Weihnachtsgeld? – Nicht wenn Sie in Rente gehen

Endet ein Arbeitsverhältnis nicht aufgrund arbeitsvertraglicher oder tarifvertraglicher Bestimmungen (hier: nach § 35 MTV AWO BW) durch den Bezug einer vorgezogenen Altersrente mit Abschlägen, so muss es ggf. vom Arbeitnehmer gekündigt werden. Das kann zum Wegfall des Anspruchs auf die Jahressonderzahlung (hier: nach § 22 MTV AWO BW) führen, wenn dieser zum Stichtag ein ungekündigtes Arbeitsverhältnis voraussetzt.

Weihnachtsgeld? – Nicht wenn Sie in Rente gehen

Die Klägerin hat in einem solchen Fall aber auch keinen Anspruch nach § 280 Abs. 1 BGB wegen der Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht des Arbeitgebers durch die Erteilung einer falschen Auskunft über die Notwendigkeit einer Eigenkündigung durch die Klägerin zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen des bevorstehenden Rentenbezugs. Eine solche Auskunft wäre nicht falsch gewesen, sondern vielmehr richtig. Wenn die Klägerin zu einem bestimmten Stichtag „in Rente gehen“ wollte, also ihr Arbeitsverhältnis bei dem Arbeitgeber beenden wollte, weil sie eine vorgezogene Altersrente mit Abschlägen nach § 236a SGB VI in Anspruch nehmen konnte und wollte, so ist die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nur möglich, wenn die Klägerin es entweder selber kündigt oder ein Aufhebungsvertrag geschlossen wird. Zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages war der Arbeitgeber nicht verpflichtet, umso mehr als er auch ein gewisses Interesse daran hatte, die Klägerin als Arbeitskraft weiter beschäftigen zu können.

Eine „automatische“ Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Rentenbezug tritt nach § 35 TV BW nicht ein, denn diese Vorschrift enthält keine Befristungsregelung oder auflösende Bedingung, nach der das Arbeitsverhältnis für den Fall des Bezugs einer vorgezogenen Altersrente mit Abschlägen endet.

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Nach § 35 Abs. 1 a)) TV BW endet das Arbeitsverhältnis nicht, da es sich bei der von der Klägerin bezogenen Rente um eine Rente mit Abschlägen handelt. Die Frage, ob diese tarifliche Regelung nur auf das Erreichen der Regelaltersgrenze abstellt oder auch sonstige Altersrenten ohne Abschläge erfasst, kann dahingestellt bleiben.

Das Arbeitsverhältnis endet auch nicht durch die Regelung des § 35 Abs. 4 TV BW.

Aus ihrem systematischen Kontext heraus betrifft diese Vorschrift nur den Fall, dass der Beschäftigte erwerbsgemindert ist. Die erste Alternative behandelt die Situation, dass der erwerbsgeminderte Beschäftigte schuldhaft einen Rentenantrag nicht stellt. Das ist hier nicht der Fall.

Die zweite Alternative betrifft den Fall, dass der Beschäftigte bereits eine Altersrente nach § 236 oder § 236a SGB VI bezieht, aber gleichwohl noch in einem Arbeitsverhältnis steht, bei dem aber Anhaltspunkte dafür bestehen, dass er erwerbsgemindert ist. In diesem Fall bedarf es einer Regelung, dass und wie im Hinblick auf die Erwerbsminderung das Arbeitsverhältnis beendet wird. Da der Beschäftigte bereits eine Altersrente bezieht, gibt es keinen Spielraum mehr für die Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente, an die die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach § 35 Abs. 2 TV BW anknüpfen könnte1. Mangels der rechtlichen Möglichkeit eines entsprechenden Rentenbescheides über eine Erwerbsminderungsrente könnte also der erwerbsgeminderte Beschäftigte trotz einer stark eingeschränkten Leistungsfähigkeit im Arbeitsverhältnis verbleibend. Für diesen Fall mussten die Tarifvertragsparteien einen Mechanismus entwickeln der dazu führt, dass auch dieses Arbeitsverhältnis für den Fall der Erwerbsminderung des Beschäftigten endet. Daher tritt hier an die Stelle des Rentenbescheides über eine Erwerbsminderungsrente das ärztliche Gutachten als rechtlicher Beendigungstatbestand.

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Die gegenteilige Ansicht verkennt, dass der Rentenbescheid, an dessen Stelle das ärztliche Gutachten tritt, nicht der Rentenbescheid über die vorgezogene Altersrente ist, sondern der Rentenbescheid über eine Erwerbsminderungsrente2, der hier aber nicht möglich ist, sei es weil der Arbeitnehmer nicht mitwirkt, sei es weil er aus Rechtsgründen im Hinblick auf die schon bezogene Altersrente nicht mehr erlassen werden kann und der nach § 35 Abs. 2 TV BW zur Beendigung (oder zum Ruhen) des Arbeitsverhältnisses führen würde.

Dass § 35 Abs. 4 TV BW nicht den Fall erfasst, dass ein Arbeitnehmer erst beabsichtigt, zu einem bestimmten Zeitpunkt vorgezogene Altersrente in Anspruch zu nehmen ergibt sich auch bereits aus dem Wortlaut von § 35 Abs. 4 S. 1 TV BW, der davon spricht, dass die Beschäftigten Altersrente nach § 236a SGB VI beziehen. Die Wahl des Präsens für das Verb „beziehen“ zeigt, dass es sich um solche Fälle handelt, in denen eine derartige Rente bereits in Anspruch genommen wird und das Arbeitsverhältnis trotzdem fortbesteht. Nur für diese Fälle – und nicht für die Fälle des erst beabsichtigten Bezugs der vorgezogenen Altersrente – trifft die tarifvertragliche Vorschrift eine Regelung. Im Hinblick auf die Hinzuverdienstgrenzen sind diese Fälle eine seltene Ausnahme3.

Aus diesem Grunde scheiden Schadensersatzansprüche der Klägerin gegenüber dem Arbeitgeber wegen einer behaupteten Falschinformation über die Notwendigkeit der Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus. Es fehlt an einer Pflichtwidrigkeit des Arbeitgebers.

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Altersdiskriminierung beim Weihnachtsgeld

Landesarbeitsgericht Baden -Württemberg, Urteil vom 9. Februar 2015 – 9 Sa 63/14

  1. Clemens/Scheuring, TV-L § 33 Rz. 105 zum wortgleichen § 33 Abs. 4 TV-L[]
  2. Breier, TVöD, § 33 Rz . 4 und Rz. 350, 362, 391[]
  3. Breier, TVöD, § 33 Rz. 362[]