Wartezeit beim Kündigungsschutz – und die vorherige Beschäftigung im Ausland

Die Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG kann auch durch Zeiten einer Beschäftigung in demselben Betrieb oder Unternehmen erfüllt werden, während derer auf das Arbeitsverhältnis nicht deutsches, sondern ausländisches Recht zur Anwendung gelangte.

Wartezeit beim Kündigungsschutz – und die vorherige Beschäftigung im Ausland

§ 1 Abs. 1 KSchG schließt die Anrechnung von Beschäftigungszeiten aus einem vorangehenden Arbeitsverhältnis auf die Wartezeit nicht unter allen Umständen aus.

Zwar ist nach dem Wortlaut des Gesetzes für die Wahrung der Frist jede rechtliche Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses schädlich, sei sie auch nur von kürzester Dauer. Dies würde jedoch Sinn und Zweck der Wartezeit nicht gerecht. Danach soll der Arbeitnehmer erst nach einer gewissen Dauer der Zugehörigkeit zum Betrieb oder Unternehmen Kündigungsschutz erwerben1. Den Arbeitsvertragsparteien soll für eine gewisse Zeit die Prüfung ermöglicht werden, ob sie sich auf Dauer binden wollen2. Dieses Regelungsziel verlangt nicht danach, mit jeder noch so kurzen rechtlichen Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses die Wartezeit erneut beginnen zu lassen. So wäre es etwa vor diesem Ziel sachlich nicht zu begründen, ein Arbeitsverhältnis, das an einem – ohnehin arbeitsfreien – Wochenende auf Veranlassung des Arbeitgebers geendet hat, selbst bei Wiedereinstellung des Arbeitnehmers zu Beginn der darauffolgenden Woche als iSv. § 1 Abs. 1 KSchG unterbrochen anzusehen3. Es ist deshalb für den Lauf der Wartezeit unschädlich, wenn innerhalb des Sechsmonatszeitraums zwei oder mehr Arbeitsverhältnisse liegen, die ohne zeitliche Unterbrechung unmittelbar aufeinanderfolgen. Setzt sich die Beschäftigung des Arbeitnehmers nahtlos fort, ist typischerweise von einem „ununterbrochenen“ Arbeitsverhältnis auszugehen. Das gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer während der Wartezeit verschiedenartige Tätigkeiten ausgeübt hat4.

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Selbst in Fällen, in denen es an einer nahtlosen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses fehlt, kann eine rechtliche Unterbrechung unbeachtlich sein, wenn sie verhältnismäßig kurz ist und zwischen beiden Arbeitsverhältnissen ein enger sachlicher Zusammenhang besteht. Dafür kommt es insbesondere auf Anlass und Dauer der Unterbrechung sowie auf die Art der Weiterbeschäftigung an5. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, hängt vom Einzelfall ab. Eine feste zeitliche Begrenzung für den Unterbrechungszeitraum besteht nicht. Je länger die Unterbrechung gedauert hat, desto gewichtiger müssen die für einen sachlichen Zusammenhang sprechenden Umstände sein6.

Diese Grundsätze kommen auch dann zum Tragen, wenn für das frühere Arbeitsverhältnis nicht deutsches, sondern ausländisches Recht galt. Für die Anrechnung von Beschäftigungszeiten aus einem vorangegangenen Arbeitsverhältnis ist es grundsätzlich unerheblich, ob dieses einem anderen Arbeitsvertragsstatut unterlag.

Ob fremdem Recht unterfallende Vorgänge bei der Anwendung einer deutschen Rechtsnorm Berücksichtigung finden, ist durch Auslegung des einschlägigen deutschen Gesetzes zu ermitteln7. Maßgeblich ist § 1 Abs. 1 KSchG.

Dem Wortlaut nach verlangt diese Bestimmung nur, dass das Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen länger als sechs Monate bestanden hat. Eine8Beschränkung in dem Sinne, dass auf das Arbeitsverhältnis durchgehend deutsches Recht zur Anwendung gelangt sein müsse, lässt sich daraus nicht ableiten. Das Gesetz stellt – im Gegenteil – mit der Anknüpfung an den Begriff „Unternehmen“ einen Auslandsbezug zumindest insoweit her, als es in seinen Geltungsbereich auf diese Weise auch solche Arbeitsverhältnisse einbezieht, die mit ausländischen Unternehmen bestehen. Bereits dies spricht dafür, dass es auf das Vertragsstatut, unter dem die Beschäftigungszeiten zurückgelegt wurden, nicht entscheidend ankommt.

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Dies wird durch Sinn und Zweck der Wartezeitregelung bestätigt. Dem Ziel, sich gegenseitig kennenzulernen und prüfen zu können, dient auch die Beschäftigung in einem Arbeitsverhältnis, auf das vorübergehend deutsches Recht keine Anwendung fand. Die Frage, ob sich der Arbeitgeber enger an den Arbeitnehmer binden will, stellt sich im Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes nach sechsmonatiger Dauer der Beschäftigung. Die Möglichkeit, dies sachgerecht zu beurteilen, hängt nicht davon ab, dass auf das Arbeitverhältnis durchgängig deutsches Recht zur Anwendung gelangt ist. Auch Zeiten einer Beschäftigung auf der Grundlage fremden Vertragsstatuts bieten dem Arbeitgeber dazu ausreichend Gelegenheit9.

Der Anrechnung von Beschäftigungszeiten unter fremdem Arbeitsvertragsstatut stehen keine systematischen Erwägungen entgegen. Sie gerät insbesondere nicht in Widerspruch zur Begrenzung des Geltungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes auf in Deutschland gelegene Betriebe in § 23 Abs. 1 KSchG.

Der Erste Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes findet zwar nur auf Betriebe Anwendung, die in Deutschland gelegen sind10. Dies schließt es aus, bei der Beurteilung, ob die deutsche Zweigniederlassung eines ausländischen Unternehmens die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 KSchG erfüllt, im Ausland tätige Arbeitnehmer zu berücksichtigen, jedenfalls soweit deren Arbeitsverhältnisse nicht deutschem Recht unterliegen11. Im Gegensatz zu § 23 Abs. 1 KSchG stellt § 1 Abs. 1 KSchG aber nicht nur auf die jeweiligen Verhältnisse im Betrieb ab, sondern erweitert seinen Anwendungsbereich auf das gesamte Unternehmen des Arbeitgebers.

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Zudem beruht die Beschränkung des Geltungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes auf in Deutschland gelegene Betriebe auf dem Umstand, dass die Gewährung von Kündigungsschutz gegenüber einem Arbeitnehmer Auswirkungen auf die Arbeitsverhältnisse des Arbeitgebers mit anderen Arbeitnehmern haben kann. Das ist widerspruchsfrei nur möglich, wenn im Zeitpunkt der Kündigung gegenüber allen möglicherweise betroffenen Arbeitnehmern und gegenüber dem Arbeitgeber dasselbe, nämlich deutsches Kündigungsschutz- und Arbeitsrecht angewendet und auch durchgesetzt werden kann12. Demgegenüber berührt die Frage, ob auf die Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG Beschäftigungszeiten aus einem Arbeitsverhältnis anzurechnen sind, das einer anderen Rechtsordnung unterfällt, in erster Linie die individuellen Verhältnisse des betreffenden Arbeitnehmers. Außerdem stellt sie sich nur in Bezug auf Arbeitsverhältnisse, die jedenfalls im Kündigungszeitpunkt deutschem Recht unterlagen.

Die Anrechnung von Beschäftigungszeiten, die unter Geltung fremden Arbeitsvertragsstatuts zurückgelegt wurden, schränke auch nicht in unzulässiger Weise die nach Kollisionsrecht gegebenen Rechtswahlmöglichkeiten ein. Es entspricht den allgemeinen Grundsätzen des Internationalen Privatrechts, dass im Fall eines Statutenwechsels das „alte“ Statut für die Begründung der Rechte, Rechtslagen und Rechtsverhältnisse und für die bis zum Statutenwechsel eingetretenen Wirkungen anwendbar bleibt. Über weitere Wirkungen entscheidet das „neue“ Vertragsstatut. So ist an deutschem Recht zu messen, ob und inwieweit Vorgänge, die sich unter Geltung fremden Rechts ereignet haben, im Sinne der fraglichen inländischen Norm als tatbestandsmäßig anzuerkennen sind oder nicht13. Es geht in solchen Fällen nicht um eine – unzulässige – Anwendung deutschen Rechts auf einen Auslandssachverhalt, sondern um die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine deutsche Norm – hier § 1 Abs. 1 KSchG – auf ein ihrem Wirkungskreis unterliegendes Arbeitsverhältnis anzuwenden ist14. Darauf musste und konnte sich die Beklagte einrichten, als sie sich der deutschen Rechtsordnung unterwarf.

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Mögliche praktische Schwierigkeiten, die sich im Hinblick auf eine Einbeziehung solcher Beschäftigungszeiten ergeben können, die unter Geltung ausländischen Rechts zurückgelegt wurden, rechtfertigen kein anderes Ergebnis. Zwar mag im Einzelfall die Feststellung, ob es sich bei einem Vertragsverhältnis, das zeitweise ausländischem Vertragsstatut unterlag, durchgängig um ein Arbeitsverhältnis im kündigungsschutzrechtlichen Sinne gehandelt hat, nicht einfach sein. Dies ist aber nach der ratio legis des § 1 Abs. 1 KSchG hinzunehmen. Abgesehen davon dürfte vielfach – so auch im Streitfall – der Arbeitnehmerstatus des Beschäftigten während der ausländischem Recht unterfallenden Zeiten unstreitig sein.

Bundesarbeitsgericht, Urteile vom 7. Juli 2011 – 2 AZR 12/10 und 2 AZR 476/10

  1. BAG 23.09.1976 – 2 AZR 309/75 – zu I 2 c der Gründe, BAGE 28, 176[]
  2. BAG 24.11.2005 – 2 AZR 614/04 – zu B 1 b der Gründe, BAGE 116, 254[]
  3. BAG 28.08.2008 – 2 AZR 101/07, Rn. 18, AP KSchG 1969 § 1 Nr. 88; 19.06.2007 – 2 AZR 94/06, Rn. 13, BAGE 123, 185[]
  4. vgl. BAG 23.09.1976 – 2 AZR 309/75 – zu I 2 f der Gründe, aaO; KR/Griebeling 9. Aufl. § 1 Rn. 114; MünchKomm-BGB/Hergenröder 5. Aufl. § 1 KSchG Rn. 33; Schwarze in Schwarze/Schrader/Eylert KSchG § 1 Rn. 1; SPV/Vossen 10. Aufl. Rn. 876; einschränkend: ErfK/Oetker 11. Aufl. § 1 KSchG Rn. 40; Löwisch/Spinner KSchG 9. Aufl. § 1 Rn. 43[]
  5. st. Rspr., bspw. BAG 28.08.2008 – 2 AZR 101/07, Rn.19, AP KSchG 1969 § 1 Nr. 88; 19.06.2007 – 2 AZR 94/06, Rn. 13, BAGE 123, 185; grundlegend: 6.12.1976 – 2 AZR 470/75 – zu 3 d der Gründe, BAGE 28, 252[]
  6. vgl. BAG 28.08.2008 – 2 AZR 101/07, Rn.20, aaO; 20.08.1998 – 2 AZR 76/98 – zu II 1 der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Wartezeit Nr. 9 = EzA KSchG § 1 Nr. 49[]
  7. bspw. MünchKomm-BGB/Sonnenberger 5. Aufl. Einl. IPR Rn. 609; Deinert RIW 2008, 148, 150 f.; Otto/Mückl BB 2008, 1231[]
  8. Selbst[]
  9. vgl. ErfK/Oetker 11. Aufl. § 1 KSchG Rn. 41[]
  10. vgl. BAG 8.10.2009 – 2 AZR 654/08, Rn. 13, EzA KSchG § 23 Nr. 35; 17.01.2008 – 2 AZR 902/06, BAGE 125, 274; siehe auch BVerfG 12.03.2009 – 1 BvR 1250/08[]
  11. BAG 26.03.2009 – 2 AZR 883/07, Rn. 22, AP KSchG 1969 § 23 Nr. 45[]
  12. vgl. BAG 26.03.2009 – 2 AZR 883/07, Rn. 15 ff., AP KSchG 1969 § 23 Nr. 45[]
  13. vgl. MünchKomm-BGB/Sonnenberger 5. Aufl. Einl. IPR Rn. 607; Deinert RIW 2008, 148; v. Hoffmann/Thorn IPR 9. Aufl. § 5 Rn. 104; ähnlich für den Fall des Betriebsübergangs: BAG 26.05.2011 – 8 AZR 37/10, Rn. 43 ff.[]
  14. vgl. Junker RIW 2001, 94, 105; Schlachter NZA 2000, 57, 63; Straube DB 2009, 1406[]
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