Berechnung des Anspruchs auf 13. Monatsgehalt („Weihnachtsgeld“) nach den Bestimmungen des Manteltarifvertrages für die Beschäftigten der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft für die Bundesrepublik Deutschladnd erfolgt ohne Einbeziehung von Überstunden, Leistungs- oder Erschwerniszulagen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst zum Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Über den reinen Tarifwortlaut hinaus sind der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, sofern und soweit dieser in den tariflichen Regelungen und ihrem systematischen Zusammenhang Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Arbeitsgerichte ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung, ergänzend heranziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der vorzu, die zu einer vernünftigen, sachgerechten zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt1.
Der Wortlaut des § 8 Ziff. 1 MTW Wohnugnswirtschaft ist insoweit eindeutig:
Hiernach erhalten alle Beschäftigen 100% der zum Fälligkeitszeitpunkt des 13. Monatsgehaltes (01.12.) aktuell „vereinbarten“ Monatsvergütung. Diese Regelung stellt (im Gegensatz zur nachfolgenden tariflichen Bestimmung zum Urlaubsgeld/13. Monatsgehalt, s. u.) somit nicht auf die „tarifliche“, die tarifvertragliche oder sonst wie formulierte oder etwa – tarifpolitisch ebenfalls nicht ungewöhnlich – die „durchschnittliche“ oder „übliche“ (u.ä.) Monatsvergütung als Berechnungsgrundlage ab, sondern eben ausdrücklich auf die „vereinbarte“ Monatsvergütung, was damit unzweifelhaft die jeweilige individuelle, einzelvertragliche, Vergütungsregelung in Bezug nimmt.
Dies wird auch durch den systematischen Zusammenhang und ebenso Sinn und Zweck der gesamten Tarifregelung zu den „Sonderzahlungen“ in § 8 MTV bestätigt:
Zum einen wird diese Bestimmung zur Festlegung der zum Fälligkeitszeitpunkt des 13. Monatsgehalts jeweils „vereinbarten“ Monatsvergütung unmittelbar nachfolgend, im selben Passus dieser Tarifregelung, dadurch konkretisiert, dass (außerhalb einer etwaigen abweichenden Regelung in einer Betriebsvereinbarung hierzu) „Überstunden, Leistungs- (§ 3 Abs. 3) und Erschwerniszulagen (§ 7 VTV)“ hierin nicht einbezogen werden – damit im Umkehrschluss andere Zulagen, wie dies eben auch individuelle monatliche Besitzstandszulagen sind, gerade doch.
Diese katalogmäßige – ersichtlich abschließende – Auflistung der aus der „vereinbarten“ Monatsvergütung als Berechnungsgrundlage für das 13. Monatsgehalt herauszunehmenden anderen Zulagen akzentuiert deren individuellen vertraglichen Charakter:
Die hier erwähnten „Überstundenzulagen“ sind ersichtlich überhaupt nicht tariflich normiert, damit im möglichen Einzelfall zwangsläufig einzelvertraglich, nach individuellen Arbeitszeitmodalitäten, zu vereinbaren/festzulegen; „Leistungszulagen“ sind in der bei den Regelungen zur Berechnung des 13. Monatsgehaltes in Bezug genommenen Norm des § 3 Abs. 3 MTV als lediglich als tarifliche Option – als widerrufliche oder befristete Leistungszulagen „bei überdurchschnittlichen Leistungen“ – zwar als solche erwähnt, jedoch ebenfalls weder betragsmäßig noch – wie in zahlreichen Tarifverträgen sonst üblich – etwa als prozentualer Zuschlag zum tariflichen Grundgehalt, gegebenenfalls mit Bewertungsparametern und ‑quoten, etwa qua Bandbreitenfestlegung, normiert, sondern hinsichtlich ihres „Ob“ und erst recht ihres „Wie“ völlig offen, damit ebenfalls vollständig einer individuellen Vereinbarung vorbehalten; gleiches gilt ersichtlich hinsichtlich der dort weiter ausgenommenen „Erschwerniszulagen“ im Sinne des hierzu in Bezug genommenen § 7 VTV.
Die ausdrückliche Herausnahme solcher erkennbar gänzlich individueller Zulagen aus der der Zahlung des 13. Monatsgehalts zugrunde zulegenden „vereinbarten“ Monatsvergütung indiziert damit im Umkehrschluss ohne Weiteres, dass zum einen eben auf das „vereinbarte“, jeweilige individuelle Gehalt und zum anderen dort unter Einbeziehung etwaiger individueller Zulagen – soweit solche nicht aus dieser Berechnungsformel in abschließender Aufzählung ausdrücklich ausgeschlossene Zulagen, als Überstunden, Leistungs- und Erschwerniszulagen, darstellen – abzustellen ist.
Zum anderen bestimmt die dort unmittelbar nachfolgend normierte Regelung zum 14. Monatsgehalt/Urlaubsgeld (§ 8 Ziff. 2 MTV) in unbezweifelbarer Weise hiervon gerade abweichend, dass dieses (für die Beschäftigen in den alten Bundesländern) in Höhe von, ebenfalls, 100% der „nach dem Vergütungstarifvertrag … zu zahlenden Montagsvergütung gemäß § 4“ (dieses Tarifvertrages) zu zahlen ist, wobei die Tarifregelung zur „Monatsvergütung“ in § 4 ebenda konkretisiert, dass „die tarifliche Monatsvergütung der Beschäftigten … sich aus der Grundvergütung nach § 3 Abs. 1 und 2“ – gemäß Eingruppierung nach den Tarifgruppen des Vergütungstarifvertrages – und gegebenenfalls tariflichen Leistungszulagen nach § 3 Abs. 3 MTV ergibt.
Diese Regelung zum 14. Monatsgehalt/Urlaubsgeld stellt damit eindeutig gegenteilig zur Tarifregelung zum 13. Monatsgehalt („Weihnachtsgeld“) auf die standardisierte, nicht die individuelle Tarifvergütung ab, wie sie sich nach den, auch hier geltenden, Grundsätzen der Tarifautomatik eo ipso ergibt. Hiernach ist die „Monatsvergütung“ als Referenzvergütung für die Berechnung des 14. Monatsgehalts gerade nicht individuell „vereinbart“, sondern ergibt sich als tarifliche Monatsvergütung damit aus dem Vergütungstarifvertrag bzw. dem Entgeltgruppensystem des MTV „automatisch“, von selbst. Die tarifliche Vergütung wird grundsätzlich nicht erst „vereinbart“, wie dies die Beklagte auch in ihrer Berufung mit einem eher „schrägen“ Beispiel aus einem völlig anderen Tarifbereich/Tarifvertrag (Privatkrankenanstalten in Bayern) akzentuieren/ableiten will (was in dem Beispiel aus einem Orientierungssatz einer Entscheidung des BAG vom 21.03.1990 besonders „schräg“ erscheint: Lehrer unterfallen im öffentlichen Dienst regelmäßig keinem unmittelbaren tariflichen Vergütungsgruppenschema, weshalb dort tarifliche Vergütungsgruppen allerdings erst konstitutiv „vereinbart“ werden müssen …).
Unabhängig davon, ob 13. Monatsgehalt und Urlaubsgeld (14. Monatsgehalt) sich als Sonderleistungen unterschieden und unterschiedliche Zwecke verfolgten, sind der Wortlaut und der systematische Aufbau sowie Zusammenhang der Tarifregelungen zu beiden „Sonderzahlungen“ in § 8 Ziff. 1 und Ziff. 2 MTV, damit auch deren hier auf der Hand liegender Sinn und Zweck, eindeutig:
Die Regelung zur Berechnung des am 01.12. des jeweiligen Kalenderjahres zur Zahlung fälligen 13. Monatsgehaltes („Weihnachtsgeldes“) nimmt hinsichtlich dessen Höhe eines vollen Bruttomonatsgehaltes) auf das „vereinbarte“, damit auf das individuelle Effektivgehalt – also inklusive etwaiger spezifischer Zulagen, wie hier die individuell errechnete Besitzstandszulage – Bezug, während die unmittelbar nachfolgende Tarifregelung zum 14. Monatsgehalt/Urlaubsgeld dagegen gerade ausdrücklich auf das tarifliche Grundgehalt abstellt. Dies sind eindeutig unterschiedliche Berechnungsparameter beider Gehaltssonderzahlungen, woran auch die ebenso wortreichen wie letztendlich substanzarmen Ausführungen der Beklagten, etwa zu einer unterschiedlichen Intention der Tarifvertragsparteien, nichts ändern können – vor allem auch nicht erklären können, weshalb diese dann eben diese eindeutige Formulierungsdifferenzierung gewählt haben. Deshalb war nach Ansicht der Berufungskammer auch keine Einholung einer Tarifauskunft veranlasst. Die Tarifvertragsparteien sind bei der Ausgestaltung der Berechnungsgrundlagen von Vergütungs- und erst recht Sonderzahlungen grundsätzlich frei.
Bestätigt wird dies im Ergebnis weiter dadurch, dass die Regelungen zum 14. Monatsgehalt/Urlaubsgeld erst nachträglich in den MTV Wohnungswirtschaft eingefügt worden seien:
Gerade daraus, dass die Tarifvertragsparteien bei der späteren ergänzenden Regelung der Zahlung auch eines 14. Monatsgehalts/Urlaubsgeldes dezidiert eine eindeutig andere Formulierung als bei der vorhandenen Bestimmung zum 13. Monatsgehalt („Weihnachtsgeld“) gewählt – und erstere Sonderzahlung unmittelbar nach der Tarifregelung zum 13. Monatsgehalt situiert – haben, ergibt sich, dass sie damit Unterschiedliches regeln wollten: Das 14. Gehalt reduziert auf die tarifvertraglich festgesetzte Monats(grund)vergütung, im Gegensatz zur etablierten Bestimmung zum 13. Monatsgehalt, die gerade nicht auf die „Tarifvergütung“ („tarifliche Monatsvergütung“ nach § 4 MTV), sondern auf das individuelle Entgelt abstellt. Hätten die Tarifvertragsparteien beides – nachträglich (und wie auch immer …) – gleich regeln wollen, hätten sie, wie ohne weiteres zu unterstellen ist, bei der nachträglichen Einfügung der Bestimmung über ein zusätzlich zu zahlendes 14. Gehalt/Urlaubsgeld in den MTV entweder die dort vorhandene Regelung zum 13. Gehalt entsprechend novellieren/klarstellen oder die Neuregelung zum 14. Gehalt/Urlaubsgeld übereinstimmend mit der vorhandenen Tarifbestimmungen zum 13. Monatsgehalt formulieren, beides koordinieren/(formulierungs-)technisch anpassen müssen – die Tarifvertragsparteien haben jedoch bei der späteren Einfügung einer weiteren Sonderzahlung von ebenfalls 100% einer Monatsvergütung als 14. Monatsgehalt/Urlaubsgeld deren Berechnungsgrundlage ausdrücklich und eindeutig abweichend, differenziert, formuliert und einmal die tarifliche und einmal die individuelle („vereinbarte“) Monatsvergütung als Berechnungsgrundlage definiert.
Damit bestehen nicht nur „keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Tarifvertragsparteien für das 13. Monatsgehalt und für das 14. Monatsgehalt unterschiedliche Berechnungsgrundlagen festlegen“ hätten wollen – wie die Beklagte annimmt, vielmehr haben die Vertragsparteien eben solches ausdrücklich normiert, und wollten dies, wenn die Tarifvertragsparteien beim Wort und ernst genommen werden sollen. Gerade, wenn diese beim Wechsel der einzelvertraglich anzuwendenden Tarifverträge zum 01.01.2013 vom TVöD in die Tarifverträge der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft nach Auffassung der Beklagten die individuellen Besitzstandszulagen so errechnet haben sollten, dass eine individuelle Plusdifferenz der früheren Jahresentgeltsumme nach den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes – trotz Zahlung von nunmehr grundsätzlich vollen 14 Monatsgehältern nach den Tarifverträgen der Wohnung-/Immobilienwirtschaft – durch 12 geteilt und so auf das nunmehrige tarifliche Gehalt nach letzteren Tarifverträgen aufgeschlagen worden sei: Sollte dies so zutreffend sein, hätte vor dem Hintergrund der bestehenden differenzierten Tarifregelungen zu den Sonderzahlungen in § 8 MTV – der, wie ausgeführt, auf die individuell vereinbarte Monatsvergütung abstellenden Berechnung des 13. Monatsgehalts, wie eigentlich auf der Hand liegend – erst recht Veranlassung bestehen müssen, entweder als Divisor für die Umlegung des Jahresbetrages der Besitzstandszulage 13 statt 12 zu wählen oder die Tarifregelung zum 13. Monatsgehalt in § 8 Ziff. 1 MTV entsprechend zu modifizieren.
Landesarbeitsgericht München, Urteil vom 29. Januar 2015 – 4 Sa 713/14
- vgl. nur aus jüngerer Zeit etwa BAG, U. v. 28.08.2013, 10 AZR 701/12, ZTR 2014, S. 25 – Rz. 13, m.w.N .- ; so das BAG auch in der Entscheidung zum einschlägigen MTV für die Beschäftigten der Wohnungswirtschaft: BAG, U. v. 31.07.2002, 10 AZR 578/01, .02. a) bb) (1) der Gründe[↩]
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