Verdeckte Videoüberwachung am Arbeitsplatz – und das Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot

Ein Sachvortrags- oder Beweisverwertungsverbot wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einer Partei kann sich im arbeitsgerichtlichen Verfahren allein aus der Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung des Prozessrechts ergeben.

Verdeckte Videoüberwachung am Arbeitsplatz – und das Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot

Weder die Zivilprozessordnung noch das Arbeitsgerichtsgesetz enthalten Vorschriften zur prozessualen Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Erkenntnisse oder Beweise. Vielmehr gebieten der Anspruch auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 Abs. 1 GG und der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) grundsätzlich die Berücksichtigung des Sachvortrags der Parteien und der von ihnen angebotenen Beweismittel1. Dementsprechend bedarf es für die Annahme eines Beweisverwertungsverbots einer besonderen Legitimation und gesetzlichen Grundlage. Dies gilt nicht anders für ein etwaiges Sachvortragsverwertungsverbot2.

Die Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) über die Anforderungen an eine zulässige Datenverarbeitung begrenzen nicht die Zulässigkeit von Parteivorbringen und seine Verwertung im Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen. Dessen Normen konkretisieren und aktualisieren zwar den Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und am eigenen Bild (§ 1 Abs. 1 BDSG). Sie regeln, in welchem Umfang im Anwendungsbereich des Gesetzes Eingriffe durch öffentliche oder nichtöffentliche Stellen iSd. § 1 Abs. 2 BDSG in diese Rechtspositionen zulässig sind3, sehen Informations- und Auskunftsansprüche der Betroffenen (§§ 19, 19a, 33, 34 BDSG) sowie Ansprüche auf Berichtigung, Löschung und Sperrung von Daten (§§ 20, 35 BDSG) vor und normieren Tatbestände, in denen Verstöße eine Ordnungswidrigkeit oder gar Straftat darstellen (§§ 43, 44 BDSG). Sie ordnen für sich genommen jedoch nicht an, dass unter ihrer Missachtung gewonnene Erkenntnisse oder Beweismittel bei der Feststellung des Tatbestands im arbeitsgerichtlichen Verfahren vom Gericht nicht berücksichtigt werden dürften4.

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Ein Beweisverwertungsverbot oder ein Verbot, selbst unstreitigen Sachvortrag zu verwerten, kommt deshalb nur dann in Betracht, wenn dies aufgrund einer verfassungsrechtlich geschützten Position einer Prozesspartei zwingend geboten ist. Das Gericht tritt den Verfahrensbeteiligten in Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt gegenüber. Es ist daher nach Art. 1 Abs. 3 GG bei der Urteilsfindung an die insoweit maßgeblichen Grundrechte gebunden und zu einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung verpflichtet5. Dabei können sich auch aus materiellen Grundrechten wie Art. 2 Abs. 1 GG Anforderungen an das gerichtliche Verfahren ergeben, wenn es um die Offenbarung und Verwertung von persönlichen Daten geht, die grundrechtlich vor der Kenntnis durch Dritte geschützt sind. Das Gericht hat deshalb zu prüfen, ob die Verwertung von heimlich beschafften persönlichen Daten und Erkenntnissen, die sich aus diesen Daten ergeben, mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen vereinbar ist6. Dieses Recht schützt nicht allein die Privat- und Intimsphäre, sondern in seiner speziellen Ausprägung als Recht am eigenen Bild auch die Befugnis eines Menschen, selbst darüber zu entscheiden, ob Filmaufnahmen von ihm gemacht und möglicherweise gegen ihn verwendet werden dürfen. Auch wenn keine spezielle Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts betroffen ist, greift die Verwertung von personenbezogenen Daten in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein, das die Befugnis garantiert, selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu befinden7. Der Achtung dieses Rechts dient zudem Art. 8 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)8.

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Greift die prozessuale Verwertung eines Beweismittels in das allgemeine Persönlichkeitsrecht einer Prozesspartei ein, überwiegt das Interesse an seiner Verwertung und der Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege das Interesse am Schutz dieses Grundrechts nur dann, wenn weitere, über das schlichte Beweisinteresse hinausgehende Aspekte hinzutreten. Das Interesse, sich ein Beweismittel zu sichern, reicht für sich allein nicht aus9. Vielmehr muss sich gerade diese Art der Informationsbeschaffung und Beweiserhebung als gerechtfertigt erweisen10. Ein Beweisverwertungsverbot wegen eines ungerechtfertigten Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst dabei nicht nur das unrechtmäßig erlangte Beweismittel selbst, hier ggf. eine In-Augenscheinnahme der Videoaufzeichnungen, sondern auch dessen mittelbare Verwertung wie etwa die Vernehmung eines Zeugen über den Inhalt des Bildmaterials11.

Der Schutzzweck der bei der Informationsgewinnung verletzten Norm kann auch einer gerichtlichen Verwertung unstreitigen Sachvortrags entgegenstehen12. Das setzt voraus, dass es dem Schutzzweck etwa des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zuwiderliefe, selbst den inhaltlichen Gehalt eines Beweismittels in Form von Sachvortrag zB infolge von § 138 Abs. 3 ZPO oder § 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO zur Entscheidungsgrundlage zu machen13. Unstreitiger Sachvortrag ist nicht allein deshalb stets uneingeschränkt verwertbar, weil die durch diesen belastete Partei die Möglichkeit des Bestreitens hätte. Eine Partei im zivil- und arbeitsgerichtlichen Verfahren unterliegt vielmehr der Wahrheitspflicht nach § 138 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO. Sie kann daher nicht gezwungen sein, grundrechtswidrig über sie erlangte Informationen bestreiten zu müssen, um ihre Rechte zu wahren14. Ein mögliches Verwertungsverbot ist dabei Ausfluss der Grundrechtsbindung der Gerichte, deren Beachtung ihnen grundsätzlich unabhängig davon obliegt, ob sich eine Partei darauf beruft15.

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Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. Oktober 2016 – 2 AZR 395/15

  1. BVerfG 9.10.2002 – 1 BvR 1611/96 ua., zu C II 4 a aa der Gründe, BVerfGE 106, 28[]
  2. BAG 22.09.2016 – 2 AZR 848/15, Rn. 21[]
  3. BAG 21.11.2013 – 2 AZR 797/11, Rn. 45, BAGE 146, 303; für das DSG NRW vgl. BAG 15.11.2012 – 6 AZR 339/11, Rn. 16, BAGE 143, 343[]
  4. BAG 22.09.2016 – 2 AZR 848/15, Rn. 22[]
  5. BVerfG 13.02.2007 – 1 BvR 421/05, Rn. 93, BVerfGE 117, 202[]
  6. so auch BGH 15.05.2013 – XII ZB 107/08, Rn. 21[]
  7. BVerfG 11.03.2008 – 1 BvR 2074/05 ua. – BVerfGE 120, 378[]
  8. BAG 22.09.2016 – 2 AZR 848/15, Rn. 23; BGH 15.05.2013 – XII ZB 107/08, Rn. 14[]
  9. BVerfG 13.02.2007 – 1 BvR 421/05, Rn. 94, BVerfGE 117, 202[]
  10. BVerfG 9.10.2002 – 1 BvR 1611/96 ua., zu C II 4 a der Gründe, BVerfGE 106, 28; BAG 22.09.2016 – 2 AZR 848/15, Rn. 24[]
  11. BVerfG 31.07.2001 – 1 BvR 304/01, zu II 1 b bb der Gründe[]
  12. BAG 22.09.2016 – 2 AZR 848/15, Rn. 25 mwN, auch zur gegenteiligen Auffassung[]
  13. Weber ZZP 2016, 57, 81[]
  14. im Einzelnen BAG 16.12 2010 – 2 AZR 485/08, Rn. 32[]
  15. BAG 22.09.2016 – 2 AZR 848/15 – aaO[]