Verwaltungsvorschriften – oder: die Stufenzuordnung einer Lehrerin

Bei den von der Xenatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft des beklagten Landes erlassenen Regelungen vom 31.03.2015, die mit „Grundsätze zur Anerkennung förderlicher Zeiten nach § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L“ überschrieben sind, handelt es sich um eine Verwaltungsvorschrift, die regelmäßig nur verwaltungsinterne Bedeutung hat1

Verwaltungsvorschriften – oder: die Stufenzuordnung einer Lehrerin

Mit Verwaltungsvorschriften richtet sich der Dienstherr an nachgeordnete weisungsabhängige Organe, Ämter oder Dienststellen. Sie sollen ein einheitliches und den rechtlichen Anforderungen entsprechendes Verwaltungshandeln sichern. Ihnen fehlt der normative Charakter. Allerdings kann die Verwaltung auch an die von ihr erlassenen Vorschriften im Verhältnis zu Dritten – dazu gehören auch Arbeitnehmer – gebunden sein. 

Eine derartige Bindungswirkung setzt voraus, dass die Verwaltungsvorschriften sich ihrem Inhalt nach auch an die Arbeitnehmer wenden und für diese Personen Rechte, Handlungspflichten oder Obliegenheiten begründet werden sollen2. Eine solche Bindungswirkung der Verwaltungsvorschrift vom 31.03.2015 ist in Bezug auf die Arbeitnehmer zu bejahen. Für die von den Regelungen erfassten Lehrkräfte werden Rechte im Rahmen der Anerkennung förderlicher Zeiten begründet, die auf Basis der geregelten inhaltlichen Details das Verwaltungshandeln bei der Anwendung des § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L lenken sollen. Diese Details umfassen Anforderungen an die Tätigkeit, ihre Art und den Umfang ebenso wie an zeitliche Aspekte.

In dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall unterfällt die klagende Lehrerin unterfällt dem persönlichen Geltungsbereich der Verwaltungsvorschrift, der in Abs. 3 geregelt ist. Sie ist nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts (§ 559 Abs. 2 ZPO) eine Erfüllerin. Damit handelt es sich bei ihr um eine Lehrkraft nach Teil A der LehrerRL. Die Lehrerin wird vom zeitlichen Geltungsbereich der Verwaltungsvorschrift erfasst, auch wenn ihr Arbeitsverhältnis mit dem beklagten Land schon am 20.08.2014 begonnen hat und die Verwaltungsvorschrift erst unter dem Datum des 31.03.2015 von das Bundesarbeitsgerichtsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft erlassen wurde. Die Regelungen gelten nach ihrem Abs. 2 bereits ab dem 1.01.2012. Die Einschränkung, dass sie – lediglich – für die Entscheidungen gelten sollen, in denen das Verfahren nicht bereits abgeschlossen ist, schließt die Anwendung auf die Lehrerin nicht aus, denn bei ihr war das Verfahren der Stufenzuordnung nicht abgeschlossen. Bei Begründung des Arbeitsverhältnisses im August 2014 und bei Abschluss der Änderungsvereinbarung vom Dezember 2014 war das Handeln des beklagten Landes durch die Verwaltungspraxis bestimmt, die im Schreiben vom 02.12.2014 zum Ausdruck kommt. Damit wurde der Lehrerin der Differenzbetrag zur Stufe 5 als übertarifliche Zulage zugesagt und ihr mitgeteilt, dass die Anerkennung förderlicher Zeiten nach § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L aufgrund der übertariflichen Vorweggewährung der Stufe 5 bis zu deren Wegfall ausgesetzt wird. Unter dem Aussetzen von etwas wird allgemein verstanden, dass etwas vorübergehend unterbrochen bzw. vorübergehend nicht weitergeführt wird3. Damit handelt es sich im Fall der Lehrerin noch um kein abgeschlossenes Verfahren iSd. Abs. 2 der Verwaltungsvorschrift.

Weiterlesen:
Außerordentliche Kündigung wegen vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit

Auch wenn die Lehrerin im vorliegenden Fall vom Geltungsbereich der zu § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L ergangenen Verwaltungsvorschrift erfasst wird, hat sie keinen Anspruch auf Anerkennung förderlicher Zeiten. Das hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg4 zutreffend erkannt.

örderliche Zeiten iSv. § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L finden bei der Stufenzuordnung der Lehrerin bis zum 31.07.2021 keine Berücksichtigung, denn Abs. 4 der Verwaltungsvorschrift bestimmt, dass die Verwaltungsvorschrift für die Erfüller für die Dauer der übertariflichen Vorweggewährung der Stufe 5 ausgesetzt wird. Ein Fall der Rückausnahme von Abs. 4 der Verwaltungsvorschrift liegt nicht vor. Die Lehrerin ist keine Lehrkraft, die unmittelbar von einem Arbeitsverhältnis im öffentlichen Dienst in ein anderes Arbeitsverhältnis im öffentlichen Dienst iSd. § 16 Abs. 2a Halbs. 1 TV-L gewechselt hat. Nach den bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts war sie vor Begründung des Arbeitsverhältnisses mit dem beklagten Land beim H Verband lehrend tätig. Damit war die Verwaltungsvorschrift im Fall der Lehrerin vorübergehend nicht anwendbar. Eine Ermessensentscheidung über die Anerkennung förderlicher Zeiten war somit – zeitlich begrenzt bis zum regulären Erreichen der Stufe 5 – vom beklagten Land nicht zu treffen.

Die Entscheidung des beklagten Landes zur Aussetzung der Ermessensentscheidung über die Anerkennung förderlicher Zeiten ist wirksam, sie hält einer gerichtlichen Kontrolle stand.

Grundsätzlich ist die Stufenzuordnung nach § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L auf der Tatbestandsebene reine Rechtsanwendung. Bei den Merkmalen der bezweckten Deckung eines Personalbedarfs und der Förderlichkeit einer vorherigen beruflichen Tätigkeit handelt es sich um Tatbestandsvoraussetzungen. Erst wenn diese einschränkenden Voraussetzungen objektiv erfüllt sind, wird dem Arbeitgeber auf der Rechtsfolgenseite Ermessen eröffnet5. Die Ausübung des Ermessens durch den öffentlichen Arbeitgeber unterliegt aufgrund des in Art.20 Abs. 2 Satz 2 GG verankerten Grundsatzes der Gewaltenteilung nur einer gerichtlichen Ermessenskontrolle, ohne dass jedoch die zur Überprüfung der getroffenen Entscheidung berufenen Gerichte ihr eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens der Behörde setzen könnten. Die gerichtliche Kontrolle bezieht sich nur auf das Ergebnis der Ermessensausübung6. Nur im Fall der Ermessensreduzierung auf Null, dh., wenn aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls nur eine einzige Entscheidung ermessensfehlerfrei ist, kann das Gericht das beklagte Land verpflichten, die begehrte Entscheidung zu treffen7.

Das beklagte Land hat zu Beginn des Arbeitsverhältnisses der Lehrerin eine Ermessensentscheidung getroffen. Es hat entschieden, ihr eine Vergütung nach Stufe 3 der Entgeltgruppe 13 TV-L sowie eine übertarifliche Zulage in Höhe des Differenzbetrags zur Stufe 5 zu zahlen und eine Entscheidung über die Anerkennung förderlicher Zeiten bis zum regulären Erreichen der Stufe 5 zurückzustellen. Hiervon ausgehend hat die Lehrerin in Anwendung des § 16 Abs. 3 Satz 1 iVm. § 17 Abs. 1 TV-L die Stufe 5 tarifgemäß zum 1.08.2021 erreicht. Mit dieser Maßnahme hat das beklagte Land sein Ermessen ausgeübt, indem es die Aussetzungsregelung des Abs. 4 der Verwaltungsvorschrift umgesetzt hat. Auch wenn sich die entscheidende Stelle an den Vorgaben einer Verwaltungsvorschrift orientiert, trifft sie eine eigene Ermessensentscheidung, denn Verwaltungsvorschriften entfalten als verwaltungsinterne öffentlich-rechtliche Vorgaben keine unmittelbare Wirkung im Arbeitsverhältnis6, sondern bedürfen der Umsetzung im Einzelfall.

Weiterlesen:
Überleitung nach dem TVÜ-VKA - und die bisherige Entgeltgruppe

Es bedarf keiner Entscheidung, ob § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L auf der Rechtsfolgenseite dem Arbeitgeber ein billiges Ermessen nach § 315 BGB eröffnet8 oder ob dieser bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der Norm in der Entscheidung frei ist, bei Neueinstellungen von § 16 Abs. 2 Sätze 1 bis 3 TV-L abweichende Stufenzuordnungen vorzunehmen9. Diese Frage ist höchstrichterlich noch nicht geklärt10, sie kann auch im Streitfall offenbleiben, weil das beklagte Land in jedem Fall die Entscheidung treffen durfte, etwaige förderliche Zeiten nicht anzuerkennen und stattdessen von Beginn des Arbeitsverhältnisses an der Lehrerin eine übertarifliche Zulage in Höhe des Differenzbetrags zur Stufe 5 zu zahlen. Die Anerkennung förderlicher Zeiten wäre nicht die einzig ermessenfehlerfreie Entscheidung gewesen. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat das beklagte Land seine Entscheidung damit begründet, für die Gruppe der Erfüller einen besonderen Anreiz schaffen zu wollen, in die Dienste des beklagten Landes einzutreten. Dabei handelt es sich um ein nachvollziehbares Verwaltungshandeln, sieht sich das beklagte Land doch mangels Übernahme von Lehrkräften ins Beamtenverhältnis trotz Erfüllung der fachlichen und pädagogischen Voraussetzungen in einer schwächeren Position im Konkurrenzwettstreit der Bundesländer um qualifiziertes Lehrpersonal. Angesichts des finanziellen Vorteils, direkt zu Beginn des Arbeitsverhältnisses eine Vergütung nach Stufe 5 der Entgeltgruppe zu erhalten, liegt zumindest auch eine Kompensation des Nachteils der mangelnden Anerkennung förderlicher Zeiten bei der Stufenzuordnung vor. Überdies ist die ausgesetzte Anerkennung zeitlich begrenzt. Damit ist im Ergebnis nach jedem Prüfungsmaßstab die Annahme des beklagten Landes nicht zu beanstanden, seine Interessen überwögen die der Lehrerin.

Ein Anspruch auf Vergütung nach Entgeltgruppe 13 Stufe 6 TV-L folgt im hier entschiedenen Fall auch nicht aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.

Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz verlangt, dass ein Arbeitgeber, der Teilen seiner Arbeitnehmer freiwillig nach einem bestimmten erkennbaren generalisierenden Prinzip Leistungen gewährt, diese Gruppen mit anderen Gruppen von Arbeitnehmern, die sich in gleicher oder vergleichbarer Lage befinden, gleichbehandelt. Untersagt ist ihm sowohl eine willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer innerhalb einer Gruppe als auch eine sachfremde Gruppenbildung11. Der Gleichbehandlungsgrundsatz beschränkt die Gestaltungsmacht des Arbeitgebers. Wird er verletzt, muss der Arbeitgeber die von ihm gesetzte Regel entsprechend korrigieren. Der benachteiligte Arbeitnehmer hat Anspruch auf die vorenthaltene Leistung12.

Weiterlesen:
Der Mesner - und sein Gehalt

Danach liegt keine sachfremde Gruppenbildung vor. Die Differenzierung zwischen der Gruppe der Erfüller und der Gruppe der Nichterfüller beruht nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts auf dem Anliegen des beklagten Landes, den Erfüllern einen speziellen Anreiz bieten zu können, in seine Dienste einzutreten, obwohl keine Übernahme in das Beamtenverhältnis erfolgt. Dieser Anreiz liegt darin, den Bewerbern bereits vorab eine Vergütung nach Stufe 5 der jeweiligen Entgeltgruppe zu zahlen, auch wenn gemessen an den regulären Stufenlaufzeiten des § 16 Abs. 3 Satz 1 TV-L hierauf zum Zeitpunkt der Einstellung und im weiteren Verlauf zunächst noch kein Anspruch besteht. Die Differenzierung zwischen den Gruppen dient dem anzu Ziel, möglichst vollständig ausgebildetes, qualifiziertes Lehrpersonal zu gewinnen. Zum maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses der Nebenabrede im Jahr 2014 konnte das beklagte Land auch nicht voraussehen, dass der TV-L in der Zukunft um eine weitere Entgeltstufe erweitert würde.

Eine Ungleichbehandlung liegt auch nicht innerhalb der Gruppe der Erfüller vor. Diejenigen Erfüller, die eine Nebenabrede zur Aussetzung der Anerkennung förderlicher Zeiten abgeschlossen haben, werden im Vergleich zu den Erfüllern, die eine solche Vereinbarung nicht getroffen haben, nicht aus sachfremden Gründen ungleich behandelt. Mit dem Abschluss der Vereinbarung haben diese Erfüller, um den finanziellen Vorteil einer Entlohnung in Höhe der Stufe 5 zu erhalten, der – zeitweisen – Aussetzung der Anerkennung förderlicher Zeiten zugestimmt.

Diesem Ergebnis kann auch nicht der Inhalt des Schreibens des beklagten Landes vom 27.07.2017 entgegengehalten werden. Ein Verstoß gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) von Seiten des beklagten Landes ist nicht zu erkennen. Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler erkannt, dass durch das Schreiben, mit dem der Lehrerin Gelegenheit geboten wurde, berücksichtigungsfähige Zeiten mitzuteilen, kein Vertrauenstatbestand dahingehend geschaffen wurde, etwaige förderliche Zeiten in jedem Fall anzuerkennen. Eine Entscheidung über eine solche Anerkennung ist dem Schreiben nicht zu entnehmen.

Für die Zeit ab dem 1.08.2021 war die Revision im hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall dagegen begründet. Das Landesarbeitsgericht konnte die Klage nicht mit der gegebenen Begründung abweisen. Das Berufungsurteil ist daher teilweise aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Für eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts bezogen auf diese Zeit fehlt es an erforderlichen Feststellungen. Daher ist die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Rechtsfehlerhaft hat das Landesarbeitsgericht einen Anspruch der Lehrerin auf eine höhere Stufenzuordnung für die gesamte, auch künftige Zeit ab dem 1.08.2021 abgelehnt und sich dabei darauf gestützt, dass nach Abs. 4 der Verwaltungsvorschrift für die Dauer der Vorweggewährung der Stufe 5 iVm. der Nebenabrede die Möglichkeit der Anerkennung förderlicher Zeiten nach § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L jedenfalls zum Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts am 15.06.2021 noch ausgesetzt sei. Mit dieser Begründung kann der Feststellungsantrag indes nicht abgewiesen werden.

Weiterlesen:
Verfall tariflichen Mehrurlaubs bei Arbeitsunfähigkeit

Der Antrag der Lehrerin, mit dem sie die Feststellung einer Vergütungspflicht nach Entgeltgruppe 13 Stufe 6 TV-L seit dem 1.08.2019 erreichen will, ist nicht nur vergangenheits- und gegenwartsbezogen, sondern auch – unbegrenzt – in die Zukunft gerichtet. Damit hat seine Prüfung als Minus auch in ihm enthaltene Zeitabschnitte zu umfassen. Besteht ein entsprechender Anspruch auf eine höhere Stufenzuordnung für einen im Antrag enthaltenen Zeitabschnitt, hätte das Landesarbeitsgericht ihn als ein Weniger nach § 308 Abs. 1 ZPO unter Klageabweisung im Übrigen zuerkennen müssen13. Der von der Lehrerin geltend gemachte Vergütungsanspruch entsteht monatlich neu, so dass eine Teilung nach Zeitabschnitten möglich ist.

Die nach Verkündung des Berufungsurteils neu entstandene Tatsache des regulären Erreichens der Stufe 5 durch die Lehrerin mit dem 1.08.2021 ist bei der Entscheidung über die Revision zu berücksichtigen. Zwar unterliegt nach § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO nur das Parteivorbringen der Beurteilung des Revisionsgerichts, das aus dem Berufungsurteil oder dem Sitzungsprotokoll ersichtlich ist. Die Berücksichtigung materiell-rechtlich bedeutsamer Tatsachen, die erst nach der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz entstanden sind, ist daher regelmäßig ausgeschlossen. Aus Gründen der Prozessökonomie gilt das jedoch dann nicht, wenn die neu entstandenen Tatsachen unstreitig sind und schützenswerte Belange der anderen Beteiligten nicht entgegenstehen14. Das reguläre Erreichen der Stufe 5 mit dem 1.08.2021 ist zwischen den Parteien unstreitig. Einer Berücksichtigung in der Revision stehen mit Blick auf die Prozessökonomie keine schützenswerten Belange des beklagten Landes entgegen.

Das beklagte Land hat für die Zeit ab dem 1.08.2021 das ihm obliegende Ermessen nach § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L zur Anerkennung förderlicher Zeiten nicht ausgeübt. Das Bundesarbeitsgericht kann in der Sache nicht endentscheiden, ob der Lehrerin daraus ein Anspruch auf Vergütung nach Entgeltgruppe 13 Stufe 6 TV-L erwächst. Es fehlt an Feststellungen dazu, ob eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt. Daher ist die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Das Landesarbeitsgericht wird zu prüfen haben, ob die Lehrerin einen Rechtsanspruch auf die Ausübung des Ermessens durch das beklagte Land dahin hat, dass sie nach dem Auslaufen der Aussetzung nach Abs. 4 der Verwaltungsvorschrift der Stufe 6 ihrer Entgeltgruppe zuzuordnen ist.

Weiterlesen:
Betriebsübergang - und die Weitergeltung einer Gesamtbetriebsvereinbarung

Mit Ablauf des 31.07.2021 hat die in der Nebenabrede vereinbarte Vorweggewährung der Stufe 5 der Entgeltgruppe 13 TV-L geendet. Nach Abs. 3 Satz 1 der Nebenabrede vollzieht sich der Aufstieg in die nächsthöhere reguläre Stufe unabhängig von der übertariflichen Zulagenzahlung. Die Lehrerin wurde zu Beginn des Arbeitsverhältnisses auf Grundlage des konkludent angenommenen Änderungsangebots des beklagten Landes vom 02.12.2014 in die Stufe 3 der Entgeltgruppe 13 TV-L eingestuft. Sie erreichte somit die Stufe 5 regulär mit dem 1.08.2021 (§ 16 Abs. 3 Satz 1 iVm. § 17 Abs. 1 TV-L).

Mit dem Ende der Vorweggewährung der Stufe 5 endete die Aussetzung der Anwendbarkeit der Verwaltungsvorschrift gemäß deren Abs.04. Mit dem 1.08.2021 hätte das beklagte Land daher sein Ermessen nach § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L dazu ausüben müssen, ob etwaige förderliche Zeiten aus vorheriger beruflicher Tätigkeit der Lehrerin für die Stufenzuordnung zu ihren Gunsten anzuerkennen sind. Die erfolgte Aussetzung der Ermessensausübung bewirkt eine lediglich vorübergehende Nichtanwendung der Verwaltungsvorschrift zur Anerkennung förderlicher Zeiten, nicht jedoch deren dauerhafte Unanwendbarkeit.

Das beklagte Land hat sein Ermessen nach § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L zum 1.08.2021 nicht ausgeübt. Das Landesarbeitsgericht hätte daher prüfen müssen, ob das beklagte Land aufgrund einer Ermessensreduzierung auf Null die Lehrerin ab diesem Zeitpunkt der Stufe 6 zuzuordnen hatte. Eine solche Prüfung hat das Landesarbeitsgericht nicht vorgenommen, darin liegt der Rechtsfehler bei der Beurteilung des klägerischen Begehrens für die Zeit ab 1.08.2021. Bei neuer Verhandlung und Entscheidung wird das Berufungsgericht Folgendes zu berücksichtigen haben:

Die Entscheidung des beklagten Landes über die Berücksichtigung von Zeiten einer förderlichen Tätigkeit zur Deckung des Personalbedarfs steht grundsätzlich in seinem Ermessen15. Nur im Fall der Ermessensreduzierung auf Null, dh., wenn aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls nur eine einzige Entscheidung ermessensfehlerfrei ist, kann das Gericht das beklagte Land verpflichten, die abgelehnte Entscheidung zu treffen7.

Wenn keine Ermessensreduzierung auf Null eingetreten ist, kommt regelmäßig nur ein Verbescheidungsurteil in Betracht, mit dem das Gericht die Behörde verpflichtet, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts abermals zu bescheiden16. Eine solche Neubescheidung ist jedoch nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits. Hier wäre durch das Landesarbeitsgericht ein Hinweis auf eine – sachdienliche – Klageänderung erforderlich, um der Lehrerin eine entsprechende Antragstellung zu ermöglichen. Verbliebe es beim bisherigen Feststellungsantrag, wäre die Klage dagegen unbegründet.

Das Landesarbeitsgericht wird Feststellungen dazu zu treffen haben, ob die Zeiten der vorherigen Berufstätigkeit der Lehrerin als förderlich iSv. § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L unter Berücksichtigung der Verwaltungsvorschrift anzuerkennen sind. Dies ist zwischen den Parteien streitig. Es wird unter Berücksichtigung des zu erwartenden weiteren Vortrags der Parteien auch zu prüfen haben, ob die Lehrerin dargelegt hat, dass dem beklagten Land bei seiner Entscheidung über die Berücksichtigung förderlicher Beschäftigungszeiten kein Ermessensspielraum geblieben ist, oder ob es sich in anderer Weise in Bezug auf die Gewährung der Stufe 6 selbst gebunden hat17. Nur wenn dies der Fall ist, kann offenbleiben, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L erfüllt sind18. Für ein Verbescheidungsurteil wäre auch die Erfüllung dieser Tatbestandsvoraussetzungen zu prüfen.

Weiterlesen:
Minderheitenschutz und Koordinationsausschüsse im Betriebsrat

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13. Juli 2022 – 5 AZR 412/21

  1. vgl. BAG 31.07.2014 – 6 AZR 822/12, Rn. 32, BAGE 148, 381; 23.09.2010 – 6 AZR 174/09, Rn.20[]
  2. vgl. BAG 10.07.2013 – 10 AZR 915/12, Rn. 48 mwN, BAGE 145, 341[]
  3. vgl. Duden Das große Wörterbuch der deutschen Sprache 3. Aufl. Stichwort „aussetzen“[]
  4. LAG Berlin-Brandenburg 15.06.2021 – 19 Sa 1625/20[]
  5. vgl. BAG 5.06.2014 – 6 AZR 1008/12, Rn. 18 mit zahlreichen weiteren Nachweisen, BAGE 148, 217[]
  6. vgl. BAG 31.07.2014 – 6 AZR 822/12, Rn. 32, BAGE 148, 381[][]
  7. vgl. BAG 15.10.2021 – 6 AZR 268/20, Rn. 21; 1.06.2017 – 6 AZR 433/15, Rn. 27 mwN[][]
  8. in diesem Sinne Spengler/Dick in HaKo-TVöD/TV-L 3. Aufl. § 16 Rn. 12; für die Vorweggewährung von Lebensaltersstufen zur Deckung des Personalbedarfs in § 27 Abschnitt C BAT vgl. BAG 31.01.2002 – 6 AZR 508/01 – EzBAT § 27 BAT Abschnitt A-VKA Nr. 7[]
  9. dazu BVerwG 13.10.2009 – 6 P 15.08, Rn. 39; LAG Baden-Württemberg 16.01.2009 – 7 Sa 75/08[]
  10. vgl. BAG 5.06.2014 – 6 AZR 1008/12, Rn. 21, BAGE 148, 217; 23.09.2010 – 6 AZR 174/09, Rn. 17[]
  11. vgl. BAG 8.09.2021 – 10 AZR 322/19, Rn. 75 mwN[]
  12. st. Rspr., vgl. nur BAG 27.04.2016 – 5 AZR 311/15, Rn. 35[]
  13. vgl. BAG 19.12.2019 – 6 AZR 563/18, Rn. 12, BAGE 169, 163; 19.05.2015 – 3 AZR 771/13, Rn.19 ff., BAGE 151, 343; BGH 11.04.2006 – X ZR 139/03, Rn. 9 ff., BGHZ 167, 166[]
  14. vgl. für das Rechtsbeschwerdeverfahren BAG 2.08.2017 – 7 ABR 51/15, Rn. 16[]
  15. ausführlich hierzu BAG 5.06.2014 – 6 AZR 1008/12, Rn. 21 mwN, BAGE 148, 217[]
  16. vgl. BAG 15.10.2021 – 6 AZR 268/20, Rn. 25; 1.06.2017 – 6 AZR 433/15, Rn. 27[]
  17. vgl. BAG 15.10.2021 – 6 AZR 268/20, Rn. 22[]
  18. vgl. BAG 15.10.2021 – 6 AZR 268/20, Rn. 26; zu den Tatbestandsvoraussetzungen vgl. BAG 15.10.2021 – 6 AZR 254/20, Rn. 18 ff. mwN[]

Bildnachweis: