Ein Unternehmen, dessen Zweck die Vermietung von Baumaschinen mit Bedienungspersonal ist, unterliegt der Beitragspflicht in das Sozialkassensystem der Bauwirtschaft nach § 7 Abs. 3 bis Abs. 7 iVm. den Anlagen 28 bis 32 SokaSiG.

Die Beitragspflicht für die gewerblichen Arbeitnehmer folgt für den Zeitraum vom 01.01.2011 bis zum 30.06.2013 aus § 1 Abs. 1, Abs. 2 Abschn. II, Abschn. V Nr. 10, Nr. 29, Nr. 36 und Nr. 39, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 iVm. § 18 Abs. 1 Satz 1, § 21 Abs. 1 Satz 1 des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 18.12 2009 in der jeweils maßgeblichen, aus den Anlagen 30, 31 und 32 zu § 7 SokaSiG ersichtlichen Fassung. Für den Zeitraum vom 01.07.2013 bis zum 30.09.2014 ergibt sich die Beitragspflicht der Arbeitgeberin aus § 1 Abs. 1, Abs. 2 Abschn. II, Abschn. V Nr. 10, Nr. 29, Nr. 36 und Nr. 39, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 iVm. § 15 Abs. 1 Satz 1, § 18 Abs. 1 Satz 1 VTV vom 03.05.2013 in der jeweils maßgeblichen, aus den Anlagen 28 und 29 zu § 7 SokaSiG ersichtlichen Fassung.
Die von dem Unternehmen beschäftigten Baumaschinisten werden als gewerbliche Arbeitnehmer vom persönlichen Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge erfasst (§ 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VTV).
Der betriebliche Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eröffnet, wenn in dem fraglichen Betrieb in den Kalenderjahren des Anspruchszeitraums arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten ausgeführt wurden, die unter § 1 Abs. 2 Abschn. I bis Abschn. V der Verfahrenstarifverträge fallen. Für den Anwendungsbereich der Verfahrenstarifverträge reicht es aus, wenn in dem Betrieb überwiegend eine oder mehrere der in den Beispielen ihres § 1 Abs. 2 Abschn. V genannten Tätigkeiten ausgeübt werden. Der Betrieb wird dann stets von dem betrieblichen Geltungsbereich erfasst, ohne dass die allgemeinen Merkmale der Abschnitte I bis III zusätzlich geprüft werden müssen1.
Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass in einem Betrieb arbeitszeitlich überwiegend baugewerbliche Tätigkeiten verrichtet werden, obliegt der Sozialkasse. Ihr Sachvortrag ist schlüssig, wenn sie Tatsachen aufzeigt, die den Schluss zulassen, der Betrieb des Arbeitgebers werde vom betrieblichen Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge erfasst. Dazu gehört neben der Darlegung von Arbeiten, die sich § 1 Abs. 2 der Verfahrenstarifverträge zuordnen lassen, auch das Vorbringen, dass diese Tätigkeiten insgesamt arbeitszeitlich überwiegen. Nicht erforderlich ist, dass die Sozialkasse jede Einzelheit der behaupteten Tätigkeiten vorträgt. Dies kann sie in der Regel nicht. Da sie in ihrer Funktion als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien zumeist keine näheren Einblicke in die dem Gegner bekannten Arbeitsabläufe hat und ihr die Darlegung deshalb erschwert ist, kann sie, wenn Anhaltspunkte für einen Baubetrieb vorliegen, auch von ihr nur vermutete Tatsachen behaupten und unter Beweis stellen. Ist entsprechender Tatsachenvortrag gehalten, hat sich der Arbeitgeber hierzu nach § 138 Abs. 2 ZPO zu erklären. Regelmäßig obliegt ihm die Last des substantiierten Bestreitens, weil die Sozialkasse außerhalb des Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen hat, während der Arbeitgeber sie kennt und ihm die entsprechenden Angaben zuzumuten sind. Das substantiierte Bestreiten kann sich auf die Art und/oder den Umfang der verrichteten Arbeiten beziehen. Um feststellen zu können, welche Tätigkeiten in welchem Umfang ausgeübt wurden, muss der Arbeitgeber im Rahmen des substantiierten Bestreitens entsprechende Tatsachen vortragen. Dazu gehört die Darlegung der zeitlichen Anteile der verschiedenen Tätigkeiten2.
Danach unterfällt die Vermietung von Baumaschinen mit Bedienungspersonal dem Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge. Arbeitszeitlich überwiegend wurden bauliche Leistungen iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. II und Abschn. V Nr. 29, Nr. 36 und Nr. 39 der Verfahrenstarifverträge erbracht.
Für Abbrucharbeiten ist der betriebliche Geltungsbereich nach § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 29 der Verfahrenstarifverträge eröffnet. Der Erdbau wird als Fachgebiet des Tiefbaus von § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 36 der Verfahrenstarifverträge erfasst3. Betriebe, die Schuppen instand setzen, unterfallen dem betrieblichen Geltungsbereich nach § 1 Abs. 2 Abschn. II der Verfahrenstarifverträge. Der Rückbau von Leitungsmasten und einer Trafostation stellt jedenfalls eine die Änderung oder Beseitigung von Bauwerken betreffende Tätigkeit iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. II der Verfahrenstarifverträge dar.
Die Vermietung von Kettenbaggern mit Baggerführern an Abbruchunternehmen zur Aufarbeitung des Abbruchguts erfüllt das Tätigkeitsbeispiel des § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 39 der Verfahrenstarifverträge.
Eine Baumaschine ist eine Maschine, die bei der Ausführung von Hoch- und Tiefbauarbeiten verwendet wird4. Dass diese Voraussetzungen bei einem Kettenbagger erfüllt sind, stellt auch die Arbeitgeberin nicht infrage. Kettenbagger werden typischerweise im Tiefbau ua. zum Ausheben und Wiederverfüllen von Baugruben und Schächten sowie zum Lösen und Bewegen von Schüttgütern eingesetzt. Sie finden, wie auch der Streitfall zeigt, ebenfalls Verwendung bei der Aufarbeitung von Bauschutt.
Bei den auf den Kettenbaggern eingesetzten Baumaschinisten handelt es um „Bedienungspersonal“ im Tarifsinn5. Durch ihre Überlassung wurde dem jeweiligen Mieter der bestimmungsgemäße Einsatz der Kettenbagger überhaupt erst ermöglicht.
Indem die Arbeitgeberin ihren Kunden die Gebrauchsüberlassung der Kettenbagger samt Baggerführern nach Stunden in Rechnung gestellt hat, wurden die Baumaschinen im Sinne der der Tarifvorschrift „vermietet“. Hierfür ist allein entscheidend, dass die Maschinen nach mietrechtlichen Grundsätzen zum Gebrauch überlassen werden6. Dies hat die Arbeitgeberin nicht bestritten. Die jeweils erfolgte Abrechnung nach Zeit ist im Übrigen typisch für eine derartige „Vermietung“7.
Der Einsatz von Baumaschinen mit Bedienungspersonal erfolgt „zur Erbringung baulicher Leistungen“, wenn mit ihrer Hilfe Leistungen iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. I bis Abschn. V der Verfahrenstarifverträge oder damit im Zusammenhang stehende Tätigkeiten ausgeführt werden.
Die Verfahrenstarifverträge definieren den Begriff „bauliche Leistungen“ eigenständig. Er umfasst nach ihrem § 1 Abs. 2 nicht nur die gewerbliche Erstellung von Bauten (Abschn. I), sondern darüber hinaus alle Arbeiten, die irgendwie – wenn auch nur auf einem kleinen und speziellen Gebiet – der Errichtung und Vollendung von Bauwerken oder auch der Instandsetzung oder Instandhaltung von Bauwerken zu dienen bestimmt sind, sodass diese in vollem Umfang ihre bestimmungsgemäßen Zwecke erfüllen können (Abschn. II)8. Zu den „baulichen Leistungen“ im Tarifsinn zählen insbesondere die in § 1 Abs. 2 Abschn. IV und Abschn. V der Verfahrenstarifverträge genannten Beispiele von baulichen Haupttätigkeiten9.
„Bauliche Leistungen“ sind darüber hinaus auch alle Arbeiten, die branchenüblich und zur sachgerechten Ausführung der in § 1 Abs. 2 Abschn. I bis Abschn. V der Verfahrenstarifverträge genannten baugewerblichen Tätigkeiten notwendig sind10. Ein Zusammenrechnen kommt bei solchen Tätigkeiten in Betracht, die unmittelbar zur Ausführung der jeweiligen Bautätigkeit erforderlich sind, dieser üblicherweise von ihrer Wertigkeit her untergeordnet sind und deshalb regelmäßig auch von ungelernten Hilfskräften verrichtet werden können11. Das Hinzurechnen einer Zusammenhangstätigkeit setzt dabei grundsätzlich eine eigene baugewerbliche Haupttätigkeit voraus. Daher unterfällt ein Betrieb, der ausschließlich Zusammenhangstätigkeiten erbringt, ohne zugleich baugewerbliche Tätigkeiten und Arbeiten auszuführen, nicht dem betrieblichen Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge12.
Die Tarifvertragsparteien haben den Begriff „bauliche Leistungen“ in § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 39 VTV nicht anderweitig definiert. Deshalb ist davon auszugehen, dass sie ihm in diesem Zusammenhang dieselbe Bedeutung beimessen wollen13. Soweit dem Urteil vom 13.11.201314 entnommen werden könnte, das Tätigkeitsbeispiel in § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 39 der Verfahrenstarifverträge erfordere stets bauliche Leistungen iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. I der Verfahrenstarifverträge, hält das Bundesarbeitsgericht daran nicht fest. Vielmehr wird eine Baumaschine „zur Erbringung baulicher Leistungen“ eingesetzt, wenn mit ihrer Hilfe Tätigkeiten iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. I bis Abschn. V der Verfahrenstarifverträge oder damit im Zusammenhang stehende Arbeiten ausgeführt werden15.
Danach wurden die mit Bedienungspersonal vermieteten Kettenbagger zur Erbringung baulicher Leistungen eingesetzt.
Ausweislich der vorgelegten Rechnungen handelte es sich bei den Vertragspartnern der Arbeitgeberin im Vermietungsbereich weit überwiegend um Unternehmen, die Erdbau- und Abbrucharbeiten verrichteten. Die mit Bedienungspersonal vermieteten Kettenbagger kamen im streitigen Zeitraum nahezu durchgehend auf Baustellen dieser Unternehmen zum Einsatz. Erdbau- und Abbrucharbeiten sind nach § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 36 bzw. Nr. 29 der Verfahrenstarifverträge bauliche Leistungen.
Es kommt nicht darauf an, ob die mit Bedienungspersonal vermieteten Kettenbagger der Arbeitgeberin für genuine Abbrucharbeiten oder ausschließlich für die Aufbereitung des Abbruchguts eingesetzt wurden. Bei der Aufbereitung des Abbruchguts handelt es sich jedenfalls um eine sog. Zusammenhangstätigkeit mit den eigentlichen Abbrucharbeiten. Diese Arbeit wird üblicherweise von den Abbruchbetrieben erledigt und ist regelmäßig unmittelbar zur Ausführung der Abbruchtätigkeiten erforderlich. Wird das Abbruchgut nicht während der laufenden Abbrucharbeiten aufbereitet und sortiert, um es anschließend entsorgen zu können, staut es sich auf der Baustelle und erschwert oder verhindert den Fortgang der Abbrucharbeiten. Die auf der Baustelle erfolgende Sortierung des Abbruchguts durch das Abbruchunternehmen mit dem Ziel, es anschließend der vorgeschriebenen fachgerechten Entsorgung zuzuführen, ist der eigentlichen Abbruchtätigkeit von ihrer Wertigkeit her untergeordnet. Sie kann regelmäßig auch von Kräften ausgeführt werden, die keine spezielle Ausbildung nach der Verordnung über die Berufsausbildung in der Bauwirtschaft durchlaufen haben.
Dem steht nicht entgegen, dass ein Betrieb, der ausschließlich Zusammenhangstätigkeiten erbringt, ohne zugleich baugewerbliche Tätigkeiten und Arbeiten auszuführen, nicht dem betrieblichen Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge unterfällt16.
Bei der Vermietung von Baumaschinen mit Bedienungspersonal zur Erbringung baulicher Leistungen handelt es sich nach § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 39 der Verfahrenstarifverträge um eine baugewerbliche Haupttätigkeit. Der die Baumaschinen vermietende Betrieb braucht über die – arbeitszeitlich überwiegende – Vermietung der Maschinen und die Gestellung des Bedienungspersonals hinaus weder dem Bauherrn noch dem mietenden Bauunternehmer gegenüber zu weiteren eigenen baulichen Leistungen gleich welcher Art verpflichtet zu sein. Deshalb kommt es auch nicht darauf an, ob die mit Bedienungspersonal vermieteten Baumaschinen zumindest Zusammenhangstätigkeiten zu anderen baulichen Tätigkeiten des Vermieters erbringen17.
Für die Frage, ob die mit Bedienungspersonal vermieteten Baumaschinen iSd. Tarifnorm „zur Erbringung baulicher Leistungen“ eingesetzt werden, sind allein die Verhältnisse im Betrieb des jeweiligen Mieters maßgeblich. Er bestimmt über den Einsatz der von ihm gemieteten Baumaschinen und des Bedienungspersonals. Daher werden die mit Bedienungspersonal vermieteten Baumaschinen auch dann „zur Erbringung baulicher Leistungen“ eingesetzt, wenn der Mieter damit ausschließlich Zusammenhangstätigkeiten zu von seinem Betrieb ausgeführten baugewerblichen Tätigkeiten ausführen lässt18.
Nur diese Auslegung entspricht dem Sinn und Zweck der tariflichen Regelung: Die Kunden des Vermieterbetriebs verschaffen sich den Gebrauch der Maschine regelmäßig gerade deshalb, weil sie die Leistungen mit eigenem Personal und Gerät nicht erbringen wollen oder können19. Die Vermieterbetriebe unterfallen dem Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge, weil ihre Arbeitnehmer letztlich dieselben Arbeiten wie Arbeitnehmer von Betrieben des Baugewerbes verrichten und damit im Grunde ebenfalls „Arbeitnehmer des Baugewerbes“ sind20. Auf diese Weise haben die Tarifvertragsparteien verhindert, dass sich Betriebe dem betrieblichen Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge entziehen, obwohl sie durch die Vermietung ihrer Baumaschinen zusammen mit dem entsprechend geschulten Bedienungspersonal der Sache nach Tätigkeiten des Baugewerbes erbringen21.
Das Landesarbeitsgericht hat auch zu Recht angenommen, dass das Tarifbeispiel in § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 39 der Verfahrenstarifverträge keine arbeitszeitlich überwiegende Erbringung baulicher (Haupt-)Leistungen durch den die Baumaschinen mietenden Betrieb verlangt. Eine dahingehende Voraussetzung lässt sich weder dem Wortlaut der Regelung entnehmen, noch wäre sie mit ihrem dargelegten Sinn und Zweck vereinbar.
Die Arbeitgeberin war ungeachtet ihrer fehlenden Verbandszugehörigkeit nach § 7 Abs. 3 bis Abs. 7 iVm. den Anlagen 28 bis 32 SokaSiG an die im Streitzeitraum geltenden Verfahrenstarifverträge gebunden. Gegen diese gesetzliche Geltungserstreckung der Verfahrenstarifverträge bestehen aus Sicht des Bundesarbeitsgerichts keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken22.
§ 7 SokaSiG verstößt nicht gegen Art. 9 Abs. 3 GG23.
Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts verletzt das SokaSiG nicht die negative Koalitionsfreiheit. Soweit die gesetzliche Geltungserstreckung der Verfahrenstarifverträge einen mittelbaren Druck erzeugen sollte, um der größeren Einflussmöglichkeit willen Mitglied einer der tarifvertragsschließenden Parteien zu werden, ist dieser Druck jedenfalls nicht so erheblich, dass die negative Koalitionsfreiheit verletzt würde24.
Ein Eingriff in die Koalitionsfreiheit kann nicht darin gesehen werden, dass der Gesetzgeber „erstmals derart in gesetzlich privatautonom geregelte Regelungsbereiche der Tarifvertragsparteien vordringt“ und es wegen des unterschiedlichen Grads der Grundrechtsbindung „einen erheblichen Unterschied macht, ob der Gesetzgeber eine Regelung trifft oder die Tarifvertragsparteien“. Die Tarifvertragsparteien hatten für alle von § 7 SokaSiG in Bezug genommenen Verfahrenstarifverträge einen Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung gestellt. Beim Erlass einer Allgemeinverbindlicherklärung unterliegt der Normgeber der Grundrechtsbindung25.
Ein etwaiger Eingriff in die Tarifautonomie durch die gesetzliche Geltungserstreckung ist jedenfalls im Interesse der Sicherung der Funktionsfähigkeit des Systems der Tarifautonomie gerechtfertigt. Das SokaSiG dient einem legitimen Zweck, weil es den Fortbestand der Sozialkassenverfahren in der Bauwirtschaft sichern und Bedingungen für einen fairen Wettbewerb schaffen soll. Indem § 7 SokaSiG nicht nur Rückforderungsansprüche ausschließt, sondern auch den zukünftigen Beitragseinzug sicherstellt, kann dieser Zweck erreicht werden. Eine auf Rückforderungsansprüche beschränkte Regelung wäre zwar milder gewesen, aber nicht gleich wirksam26. Die mit § 7 SokaSiG verbundenen Belastungen für nicht tarifgebundene Arbeitgeber hält das Bundesarbeitsgericht angesichts der mit der Norm verfolgten Ziele für zumutbar27.
§ 7 SokaSiG verletzt nicht das durch Art. 2 Abs. 1 iVm. Art.20 Abs. 3 GG geschützte Vertrauen tariffreier Arbeitgeber, von rückwirkenden Gesetzen nicht in unzulässiger Weise belastet zu werden28. Es kommt allein darauf an, ob die betroffene Personengruppe bei objektiver Betrachtung auf den Fortbestand der bisherigen Regelung vertrauen konnte29. Das ist nicht der Fall.
Mit Blick auf die von § 7 Abs. 3 bis Abs. 7 SokaSiG erfassten Zeiträume konnte sich bei der Arbeitgeberin aufgrund der Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 21.09.201630; und vom 25.01.201731 kein hinreichend gefestigtes und damit schutzwürdiges Vertrauen darauf bilden, nicht zu Sozialkassenbeiträgen herangezogen zu werden. Vielmehr musste sie nach der rechtlichen Situation in dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der Rechtsfolge von § 7 Abs. 3 bis Abs. 7 SokaSiG zurückbezogen wird, damit rechnen, dass die tariflichen Rechtsnormen durch Gesetz rückwirkend wieder auf nicht originär tarifgebundene Arbeitgeber erstreckt werden würden. Der Gesetzgeber brauchte auf zwischenzeitlich dennoch getätigte gegenläufige Vermögensdispositionen keine Rücksicht zu nehmen32.
Die Arbeitgeberin beruft sich vergeblich darauf, die „Ersetzung“ der unwirksamen Allgemeinverbindlicherklärungen durch eine gesetzliche Regelung sei nicht vorhersehbar gewesen. Dem Gesetzgeber steht die Wahl einer anderen Rechtsform als der in § 5 TVG geregelten Allgemeinverbindlicherklärung für die Erstreckung eines Tarifvertrags auf Außenseiter frei. Die Rechtsform ändert nichts an Inhalt und Ergebnis der Erwägungen zu der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen33. Ein Vertrauen, nur aufgrund einer wirksamen Allgemeinverbindlicherklärung in Anspruch genommen zu werden, ist daher nicht schutzwürdig34.
Der Einwand der Revision, weder überragende Belange des Gemeinwohls noch eine unklare und verworrene Rechtslage könnten die echte Rückwirkung rechtfertigen, verfängt ebenfalls nicht. Ob der Sachverhalt einer der von der Rechtsprechung entwickelten Fallgruppen zugeordnet werden kann, ist unerheblich, weil sie nicht abschließend sind. Für die Frage, ob mit einer rückwirkenden Änderung der Rechtslage zu rechnen war, ist von Bedeutung, ob die bisherige Regelung bei objektiver Betrachtung geeignet war, ein Vertrauen der betroffenen Personengruppe auf ihren Fortbestand zu begründen35.
Das Bundesarbeitsgericht teilt nicht die auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19.12.196136 gestützte Auffassung der Arbeitgeberin, wonach das Vertrauen des Bürgers in den Bestand geltenden Rechts erst von dem Moment an nicht schutzwürdig sei, in dem der Deutsche Bundestag ein rückwirkendes Gesetz beschlossen habe. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass schon die Zuleitung eines Gesetzentwurfs nach Art. 76 Abs. 2 Satz 1 GG vertrauenszerstörende Wirkung haben kann37.
Bei dem von der Arbeitgeberin reklamierten Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit handelt es sich um eine Ausprägung des Grundsatzes der Rechtssicherheit im Bereich des Abgabenrechts38. Auch hier kommt es darauf an, ob das Vertrauen in die Kontinuität der Rechtslage schutzwürdig ist. Ein solches Vertrauen konnte nicht entstehen.
Das SokaSiG verstößt nicht gegen das ebenfalls durch Art. 2 Abs. 1 iVm Art.20 Abs. 3 GG begründete Gebot hinreichender Bestimmtheit der Gesetze. Gesetzliche Tatbestände sind so zu fassen, dass die Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten daran ausrichten können39. Das Bestimmtheitsgebot schließt die Verwendung wertausfüllungsbedürftiger Begriffe bis hin zu Generalklauseln nicht aus. Auch gegen die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe bestehen keine Bedenken, wenn sich mithilfe der üblichen Auslegungsmethoden, insbesondere durch Heranziehung anderer Vorschriften desselben Gesetzes, durch Berücksichtigung des Normzusammenhangs oder aufgrund einer gefestigten Rechtsprechung eine zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung der Norm gewinnen lässt40. Die Auslegung und Anwendung der Regelungen, die den betrieblichen Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge eröffnen und die die Arbeitgeberin für unbestimmt hält, sind Gegenstände einer langjährigen und gefestigten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Aus ihr lässt sich eine zuverlässige Grundlage insbesondere für die Auslegung der von den Tarifvertragsparteien verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe gewinnen. Dem Bundesarbeitsgericht obliegt es, aufgrund der Vielgestaltigkeit der Sachverhaltskonstellationen zwangsläufig verbleibende Unklarheiten über den Anwendungsbereich dieser Normen – soweit möglich – durch Präzisierung und Konkretisierung im Weg der Auslegung auszuräumen.
§ 7 SokaSiG entzieht weder der gerichtlichen Kontrolle von Allgemeinverbindlicherklärungen nach § 98 ArbGG den Boden, noch „annulliert“ die Vorschrift unter Verstoß gegen Art.20 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG entgegenstehende höchstrichterliche Rechtsprechung.
Mit der gesetzlichen Erstreckungsanordnung sollte – letztlich mit Rücksicht auf die Forderungen der Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit – statt anfechtbaren Rechts unanfechtbares Recht gesetzt werden. Der Gesetzgeber hat dabei weder die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts „kassiert“, noch hat er „neues“ Recht geschaffen oder in die allein dem Bundesverfassungsgericht zukommende Kompetenz zur Aufhebung von Akten der Judikative eingegriffen. Vielmehr hat er lediglich eine aus formellen Gründen unwirksame Erstreckung der Normwirkung der Verfahrenstarifverträge durch eine wirksame – gesetzliche – Erstreckungsanordnung ersetzt, um auf diese Weise den weitreichenden Folgen der Beschlüsse des Bundesarbeitsgerichts vom 21.09.2016 entgegenzuwirken41. Die gerichtliche Kontrolle von Allgemeinverbindlicherklärungen findet nach wie vor statt42.
Soweit die Arbeitgeberin in diesem Zusammenhang weiter rügt, § 5 TVG werde zur „leeren Hülle“, übersieht sie, dass Art. 70 Abs. 2, Art. 72 Abs. 1, Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG dem Bund eine umfassende Zuständigkeit für privatrechtliche und auch öffentlich-rechtliche Bestimmungen über die Rechtsbeziehungen im Arbeitsverhältnis zuweist. Sie erstreckt sich unter anderem auf das Tarifvertragsrecht, ohne dem Vorbehalt der Erforderlichkeit des Art. 72 Abs. 2 GG zu unterliegen43.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18. Dezember 2019 – 10 AZR 141/18
- BAG 3.07.2019 – 10 AZR 498/17, Rn. 30 mwN[↩]
- st. Rspr., zB BAG 27.03.2019 – 10 AZR 318/17, Rn.19 mwN[↩]
- BAG 13.05.2004 – 10 AZR 488/03, zu II 3 d der Gründe mwN[↩]
- BAG 13.11.2013 – 10 AZR 842/12, Rn. 18 mwN[↩]
- vgl. BAG 2.08.2006 – 10 AZR 756/05, Rn. 22[↩]
- BAG 13.11.2013 – 10 AZR 842/12, Rn.20 mwN[↩]
- vgl. BAG 2.08.2006 – 10 AZR 756/05, Rn. 23[↩]
- BAG 5.06.2019 – 10 AZR 214/18, Rn. 24 mwN[↩]
- BAG 18.01.2012 – 10 AZR 722/10, Rn. 11[↩]
- BAG 21.01.2015 – 10 AZR 55/14, Rn. 25 mwN[↩]
- BAG 5.06.2019 – 10 AZR 214/18, Rn. 33[↩]
- BAG 15.01.2014 – 10 AZR 669/13, Rn.20 mwN[↩]
- vgl. BAG 19.09.2018 – 10 AZR 496/17, Rn. 28[↩]
- BAG 13.11.2013 – 10 AZR 842/12, Rn. 22[↩]
- vgl. BAG 16.06.1982 – 4 AZR 862/79, zu dem insoweit inhaltsgleichen Tarifvertrag über das Verfahren für den Urlaub, den Winter-Lohnausgleich und die Zusatzversorgung im Berliner Baugewerbe vom 28.11.1963[↩]
- vgl. BAG 15.01.2014 – 10 AZR 669/13, Rn.20 mwN[↩]
- BAG 2.08.2006 – 10 AZR 756/05, Rn. 26 mwN[↩]
- vgl. BAG 2.08.2006 – 10 AZR 756/05, Rn. 26[↩]
- vgl. BAG 2.08.2006 – 10 AZR 756/05, Rn. 21[↩]
- vgl. BAG 19.01.1994 – 10 AZR 557/92, zu II 2 b der Gründe[↩]
- vgl. BAG 22.06.1994 – 10 AZR 837/93, zu II 2 aa der Gründe mwN[↩]
- vgl. BAG 27.11.2019 – 10 AZR 399/18, Rn. 28 ff.; 27.11.2019 – 10 AZR 400/18, Rn. 28 ff.; 30.10.2019 – 10 AZR 38/18, Rn. 15 ff.; 24.09.2019 – 10 AZR 562/18, Rn.20 ff.; 28.08.2019 – 10 AZR 549/18, Rn. 84 ff.; 28.08.2019 – 10 AZR 550/18, Rn. 23 ff.; 3.07.2019 – 10 AZR 498/17, Rn. 39 ff.; 3.07.2019 – 10 AZR 499/17, Rn. 81 ff.; 8.05.2019 – 10 AZR 559/17, Rn. 29 ff.; 27.03.2019 – 10 AZR 318/17, Rn. 47 ff.; 27.03.2019 – 10 AZR 512/17, Rn. 32 ff.; 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 42 ff., BAGE 164, 201[↩]
- BAG 27.11.2019 – 10 AZR 399/18, Rn. 34 ff.; 27.11.2019 – 10 AZR 400/18, Rn. 34 ff.; 30.10.2019 – 10 AZR 38/18, Rn. 21 ff.; 28.08.2019 – 10 AZR 549/18, Rn. 85 ff.; 3.07.2019 – 10 AZR 498/17, Rn. 41; 8.05.2019 – 10 AZR 559/17, Rn. 30 ff.; 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 45 ff., BAGE 164, 201[↩]
- BAG 27.11.2019 – 10 AZR 399/18, Rn. 35; 27.11.2019 – 10 AZR 400/18, Rn. 35; 30.10.2019 – 10 AZR 38/18, Rn. 22; 24.09.2019 – 10 AZR 562/18, Rn. 21; 8.05.2019 – 10 AZR 559/17, Rn. 34; 27.03.2019 – 10 AZR 318/17, Rn. 48; 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 52, BAGE 164, 201[↩]
- BAG 27.11.2019 – 10 AZR 399/18, Rn. 36; 27.11.2019 – 10 AZR 400/18, Rn. 36; 30.10.2019 – 10 AZR 38/18, Rn. 23; zu der Grundrechtsbindung ausführlich BAG 28.08.2019 – 10 AZR 549/18, Rn. 43 ff.[↩]
- BAG 27.11.2019 – 10 AZR 399/18, Rn. 37; 27.11.2019 – 10 AZR 400/18, Rn. 37; 8.05.2019 – 10 AZR 559/17, Rn. 35 ff.; 27.03.2019 – 10 AZR 318/17, Rn. 48 ff.[↩]
- BAG 30.10.2019 – 10 AZR 38/18, Rn. 24; 28.08.2019 – 10 AZR 549/18, Rn. 87; 8.05.2019 – 10 AZR 559/17, Rn. 43 mwN[↩]
- BAG 27.11.2019 – 10 AZR 399/18, Rn. 39; 27.11.2019 – 10 AZR 400/18, Rn. 39; 30.10.2019 – 10 AZR 38/18, Rn. 26 ff.; 24.09.2019 – 10 AZR 562/18, Rn. 23 ff.; 28.08.2019 – 10 AZR 549/18, Rn. 90 ff.; 3.07.2019 – 10 AZR 499/17, Rn. 90 ff.; 8.05.2019 – 10 AZR 559/17, Rn. 46 ff.; 27.03.2019 – 10 AZR 318/17, Rn. 58 ff.; 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 68 ff., BAGE 164, 201[↩]
- BAG 27.11.2019 – 10 AZR 399/18 – aaO; 27.11.2019 – 10 AZR 400/18 – aaO; 30.10.2019 – 10 AZR 38/18, Rn. 26; 28.08.2019 – 10 AZR 549/18, Rn. 91; 8.05.2019 – 10 AZR 559/17, Rn. 47 mwN[↩]
- BAG 21.09.2016 – 10 ABR 33/15, BAGE 156, 213; – 10 ABR 48/15, BAGE 156, 289[↩]
- BAG 25.01.2017 – 10 ABR 34/15; – 10 ABR 43/15[↩]
- BAG 27.11.2019 – 10 AZR 399/18, Rn. 40; 27.11.2019 – 10 AZR 400/18, Rn. 40; 30.10.2019 – 10 AZR 38/18, Rn. 27; 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 82 ff., BAGE 164, 201[↩]
- BAG 3.07.2019 – 10 AZR 499/17, Rn. 94; 8.05.2019 – 10 AZR 559/17, Rn. 50; 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 51, BAGE 164, 201[↩]
- BAG 18.12 2019 – 10 AZR 424/18, Rn. 80[↩]
- vgl. BVerfG 17.12 2013 – 1 BvL 5/08, Rn. 64, BVerfGE 135, 1; BAG 30.10.2019 – 10 AZR 567/17, Rn. 61; 3.07.2019 – 10 AZR 499/17, Rn. 91; 8.05.2019 – 10 AZR 559/17, Rn. 47[↩]
- BVerfG 19.12.1961 – 2 BvL 6/59 – BVerfGE 13, 261[↩]
- BVerfG 10.04.2018 – 1 BvR 1236/11, Rn. 152 mwN, BVerfGE 148, 217[↩]
- vgl. BVerfG 5.03.2013 – 1 BvR 2457/08, Rn. 41, 45, BVerfGE 133, 143[↩]
- BVerfG 24.07.2018 – 2 BvR 309/15 ua., Rn. 77 mwN, BVerfGE 149, 293[↩]
- BVerfG 24.07.2018 – 2 BvR 309/15 ua., Rn. 78, aaO[↩]
- BAG 27.11.2019 – 10 AZR 399/18, Rn. 38; 27.11.2019 – 10 AZR 400/18, Rn. 38; 30.10.2019 – 10 AZR 38/18, Rn. 25; 28.08.2019 – 10 AZR 549/18, Rn. 89; 3.07.2019 – 10 AZR 499/17, Rn. 95; 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 92 f., BAGE 164, 201[↩]
- zB BAG 20.11.2018 – 10 ABR 12/18, Rn. 14 ff.; 21.03.2018 – 10 ABR 62/16, Rn. 21 ff., BAGE 162, 166[↩]
- BVerfG 11.07.2017 – 1 BvR 1571/15 ua., Rn. 126, BVerfGE 146, 71; BAG 27.11.2019 – 10 AZR 399/18, Rn. 30; 27.11.2019 – 10 AZR 400/18, Rn. 30; 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 44 mwN, BAGE 164, 201[↩]