Ist der Arbeitgeber tariflich verpflichtet, den Arbeitnehmer durch Änderungsvertrag oder Änderungskündigung zunächst in einen Beschäftigungs- und Qualifizierungsbetrieb zu versetzen, ist eine sofortige unmittelbare Versetzung in eine Einheit außerhalb des Beschäftigungs- und Qualifizierungsbetriebs unwirksam.

Nach § 106 Satz 1 GewO darf der Arbeitgeber den Ort der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit dieser nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrags oder gesetzliche Vorschriften festgelegt ist1. In einem ersten Schritt ist durch Auslegung der Inhalt der vertraglichen Regelungen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu ermitteln. Dabei ist insbesondere festzustellen, ob ein bestimmter Tätigkeitsort vertraglich festgelegt ist und welchen Inhalt ein ggf. vereinbarter Versetzungsvorbehalt hat2.
Der Arbeitsort ist hier nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts weder ausdrücklich vertraglich festgelegt, noch ist er auf das Gebiet des Landes Berlin konkretisiert.
Der letzte zwischen der Klägerin und der Deutschen Bundespost Telekom geschlossene Arbeitsvertrag vom 01.01.1991 legt keinen bestimmten Arbeitsort fest. Er unterscheidet sich damit von dem ersten Arbeitsvertrag der Klägerin mit einer früheren Rechtsvorgängerin der Beklagten vom 31.08.1989, der den Arbeitsort Berlin-Adlershof vorsah. In einem solchen Fall ist eine Ortsveränderung durch Versetzung in eine andere politische Gemeinde nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts unabhängig vom Berufsbild vertraglich nicht ausgeschlossen und grundsätzlich vom gesetzlichen Weisungsrecht der Beklagten aus § 106 Satz 1 GewO gedeckt3. Das Bundesarbeitsgericht kann den Arbeitsvertrag als typischen Vertrag selbst auslegen. Die Beklagte hat den Arbeitsvertrag nach seinem Erscheinungsbild mehrfach verwendet. Der Vertrag enthält bis auf die Daten der Klägerin keine individuellen Besonderheiten.
Die Arbeitspflicht der Klägerin ist nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch nicht auf den Arbeitsort Berlin konkretisiert.
Arbeitspflichten können sich zwar nach längerer Zeit auf bestimmte Arbeitsbedingungen konkretisieren. Dazu genügt jedoch nicht schon der bloße Zeitablauf. Vielmehr müssen besondere Umstände hinzutreten, aufgrund derer der Arbeitnehmer erkennen kann und darauf vertrauen darf, dass er nicht in anderer Weise eingesetzt werden soll4.
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Bis auf den langjährigen Einsatz der Klägerin im Gebiet des Landes Berlin traten keine besonderen Umstände hinzu, die ihr Vertrauen darauf gerechtfertigt hätten, nur in Berlin eingesetzt zu werden. Die Vorinstanzen haben solche besonderen Umstände zu Recht nicht darin gesehen, dass die Beklagte in der Vergangenheit nicht auf die arbeitsvertraglich vorbehaltene örtliche Versetzungsbefugnis hingewiesen hatte. Allein daraus, dass ein Vertragspartner über einen längeren Zeitraum hinweg nicht auf ein vertraglich vereinbartes Recht hinweist, darf der andere Vertragspartner nicht schließen, sein Vertragspartner werde von seinem Recht keinen Gebrauch mehr machen5.
Ist der Arbeitsort nicht festgelegt oder konkretisiert und weist der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen anderen Arbeitsort zu, unterliegt die Weisung nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts keiner Inhaltskontrolle nach § 307 BGB, sondern der Ausübungskontrolle nach § 106 Satz 1 GewO, § 315 Abs. 3 BGB6. Eine Leistungsbestimmung entspricht billigem Ermessen, wenn die wesentlichen Umstände des Falls abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind7.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18. Oktober 2012 – 6 AZR 86/11
- vgl. BAG 13.03.2007 – 9 AZR 433/06, Rn. 31, AP BGB § 307 Nr. 26[↩]
- vgl. BAG 19.01.2011 – 10 AZR 738/09, Rn. 12, AP BGB § 307 Nr. 50 = EzA GewO § 106 Nr. 7; 25.08.2010 – 10 AZR 275/09, Rn. 18, BAGE 135, 239[↩]
- vgl. BAG 19.01.2011 – 10 AZR 738/09, Rn. 12, AP BGB § 307 Nr. 50 = EzA GewO § 106 Nr. 7; 25.08.2010 – 10 AZR 275/09, Rn. 18, BAGE 135, 239; 13.04.2010 – 9 AZR 36/09, Rn. 27, AP BGB § 307 Nr. 45 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 47; siehe auch 13.03.2007 – 9 AZR 433/06, Rn. 31 f., AP BGB § 307 Nr. 26; zust. etwa Dzida/Schramm BB 2007, 1221, 1225 f.; ErfK/Preis 12. Aufl. § 106 GewO Rn. 16; Preis/Genenger NZA 2008, 969, 971; abl. Hromadka NZA 2012, 233, 238 [Erforderlichkeit eines ausdrücklichen oder konkludenten Versetzungsvorbehalts, konkludent vor allem denkbar bei einer Arbeitspflicht an verschiedenen Orten]; Wank RdA 2012, 139, 140; ders. NZA Beilage 2/2012, 41, 48; ders. RdA 2005, 271, 272 [Maßgeblichkeit des Berufsbilds][↩]
- vgl. für die st. Rspr. BAG 16.02.2012 – 8 AZR 98/11, Rn. 47; 13.03.2007 – 9 AZR 433/06, Rn. 50 mwN, AP BGB § 307 Nr. 26; 3.06.2004 – 2 AZR 577/03 – zu C II 2 b der Gründe, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 141 = EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 55; 7.12.2000 – 6 AZR 444/99 – zu III 2 der Gründe, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 61 = EzA BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 23[↩]
- vgl. BAG 13.03.2007 – 9 AZR 433/06, Rn. 52, AP BGB § 307 Nr. 26; 3.06.2004 – 2 AZR 577/03 – zu C II 2 b der Gründe, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 141 = EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 55[↩]
- aA Wank RdA 2012, 139, 140[↩]
- vgl. nur BAG 19.01.2011 – 10 AZR 738/09, Rn. 18, AP BGB § 307 Nr. 50 = EzA GewO § 106 Nr. 7; 25.08.2010 – 10 AZR 275/09, Rn. 31, BAGE 135, 239; 23.09.2004 – 6 AZR 567/03 – zu IV 2 a der Gründe, BAGE 112, 80[↩]