Behält sich der Arbeitgeber vor, die Höhe einer Sonderzahlung jährlich neu festzulegen, und erfolgt die Auszahlung üblicherweise in zwei gleichen Raten, kann bereits die kommentarlose Auszahlung der ersten Rate die für dieses Jahr verbindliche Festlegung der Höhe der Sonderzahlung beinhalten.

Die Arbeitgeberin hat mithin durch die Zahlung eines Abschlags (hier: im Mai 2014) – wie in den Vorjahren – zum Ausdruck gebracht, dass die Höhe der Weihnachtsgratifikation auch im Jahre 2014 ein Gehalt betragen werde. Sie hat damit ihr Recht zur Leistungsbestimmung i.S.v. § 315 II BGB ausgeübt. Dies ergibt sich aus der Auslegung des § 3 des Vertrages der Parteien sowie des darauf beruhenden Verhaltens der Arbeitgeberin. Im Einzelnen:
Allgemeine Vertragsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei nicht die Verständnismöglichkeiten des konkreten, sondern die des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind. Ansatzpunkt für die nicht am Willen der jeweiligen Vertragspartner zu orientierende Auslegung ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Ist dieser nicht eindeutig, kommt es für die Auslegung entscheidend darauf an, wie der Vertragstext aus Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist, wobei der Vertragswille verständiger und redlicher Vertragspartner beachtet werden muss. Soweit auch der mit dem Vertrag verfolgte Zweck einzubeziehen ist, kann das nur in Bezug auf typische und von redlichen Geschäftspartnern verfolgte Zwecke gelten1.
Bei Anwendung dieser Auslegungsgrundsätze ergibt sich für das Verständnis von § 3 des Vertrages der Parteien insgesamt Folgendes:
Nach der Rechtsprechung des BAG kann ein Freiwilligkeitsvorbehalt zweierlei bedeuten: Einerseits kann er das Entstehen eines Rechtsanspruchs auf eine künftige Sonderzahlung wirksam verhindern2. Der Arbeitgeber kann – außer bei laufendem Arbeitsentgelt3 – einen Rechtsanspruch des Arbeitnehmers grundsätzlich ausschließen und sich eine Entscheidung vorbehalten, ob und in welcher Höhe er zukünftig Sonderzahlungen gewährt. Der Begriff „freiwillig“ im Zusammenhang mit einer Sonderzahlung bringt andererseits regelmäßig lediglich zum Ausdruck, dass der Arbeitgeber nicht bereits durch Gesetz, Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung zur Zahlung verpflichtet ist. Er genügt für sich genommen nicht, um einen Rechtsanspruch auf die Leistung auszuschließen4.
Sodann ist geregelt, dass die Arbeitgeberin jährlich zu einem nicht mitgeteilten Zeitpunkt die Höhe der Weihnachtsgratifikation bekannt gibt und damit – unausgesprochen – auch über deren Höhe entscheidet, wobei es nur hinsichtlich der Maximalhöhe eine Regelung gibt, nämlich – im Falle der Arbeitnehmerin anders als in den meisten Parallelfällen – (bis auf weiteres) mindestens ein halbes Gehalt. Ob damit auch eine vollständige Streichung der Gratifikation vereinbar wäre, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung.
§ 3 steht unter der Überschrift Entgelt. Aus § 3 III des Vertrages ergibt sich eine weitere Voraussetzung für den Anspruch, eine Stichtagsregelung. Allerdings ist der Anspruch auf die Weihnachtsgratifikation nicht nur ans Bestehen des Arbeitsverhältnisses im ersten Quartal des Folgejahres geknüpft, es findet sich in § 3 II des Vertrages die Option einer zeitanteiligen Kürzung, für den Fall, dass das Arbeitsverhältnis nicht im ganzen Jahr besteht. Daraus ergibt sich, dass die Gratifikation auch Entgelt für geleistete Arbeit im Bezugszeitraum sein soll. Die Weihnachtsgratifikation weist damit einen Mischcharakter zwischen Arbeitsentgelt und Treueprämie auf5.
Ob § 3 des Arbeitsvertrages mit diesem durch Auslegung ermittelten Inhalt – insbesondere der Kombination der verschiedenen Bestandteile6 – einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB standhält, kann offen bleiben, denn auch bei unterstellter Wirksamkeit der Klausel ist der Anspruch der Arbeitnehmerin begründet. Die Arbeitgeberin könnte sich nämlich als Verwenderin nicht auf eine etwaige Unwirksamkeit der Klausel berufen. Die Inhaltskontrolle schafft lediglich einen Ausgleich für die einseitige Inanspruchnahme der Vertragsfreiheit durch den Klauselverwender, sie dient aber nicht dem Schutz des Klauselverwenders vor den von ihm selbst eingeführten Formularbestimmungen7. Soweit der Arbeitgeberin ein Leistungsbestimmungsrecht eingeräumt ist, hat sie dieses also für das Jahr 2014 gemäß § 315 II BGB ausgeübt und sich zur Zahlung eines ungekürzten Gehaltes verpflichtet.
Insoweit ist von folgenden Rechtsgrundsätzen auszugehen: Die Leistungsbestimmung gemäß § 315 II BGB erfolgt durch empfangsbedürftige Willenserklärung. Als Willenserklärung ist sie so auszulegen, wie der Erklärungsempfänger sie nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte von seinem Empfängerhorizont aus verstehen musste. Dies gilt nicht nur hinsichtlich des Inhalts der Erklärung, sondern auch hinsichtlich der Frage, ob eine Erklärung überhaupt als Willenserklärung und somit als Leistungsbestimmung zu werten ist8. Die Wirksamkeit der Gestaltungserklärung setzt nach § 315 keine Begründung der Leistungsbestimmung voraus. Aus sich heraus nachvollziehbar muss die Erklärung des Berechtigten zwar sein – aber nur insofern, als sie nach gebotener Auslegung das Bestimmtheitsdefizit des bestimmungsoffenen Rechtsgeschäfts auffüllen muss. Das aber heißt: Die Willenserklärung muss allein die zu bestimmende Leistung (oder andere Vertragsinhalte) angeben – nicht aber die „Billigkeitsgrundlagen“, also die Entscheidungsmotive des Leistungsbestimmers.
Eine Teilleistungsbestimmung ist nur zulässig, wenn das ausbedungen ist9.
Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze bedeutet dies – dem LAG Hamburg in der Sache 7 Sa 42/15 folgend, dass die Arbeitgeberin im Jahr 2014 gegenüber der Arbeitnehmerin durch die Gehaltsabrechnung im Mai 2014 – und entsprechende Zahlung – bekannt gegeben hat, dass sie wiederum eine Gratifikation wie in den vergangenen Jahren zahlen wird, nämlich in Höhe eines ganzen Gehalts, indem – wie seit Anfang der Neunzigerjahre, also seit über 20 Jahren – im Mai ein halbes Gehalt als (hälftige) Gratifikation abgerechnet und gezahlt wurde, ohne dass ein Vorbehalt dahingehend erklärt worden war, dass eine Leistungsbestimmung für das Jahr 2014 noch nicht erfolgt sei und man sich vorbehalte, hierüber endgültig erst Ende des Jahres zu entscheiden. Aus diesem Verhalten der Arbeitgeberin konnte die Arbeitnehmerin – als Empfängerin der konkludenten Erklärung – schließen, dass sich die Arbeitgeberin wie in den vergangenen Jahren verhalten und am Jahresende die zweite Hälfte der Gratifikation entsprechend der Höhe der ersten Hälfte der Gratifikation aus Mai 2014 zahlen werde und von ihrem Leistungsbestimmungsrecht für das Jahr 2014 vor der Zahlung im Mai 2014 bereits Gebrauch gemacht hat.
Zwar ist der Arbeitgeberin zuzugestehen, dass sie die Leistungsbestimmung nicht bereits vor der Zahlung der ersten Hälfte der Gratifikation vornehmen muss, sondern sich dies bis zur Zahlung im November vorbehalten kann. Allerdings muss dies dann entsprechend gegenüber den Mitarbeitern kommuniziert und verdeutlicht werden. Dem steht auch die Regelung in § 3 S. 3 des Arbeitsvertrags nicht entgegen, wonach im Juni des Jahres ein Vorschuss gezahlt werden soll, sofern das Arbeitsverhältnis vor dem 1.04.des Jahres begonnen hat. Denn zum einen hat die Arbeitgeberin nicht im Juni, sondern im Mai die Abrechnung und Zahlung vorgenommen. Und zum anderen ist in der Gehaltsabrechnung die Zahlung nicht als Vorschuss betitelt worden, sondern als Abschlag („Abschl.“). Ein Abschlag ist aber nicht mit einem Vorschuss gleich zu setzen, sondern bedeutet in der Regel eine Zahlung auf bereits verdienten, aber noch nicht abgerechneten Arbeitslohn. Zwar ist im Mai die Gratifikation nicht nur gezahlt, sondern auch abgerechnet worden, was gegen einen Abschlag und für einen Vorschuss sprechen könnte. Dennoch hat die Arbeitgeberin die Zahlung als Abschlag betitelt, woraus der Arbeitnehmer schließen kann, dass es sich um einen Abschlag auf die gesamte ihm zustehende Leistung handelt, so dass die weitere Zahlung und Abrechnung – hier die Zahlung eines weiteren halben Gehalts als Gratifikation im November 2014 – noch folgen werde.
Gerade weil die Arbeitgeberin die Höhe der jährlichen Gratifikation stets nur konkludent bekannt gegeben hat und sich im Jahr 2014 ebenso verhalten hat wie in den Vorjahren, durfte die Arbeitnehmerin aus der vorbehaltlosen Zahlung im Mai 2014 i.V.m. der Bezeichnung als „Abschlag Jahresgratifikation“ darauf vertrauen, dass dies die Bekanntgabe der Höhe der Leistung für 2014 ist mit der Folge, dass ihr ein weiteres halbes Gehalt im November 2014 zustand. Etwas anderes hätte die Arbeitgeberin gegenüber der Arbeitnehmerin deutlich machen müssen.
Landesarbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 12. Dezember 2016 – 8 Sa 43/15
- BAG v. 17.04.2013 – 10 AZR 281/12[↩]
- BAG v. 08.12.2010 – 10 AZR 671/09[↩]
- vgl. BAG v. 25.04.2007 – 5 AZR 627/06[↩]
- BAG v. 13.05.2015 – 10 AZR 266/14[↩]
- vgl. BAG v. 18.01.2012 – 10 AZR 667/10 [↩]
- vgl. BAG v. 14.09.2011 – 10 AZR 526/10[↩]
- BAG v. 27.10.2005 – 8 AZR 3/05[↩]
- LAG Hessen v.20.09.2010 – 7 Sa 2082/09[↩]
- BAG v. 26.09.2012 – 10 AZR 370/11; Staudinger/Rieble (2015) BGB § 315, Tz. 299[↩]