Verfall von Versorgungsanwartschaften – und die Altersdiskriminierung junger Arbeitnehmer

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG aF bleibt einem Arbeitnehmer, dem Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zugesagt worden sind, die Anwartschaft erhalten, wenn das Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versorgungsfalls, jedoch nach Vollendung des 35. Lebensjahres endet und die Versorgungszusage zu diesem Zeitpunkt mindestens zehn Jahre bestanden hat oder der Beginn der Betriebszugehörigkeit mindestens zwölf Jahre zurückliegt und die Versorgungszusage für ihn mindestens drei Jahre bestanden hat.

Verfall von Versorgungsanwartschaften – und die Altersdiskriminierung junger Arbeitnehmer

Die in § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG aF für die Unverfallbarkeit bestimmte Altersgrenze von 35 Jahren verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.

Die gesetzlichen Unverfallbarkeitsregelungen sind nicht am Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, sondern unmittelbar an den verfassungs- und unionsrechtlichen Vorgaben zu messen. Es geht nicht um die Vereinbarkeit einer Versorgungszusage, sondern der gesetzlichen Unverfallbarkeitsbestimmungen des Betriebsrentengesetzes mit höherrangigem Recht. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ist kein gegenüber dem Betriebsrentengesetz höherrangiges Recht. Deshalb kommt nur eine Überprüfung der gesetzlichen Unverfallbarkeitsregelungen anhand des Verfassungs- und Unionsrechts in Betracht1.

Das in § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung für den Erwerb unverfallbarer Versorgungsanwartschaften festgelegte Mindestalter von 35 Jahren bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist mit Unionsrecht vereinbar. Die Altersgrenze verstößt weder gegen das durch die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf2 konkretisierte primärrechtliche Verbot der Diskriminierung wegen des Alters noch gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts.

Die Regelung in § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG aF fällt in den Geltungsbereich des Unionsrechts. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union konkretisiert die Richtlinie 2000/78/EG den primärrechtlichen Grundsatz des Verbots der Diskriminierung wegen des Alters3. Die betriebliche Altersversorgung ist ein Bestandteil des Arbeitsentgelts nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2000/78/EG. Unter „Arbeitsentgelt“ im Sinne dieser Regelung sind nach Art. 119 EG-Vertrag, Art. 141 EGV und Art. 157 Abs. 2 AEUV ua. Gehälter und alle sonstigen Vergütungen zu verstehen, die der Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer unmittelbar oder mittelbar in bar oder in Sachleistungen gewährt. Dazu können auch Leistungen zählen, die erst nach dem Ende der aktiven Dienstzeit gewährt werden4.

§ 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG aF bewirkt eine unmittelbare Ungleichbehandlung wegen des Alters iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG. Die Regelung in § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG aF führt dazu, dass Arbeitnehmer, deren Versorgungszusage länger als zehn Jahre bestanden hat und die vor Vollendung des 35. Lebensjahres aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sind, ungünstiger behandelt werden als Arbeitnehmer, die nach der Vollendung des 35. Lebensjahres mit derselben Zusagedauer aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sind. Diese Ungleichbehandlung ist nach Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG gerechtfertigt.

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Art. 6 der Richtlinie 2000/78/EG betrifft die „gerechtfertigte Ungleichbehandlung wegen des Alters“. Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2000/78/EG können die Mitgliedstaaten ungeachtet des Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG vorsehen, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Für den Bereich der betrieblichen Altersversorgung enthält Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG eine Spezialregelung. Danach können die Mitgliedstaaten ungeachtet des Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG vorsehen, dass bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit die Festsetzung von Altersgrenzen als Voraussetzung für die Mitgliedschaft oder den Bezug von Altersrente oder von Leistungen bei Invalidität keine Diskriminierung wegen des Alters darstellt, solange dies nicht zu Diskriminierungen wegen des Geschlechts führt. Danach sind die Mitgliedstaaten, soweit es um die betrieblichen Systeme der sozialen Sicherheit geht, bei der Umsetzung der Richtlinie 2000/78/EG in nationales Recht nicht verpflichtet, die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG einzuhalten. Die Festsetzung von Altersgrenzen in den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit ist somit unionsrechtlich in der Regel zulässig. Damit werden Hindernisse, die der Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung entgegenstehen können, beseitigt5.

Daher ist es grundsätzlich zulässig, die Unverfallbarkeit von Anwartschaften auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung an das Erreichen eines bestimmten Mindestalters zu knüpfen6. Darin liegt eine Altersgrenze für die Mitgliedschaft in den Systemen der betrieblichen Altersversorgung7.

Die in § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG aF festgelegte Altersgrenze von 35 Jahren als Voraussetzung für das Entstehen einer unverfallbaren Anwartschaft auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung führt nicht zu einer Diskriminierung wegen des Geschlechts. Eine allenfalls denkbare mittelbare Diskriminierung liegt nicht vor. Dies hat das Bundesarbeitsgericht bereits mit Urteil vom 18.10.20058 entschieden und mit Urteil vom 09.10.20129 ausdrücklich bestätigt.

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Es kann dahinstehen, ob die in § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG aF bestimmte Altersgrenze wegen des Ausnahmecharakters der Regelung in Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG einer zusätzlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung bedarf10. Die Festlegung eines Mindestalters von 35 Jahren als Voraussetzung für die Unverfallbarkeit ist im Hinblick auf das mit der gesetzlichen Unverfallbarkeit verfolgte sozialpolitische Ziel der Förderung der betrieblichen Altersversorgung verhältnismäßig. Die Altersgrenze von 35 Jahren ist zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

Durch die Festlegung eines Mindestalters des Arbeitnehmers bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses als Voraussetzung für die Unverfallbarkeit soll verhindert werden, dass Anwartschaften auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung, die nur zu einem geringen Rentenanspruch führen, vom Arbeitgeber über einen längeren Zeitraum hinweg verwaltet werden müssen. Ein solcher Verwaltungsaufwand könnte Arbeitgeber veranlassen, von der Erteilung von Versorgungszusagen insgesamt abzusehen. Die gesetzlichen Unverfallbarkeitsvoraussetzungen tragen daher dazu bei, Hindernisse bei der Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung zu beseitigen11.

Das gewählte Mittel einer Altersgrenze von 35 Jahren ist zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich. Der Gesetzgeber musste sich nicht auf die Festlegung einer Mindestzusagedauer oder einer Mindestbetriebszugehörigkeit beschränken. Dadurch wird zwar die Entstehung unverfallbarer Klein- und Kleinstanwartschaften vermieden. Um zu verhindern, dass relativ geringe Versorgungsanwartschaften nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis über Jahrzehnte hinweg vom Arbeitgeber verwaltet werden müssen, ist eine zusätzliche Mindestaltersgrenze bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein geeignetes und angemessenes Mittel. Je jünger der Arbeitnehmer bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist, desto länger muss der Arbeitgeber die Anwartschaften fortführen. Durch den Verfall von Versorgungsanwartschaften bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor der Vollendung des 35. Lebensjahres werden die Belange der betroffenen Arbeitnehmer nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt. Sie haben die Möglichkeit, den durch den Verfall eintretenden Verlust von Versorgungsanwartschaften im weiteren Erwerbsleben und durch Eigenvorsorge auszugleichen12.

Die Festlegung des Mindestalters auf 35 Jahre in § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung ist – auch unter Berücksichtigung unionsrechtlicher Vorgaben – von dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers gedeckt. Er war nicht gehalten, ein jüngeres Lebensalter als Mindestaltersgrenze zu bestimmen. Die Mitgliedstaaten haben bei der Wahl der Mittel, die sie zur Verwirklichung ihrer sozial- und beschäftigungspolitischen Ziele ergreifen, einen weiten Entscheidungsspielraum13. Im Hinblick auf diese Gestaltungsfreiheit stellt die Festlegung eines Mindestalters von 35 Jahren ein geeignetes und angemessenes Mittel dar, die betriebliche Altersversorgung zu fördern und die Arbeitgeber nicht durch eine uneingeschränkte Unverfallbarkeit von der Gewährung derartiger Leistungen abzuhalten.14. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber mit der Regelung in § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG aF den Sozialschutz der Arbeitnehmer verbessert hat. Vorangegangen war eine richterliche Rechtsfortbildung, wonach Anwartschaften bei ordentlicher Arbeitgeberkündigung vor Eintritt des Versorgungsfalls nach mehr als 20-jähriger Betriebszugehörigkeit nicht verfallen15. Bis dahin verfielen Anwartschaften bei einem vorzeitigen Ausscheiden des Arbeitnehmers. Die in § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG aF bestimmte Altersgrenze von 35 Jahren ist – ebenso wie die Mindestbeschäftigungszeit – das Ergebnis eines Kompromisses zwischen Sozialschutz und Berufsfreiheit der Arbeitnehmer einerseits sowie der unternehmerischen Freiheit und dem Bindungsinteresse des Arbeitgebers andererseits. Dabei hat der Gesetzgeber berücksichtigt, dass die Fluktuationsrate bis zum Lebensalter von 35 Jahren noch sehr hoch war16. Im Hinblick auf den weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers stellte die Altersgrenze von 35 Jahren ein geeignetes und angemessenes Mittel zur Förderung der betrieblichen Altersversorgung dar14. Die Altersgrenze von 35 Jahren hält daher einer Verhältnismäßigkeitsprüfung stand. Sie genügt im Übrigen aus den genannten Gründen auch den Vorgaben des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG.

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Einer Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV bedarf es nach Ansicht des Bundesarbeitsgericht nicht. Es stellen sich keine Fragen der Auslegung des Unionsrechts, die noch nicht geklärt wären.

Die Auslegung des unionsrechtlichen Grundsatzes des Verbots der Diskriminierung wegen des Alters einschließlich des Rückgriffs auf die Richtlinie 2000/78/EG zu dessen Konkretisierung ist durch die Entscheidung des Gerichtshofs in der Sache „Kücükdeveci“17 geklärt, so dass eine Vorlagepflicht entfällt18. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist es den nationalen Gerichten vorbehalten zu prüfen, ob ein Grund iSd. Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG gegeben ist, der eine Ungleichbehandlung wegen des Alters rechtfertigt19.

Die Frage, ob die Festlegung der Altersgrenze von 35 Jahren für das Entstehen einer unverfallbaren Anwartschaft auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung gegen Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG verstößt, weil die Festlegung dieses Mindestalters zu einer Diskriminierung wegen des Geschlechts führen könnte, löst ebenfalls keine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV aus20.

Einer Vorlage bedarf es auch nicht zur Klärung der Frage, ob Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG eine Verhältnismäßigkeitsprüfung erfordert. Diese Frage ist nicht entscheidungserheblich, da die Altersgrenze von 35 Jahren einer Verhältnismäßigkeitsprüfung standhält.

Die Vorschrift des § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG aF verstößt auch nicht gegen nationales Verfassungsrecht. Dies hat das Bundesarbeitsgericht bereits mit Urteil vom 18.10.200521 entschieden. Die Revision zeigt keine neuen Gesichtspunkte auf, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigen könnten.

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§ 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG aF verletzt weder das verfassungsrechtliche Lohngleichheitsgebot aus Art. 3 Abs. 3 GG noch den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG aF stellt, um das übergeordnete Ziel einer möglichst weiten Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung zu erreichen, einen angemessenen Ausgleich zwischen der unternehmerischen Freiheit des Arbeitgebers und dem Sozialschutz der Arbeitnehmer dar22. Für die unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnis vor der Vollendung des 35. Lebensjahres endet, gegenüber Arbeitnehmern, die nach der Vollendung des 35. Lebensjahres aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden, in Bezug auf den Erwerb einer unverfallbaren Anwartschaft auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung besteht daher ein sachlicher Grund23.

Ebenso wenig verstößt § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG aF gegen Art. 6 Abs. 1 GG. Aus dem Verfassungsauftrag zum wirksamen Familienlastenausgleich lassen sich keine konkreten Folgerungen für das Betriebsrentengesetz ableiten24.

Schließlich werden auch die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit und die Freiheit der Wahl des Arbeitsplatzes durch die Regelung nicht verletzt. Es ist nicht ersichtlich, dass das Mindestalter von 35 Jahren für den Erwerb einer unverfallbaren Anwartschaft auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung Arbeitnehmer faktisch an der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses hindert25.

Kein Schadenseratzanspruch

Die Arbeitgeberin hat den Arbeitnehmer auch nicht im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als hätte er in dem Arbeitsverhältnis mit der Arbeitgeberinn eine unverfallbare Anwartschaft auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung erworben. Dem Arbeitnehmer steht weder ein Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB noch nach § 15 AGG zu.

Ein Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB besteht nicht. Die Arbeitgeberin hat den Arbeitnehmer anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Jahr 1988 zwar nicht auf den nach § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG aF eintretenden Verfall der Anwartschaften auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung hingewiesen. Hierzu war die Arbeitgeberin jedoch entgegen der Auffassung des Arbeitnehmers nicht verpflichtet.

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Der Arbeitgeber ist aufgrund einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht gehalten, die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitnehmers so zu wahren, wie dies unter Berücksichtigung der Interessen und Belange beider Vertragspartner nach Treu und Glauben verlangt werden kann. Die Schutz- und Rücksichtnahmepflicht des Arbeitgebers gilt auch für die Vermögensinteressen der Arbeitnehmer26. Daraus können sich Hinweis- und Informationspflichten des Arbeitgebers ergeben.

Die arbeitsrechtlichen Nebenpflichten des Arbeitgebers beschränken sich nicht darauf, den Arbeitnehmern keine falschen und unvollständigen Auskünfte zu erteilen27. Zur Vermeidung von Rechtsnachteilen kann der Arbeitgeber verpflichtet sein, von sich aus geeignete Hinweise zu geben. Grundsätzlich hat allerdings jede Partei für die Wahrnehmung ihrer Interessen selbst zu sorgen und sich Klarheit über die Folgen ihres Handelns zu verschaffen. Hinweis- und Aufklärungspflichten beruhen auf den besonderen Umständen des Einzelfalls und sind das Ergebnis einer umfassenden Interessenabwägung28.

Gesteigerte Informationspflichten können den Arbeitgeber vor allem dann treffen, wenn eine nachteilige Vereinbarung – etwa über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses – auf seine Initiative und in seinem Interesse getroffen wird29.

Danach bestand keine Verpflichtung der Arbeitgeberinn, den Arbeitnehmer vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf den nach § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG aF eintretenden Verfall seiner Versorgungsanwartschaften hinzuweisen. Der Arbeitnehmer hat nicht behauptet, dass die Initiative zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses von der Arbeitgeberinn ausgegangen ist. Selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, wäre die Arbeitgeberin nicht verpflichtet gewesen, den Arbeitnehmer auf § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG aF hinzuweisen. Eine allgemeine Hinweispflicht auf von Gesetzes wegen mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses einhergehende Rechtsfolgen trifft den Arbeitgeber nicht.

Die Arbeitgeberin schuldet dem Arbeitnehmer auch nicht nach § 15 AGG Schadensersatz oder eine Entschädigung. Die Arbeitgeberin hat den Arbeitnehmer nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes ungerechtfertigt benachteiligt.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 15. Oktober 2013 – 3 AZR 10/12

  1. BAG 28.05.2013 – 3 AZR 635/11, Rn. 13[]
  2. ABl. L 303 vom 02.12.2000 S. 16; im Folgenden: Richtlinie 2000/78/EG[]
  3. EuGH 19.01.2010 – C-555/07 [Kücükdeveci] Rn.20, Slg. 2010, I-365[]
  4. EuGH 23.10.2003 – C-4/02 und C-5/02 [Schönheit und Becker] Rn. 56 ff., Slg. 2003, I-12575; BAG 28.05.2013 – 3 AZR 635/11, Rn. 15[]
  5. BAG 28.05.2013 – 3 AZR 635/11, Rn. 17; 12.02.2013 – 3 AZR 100/11, Rn. 28; 11.08.2009 – 3 AZR 23/08, Rn. 40, BAGE 131, 298[]
  6. vgl. etwa Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto BetrAVG 5. Aufl. § 1b Rn. 71b; Cisch/Böhm BB 2007, 602, 608; Rolfs NZA 2008, 553, 555[]
  7. BAG 28.05.2013 – 3 AZR 635/11, Rn. 18[]
  8. BAG 18.10.2005 – 3 AZR 506/04, Rn. 18, BAGE 116, 152[]
  9. BAG 09.10.2012 – 3 AZR 477/10, Rn. 21 ff.[]
  10. dagegen EuGH, Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 07.02.2013 in der Sache – C-476/11 [HK Danmark] Rn. 50[]
  11. vgl. zum Mindestalter von 30 Jahren nach § 1b Abs. 1 iVm. § 30f BetrAVG: BAG 28.05.2013 – 3 AZR 635/11, Rn. 22[]
  12. vgl. zum Mindestalter von 30 Jahren nach § 1b Abs. 1 iVm. § 30f BetrAVG: BAG 28.05.2013 – 3 AZR 635/11, Rn. 23[]
  13. EuGH 14.12.1995 – C-317/93 [Nolte] Rn. 33, Slg. 1995, I-4625; 9.02.1999 – C-167/97 [Seymour-Smith und Perez] Rn. 74, Slg. 1999, I-623[]
  14. vgl. BAG 18.10.2005 – 3 AZR 506/04, Rn.20, BAGE 116, 152[][]
  15. BAG 10.03.1972 – 3 AZR 278/71, BAGE 24, 177[]
  16. BT-Drucks. 7/2843 S. 7[]
  17. EuGH 19.01.2010 – C-555/07 – Slg. 2010, I-365[]
  18. vgl. EuGH 6.10.1982 – C-283/81 [C.I.L.F.I.T.] Slg. 1982, 3415[]
  19. EuGH 5.03.2009 – C-388/07 [Age Concern England] Rn. 47 ff., Slg. 2009, I-1569[]
  20. vgl. hierzu ausführlich: BAG 28.05.2013 – 3 AZR 635/11, Rn. 29 f.[]
  21. BAG 18.10.2005 – 3 AZR 506/04, Rn. 21 ff., BAGE 116, 152[]
  22. vgl. BAG 9.10.2012 – 3 AZR 477/10, Rn. 32[]
  23. vgl. für die spätere Regelung in § 1b Abs. 1 Satz 1 iVm. § 30f Abs. 1 BetrAVG: BAG 28.05.2013 – 3 AZR 635/11, Rn. 34[]
  24. BAG 18.10.2005 – 3 AZR 506/04, Rn. 24, BAGE 116, 152[]
  25. vgl. BAG 9.10.2012 – 3 AZR 477/10, Rn. 34; 18.10.2005 – 3 AZR 506/04, Rn. 25, BAGE 116, 152[]
  26. vgl. BAG 14.01.2009 – 3 AZR 71/07, Rn. 26; 21.11.2000 – 3 AZR 13/00, zu B 2 b der Gründe mwN[]
  27. vgl. etwa BAG 23.05.1989 – 3 AZR 257/88, zu 2 b der Gründe mwN[]
  28. vgl. BAG 14.01.2009 – 3 AZR 71/07, Rn. 27; 11.12.2001 – 3 AZR 339/00, zu II 3 der Gründe[]
  29. vgl. BAG 17.10.2000 – 3 AZR 605/99, zu II 2 a der Gründe; 3.07.1990 – 3 AZR 382/89, zu II 2 a der Gründe[]
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