Die Tarifbestimmung des § 15 Abs. 8 des Manteltarifvertrags für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen vom 25.07.2008 (MTV) ist insoweit wirksam, als sie einen Verfall des Mehrurlaubs am 30.04.des auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres vorsieht.

Die unionsrechtlichen Vorgaben, die das Bundesarbeitsgericht zum Anlass genommen hat, § 7 Abs. 3 BUrlG fortzubilden, betreffen ausschließlich den gesetzlichen Urlaubsanspruch von vier Wochen. Die Tarifvertragsparteien können Urlaubsansprüche, die darüber hinausgehen, frei regeln1. Ihre Regelungsmacht schließt die Befristung des Mehrurlaubs ein. Unionsrecht steht einem tariflich angeordneten Verfall des Mehrurlaubs nicht entgegen2. Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union zwecks Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV ist deshalb nicht erforderlich.
Für einen Regelungswillen der Tarifvertragsparteien, den tariflichen Mehrurlaub einem eigenen, von dem des gesetzlichen Urlaubs abweichenden Fristenregime zu unterstellen, müssen deutliche Anhaltspunkte vorliegen. Fehlen solche, ist von einem „Gleichlauf“ des gesetzlichen Urlaubsanspruchs und des Anspruchs auf tariflichen Mehrurlaub auszugehen. Ein „Gleichlauf“ ist nicht gewollt, wenn die Tarifvertragsparteien entweder bei der Befristung und Übertragung oder beim Verfall des Urlaubs zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und tariflichem Mehrurlaub unterschieden oder sich vom gesetzlichen Fristenregime gelöst und eigenständige; vom BUrlG abweichende Regelungen zur Befristung und Übertragung oder zum Verfall des Urlaubsanspruchs getroffen haben3.
Die Parteien des MTV haben sich vom gesetzlichen Fristenregime gelöst und eigenständige; vom BUrlG abweichende Regelungen zur Übertragung und zum Verfall des Urlaubsanspruchs getroffen. Nach der Urlaubskonzeption des MTV soll der Arbeitnehmer das Risiko tragen, dass der Anspruch auf Mehrurlaub infolge Arbeitsunfähigkeit nicht erfüllbar ist. Dies folgt aus § 15 Abs. 8 MTV, demzufolge der Urlaub im Falle der Übertragung in den ersten vier Monaten des folgenden Kalenderjahres zu gewähren und zu nehmen ist. Hierin weicht der MTV von der gesetzlichen Regelung in § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG ab, die lediglich einen Übertragungszeitraum von drei Monaten vorsieht.
Unerheblich ist, dass die eigenständige Tarifregelung im Hinblick auf den gesetzlichen Mindesturlaub unwirksam ist (§ 13 Abs. 1 Satz 1, § 1 BUrlG iVm. § 134 BGB)). Für den vom gesetzlichen Urlaub abtrennbaren Teil der einheitlich geregelten Gesamturlaubsdauer, den tariflichen Mehrurlaub, bleibt sie gemäß § 139 BGB wirksam4.
Die Arbeitgeberin schuldet die Gewährung von Mehrurlaub im vorliegenden Fall auch nicht aufgrund einer einzelvertraglichen Vereinbarung. Die Erklärung des Arbeitgebers, er gewähre einem Arbeitnehmer Erholungsurlaub, ist im Regelfall Erfüllungs-, nicht aber Verpflichtungshandlung. Der Arbeitgeber bringt mit der Freistellungserklärung regelmäßig zum Ausdruck, dass er bestehende Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers durch die Freistellung von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung für einen bestimmten Zeitraum erfüllen will. Ein von einem rechtsgeschäftlichen Erklärungsbewusstsein getragener Wille des Arbeitgebers, durch die Freistellungserklärung bereits verfallene Urlaubsansprüche neu zu begründen und diese im selben Akt (uno actu) zu erfüllen, kann nur unter besonderen Umständen angenommen werden.
Hat der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer rechtzeitig verlangten Urlaub nicht gewährt, wandelt sich der im Verzugszeitraum verfallene Urlaubsanspruch in einen auf Gewährung von Ersatzurlaub als Naturalrestitution gerichteten Schadensersatzanspruch nach § 275 Abs. 1 und 4, § 280 Abs. 1 und 3, § 283 Satz 1, § 286 Abs. 2 Nr. 3, § 287 Satz 2, § 249 Abs. 1 BGB um5. Hierzu muss sich der Arbeitgeber allerdings mit der Urlaubsgewährung in vErzug befunden haben als der Urlaubsanspruch mit Ablauf des tariflichen Übertragungszeitraums verfiel. In seiner Entscheidung vom 17.05.20116 hat das Bundesarbeitsgericht dahinstehen lassen, ob in der Forderung des Arbeitnehmers, seinem Urlaubskonto Urlaubstage gutzuschreiben, eine Mahnung iSd. § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB liegt. Das Bundesarbeitsgericht braucht die Frage auch hier nicht zu beantworten. Die Arbeitnehmerin verlangte vorliegend erstmals mit Schreiben vom 30.07.2009 von der Arbeitgeberin, ihr ua. zwölf Arbeitstage tariflichen Mehrurlaub aus dem Jahr 2008 gutzuschreiben. Zu diesem Zeitpunkt war der Anspruch bereits verfallen.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12. November 2013 – 9 AZR 551/12