Verdachtskündigung – und die Anhörung des Arbeitnehmers

Auch bei einer Verdachtskündigung hat das Gericht zu prüfen und unter Berücksichtigung aller vorgetragenen Umstände unter Zugrundelegung des Maßstabs nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu würdigen, ob der Arbeitnehmer die ihm vorgeworfene Pflichtverletzung tatsächlich begangen hat. Kommt nur eine Verdachtskündigung in Betracht, ist diese auch bei dringendem Verdacht unwirksam, wenn der Arbeitnehmer zu den ihn belastenden Umständen nicht hinreichend angehört worden ist.

Verdachtskündigung – und die Anhörung des Arbeitnehmers

Wird der Verdacht damit begründet, dass der Arbeitnehmer die Vorteile einer von seinem/ihrem Lebensgefährten gegenüber dem Arbeitgeber begangenen Untreue (hier: € 5.000.000) mit erlangt habe, und liegen dem Arbeitgeber hierzu aufgrund eines ihm bekannten amtsgerichtlichen Durchsuchungsbeschlusses konkrete Angaben über Kontobewegungen und einen gemeinsamen Hauserwerb vor, sind diese Kenntnisse dem Arbeitnehmer in seiner Anhörung vorzuhalten. Wird dagegen nur allgemein danach gefragt, ob an den Arbeitnehmer Geld geflossen sei, ist dies nicht ausreichend. Der Arbeitgeber kann die anschließende Kündigung nicht mehr als Verdachtskündigung begründen.

Eine Verdachtskündigung im Sinne des § 1 Abs. 2 S. 1 LSGchG kann gerechtfertigt sein, wenn starke, auf objektive Tatsachen gründende Verdachtsmomente vorliegen, die geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und wenn der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat. Der Verdacht muss auf konkrete Tatsachen gestützt sein. Er muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft. Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte. Bloß auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen nicht aus. Eine Verdachtskündigung ist auch als ordentliche Kündigung nur gerechtfertigt, wenn Tatsachen vorliegen, die zugleich eine außerordentliche fristlose Kündigung gerechtfertigt hätten. Dies gilt zum einen für die Anforderungen an die Dringlichkeit des Verdachts als solchen. In dieser Hinsicht bestehen keine Unterschiede zwischen außerordentlicher und ordentlicher Kündigung. Für beide Kündigungsarten muss der Verdacht gleichermaßen erdrückend sein. Dies gilt zum anderen für die inhaltliche Bewertung des fraglichen Verhaltens und der Interessenabwägung. Auch im Rahmen von § 1 Abs. 2 LSGchG müssen sie zu dem Ergebnis führen, dass das Verhalten, dessen der Arbeitnehmer verdächtigt ist, – wäre es erwiesen – sogar eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt hätte1.

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Auch wenn konkrete Tatsachen den dringenden Verdacht einer ganz erheblichen Pflichtverletzung durch die Arbeitnehmerin begründen, rechtfertigen diese Umstände jedoch nicht die ordentliche Kündigung, wenn die Arbeitgeberin die Arbeitnehmerin zu diesem Sachverhalt nicht ordnungsgemäß angehört hat.

Bei einer Verdachtskündigung besteht in besonderem Maße die Gefahr, dass der Arbeitnehmer zu Unrecht beschuldigt wird. Daher ist es gerechtfertigt, die Erfüllung der Aufklärungspflicht als Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung anzusehen. Lediglich der Verdacht einer Verfehlung kann für den Ausspruch einer Kündigung nur genügen, wenn der Arbeitgeber den Verdacht weder auszuräumen, noch die erhobenen Vorwürfe auf eine sichere Grundlage zu stellen vermochte. Der Anhörung des Arbeitnehmers vor Ausspruch der Kündigung kommt deshalb besondere Bedeutung zu. Der Arbeitnehmer muss die Möglichkeit erhalten, die Verdachtsgründe zu entkräften und Entlastungstatsachen anzuführen. Der gebotene Umfang der Anhörung richtet sich entsprechend dem Zweck der Aufklärung nach den Umständen des Einzelfalls. Die Anhörung muss sich auf einen konkretisierten Sachverhalt beziehen. Der Arbeitgeber darf den Arbeitnehmer nicht lediglich mit einer unsubstantiierten Wertung konfrontieren und ihm nicht wesentliche Erkenntnisse vorenthalten. Er muss alle erheblichen Umstände angeben, aus denen er den Verdacht ableitet. Sodann hat der Arbeitnehmer die Möglichkeit, sich zum Verdachtsvorwurf und den ihn tragenden Verdachtsmomenten in einer die Aufklärung fördernden Weise zu äußern. Verletzt der Arbeitgeber schuldhaft die sich aus der Aufklärungspflicht ergebende Anhörungspflicht, kann er sich im Prozess nicht auf den Verdacht als Kündigungsgrund berufen2. Der Arbeitnehmer muss erkennen können, zur Aufklärung welchen Sachverhalts ihm Gelegenheit gegeben werden soll. Er muss die Möglichkeit haben, bestimmte, zeitlich und räumlich eingegrenzte Tatsachen gegebenenfalls zu bestreiten oder den Verdacht entkräftende Tatsachen aufzuzeigen und so zur Aufhellung der für den Arbeitgeber im Dunkeln liegenden Geschehnisse beizutragen3.

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Diesen Anforderungen genügte im hier vom Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein entschiedenen Fall die Anhörung der Arbeitnehmerin durch den Fachbereichsleiter Personal nicht. Das von der Arbeitgeberin insoweit vorgelegte Protokoll des Anhörungsgespräches weist auf der ersten Seite im Wesentlichen Fragen zu einer direkten Beteiligung der Arbeitnehmerin an den Handlungen von N. und M. aus. Die Arbeitnehmerin hat, wie auch im gesamten Verfahren, eine entsprechende Beteiligung bestritten. Auf Seite 2 des Protokolls ist dann ausschließlich die Frage gestellt worden „Ist auf Ihr Konto etwas von diesem Geld4 geflossen?“. Insoweit hat die Arbeitnehmerin sich nicht verneinend geäußert, sondern erklärt, sie müsse erst auf den Kontoauszügen nachsehen, ob Geld in nennenswerter Höhe von ihrem Vater an sie gezahlt worden sei. Weitere Vorhalte sind der Arbeitnehmerin nicht gemacht worden. Im Berufungstermin ist insoweit auch noch einmal ausdrücklich unstreitig gestellt worden, dass nach dem Immobiliengeschäft oder der konkreten Zahlung von 10.000 € nicht gefragt worden ist.

Dieses Vorgehen der Arbeitgeberin lässt sich mit den von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts dargestellten Grundsätzen zur Sachverhaltsaufklärung nicht vereinbaren.

Die Arbeitgeberin leitet den Verdacht der Beteiligung der Arbeitnehmern an der Straftat im Wesentlichen daraus ab, dass die Arbeitnehmerin an den Vorteilen dieser Taten partizipiert. Allein die verwandtschaftliche Beziehung vermöchte einen dringenden Tatverdacht auch nicht zu begründen. Wenn aber der Umstand, dass die Arbeitnehmerin an den Vorteilen der Tat partizipiert, den Verdacht gegen die Arbeitnehmerin begründen soll, dann ist die Arbeitnehmerin zwingend zu den diesem Verdacht zu Grunde liegenden Sachverhalten auch anzuhören. Zum Zeitpunkt der Anhörung der Arbeitnehmerin lag der Arbeitgeberin der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts vor, in dem sowohl der Geldfluss im Hinblick auf die Finanzierung der Immobilie, als auch die Zahlung der 10.000, – € mit Daten und Kontonummern im Einzelnen detailliert dargestellt worden sind. Es gab also ganz konkrete Erkenntnisse, die die Arbeitgeberin der Arbeitnehmerin hätte vorhalten können und zu denen sie sich hätte äußern müssen. Das wäre dann der Vorhalt bestimmter, zeitlich und räumlich eingegrenzter Tatsachen gewesen, den das Bundesarbeitsgericht in dem dargestellten Urteil verlangt. Das ist nicht geschehen. Damit ist die Anhörung der Arbeitgeberin aus Sicht des Landesarbeitsgerichts unrettbar unwirksam. Die Arbeitgeberin kann sich daher im vorliegenden Prozess nicht mehr auf den Verdacht als Kündigungsgrund berufen.

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Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 30. April 2019 – 1 Sa 385/18

  1. BAG, Urteil vom 18.06.2015 – 2 AZR 256/14 – Juris, Rn. 21 f[]
  2. BAG, Urteil vom 28.11.2007 – 5 AZR 952/06[]
  3. BAG vom 25.04.2018 – 2 AZR 611/17 – Juris, Rn. 32[]
  4. vom Konto ihres Vaters[]

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