Wartefrist beim Kündigungsschutz und die Vorbeschäftigungszeit als Leiharbeitnehmer

Mit der Formulierung „dessen Arbeitsverhältnis“ knüpft § 1 Abs. 1 Satz 1 KSchG an die Dauer der Bindung mit dem jeweiligen Vertragsarbeitgeber an. Die Zusammenrechung mehrerer Arbeitsverhältnisse, zwischen denen ein enger sachlicher Zusammenhang besteht ( (BAG 07.07.2011 – 2 AZR 12/10, NZA 2012, 148 bis 152) ), kommt nur in Betracht, wenn diese Arbeitsverhältnisse mit demselben Vertragsarbeitgeber, also mit derselben natürlichen oder juristischen Person, bestanden haben.

Wartefrist beim Kündigungsschutz und die Vorbeschäftigungszeit als Leiharbeitnehmer

Selbst wenn ein Leiharbeitnehmer zuvor mehrere Monate im Entleiherunternehmen auf demselben Arbeitsplatz eingesetzt worden ist, auf dem er auch im Rahmen einer Anschlussbeschäfigung direkt beim Entleiher tätig wird, handelt es sich nicht um ein einheitliches sondern um zwei aufeinanderfolgende Arbeitsverhältnisse mit verschiedenen Arbeitgebern. Folge ist, dass die sechsmonatige Wartefrist nach § 1 Abs. 1 Satz 1 KSchG neu zu laufen beginnt.

Eine Zusammenrechnung von Beschäftigungszeiten bei verschiedenen Arbeitgebern zur Erreichung der sechsmonatigen Wartefrist nach § 1 Abs. 1 KSchG kommt auch nicht im Rahmen einer teleologischen Auslegung in Betracht: Die Wartezeit soll den Arbeitsvertragsparteien für eine gewisse Zeit die Prüfung ermöglichen, ob sie sich auf Dauer binden wollen1. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Zusammenrechnung verschiedener zeitlich nur kurz unterbrochener Arbeitsverhältnisse, zwischen denen ein enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang besteht, befasst sich mit Arbeitsverhältnissen beim selben Vertragsarbeitgeber. Dieser kennt dann „seinen“ Arbeitnehmer schon über einen längeren Zeitraum aus demselben Arbeitsverhältnis. Dagegen verändert sich bei der Neubegründung eines festen Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher nach Ablauf eines vorgeschalteten Leiharbeitsverhältnisses die Perspektive. Aus der vorherigen Zusammenarbeit kennt der Entleiher den Arbeitnehmer nur aus der „Kundenperspektive“. Bestimmte Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis (z. B. die Anzeige- und Nachweispflichten nach § 5 EntgeltfortzahlungsG) musste der Leiharbeitnehmer primär gegenüber seinem Vertragsarbeitgeber, d.h. bisher gegenüber dem Arbeitnehmerüberlassungsunternehmen, erbringen. Typischerweise übernimmt das Verleihunternehmen auch einige Aspekte der Personaldisposition. Die Zusammenarbeit zwischen dem (Leih-)Arbeitnehmer und dem Entleiher beschränkt sich in dieser Phase noch auf die rein fachliche Zusammenarbeit am Einsatzarbeitsplatz. Mit der Begründung eines Arbeitsverhältnisses zum Entleiher wird die Zusammenarbeit mit dem vormaligen Leiharbeitnehmer auf eine neue, umfassendere Grundlage gestellt. Hier besteht durchaus Anlass für eine erneute sechsmonatige Wartezeit zur Erprobung der gegenseitigen Zusammenarbeit unter allen Aspekten eines Arbeitsverhältnisses.

Weiterlesen:
Kündigung bei Konkurrenztätigkeit

Eine Anrechnung der Vorbeschäftigungszeit als Leiharbeitnehmer auf das spätere Arbeitsverhältnis beim Entleiher ist kündigungsschutzrechtlich auch nicht mit Blick auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 10.10.20122 geboten. In betriebsverfassungsrechtlicher Hinsicht hat das Bundesarbeitsgericht am 10.10.2012 entschieden, dass Beschäftigungszeiten als Leiharbeitnehmer im entleihenden Betrieb auf die für die Wählbarkeit nach § 8 Abs. 1 Satz 1 BetrVG erforderliche sechsmonatige Dauer der Betriebszugehörigkeit anzurechnen sind, wenn der Leiharbeitnehmer im Anschluss an die Überlassung in ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher übernommen wurde. Schon der maßgebliche Gesetzeswortlaut ist im kündigungsschutzrechtlichen und im betriebsverfassungsrechtlichen Zusammenhang ein unterschiedlicher: Während § 1 Abs. 1 Satz 1 KSchG ausdrücklich auf den vertragsrechtlichen Begriff des „Arbeitsverhältnisses“ Bezug nimmt, knüpft § 8 Abs. 1 Satz 1 BetrVG daran an, ob der Arbeitnehmer schon „sechs Monate dem Betrieb angehört“ hat. Letzteres ist ein Tatbestandsmerkmal, welches ein Abstellen auf die eher tatsächliche Eingliederung in den Betrieb ermöglicht. Dagegen besteht vertragsrechtlich zunächst ein „Arbeitsverhältnis“ mit dem Leitarbeitsunternehmen und später mit dem Entleiher. Es handelt sich mithin nicht um ein einheitliches sondern um zwei aufeinanderfolgende Arbeitsverhältnisse mit verschiedenen Arbeitgebern. Auch die geregelte Interessenlage ist in § 8 Abs. 1 Satz 1 BetrVG eine andere: Das passive Wahlrecht kann bereits den Arbeitnehmern zugestanden werden, die den Betrieb seit mindestens sechs Monaten kennen – sei es aus der Perspektive eines Leiharbeitnehmers oder später aus der Perspektive der Stammbelegschaft. Der Sinn der sechsmonatigen Wartezeit nach § 1 KSchG ist hingegen erst erfüllt, wenn der jeweilige Vertragsarbeitgeber den neuen Arbeitnehmer sechs Monate lang in allen Belangen des Arbeitsverhältnisses kennen gelernt hat.

Weiterlesen:
Die verspätete Kündigungsschutzklage des DGB-Rechtsschutzsekretärs

Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 5. April 2013 – 12 Sa 50/13

  1. BAG vom 07.07.2011 – 2 AZR 12/10, NZA 2012, 148 bis 152, Rn. 21[]
  2. BAG – 10.10.2012 – 7 ABR 53/11, BB 2013, 243-244[]