Verdeckte Arbeitnehmerüberlassung – und die Darlegungslast

Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AÜG kommt ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer zustande, wenn der Arbeitsvertrag zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer unwirksam ist.

Verdeckte Arbeitnehmerüberlassung – und die Darlegungslast

Das ist regelmäßig der Fall, wenn die Arbeitnehmerüberlassung entgegen § 1 Abs. 1 Satz 5 und 6 AÜG nicht ausdrücklich als solche bezeichnet und die Person des Leiharbeitnehmers nicht konkretisiert worden ist (§ 9 Abs. 1 Nr. 1a Halbs. 1 AÜG). Dabei ist von einer abgestuften Darlegungslast auszugehen:

Eine den Vorschriften des AÜG unterfallende Überlassung liegt nach der Legaldefinition des § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG vor, wenn der Arbeitnehmer in die Arbeitsorganisation des Entleihers eingegliedert ist und dessen Weisungen unterliegt. Arbeitnehmerüberlassung iSd. AÜG ist durch eine spezifische Ausgestaltung der Vertragsbeziehungen zwischen Verleiher und Entleiher einerseits (dem Arbeitnehmerüberlassungsvertrag) und zwischen Verleiher und Arbeitnehmer andererseits (dem Leiharbeitsvertrag) sowie durch das Fehlen einer arbeitsvertraglichen Beziehung zwischen Arbeitnehmer und Entleiher gekennzeichnet. Notwendiger Inhalt eines Arbeitnehmerüberlassungsvertrags ist die Verpflichtung des Verleihers gegenüber dem Entleiher, diesem zur Förderung von dessen Betriebszwecken Arbeitnehmer zur Verfügung zu stellen. Seine Vertragspflicht ist erfüllt, wenn er den Arbeitnehmer ausgewählt und dem Entleiher zur Verfügung gestellt hat1.

Von der Arbeitnehmerüberlassung zu unterscheiden ist die Tätigkeit eines Arbeitnehmers bei einem Dritten aufgrund eines Werk- oder Dienstvertrags. In diesen Fällen wird der Unternehmer für einen anderen tätig. Er organisiert die zur Erreichung eines wirtschaftlichen Erfolgs notwendigen Handlungen nach eigenen betrieblichen Voraussetzungen und bleibt für die Erfüllung der in dem Vertrag vorgesehenen Dienste oder für die Herstellung des geschuldeten Werks gegenüber dem Drittunternehmen verantwortlich. Die zur Ausführung des Dienst- oder Werkvertrags eingesetzten Arbeitnehmer unterliegen den Weisungen des Unternehmers und sind dessen Erfüllungsgehilfen. Der Werkbesteller kann jedoch, wie sich aus § 645 Abs. 1 Satz 1 BGB ergibt, dem Werkunternehmer selbst oder dessen Erfüllungsgehilfen Anweisungen für die Ausführung des Werks erteilen. Entsprechendes gilt für Dienstverträge. Solche Dienst- oder Werkverträge werden vom AÜG nicht erfasst2.

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Die arbeitsrechtliche Weisungsbefugnis ist von der projektbezogenen werkvertraglichen Anweisung iSd. § 645 Abs. 1 Satz 1 BGB zu unterscheiden. Die werkvertragliche Anweisung ist sachbezogen und ergebnisorientiert. Sie ist gegenständlich auf die zu erbringende Werkleistung begrenzt. Das arbeitsrechtliche Weisungsrecht ist demgegenüber personenbezogen, ablauf- und verfahrensorientiert. Es beinhaltet Anleitungen zur Vorgehensweise und weiterhin die Motivation des Mitarbeiters, die nicht Inhalt des werkvertraglichen Anweisungsrechts sind3.

Der Inhalt der Rechtsbeziehung ist sowohl auf Grundlage der ausdrücklichen Vereinbarungen der Vertragsparteien als auch unter Berücksichtigung der praktischen Durchführung des Vertrags zu bestimmen. § 12 Abs. 1 Satz 2 AÜG bestimmt, dass letztere maßgeblich ist, wenn Vertrag und dessen tatsächliche Durchführung einander widersprechen.

In einem auf Arbeitnehmerüberlassung gerichteten Vertrag verpflichtet sich der Verleiher gegenüber dem Entleiher, diesem zur Förderung von dessen Betriebszwecken Arbeitnehmer zur Verfügung zu stellen. Ergibt bereits die Auslegung der ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen, dass das Rechtsverhältnis der kooperierenden Unternehmen als Arbeitnehmerüberlassung ausgestaltet ist, liegt Arbeitnehmerüberlassung vor, ohne dass es auf die praktische Handhabung der Vertragsbeziehung ankommt. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Entleiher das ihm übertragene Weisungsrecht gegenüber dem überlassenen Arbeitnehmer in der betrieblichen Praxis tatsächlich ausübt4.

Nach § 12 Abs. 1 Satz 2 AÜG ist die Bezeichnung im Vertrag nur dann unbeachtlich, wenn die Vertragsparteien abweichend von den getroffenen Vereinbarungen tatsächlich Arbeitnehmerüberlassung praktizieren. Die Vorschrift löst den Widerspruch zwischen Vertrag und seiner tatsächlichen Durchführung – ebenso wie § 611a Abs. 1 Satz 6 BGB im Hinblick auf den Arbeitnehmerstatus, zugunsten der Arbeitnehmerüberlassung auf5. Dem liegt die Wertung zugrunde, dass es für die Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes keinen Unterschied machen kann, ob sich der auf Arbeitnehmerüberlassung gerichtete wirkliche Wille der Vertragsparteien unmittelbar aus dem schriftlich niedergelegten Vertragstext oder erst aus der vom Willen der Vertragsparteien getragenen praktischen Durchführung des Vertrags ergibt6. Mit der Regelung des § 12 Abs. 1 Satz 2 AÜG hat der Gesetzgeber die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts umgesetzt7, der zufolge sich die Vertragsparteien dem Anwendungsbereich des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes nicht durch Vertragsgestaltung entziehen können. Das Eingreifen zwingender Schutzvorschriften des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes lässt sich nicht dadurch vermeiden, dass die Vertragsparteien einen vom Geschäftsinhalt abweichenden Vertragstyp wählen8.

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Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen darzulegen und zu beweisen, aus denen sich ergeben soll, dass gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher als zustande gekommen gilt. Die Grundsätze der sekundären Darlegungslast können jedoch eine Abstufung der Darlegungs- und Beweislast verlangen. Kann eine darlegungspflichtige Partei die erforderlichen Tatsachen nicht vortragen, weil sie außerhalb des für ihren Anspruch erheblichen Geschehensablaufs steht, genügt das einfache Bestreiten durch den Gegner nicht, wenn dieser die wesentlichen Umstände kennt und ihm nähere Angaben zuzumuten sind. Hier kann von ihm das substantiierte Bestreiten der behaupteten Tatsache unter Darlegung der für das Gegenteil sprechenden Tatsachen und Umstände verlangt werden. Erleichterungen der sekundären Darlegungslast greifen aber nur ein, wenn die darlegungspflichtige Partei alle ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausgeschöpft hat und sie dennoch ihrer primären Darlegungslast nicht nachkommen kann9.

Danach ist in dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall das in der Vorinstanz hiermit befasste Hessische Landesarbeitsgericht10 zutreffend davon ausgegangen, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG für eine Arbeitnehmerüberlassung vorliegen. Der Arbeitnehmer hat vorgetragen, bei der Entleiherin nicht aufgrund eines Werkvertrags, sondern im Rahmen einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung eingesetzt worden zu sein. Dazu hat er behauptet, der zwischen der Entleiherin und der E GmbH vertraglich festgelegte Leistungsgegenstand sei derart unbestimmt, dass er erst durch die Weisungen der Entleiherin konkretisiert werden müsse, und damit zum Ausdruck gebracht, der Inhalt der Vereinbarung zwischen der Entleiherin und seiner Vertragsarbeitgeberin habe eine Arbeitnehmerüberlassung zum Gegenstand. Zudem hat er auf einen gegen die Entleiherin verhängten Bußgeldbescheid des Hauptzollamts Darmstadt verwiesen, dem zufolge der Rahmenvertrag zwischen der Entleiherin und seiner Vertragsarbeitgeberin Hinweise auf eine Arbeitnehmerüberlassung enthalte. Zu einem weitergehenden Tatsachenvortrag war der Arbeitnehmer nicht in der Lage, weil ihm der konkrete Inhalt der vertraglichen Vereinbarungen nicht bekannt war. Es wäre nunmehr im Wege der sekundären Darlegungslast Sache der Entleiherin gewesen, dem entgegenzutreten und den Inhalt der vertraglichen Vereinbarungen darzulegen. Dies ist nicht erfolgt, obwohl das Landesarbeitsgericht der Entleiherin entsprechende Hinweise und Auflagen erteilt hat.

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Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25. Juli 2023 – 9 AZR 278/22

  1. BAG 27.09.2022 – 9 AZR 468/21, Rn. 31; 24.05.2022 – 9 AZR 337/21, Rn. 44[]
  2. BAG 27.09.2022 – 9 AZR 468/21, Rn. 32; 5.07.2022 – 9 AZR 323/21, Rn. 18[]
  3. BAG 27.09.2022 – 9 AZR 468/21, Rn. 33; 5.07.2022 – 9 AZR 323/21, Rn.19; allg. zum arbeitsvertraglichen Weisungsrecht vgl. BAG 1.12.2020 – 9 AZR 102/20, Rn. 35 ff., BAGE 173, 111[]
  4. vgl. BAG 20.09.2016 – 9 AZR 735/15, Rn. 46[]
  5. NK-GA/Ulrici 2. Aufl. AÜG § 12 Rn. 10; Schüren/Hamann/Hamann AÜG 6. Aufl. § 1 Rn. 170; Thüsing/Thüsing AÜG 4. Aufl. § 12 Rn. 17a; aA HWK/Höpfner 10. Aufl. AÜG § 12 Rn. 5, dem zufolge der Vorrang der Vertragsdurchführung in beide Richtungen gilt[]
  6. BAG 30.01.1991 – 7 AZR 497/89, zu II 2 der Gründe, BAGE 67, 124[]
  7. BT-Drs. 18/9232 S. 28[]
  8. vgl. BAG 15.04.2014 – 3 AZR 395/11, Rn. 21; 13.08.2008 – 7 AZR 269/07, Rn. 15 mwN[]
  9. vgl. BAG 27.09.2022 – 9 AZR 468/21, Rn. 35; 5.07.2022 – 9 AZR 323/21, Rn. 21[]
  10. Hess. LAG 07.04.2022 – 5 Sa 1082/21[]