Wahl zur Schwerbehindertenvertretung in einem Betrieb mit überwiegender Auswärtstätigkeit

Aufgrund des Gebotes der Chancengleichheit der Wahlbewerber kann der Wahlvorstand (hier Wahl der Schwerbehindertenvertretung) in einem Betrieb, in dem die Wahlberechtigten ausschließlich in Kundenbetrieben arbeiten, verpflichtet sein, den Wahlbewerbern die Einsatzbetriebe der Wahlberechtigten mitzuteilen.

Wahl zur Schwerbehindertenvertretung in einem Betrieb mit überwiegender Auswärtstätigkeit

Eine solche Pflicht besteht jedenfalls dann, wenn ein Wahlbewerber aufgrund seiner betrieblichen Stellung die Einsatzdaten kennt, ein anderer Wahlbewerber nicht. Die Gefälle der Chancengleichheit hat der Wahlvorstand auszugleichen. Ein Anspruch des Wahlbewerbers auf Information über die persönlichen Kontaktdaten von Wahlberechtigten besteht nicht.

Ein Verstoß hiergegen führt nicht zur Nichtigkeit der Wahl.

Die Wahl einer Arbeitnehmervertretung – gleichermaßen die des Betriebsrats wie auch die der Schwerbehindertenvertretung – ist nur nichtig bei groben und offensichtlichen Verstößen gegen wesentliche Grundsätze des gesetzlichen Wahlrechts, die so schwerwiegend sind, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr besteht. Wegen der schwerwiegenden Folgen einer von Anfang an unwirksamen Betriebsratswahl kann deren jederzeit feststellbare Nichtigkeit nur bei besonders krassen Wahlverstößen angenommen werden1. Voraussetzung dafür ist, dass der Mangel offenkundig ist und deshalb ein Vertrauensschutz in die Gültigkeit der Wahl zu versagen ist. Die Betriebsratswahl muss „den Stempel der Nichtigkeit auf der Stirn tragen”2.

Diese Voraussetzungen liegen in dem hier vom Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg entschiedenen Streitfall nicht vor:

Allerdings ist die unterlassene Information der Wahlberechtigten über den jeweiligen Einsatzort der anderen Wahlberechtigten fehlerhaft gewesen. § 6 SchwbVWO stellt zwar keine dahingehende Verpflichtung des Wahlvorstandes auf. Das bedeutet jedoch noch nicht, dass es eine solche Verpflichtung nicht angesichts der besonderen Umstände des konkreten Betriebes aus übergeordneten Wahlgrundsätzen ergeben kann. Im vorliegenden Fall ist ein solcher allgemeiner Grundsatz das Gebot der Chancengleichheit der Wahlbewerber. Dieses Gebot ist zwar weder im BetrVG noch in der WO 72 ausdrücklich normiert. Es handelt sich hierbei aber um einen ungeschriebenen Grundsatz und ein notwendiges Element einer demokratischen Wahl. Nach ihm soll jeder Wahlbewerber die gleichen Möglichkeiten im Wahlkampf und im Wahlverfahren und damit die gleiche Chance im Wettbewerb um die Wählerstimmen haben3. Das Gebot wird verletzt, wenn der Wahlvorstand einzelnen Bewerbern Vorrechte gegenüber anderen einräumt4.

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Im vorliegenden Fall ist der Betrieb dadurch gekennzeichnet, dass es im täglichen Arbeitseinsatz keine feste Betriebsstruktur gibt, sondern dass die Arbeitnehmer überwiegend bei Kunden im Außendienst arbeiten. Da bei der Arbeitgeberin nur acht schwerbehinderte Menschen arbeiten, ist ein beruflicher Kontakt dieser Mitarbeiter untereinander angesichts der Beschäftigtenzahl von mehr als 800 Arbeitnehmern sehr unwahrscheinlich.

Die Chancengleichheit von Wahlbewerbern, alleine die notwendigen Stützunterschriften zu erhalten, hängt daher in der Tat wesentlich davon ab, dass Kontakt zu den anderen Wahlberechtigten besteht oder zumindest hergestellt werden kann. Aus diesem Grunde hat der Arbeitnehmer vom Wahlvorstand zu Recht verlangt, dass dieser ihm die entsprechenden Einsatzorte der anderen wahlberechtigten schwerbehinderten Mitarbeiter mitteilt. Das gilt umso mehr, wenn andere Wahlbewerber aus beruflichen Gründen bereits über diese Kontaktdaten verfügen. Hier hat der Wahlvorstand einzelnen Wahlbewerbern zwar keine Vorrechte gegenüber anderen eingeräumt, er hat aber die „Wettbewerbsverzerrung“ und damit die Chancenungleichheit verfestigt, in dem er nicht die aufgrund der Betriebsstruktur gebotenen Ausgleichsmaßnahmen ergriffen und die Einsatzorte der anderen Wahlberechtigten bereits im Wählerverzeichnis mitgeteilt hat.

Eine solche Information hat sich jedoch auf die Einsatzorte zu beschränken. Die vom Arbeitnehmer begehrte Information über die persönlichen Kontaktdaten, insbesondere die Wohnanschrift kann dieser nicht verlangen, da hier das Interesse der anderen Wahlberechtigten überwiegt, selber zu bestimmen, ob und von wem sie außerhalb ihrer Berufstätigkeit und ihrer Arbeitsstätte aus dem Kreis der Arbeitskollegen kontaktiert werden.

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Ob eine Informationsveranstaltung, wie sie der Wahlvorstand hier durchgeführt hat ausreichend ist, um die Chancengleichheit der potentiellen Wahlbewerber herzustellen, braucht hier nicht entschieden zu werden. Angesichts des Umstandes dass die Frist zur Einreichung von Wahlvorschlägen bereits drei Tage später abgelaufen war, weist der Arbeitnehmer zu Recht darauf hin, dass diese Informationsveranstaltung jedenfalls dann, wenn andere potentielle Wahlbewerber zumindest die Möglichkeit haben, aufgrund ihrer Kenntnisse der Einsatzorte der Wahlberechtigten dort bereits Stützunterschriften zu sammeln, dieser Funktion nicht mehr genügen kann.

Dieser Fehler des Wahlvorstandes führt jedoch nicht zur Nichtigkeit der streitgegenständlichen Wahl. Selbst ein Verstoß gegen § 20 Abs. 2 BetrVG (hier die tatsächliche und finanzielle Unterstützung einer Gruppe von Kandidaten bei der Herstellung einer Wahlzeitung durch den Arbeitgeber) stellt keinen Verstoß dar, der zur Nichtigkeit, sondern „nur“ zur Unwirksamkeit der Betriebsratswahl führt5.

Das gilt im vorliegenden Fall umso mehr, als die SchwbVWO ebenso wenig wie die BetrVG – WO 2001 keine Regelung darüber enthält, dass und ggf. unter welchen Voraussetzungen die Einsatzbetriebe der Wahlberechtigten im Wahlausschreiben mitzuteilen sind. Es existiert soweit ersichtlich zu diesem Themenkreis auch keinerlei Rechtsprechung. Es fehlt aus diesem Grund bereits an der Offensichtlichkeit des Verstoßes, da vom Wahlvorstand jedenfalls nicht gegen Regelungen des Wahlrechts verstoßen wurde, die dem Wahlvorstand eine Pflicht expressis verbis auferlegen.

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Die Nichtigkeit der Wahl kann auch deswegen nicht angenommen werden, weil bereits das Arbeitsgericht mit jedenfalls nachvollziehbarer Begründung – wenn diese auch vom Beschwerdegericht nicht gänzlich geteilt wird – eine Nichtigkeit der Wahl abgelehnt hat. Schon aus diesem Grunde fehlt es an der Offensichtlichkeit eines groben Verstoßes.

Ob eine Nichtigkeit anzunehmen ist, wenn der Wahlvorstand erneut in der beanstandeten Weise verfährt, braucht hier nicht entschieden zu werden.

Auch die übrigen vom Arbeitnehmer behaupteten Verstöße gegen Wahlvorschriften begründen allenfalls eine Anfechtbarkeit der Wahl, da sie von keinem Gewicht sind, dass sie einen groben und offensichtlichen Verstoß gegen das Wahlrecht darstellen. Auch der Arbeitnehmer selbst geht davon aus, dass hier nur eine Anfechtbarkeit in Betracht kommt.

Auch die Kumulation von Verstößen, die für sich genommen einzeln lediglich die Anfechtbarkeit begründen können, führt nicht zur Nichtigkeit der Wahl. Führen Verstöße gegen Wahlvorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes und der Wahlordnung 2001 jeder für sich genommen nicht zur Nichtigkeit der Wahl, kann sich auch aus einer Gesamtwürdigung der einzelnen Verstöße nicht ergeben, dass die Betriebsratswahl nichtig ist6.

Landesarbeitsgericht Baden -Württemberg, Beschluss vom 28. November 2017 – 9 TaBV 4/17

  1. BAG 10.06.1983 – 6 ABR 50/82 – AP BetrVG 1972 § 19 Nr. 10[]
  2. BAG 17.01.1978 – 1 ABR 71/76 – AP BetrVG 1972 § 1 Nr. 1, 19.11.2003 – 7 ABR 25/03 AP BetrVG 1972 § 19 Nr. 55, beck-online[]
  3. vgl. zur Chancengleichheit der Parteien bei Bundestagswahlen BVerfG 47, 198, 225, 226; BVerfG 21, 196, 199; BAG 6.12.2000 – 7 ABR 34/99, AP BetrVG 1972 § 19 Nr. 48, beck-online[]
  4. Richardi BetrVG/Thüsing BetrVG § 14 Rn. 18-19, beck-online[]
  5. BAG 4.12.1986 – 6 ABR 48/85, AP BetrVG 1972 § 19 Nr. 13, beck-online[]
  6. BAG 19.11.2003 – 7 ABR 24/03, AP BetrVG 1972 § 19 Nr. 54, beck-online[]
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