Vorübergehende Auslandsentsendung – und der Bruttolohn

Der Arbeitgeber erfüllt einen Bruttolohnanspruch in einem Fall mit Auslandsbezug wie dem vorliegenden durch die Abführung der gesetzlich bzw. nach den anwendbaren Doppelbesteuerungsabkommen einschlägigen Steuer, der einschlägigen (Sozialversicherungs-)Abgaben und durch die Auszahlung des restlichen (Netto-)Betrags an den Arbeitnehmer.

Vorübergehende Auslandsentsendung – und der Bruttolohn

Die arbeitsrechtliche Vergütungspflicht beinhaltet bei einer Bruttolohnvereinbarung nicht nur die Nettoauszahlung, sondern umfasst auch die Leistungen, die nicht in einer unmittelbaren Auszahlung an den Arbeitnehmer bestehen. Abzug und Abführung von Lohnbestandteilen betreffen – im Inland – nur die Frage, wie der Arbeitgeber seine Zahlungspflicht gegenüber dem Arbeitnehmer erfüllt1. Materiell handelt es sich dann auch hinsichtlich des Steuerabzugs um eine Leistung an den Arbeitnehmer, die nur aus formellen Gründen des deutschen Steuerrechts vom Arbeitgeber unmittelbar an das Finanzamt erbracht wird, ohne dass sich hierdurch der materielle Charakter der Zahlung an den Arbeitnehmer ändert2.

So auch in dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall: Da der Arbeitnehmer im streitgegenständlichen Zeitraum nicht in Deutschland (lohn-)steuerpflichtig war, erfüllte die Arbeitgeberin in Höhe des von ihr vorgenommenen Abzugs der hypothetisch in Deutschland zu zahlenden Steuer seinen tariflichen Vergütungsanspruch nicht. Die einbehaltene hypothetische Steuer wurde von ihr nicht an den deutschen Fiskus abgeführt. Erfüllungswirkung konnte nur durch Zahlung der französischen Steuer bzw. durch die vereinbarten Erstattungen bei der jährlichen Nachberechnung der hypothetischen Steuer eintreten. Diese Beträge macht der Arbeitnehmer nicht (mehr) geltend. Soweit die Summe der ausgezahlten Nettobeträge, der genannten Erstattungsleistungen sowie der tatsächlich abgeführten Sozialversicherungsbeiträge und der in Frankreich für den Arbeitnehmer entrichteten Lohnsteuer nicht das Bruttoentgelt erreicht, kann der Arbeitnehmer von der Arbeitgeberin daher weitere Zahlung verlangen.

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Die Arbeitgeberin kann den tariflichen Bruttolohnanspruch auch nicht durch die Zahlung der im Entsendungsvertrag vereinbarten Leistungen und Zulagen für die Tätigkeit im Ausland erfüllen. Hierbei handelt es sich um selbständige Ansprüche, die nicht im inneren Zusammenhang mit dem für die „bloße“ Arbeitsleistung geschuldeten Tariflohn standen.

Die aus Anlass der Entsendung erbrachten Zahlungen, die – wenn auch zT pauschaliert – auf bestimmte mit der Auslandstätigkeit verbundene Mehraufwendungen (Umzugskosten, Schulgeld etc.) bezogen sind, stehen nicht im Zusammenhang mit der tariflichen Vergütung. Sie beziehen sich – wie auch der Kaufkraftausgleich – auf Mehrkosten und -aufwendungen, die dem Arbeitnehmer durch die Tätigkeit in Frankreich entstehen. Sie stellen kein Entgelt für die vom Arbeitnehmer in Frankreich erbrachte Arbeitsleistung dar.

Entsprechendes gilt für die Mobilitätszulage. Auch diese steht nicht im inneren Zusammenhang mit der tariflichen Vergütung, sondern wird den Arbeitnehmern für ihre Bereitschaft gezahlt, im Ausland zu arbeiten. Sie steht insoweit neben der – für erheblich erschwerte Bedingungen im Gastland – ggf. zu zahlenden Erschwerniszulage („Hardship“), die besondere Härten (Klima, medizinische Versorgung, Sicherheitsrisiken) abdecken soll und verfolgt einen eigenen Leistungszweck. Für diese Einordnung sprechen auch die vorliegenden Regelungen im Entsendungsvertrag zum Absinken der Mobilitätszulage im vierten und fünften Entsendungsjahr auf zehn bzw. fünf Prozent des Referenzeinkommens, denen offenbar eine unterstellte sinkende „Belastung“ oder jedenfalls Gewöhnung an die Auslandstätigkeit zugrunde liegt. Wäre die Mobilitätszulage auf die reine Arbeitsleistung bezogen, die sich während der Entsendung nicht ändert, gäbe es keinen Grund für eine Reduzierung.

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Das Abstellen auf den inneren Zusammenhang zugesagter Sonderleistungen mit der tarifvertraglich vorgesehenen Arbeitsleistung und die Bestimmung des Leistungszwecks der vom Arbeitgeber zusätzlich zum tariflichen Entgelt erbrachten Leistungen entspricht auch das Bundesarbeitsgerichtsrechtsprechung zur Behandlung der individualrechtlichen Anrechnung von Tariflohnerhöhungen auf eine übertarifliche Vergütung. Soweit keine ausdrückliche Vereinbarung getroffen wurde, ist hiernach aus den Umständen zu ermitteln, ob eine Befugnis zur Anrechnung besteht. Die Anrechnung ist grundsätzlich möglich, sofern dem Arbeitnehmer mit der übertariflichen Vergütung nicht vertraglich ein selbständiger Entgeltbestandteil neben dem jeweiligen Tarifentgelt zugesagt worden ist3. Für die Annahme eines selbständigen Entgeltbestandteils spricht es, wenn die Parteien mit der Zulage einen besonderen, abgrenzbaren Leistungszweck (zB Abgeltung einer besonderen Erschwernis) verfolgen4. Das bedeutet für die Frage der Anrechnung von Tariflohnerhöhungen auf eine übertarifliche Vergütung, dass diese nur dann möglich ist, wenn der Arbeitgeber mit der Zahlung der übertariflichen Zulage auch den erhöhten Tariflohnanspruch nach § 362 Abs. 1 BGB erfüllen kann. Dies kommt wiederum nur dann in Betracht, wenn mit dem übertariflichen Vergütungsbestandteil kein eigenständiger Leistungszweck verfolgt wird. Nur dann ist eine Anrechnung möglich, weil die übertarifliche Vergütung in diesem Fall (bloßes) Entgelt für die erbrachte Arbeitsleistung ist. Auch insoweit wird zur Feststellung des Erfüllungseintritts danach unterschieden, ob eine Geldleistung allein unmittelbare Gegenleistung für die vom Arbeitnehmer erbrachte Arbeitsleistung ist oder mit ihr andere Zwecke verfolgt werden.

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Da die im Entsendungsvertrag vereinbarten Leistungen wegen ihrer unterschiedlichen und eigenständigen Zweckrichtung nicht geeignet sind, den tariflichen Vergütungsanspruch zu erfüllen, der die „bloße“ Arbeitsleistung zum Gegenstand hat, stellt sich die in den Vorinstanzen thematisierte Frage eines Günstigkeitsvergleichs nicht. Selbst wenn ein solcher durchzuführen wäre, wären die Regelungen in Nr. 7 Abs. 1 und Abs. 2 iVm. Anhang B des Entsendungsvertrags nicht günstiger iSv. § 4 Abs. 3 Alt. 2 TVG als die tarifliche Regelung der Bruttovergütung. Denn die entsendungsbedingten Sonderleistungen – einschließlich der Mobilitätszulage – wären nicht in einen Günstigkeitsvergleich einzubeziehen, weil sie andere Zwecke verfolgen. Damit fehlte es an dem für die Bildung einer Sachgruppe erforderlichen inneren Zusammenhang5. Auf die Frage, ob die Regelungen beim Abschluss der KBV als „Gesamtpaket“ verhandelt wurden, kommt es nicht entscheidend an.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 7. September 2022 – 5 AZR 502/21

  1. vgl. BAG 7.03.2001 – GS 1/00, zu III 1 b der Gründe, BAGE 97, 150[]
  2. vgl. BAG 7.03.2001 – GS 1/00, zu III 1 c der Gründe, aaO[]
  3. BAG 23.09.2009 – 5 AZR 973/08, Rn. 21[]
  4. BAG 27.08.2008 – 5 AZR 820/07, Rn. 13, BAGE 127, 319[]
  5. vgl. BAG 13.05.2020 – 4 AZR 489/19, Rn. 33, BAGE 170, 230; 15.04.2015 – 4 AZR 587/13, Rn. 27 ff., BAGE 151, 221[]