§ 47 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 TV-L sieht, wie aus der Formulierung „auf schriftliches Verlangen“ folgt, für den Beschäftigten ein einseitiges Gestaltungsrecht hinsichtlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Zweck des Bezugs von Übergangsleistungen vor.

Die Gestaltungswirkung tritt unmittelbar mit Zugang der einseitigen Willenserklärung, durch die es ausgeübt wird, ein. Maßgeblich ist die Rechtslage bei Zugang der einseitigen Willenserklärung. Die durch die Ausübung des Gestaltungsrechts eingetretene Änderung des Rechtsverhältnisses kann grundsätzlich nicht einseitig ungeschehen gemacht, dh. nicht mit rückwirkender Kraft beseitigt, sondern nur durch rechtsgeschäftliches Zusammenwirken beider Parteien rückgängig gemacht oder abgeändert werden1.
Eine einvernehmliche Vereinbarung über die Beseitigung der geänderten Rechtslage und den unveränderten Fortbestand des Arbeitsverhältnisses haben die Parteien nicht getroffen. Dies folgt bereits aus der ausdrücklichen Erklärung des Klägers, nur wegen etwaiger drohender sozialrechtlicher Nachteile für den Fall des Unterliegens in diesem Rechtsstreit über den von ihm angenommenen Beendigungstermin hinaus weiterarbeiten zu wollen und im Übrigen an dem gewählten Beendigungszeitpunkt festzuhalten.
Der Kläger fällt als Anestesiepfleger im Justizvollzugskrankenhaus Fröndenberg unter die Sonderregelungen für Beschäftigte im Justizvollzugsdienst. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 47 Nr. 1 Abs. 1 und Abs. 3 TV-L sind erfüllt. Der Kläger ist im Justizvollzugskrankenhaus, das rechtlich als Justizvollzugsanstalt geführt wird, eingesetzt und damit Beschäftigter des Justizvollzugsdienstes im Tarifgebiet West.
§ 43 TV-L beinhaltet auch keine den Bestimmungen des § 47 TV-L vorgehenden spezielleren Regelungen. Die Normen betreffen unterschiedliche Regelungsgegenstände. § 43 TV-L enthält Vorschriften zu den allgemeinen Arbeitsbedingungen, zur Arbeitszeit, den Sonderformen der Arbeit und deren Ausgleich sowie zum Entgelt und Zusatzurlaub für Pflegekräfte. § 47 Nr. 3 TV-L sieht dagegen einen Ausgleich für besondere Belastungen vor, die Beschäftigte wegen ihrer Arbeit in speziellen Bereichen des Justizvollzugsdienstes ertragen. Die Tarifregelungen stehen daher selbstständig nebeneinander. Insoweit können Beschäftigte in Krankenanstalten und Krankenabteilungen des Justizvollzugsdienstes unter beide Bestimmungen fallen2.
Das Landesarbeitsgericht Hamm hat insoweit rechtsfehlerfrei angenommen3, dass der Kläger als leitender Anästhesie-Krankenpfleger im Justizvollzugskrankenhaus im Sanitätsdienst iSv. § 47 Nr. 1 Abs. 1 und Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 TV-L eingesetzt ist. Der Begriff „Sanitätsdienst“ in § 47 Nr. 1 Abs. 1 und Nr. 3 Abs. 1 TV-L bezeichnet nicht nur die Arbeit auf einer Krankenstation in den Justizvollzugsanstalten außerhalb des Justizvollzugskrankenhauses. Die Tarifvertragsparteien haben in § 47 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 TV-L mit der Formulierung: „mit einer Tätigkeit … im … Sanitätsdienst des Justizvollzugsdienstes“, nicht zwischen den einzelnen Justizvollzugseinrichtungen unterschieden, sondern allein darauf abstellt, dass die Tätigkeit im Sanitätsdienst erbracht wird. Mit dem Begriffsbestandteil „Sanität“, der ua. „Krankenpflege“ bedeutet4, haben sie insoweit klar zum Ausdruck gebracht, dass der Sanitätsdienst umfassend im Sinn von Krankenpflegedienst zu verstehen ist5. Entgegen der Auffassung des Landes NRW kommt es auch nicht darauf an, dass das Landesrecht den Sanitäts- bzw. Krankenpflegedienst beim vorzeitigen Ruhestand für Justizvollzugsbeamte in § 117 Abs. 1 LBG NRW nicht eigens aufgeführt hat. Der TV-L ist ein konzeptionell bundesweit geltender Tarifvertrag (vgl. § 1 Abs. 1 TV-L). Soweit seine Tarifvertragsparteien einzelne Sachverhalte länderspezifisch regeln wollten, haben sie dies – wie zB die Bestimmungen in § 47 Nr. 1 Abs. 2 und Nr. 2 Abs. 1 TV-L zeigen – klar zum Ausdruck gebracht. Für die Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis nach § 47 Nr. 3 TV-L vorzeitig zu beenden und eine Übergangszahlung zu beziehen, fehlt es an einer entsprechenden Vorgabe.
Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist im hier entschiedenen Fall wirksam nach § 47 Nr. 3 Abs. 1 und Abs. 4 TV-L zum 31.01.2021 beendet worden. Der Kläger hat spätestens mit seiner Klage vom 20.05.2019 sein Beendigungsverlangen iSv. § 47 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 TV-L unter Einhaltung der Dreimonatsfrist nach § 47 Nr. 3 Abs. 1 Satz 4 TV-L und damit fristgemäß vor dem gewünschten Beendigungszeitpunkt, dem 31.01.2021, geltend gemacht.
Er konnte gemäß § 47 Nr. 3 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 TV-L die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses frühestens 35 Kalendermonate vor dem Zeitpunkt, zu dem er aufgrund der vorliegenden Schwerbehinderung nach § 236a SGB VI eine abschlagsfreie Altersrente für schwerbehinderte Menschen in Anspruch nehmen kann, dh. ab dem 1.10.2022, und damit jedenfalls zum 31.01.2021 verlangen. Er war nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts seit dem 1.07.1986 und somit zum gewünschten Beendigungstermin mehr als 34 Jahre durchgehend beim Land NRW im Justizvollzugskrankenhaus F als Krankenpfleger tätig.
Die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist auch nicht nach § 47 Nr. 3 Abs. 4 TV-L ausgeschlossen. Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen für einen Anspruch auf eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte nach § 236b SGB VI nicht. Hierüber besteht zwischen den Parteien kein Streit.
Entgegen der Auffassung der Revision kann dahinstehen, ob es im Sinn des Beamtenrechts des Landes Nordrhein-Westfalen mit dem Kläger vergleichbare Beamte im Sanitätsdienst des Justizvollzugsdienstes gibt. Das folgt aus der Auslegung des § 47 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbs. TV-L.
§ 47 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 TV-L stellt für den Anspruch auf eine vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf die tatsächliche Tätigkeit des Tarifbeschäftigten in einem der genannten Dienste ab. Entgegen der Auffassung des Landes NRW kommt es deshalb weder darauf an, ob das Landesbeamtenrecht eine Laufbahn für den betreffenden Dienst vorsieht, noch darauf, ob die dort eingesetzten Beamten aufgrund ihrer Ausbildung vielseitiger einsetzbar sind als die jeweiligen Tarifbeschäftigten. Das ergibt die Auslegung der Tarifnorm6.
Nach dem klaren Wortlaut der Bestimmung können nur diejenigen Tarifbeschäftigten des Justizvollzugsdienstes ihr Arbeitsverhältnis vorzeitig beenden und eine Übergangszahlung erhalten, die im Aufsichts, Werk- oder Sanitätsdienst tätig sind, also die entsprechenden Aufgaben des jeweiligen Dienstes tatsächlich wahrnehmen. Anknüpfungspunkt ist allein, dass die Beschäftigten eine Tätigkeit in einem dieser Dienste ausüben. Dabei kommt es nicht auf eine Identität der konkreten Aufgaben in den verschiedenen Bereichen der Krankenpflege an, denn die Regelung differenziert nicht nach Tätigkeitsbereichen innerhalb des einzelnen Dienstes. Anhaltspunkte dafür, dass nach dem Willen der Tarifvertragsparteien darüber hinaus durch die Formulierung in § 47 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbs. TV-L: „und nicht vor dem Zeitpunkt, zu dem vergleichbare Beamtinnen und Beamte des Arbeitgebers im Aufsichts, Werk- oder Sanitätsdienst des Justizvollzugsdienstes … in den gesetzlichen Ruhestand treten.“, die tatbestandliche Voraussetzung einer Tätigkeit in einem der genannten Dienste erweitert werden sollten, sind der Tarifnorm nicht zu entnehmen. Die Regelung beinhaltet lediglich eine Untergrenze für den Ausscheidenszeitpunkt und damit eine bloß zeitliche Komponente. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Begriffspaar „vergleichbare Beamte“. Zielte das Wort „vergleichbar“ auf die Ausbildung bzw. eine damit einhergehende vielseitigere Einsetzbarkeit der Referenzbeamten, könnten die in diesen Diensten eingesetzten Tarifbeschäftigten die Möglichkeit einer vorzeitigen Beendigung ihrer Arbeitsverhältnisse nach § 47 Nr. 3 TV-L regelmäßig nicht in Anspruch nehmen, da entsprechende Ausbildungen nach den Ausbildungs- und Prüfungsordnungen der Länder nur im Rahmen einer Laufbahnausbildung angeboten werden7. Eine solche Deutung ließe die Norm weitestgehend leerlaufen.
Ein derartiges Regelungsverständnis wäre auch mit dem sich aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang ergebenden Sinn und Zweck von § 47 Nr. 3 TV-L nicht vereinbar. Die Tarifvertragsparteien haben mit der Option, das Arbeitsverhältnis unter bestimmten Voraussetzungen vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze zu beenden und eine Übergangszahlung zu beziehen, den spezifischen körperlichen und mentalen Belastungen aufgrund der Tätigkeiten im Aufsichts, Werk- oder Sanitätsdienst des Justizvollzugsdienstes Rechnung getragen8. Es kam ihnen also offenkundig auf die mit besonderen Anforderungen einhergehende Tätigkeit in den betreffenden Diensten an. Ziel war es, die Abmilderung der Auswirkungen auf den Gesundheitszustand der dort Beschäftigten zu ermöglichen. Die Regelung in § 47 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 TV-L: „und nicht vor dem Zeitpunkt, zu dem vergleichbare Beamtinnen und Beamte des Arbeitgebers … in den gesetzlichen Ruhestand treten.“, sollte vor diesem Hintergrund lediglich gewährleisten, dass die Tarifbeschäftigten im Aufsichts, Werk- oder Sanitätsdienst des Justizvollzugsdienstes aufgrund der ihnen eingeräumten Flexibilität bei der Wahl des Beendigungszeitpunkts gegenüber etwaigen, in diesen Diensten tätigen Beamten hinsichtlich des Zeitpunkts des vorzeitigen Ausscheidens nicht bessergestellt werden9. Maßgeblich ist allein, ob und zu welchem Zeitpunkt solche Landesbeamten in den Ruhestand treten würden, wenn sie die Tätigkeit des Tarifbeschäftigten ausübten.
Der vom Land NRW angeregten Einholung von Auskünften der Tarifpartner zu den der Regelung des § 47 Nr. 3 iVm. Nr. 1 TV-L zugrundeliegenden Überlegungen der Tarifvertragsparteien vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Laufbahnregelungen der Länder war nicht nachzukommen. Es bestehen nach Auslegung der Tarifnorm bereits nicht die für eine Tarifauskunft erforderlichen Zweifel. Zudem darf diese nicht auf die Beantwortung der prozessentscheidenden Rechtsfrage gerichtet sein; die Auslegung von Tarifverträgen und tariflichen Begriffen ist vielmehr Sache der Gerichte für Arbeitssachen10.
Es kommt entgegen der Auffassung der Revision daher nicht darauf an, ob im Justizvollzugsdienst des Landes Nordrhein-Westfalen überhaupt mit dem Kläger vergleichbare Beamte beschäftigt sind. Selbst wenn es sich bei den in der Krankenpflege des Justizvollzugsdienstes des Landes NRW beschäftigten Beamten des allgemeinen Vollzugsdienstes um solche handeln sollte, führte die Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers zum 31.01.2021 nicht zu einer Besserstellung ihnen gegenüber. Der Kläger hat sein Ausscheiden erst nach Vollendung des 62. Lebensjahres und damit zu dem Zeitpunkt verlangt, zu dem auch die Beamten des allgemeinen Justizvollzugsdienstes nach § 117 Abs. 1 LBG NRW in den gesetzlichen Ruhestand treten.
Nähme man dagegen an, die im Krankenpflegedienst des Justizvollzugsdienstes des Landes NRW beschäftigten Beamten wären mit dem Kläger nicht vergleichbar, stünde dies – entgegen der Auffassung der Revision – seinem Verlangen, das Arbeitsverhältnis nach § 47 Nr. 3 Abs. 1 TV-L vorzeitig zu beenden, ebenfalls nicht entgegen. Dies hätte lediglich zur Folge, dass die zeitliche Untergrenze iSv. § 47 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbs. TV-L für den Ausscheidenszeitpunkt entfiele und lediglich die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen des § 47 Nr. 3 Abs. 1 TV-L erfüllt sein müssten.
Schließlich kann sich das Land Nordrhein-Westfalen nicht darauf berufen, dass die mit dem Dienst in einer Justizvollzugsanstalt verbundenen Erschwernisse bereits durch die sämtlichen Beschäftigten in Justizvollzugseinrichtungen zustehende monatliche Vollzugszulage nach § 19a TV-L ausgeglichen würden. Die Tarifvertragsparteien haben den spezifischen Tätigkeiten in den drei Bereichen Aufsichts, Werk- und Sanitätsdienst eine gegenüber den Arbeiten in den übrigen Bereichen des Justizvollzugsdienstes deutlich erhöhte Anforderung und Belastung beigemessen und wollten für diese Beschäftigten mit § 47 Nr. 3 TV-L gerade einen darüber hinausgehenden Ausgleich schaffen.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24. Februar 2022 – 6 AZR 32072 – 0
- vgl. BAG 20.01.2016 – 6 AZR 601/14, Rn. 31, BAGE 154, 53; 21.03.2013 – 6 AZR 618/11, Rn. 15 mwN[↩]
- vgl. Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TV-L Teil II § 47 Nr. 1 Stand Juli 2013 Rn. 7; BeckOK TV-L/Sieberts § 47 Nr. 1 Stand 1.12.2021 Rn. 7[↩]
- LAG Hamm 27.05.2020 – 6 Sa 101/20[↩]
- Brockhaus/Wahrig Deutsches Wörterbuch 18. Aufl. Stichwort „Sanität“[↩]
- vgl. auch BeckOK TV-L/Sieberts § 47 Nr. 1 Stand 1.12.2021 Rn. 7[↩]
- zu den Auslegungsgrundsätzen für Tarifverträge vgl. zB BAG 11.11.2020 – 4 AZR 210/20, Rn.20 mwN[↩]
- zu der insoweit vergleichbaren Regelung in Nr. 3 der SR 2 m MTL II siehe BAG 10.05.1989 – 7 AZR 141/88, zu 2 b der Gründe[↩]
- vgl. Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TV-L Teil II § 47 Nr. 3 Stand August 2020 Rn. 14; BeckOK TV-L/Sieberts § 47 Nr. 3 Stand 1.12.2021 Rn. 3[↩]
- Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese aaO § 47 Nr. 3 Stand September 2017 Rn. 11 und Stand August 2020 Rn. 14; BeckOK TV-L/Sieberts § 47 Nr. 3 Stand Dezember 2021 Rn. 5[↩]
- st. Rspr., zB BAG 13.10.2021 – 4 AZR 365/20, Rn. 30[↩]
Bildnachweis:
- Justizvollzugskrankenhaus Fröndenberg: Bubo | GFDL GNU Free Documentation License 1.2