Verdachtskündigung – und die später bekannt gewordenen Tatsachen

In einem Rechtsstreit über die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung sind nicht nur die dem Arbeitgeber bei Kündigungsausspruch bekannten Tatsachen von Bedeutung. Es sind auch solche später bekannt gewordenen Umstände zu berücksichtigen, die den ursprünglichen Verdacht abschwächen oder verstärken1.

Verdachtskündigung – und die später bekannt gewordenen Tatsachen

Bereits zum Kündigungszeitpunkt vorliegende Tatsachen

Dies gilt zumindest dann, wenn sie bei Kündigungszugang objektiv bereits vorlagen.

Der Arbeitgeber kann verdachtserhärtende Tatsachen in den Prozess einführen, die ihm erst nachträglich bekannt geworden sind, der Arbeitnehmer solche, die den Verdacht entkräften.

Bei einer Verdachtskündigung muss der Besonderheit Rechnung getragen werden, dass für sie nicht der volle Nachweis einer Pflichtverletzung verlangt wird. Blieben den Arbeitnehmer entlastende Tatsachen, die erst im Prozess zutage getreten sind, außer Betracht, hätte der Arbeitgeber nur nachzuweisen, dass jedenfalls zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ein dringender Tatverdacht bestand. Das würde der bei der Verdachtskündigung bestehenden Gefahr, einen „Unschuldigen“ zu treffen, nicht gerecht2.

Die Berücksichtigung später bekannt gewordener Umstände steht nicht im Widerspruch zu dem Grundsatz, dass sich die Wirksamkeit einer Kündigung nach den bei ihrem Zugang gegebenen – objektiven – Tatsachen richtet3. Diese erschöpfen sich auch im Fall der Verdachtskündigung nicht etwa notwendig in den dem Arbeitgeber zu diesem Zeitpunkt bekannten Verdachtsmomenten.

Später eintretende Tatsachen

Selbst Umstände, die auch objektiv erst nachträglich eingetreten sind, können für die gerichtliche Beurteilung der Wirksamkeit einer Kündigung ausnahmsweise von Bedeutung sein, falls sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen4.

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Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde5.

Von Bedeutung kann dies gerade für die Würdigung von verdachtsbegründenden Indiztatsachen sein.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23. Oktober 2014 – 2 AZR 644/13

  1. BAG 23.05.2013 – 2 AZR 102/12, Rn. 25; 24.05.2012 – 2 AZR 206/11, Rn. 41[]
  2. BAG 24.05.2012 – 2 AZR 206/11, Rn. 42; 12.05.2010 – 2 AZR 587/08, Rn. 28[]
  3. vgl. dazu BAG 10.06.2010 – 2 AZR 541/09, Rn. 52, BAGE 134, 349; 27.02.1997 – 2 AZR 160/96, zu II 2 c der Gründe, BAGE 85, 194[]
  4. BAG 10.06.2010 – 2 AZR 541/09, Rn. 53, BAGE 134, 349; 15.12 1955 – 2 AZR 228/54, zu III der Gründe, BAGE 2, 245[]
  5. BAG 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – aaO mwN[]