlichen Dienstes galten, ist der MTV D. somit für die Arbeitgeberin als Klinik mit den dortigen speziellen Besonderheiten abgeschlossen worden.
Die Arbeitgeberin trug unstreitig vor, dass die Arbeitnehmer der Arbeitgeberin einer besonderen Belastung ausgesetzt sind. Sie verwies auf den typischerweise frühen Arbeitsbeginn mit bereits 16/17 Jahren (inklusive Lehre). Auch sind die Arbeitnehmer der Arbeitgeberin abweichend von der Allgemeinheit der Arbeitnehmer in besonderer Weise durch Wechselschicht, Nachtschicht und Arbeit an Feiertagen belastet. Die Beschäftigung der Arbeitnehmer der Arbeitgeberin erfolgt somit in erheblichem Maße unter Ausnutzung von Ausnahmeregelungen im Arbeitszeitgesetz. Abgesehen von vorgenannten Belastungen ist allgemein bekannt, dass insbesondere Krankenschwestern und Pfleger im Klinikbereich auch erheblichen körperlichen Belastungen ausgesetzt sind. Diese ergeben sich beim Umbetten und anderen Tätigkeiten am Patienten.
Weiterhin geht das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern wie das überwiegende Schrifttum und auch das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz in seinem Urteil vom 07.09.20125 davon aus, dass ein Erfahrungssatz dahingehend besteht, dass mit zunehmendem Alter das Erholungsbedürfnis von Arbeitnehmern steigt6. Dieser Erfahrungssatz wird auch bestätigt durch den Wirkungszusammenhang von erreichtem Lebensalter und höherer Krankheitsanfälligkeit. Auch alle bekannten privaten und öffentlichen Systeme der Kranken, Renten- und Lebensversicherung beruhen auf dieser Erwartung7. An vorgenannter Stelle führt das BAG ergänzend aus, dass diese Ergebnisse auch bestätigt werden durch den „Fortschrittsreport altersgerechte Arbeitswelt“, Ausgabe 3 des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Stand September 2013. Auch diese Studie zeigt ein Ansteigen der Anzahl der krankheitsbedingten Fehltage sowie eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes mit fortschreitendem Lebensalter. Insbesondere nimmt nach dieser Studie bei belastenden Berufen die Anzahl krankheitsbedingter Fehltage im Alter überproportional zu.
Gerade die Verbindung dieses Erfahrungssatzes in Verbindung mit der im konkreten Einzelfall der Arbeitgeberin erhöhten Belastung ihrer Arbeitnehmer führt dazu, dass ein gesteigertes Erholungsbedürfnis der älteren Arbeitnehmer der Arbeitgeberin anzuerkennen ist.
Soweit im Tarifvertrag nunmehr eine Altersgrenze von 50 Jahren festgeschrieben ist, ist dies nicht zu beanstanden. Eindeutige Grenzen sind gesetzlich nicht vorgegeben. Dies wäre auch insoweit problematisch, da die Grenze je nach Arbeitgeber und Tätigkeitsbereich desselben variieren kann. Insoweit verbleibt ein Bewertungsspielraum der Tarifvertragsparteien bzw. auch des Arbeitgebers, woraus sodann entsprechend ein eingeschränkter Prüfungsmaßstab der Arbeitsgerichte folgt. Mit dem Festsetzen einer Altersgrenze von 50 Jahren haben die Tarifvertragsparteien hier die Grenzen ihres Bewertungsspielraumes nicht überschritten. Bereits in seinem Urteil vom 20.03.2012, 9 AZR 529/10, hielt das BAG grundsätzlich eine Altersgrenze von 50 Jahren für zulässig. Auch verwies das BAG seinerzeit schon auf die Regelung in § 417 SGB III, welche ebenfalls auf eine Grenze von 50 Jahren abstellt. Mit der hier festgesetzten Grenze bei 50 Jahren umfasst der erhöhte Urlaubsanspruch gemessen an der Bandbreite des Erwerbslebens zwischen 17 Jahren und 67 Jahren auch nur das obere Drittel der Erwerbsjahre eines typischen Arbeitnehmers der Arbeitgeberin. Auch die Arbeitnehmerin hat abgesehen vom allgemeinen Anzweifeln keine konkreten Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit der Grenze von 50 Lebensjahren hervorgetragen.
Im Weiteren ist davon auszugehen, dass die Gewährung von zwei weiteren Urlaubstagen auch dem legitimen Zweck des Schutzes älterer Arbeitnehmer dient. Andere Anhaltspunkte sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist es entgegen der Ansicht der Arbeitnehmerseite jedoch nicht erforderlich, dass dieser Zweck ausdrücklich im Tarifvertrag festgehalten sein muss. Es ist ausreichend, wenn sich Anhaltspunkte für das Vorliegen dieses Zieles aus der Regelung ergeben8. Dabei führt das Bundesarbeitsgericht im vorgenannten Urteil unter Randziffer 31 zu Recht weiter aus, dass bei einer Staffelung der Urlaubsdauer nach Lebensalter die Annahme nahe liegt, die Tarifvertragsparteien hätten einem mit zunehmendem Alter gesteigerten Erholungsbedürfnis älterer Beschäftigter Rechnung tragen wollen. Davon ist auch im hiesigen Fall auszugehen. Anders als bei der früheren Regelung im TVöD gibt es auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass mit der Wahl der Altersstufen nicht einem gesteigerten Erholungsbedürfnis älterer Beschäftigter Rechnung getragen werden sollte.
Die Regelung der Gewährung von zwei weiteren Tagen ist auch geeignet, den in § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG beschriebenen Zweck zu fördern. Es ist nachvollziehbar, dass die Gewährung von Mehrurlaub dem gesteigerten Erholungsbedarf älterer Arbeitnehmer dient. Die Tarifvertragsparteien haben dieses im Rahmen ihres Bewertungsspielraumes ausgewählt. Die Arbeitnehmerin hat die Geeignetheit auch nicht in Zweifel gezogen. Für das Berufungsgericht gibt es keine Anhaltspunkte dafür, von einer Nichteignung auszugehen. Die Regelung ist auch erforderlich und angemessen im Sinne des § 10 Satz 2 AGG. Mildere Mittel, die in gleicher Weise den Schutz älterer Arbeitnehmer verwirklichen könnten, sind nicht ersichtlich1. Die Arbeitnehmerin macht auch hinsichtlich dieser Tatbestandsmerkmale keine Unwirksamkeit geltend. Auch das Berufungsgericht sieht die Regelung von zwei Mehrtagen Urlaub ab Vollendung des 50. Lebensjahres unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit und Angemessenheit als nicht zu beanstanden an. Zwar sind theoretisch andere Maßnahmen denkbar. Dies könnte die Wahl eines niedrigeren Lebensalters bei Gewährung nur eines Tages Mehrurlaub sein. Allerdings ist hier auch wiederum den Tarifvertragsparteien ein Bewertungsspielraum zuzugestehen, der durch die Wahl von zwei Tagen ab Vollendung des 50. Lebensjahres nicht überschritten wurde.
Im Ergebnis ist die Regelung in § 22 Abs. 2 MTV D. nicht zu beanstanden. Der – jüngeren – Arbeitnehmerin stehen daher hieraus auch in Verbindung mit den Regelungen des AGG nur 28 Urlaubstage pro Jahr zu.
Landesarbeitsgericht Mecklenburg -Vorpommern, Urteil vom 19. Februar 2015 – 5 Sa 168/14
- vgl. BAG, Urteil vom 21.10.2014, 9 AZR 956/12[↩][↩]
- BAG, a. a. O.[↩]
- BAG 20.03.2012 – 9 AZR 529/10[↩][↩]
- BAG 21.10.2014 – 9 AZR 956/12[↩]
- LAG Rheinland-Pfalz 07.09.2012 – 6 Sa 709/11[↩]
- vgl. BAG, Urteil vom 21.10.2014, 9 AZR 956/12; Rz. 23 mit dortigen weiteren Literaturangaben[↩]
- BAG, Urteil vom 21.10.2014, 9 AZR 956/12, Rz. 25[↩]
- BAG, Urteil vom 21.10.2014, 9 AZR 956/12, Rz. 30[↩]