Urlaubsgewährung nach fristloser Kündigung

Ein Arbeitgeber gewährt durch eine Freistellungserklärung für den Zeitraum nach dem Zugang einer fristlosen Kündigung nur dann wirksam Urlaub, wenn er dem Arbeitnehmer die Urlaubsvergütung vor Antritt des Urlaubs zahlt oder vorbehaltlos zusagt.

Urlaubsgewährung nach fristloser Kündigung

Es ist umstritten, ob der kündigende Arbeitgeber Urlaub unter der Bedingung erteilen kann, dass die ausgesprochene Kündigung unwirksam ist.

Das Bundesarbeitsgericht hat bisher angenommen, der Arbeitgeber könne den Urlaub vorsorglich für den Fall gewähren, dass eine von ihm erklärte ordentliche oder außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht auflöst. Der Bestand des Arbeitsverhältnisses als solcher werde durch eine Kündigung nicht berührt1. Mit der Kündigung mache der Arbeitgeber lediglich geltend, er gehe davon aus, das Arbeitsverhältnis werde zu dem von ihm bestimmten Zeitpunkt enden. Er „behaupte“ eine Beendigung2. Dem entspreche, dass der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer, der während eines Kündigungsschutzrechtsstreits Urlaub verlangt, Urlaub zu gewähren habe3. Die vorsorgliche Urlaubsgewährung liege im wohlverstandenen Eigeninteresse des Arbeitgebers, um die Kumulation von Annahmeverzugs- und Urlaubsabgeltungsansprüchen zu verhindern4. Dem stehe nicht entgegen, dass bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Kündigungsschutzrechtsstreit offen sei, ob der Arbeitgeber Urlaubsentgelt oder Urlaubsabgeltung schulde5. Der Urlaubsanspruch sei kein sog. Einheitsanspruch. Er richte sich auf die Befreiung von der Arbeitspflicht. Der Anspruch auf Arbeitsentgelt werde dadurch nicht berührt. Ist das Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung beendet, sei der Urlaub abzugelten.

Diese Auffassung ist auf Kritik gestoßen6. Zum einen sei bei einer bedingten Urlaubserteilung für den Fall der Unwirksamkeit der Kündigung für den Arbeitnehmer nicht hinreichend klar, ob er Erholungsurlaub habe oder nicht7. Zum anderen gebiete das Unionsrecht eine Rückkehr zur dogmatischen Einordnung des Urlaubsanspruchs als Einheitsanspruch8. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts verkenne zudem, dass der Arbeitgeber durch seine unwirksame Kündigung das Risiko der Kumulation von Annahmeverzugs- und Urlaubsabgeltungsansprüchen selbst geschaffen habe9.

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Zu Recht ist das Landesarbeitsgericht Hamm10 davon ausgegangen, dass die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Hinblick auf die Auslegung der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (Arbeitszeitrichtlinie) durch den Gerichtshof der Europäischen Union der Modifikation bedarf. Ein Arbeitgeber gewährt durch die Freistellungserklärung in einem Kündigungsschreiben nur dann wirksam Urlaub, wenn er dem Arbeitnehmer die Urlaubsvergütung vor Antritt des Urlaubs zahlt oder vorbehaltlos zusagt.

Zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs bedarf es einer Freistellungserklärung des Arbeitgebers11. Diese ist nur geeignet, das Erlöschen des Urlaubsanspruchs zu bewirken, wenn der Arbeitnehmer erkennen muss, dass der Arbeitgeber ihn zur Erfüllung des Anspruchs auf Erholungsurlaub von der Arbeitspflicht freistellen will12. Andernfalls ist nicht feststellbar, ob der Arbeitgeber als Schuldner des Urlaubsanspruchs eine Erfüllungshandlung bewirken (§ 362 Abs. 1 BGB), den Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers zB zur besseren Wahrung von Geschäftsgeheimnissen ausschließen oder aus sonstigen Gründen als Gläubiger der Arbeitsleistung auf deren Annahme mit den in § 615 BGB bezeichneten Folgen verzichten will13. Das kann auch dadurch geschehen, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer unter Anrechnung auf Urlaubsansprüche von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freistellt14. Notwendig ist allerdings stets die endgültige Befreiung des Arbeitnehmers von der Arbeitspflicht15. Die unter dem Vorbehalt des Widerrufs stehende Befreiung erfüllt daher den Urlaubsanspruch nicht. Andererseits ist die Erfüllung des Urlaubsanspruchs nur möglich, wenn überhaupt eine Arbeitspflicht im fraglichen Zeitraum besteht16.

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Stellt der Arbeitgeber den Arbeitnehmer für den Fall der Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung für die Dauer der Kündigungsfrist der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung frei und erhebt der Arbeitnehmer Klage nach § 4 KSchG, so steht in dem Zeitraum, in dem der Urlaub erfüllt werden soll, regelmäßig nicht rechtskräftig fest, ob die außerordentliche Kündigung wirksam ist. Dies gilt auch noch nach einer Entscheidung des Arbeitsgerichts. Nach § 64 Abs. 2 Buchst. c ArbGG ist in Rechtsstreitigkeiten über die Kündigung des Arbeitsverhältnisses die Berufung immer statthaft. Da nur im Falle der Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung eine Arbeitspflicht besteht, von der der Arbeitnehmer befreit werden kann, ist mit Zugang der bedingten Freistellungserklärung des Arbeitgebers bei dem Arbeitnehmer nicht klar, ob eine Verpflichtung zur Arbeitsleistung besteht, von der eine Befreiung möglich ist.

Darüber hinaus ist der Urlaubsanspruch nach dem Bundesurlaubsgesetz nicht allein auf die Freistellung von der Arbeitsleistung gerichtet. Nach § 1 BUrlG hat jeder Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Zur Erfüllung dieses Anspruchs genügt es daher nicht, dass der Arbeitnehmer in der Zeit des Urlaubs nicht arbeiten muss. Das Gesetz verlangt, dass die Zeit der Freistellung von der Arbeit „bezahlt“ sein muss. § 1 BUrlG entspricht insoweit der Regelung in Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie und ist damit einer unionsrechtskonformen Auslegung zugänglich17. Nach der Rechtsprechung des EuGH bedeutet der in Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie enthaltene Begriff des „bezahlten“ Jahresurlaubs, dass das Arbeitsentgelt für die Dauer des Jahresurlaubs im Sinne der Richtlinie weiterzugewähren ist. Der Arbeitnehmer muss für diese Ruhezeit das gewöhnliche Arbeitsentgelt erhalten18. Die Richtlinie behandelt den Anspruch auf Jahresurlaub und denjenigen auf Zahlung des Urlaubsentgelts als die zwei Aspekte eines einzigen Anspruchs. Durch das Erfordernis der Zahlung dieses Urlaubsentgelts soll der Arbeitnehmer während des Jahresurlaubs in eine Lage versetzt werden, die in Bezug auf das Entgelt mit den Zeiten geleisteter Arbeit vergleichbar ist19. Daher ist der Zeitpunkt, zu dem das Entgelt für den Jahresurlaub zu zahlen ist, unbeschadet günstigerer Bestimmungen iSv. Art. 15 der Arbeitszeitrichtlinie so festzulegen, dass der Arbeitnehmer während des Jahresurlaubs in Bezug auf das Entgelt in eine Lage versetzt wird, die mit den Zeiten geleisteter Arbeit vergleichbar ist20.

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Es kann vorliegend dahinstehen, ob dem Landesarbeitsgericht Hamm darin zu folgen ist, dass die Rechtsprechung des EuGH eine Rückkehr zur Einordnung des Urlaubsanspruchs als sog. Einheitsanspruchs mit allen in der Vergangenheit daraus gezogenen Schlussfolgerungen erfordert21. Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie gebietet nicht, dass das Urlaubsentgelt schon vor dem Urlaubsbeginn ausgezahlt werden muss22. Der EuGH hat festgestellt, dass keine Bestimmung der Arbeitszeitrichtlinie ausdrücklich den Zeitpunkt festlegt, zu dem das Entgelt für den Jahresurlaub zu zahlen ist. Diese Festlegung obliegt vielmehr den Mitgliedstaaten23.

Aus dem Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub folgt jedoch, dass dem Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Urlaubs ein Anspruch auf Vergütung sicher sein muss. Dazu genügt es nicht, wenn ihm zu irgendeinem späteren Zeitpunkt nach der rechtskräftigen Entscheidung über die Kündigungsschutzklage ein Anspruch auf Urlaubsvergütung zuerkannt wird. Der Arbeitnehmer ist in unzumutbarer Weise in seiner Urlaubsgestaltung eingeschränkt, wenn er bei Urlaubsantritt nicht weiß, ob ihm Urlaubsentgelt gezahlt wird. Mit dem unionsrechtlichen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub wird bezweckt, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich zu erholen und über einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit zu verfügen24. Dieser Zweck kann typischerweise nur dann erreicht werden, wenn der Arbeitnehmer während des Zeitraums weiß, dass er in Bezug auf das Entgelt in eine Lage versetzt ist, die mit den Zeiten geleisteter Arbeit vergleichbar ist.

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Dies berücksichtigend hat die Arbeitgeberin im hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall durch die Erklärung im Kündigungsschreiben den Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers nicht vollständig erfüllt. Sie hat dem Arbeitnehmer weder vor Antritt des Urlaubs Urlaubsvergütung gezahlt noch vorbehaltlos zugesagt.

Dies gilt jedenfalls für den Anteil des Jahresurlaubs, der dem Arbeitnehmer zugestanden hätte, wenn das Arbeitsverhältnis nicht bereits mit Zugang der fristlosen Kündigung, sondern erst mit Ablauf der Kündigungsfrist der ordentlichen Kündigung beendet worden wäre. Im Falle der Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung hätte der Arbeitnehmer zwar einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung nach § 7 Abs. 4 BUrlG, der abzugeltende Urlaubsanspruch wäre aber nach § 5 Abs. 1 Buchst. c BUrlG auf vier Zwölftel zu kürzen. Bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 31.12 2011 hätte dem Arbeitnehmer dagegen der Urlaubsanspruch ungekürzt zugestanden. In Bezug auf den Anteil von acht Zwölftel des Urlaubsanspruchs des Jahres 2011 wusste der Arbeitnehmer bis zum Abschluss des gerichtlichen Vergleichs am 17.06.2011 nicht, ob ihm ein Vergütungsanspruch zustehen würde. Es ist weder festgestellt noch sonst erkennbar, dass die Arbeitgeberin ihm insofern unabhängig vom Fortbestand des Arbeitsverhältnisses im fraglichen Zeitraum die Zahlung eines Urlaubsentgelts vorbehaltslos zugesagt hat.

Soweit die Arbeitgeberin in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat, der Arbeitnehmer habe jedenfalls aufgrund der Verdienstabrechnung sicher sein können, für 88,23 Stunden eine Urlaubsabgeltung zu erhalten, stand diese Abrechnung einer vorbehaltslosen Zusage der Urlaubsvergütung nicht gleich. Das Bundesarbeitsgericht hat die sog. Surrogatstheorie mit Urteil vom 19.06.201225 vollständig aufgegeben. Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung folgt nicht mehr den Regeln des Urlaubsanspruchs. Dementsprechend muss der Gläubiger nicht stets davon ausgehen, dass die Leistung zur Erfüllung des Urlaubsabgeltungsanspruchs zugleich auch der Erfüllung eines Anspruchs auf Urlaubsentgelt dienen soll. Vielmehr bedarf es regelmäßig einer (hilfsweisen) Tilgungsbestimmung entsprechend § 366 Abs. 1 BGB. Ob die Arbeitgeberin eine solche zumindest konkludent abgegeben hat, bedarf hier jedoch keiner weiteren Klärung, weil der Anspruch des Arbeitnehmers vorliegend schon aus anderen Gründen nicht gegeben ist.

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Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10. Februar 2015 – 9 AZR 455/13

  1. vgl. BAG 14.08.2007 – 9 AZR 934/06, Rn. 14 f. mwN[]
  2. vgl. BAG 23.01.2001 – 9 AZR 26/00, zu I 2 c bb der Gründe, BAGE 97, 18[]
  3. vgl. BAG 9.11.1999 – 9 AZR 915/98, zu II 2 b aa der Gründe; 21.09.1999 – 9 AZR 705/98, zu I 2 b der Gründe, BAGE 92, 299[]
  4. BAG 9.11.1999 – 9 AZR 915/98, zu II 2 b bb der Gründe; 21.09.1999 – 9 AZR 705/98, zu I 2 c der Gründe, aaO[]
  5. vgl. BAG 17.01.1995 – 9 AZR 664/93, zu I 2 b der Gründe, BAGE 79, 92[]
  6. LAG Berlin 7.03.2002 – 7 Sa 1648/01, zu II 2 c der Gründe; Arnold/Tillmanns/Arnold BUrlG 3. Aufl. § 7 Rn. 69; Bachmann in GK-BUrlG 5. Aufl. § 7 Rn. 38; ErfK/Gallner 15. Aufl. § 7 BUrlG Rn. 6; AR/Gutzeit 7. Aufl. § 7 BUrlG Rn. 10[]
  7. vgl. ErfK/Gallner aaO; AR/Gutzeit aaO[]
  8. vgl. Arnold/Tillmanns/Arnold aaO; AR/Gutzeit aaO[]
  9. LAG Berlin 7.03.2002 – 7 Sa 1648/01, zu II 2 c der Gründe[]
  10. LAG Hamm, Urteil vom 14.03.2013 – 16 Sa 763/12[]
  11. st. Rspr., zB BAG 19.05.2009 – 9 AZR 433/08, Rn. 16, BAGE 131, 30; vgl. auch BAG 20.01.2009 – 9 AZR 650/07, Rn. 24[]
  12. st. Rspr., vgl. BAG 20.01.2009 – 9 AZR 650/07, Rn. 24[]
  13. st. Rspr., vgl. BAG 20.01.2009 – 9 AZR 650/07, Rn. 24; 9.06.1998 – 9 AZR 43/97, zu I 2 b der Gründe, BAGE 89, 91; Arnold/Tillmanns/Arnold aaO Rn. 25[]
  14. BAG 14.03.2006 – 9 AZR 11/05, Rn. 11[]
  15. BAG 19.05.2009 – 9 AZR 433/08, Rn. 17, aaO[]
  16. BAG 18.03.2014 – 9 AZR 669/12 – und – 9 AZR 877/13 – jeweils Rn. 16[]
  17. vgl. BAG 5.08.2014 – 9 AZR 77/13, Rn. 23[]
  18. EuGH 22.05.2014 – C-539/12 – [Lock] Rn. 16; 15.09.2011 – C-155/10 – [Williams ua.] Rn.19; 16.03.2006 – C-131/04 – [Robinson-Steele ua.] Rn. 50, Slg. 2006, I-2531[]
  19. EuGH 22.05.2014 – C-539/12 – [Lock] Rn. 17 mwN[]
  20. EuGH 16.03.2006 – C-131/04 – [Robinson-Steele ua.] Rn. 59, aaO[]
  21. zum Streit vgl. Hohmeister BB 1995, 2110[]
  22. vgl. zur alten Rspr. BAG 9.01.1979 – 6 AZR 647/77[]
  23. EuGH 16.03.2006 – C-131/04 – [Robinson-Steele ua.] Rn. 54 und 56, aaO[]
  24. vgl. EuGH 10.09.2009 – C-277/08 – [Vicente Pereda] Rn. 21 mwN, Slg. 2009, I-8405[]
  25. BAG, Urteil vom 19.06.2012 – 9 AZR 652/10, BAGE 142, 64[]
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