In einem arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren kommt neben der Festsetzung des für die Gerichtsgebühren maßgebenden Werts gemäß § 63 Abs. 2 GKG auch die hiervon nicht erfasste Festsetzung des Werts des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit gemäß § 33 RVG für die Verhandlung von nicht rechtshängigen Gegenständen, über die kein Vergleich zustande gekommen ist, in Betracht1.

In dem Ausgangsverfahren, das dem vorliegenden Beschluss des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg zugrunde liegt, begehrte der Kläger von seiner ehemaligen Arbeitgeberin Abrechnung über die Vergütung für Dezember 2014, Zahlung von Vergütung für November 2014, für Überstunden sowie Urlaubsabgeltung in Höhe von insgesamt 6.429, 50 € brutto und ein qualifiziertes Beendigungszeugnis. Die beklagte Arbeitgeberin rechnete gegen die Zahlungsansprüche mit vom Kläger bestrittenen Schadensersatzansprüchen in Höhe von 92.386, 18 € auf. Diese waren Gegenstand der mündlichen Kammerverhandlung und sollten nach dem dort geschlossenen, von der Beklagten jedoch fristgerecht widerrufenen Vergleich miterledigt sein. Der Rechtsstreit endete durch Urteil, in dem die Aufrechnung der Beklagten mit den behaupteten Schadensersatzansprüchen als unzulässig zurückgewiesen wurde.
Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg befand, dass im Streitfall (ausnahmsweise) Raum für eine Wertfestsetzung gemäß § 33 Abs. 1 RVG neben einer Festsetzung gemäß § 63 Abs. 2 GKG ist.
Grundsätzlich bindet § 32 Abs. 1 RVG die Gebühren des Rechtsanwalts an den für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert. Diese Bindung bleibt auch bei einer zum Wegfall der Gerichtsgebühren führenden Beendigung des Rechtsstreits (beispielsweise durch Vergleich oder Klagerücknahme vor streitiger Verhandlung) bestehen. Denn auch in einem solchen Fall ist eine Wertfestsetzung nach § 63 Abs. 2 GKG vorzunehmen2 und damit nach § 32 RVG auch für die Gebühren des Rechtsanwalts bindend3. Ein Wertfestsetzungsverfahren gemäß § 33 RVG kommt daneben nicht in Betracht, denn die Wertfestsetzung nach § 33 Abs. 1 RVG für die Rechtsanwaltsgebühren ist gegenüber der Wertfestsetzung gemäß § 32 Abs. 2 RVG subsidiär4. Dem Rechtsanwalt steht kein Wahlrecht zwischen dem Antrag nach § 32 Abs. 2 Satz 1 RVG in Verbindung mit § 63 Abs. 2 GKG und dem Antrag nach § 33 Abs. 1 RVG zu. Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 RVG richtet sich der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit im gerichtlichen Verfahren nach den für die Gerichtsgebühren maßgeblichen Vorschriften und § 32 Abs. 1 RVG ordnet die Maßgeblichkeit der zu den Gerichtsgebühren getroffenen Wertfestsetzung für die Gebühren des Rechtsanwalts an. Zur Sicherstellung dieses vom Gesetzgeber angeordneten Gleichlaufs der Berechnung von Gerichtsgebühren auslösendem Streitwert und vergütungsrechtlichem Gegenstandswert kann der Rechtsanwalt nach § 32 Abs. 2 Satz 1 RVG aus eigenem Recht die Festsetzung des Werts beantragen und Rechtsmittel gegen eine vorgenommene Wertfestsetzung einlegen. § 33 Abs. 1 RVG ermöglicht einen auf diese Vorschrift gestützten Antrag nur, wenn sich die Gebühren für die anwaltliche Tätigkeit in einem gerichtlichen Verfahren nicht nach dem für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert berechnen oder eine Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren im gerichtlichen Verfahren fehlt5.
Von letzterem kann nur ausgegangen werden, wenn die Verfahrensnormen weder eine Erhebung von Gerichtsgebühren noch eine Regelung überhaupt vorsehen. Dann kann eine Bindung der Gebühren des Rechtsanwalts an den für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert nach § 32 Abs. 1 GKG nicht eintreten und ist eine Festsetzung gemäß § 33 Abs. 1 RVG möglich, weil die Gegenstände und damit auch die Gegenstandswerte der gerichtlichen und der anwaltlichen Tätigkeit sich nicht decken6.
Dies ist hier betreffend die Schadensersatzansprüche der Beklagten der Fall. Denn die allgemeinen Wertvorschriften des GKG und der ZPO sehen eine Festsetzung gemäß § 63 Abs. 2 GKG im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren für Gegenstände, die, ohne rechtshängig geworden zu sein, vor Gericht nur zum Zwecke der Einigung verhandelt worden sind, ohne dass es aber zu einem Vergleichsabschluss gekommen ist, nicht vor.
Das LAG Baden-Württemberg hat bislang angenommen, eine Festsetzung gemäß § 33 RVG komme nur in Betracht, wenn der zu bewertende Gegenstand bei Gericht anhängig gewesen sei7.
Daran wird nach erneuter Überprüfung nicht länger festgehalten.
§ 33 Abs. 1 RVG erfordert die Tätigkeit „in einem gerichtlichen Verfahren“ (so auch die identische Formulierung in Vorbemerkung 3 Abs. 1 Satz 1 VV RVG). Dabei kommt es nicht auf die prozessuale Stellung an, die der Rechtsanwalt in dem Verfahren eingenommen hat; ebenso wenig darauf, ob er gegenüber dem Gericht nach außen hin tätig geworden ist8.
Soweit jedoch verlangt wird, der zu bewertende Gegenstand müsse aber bei Gericht anhängig geworden sein, sonst komme ein Wertfestsetzungsverfahren gemäß § 33 RVG nicht in Betracht9 und dieses Erfordernis überhaupt mit einer Begründung versehen wird, begnügt sich diese mit einem Hinweis auf die Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG (in der Konstellation: Vorbereitung einer Klage, die nicht eingereicht worden ist) und der Schlussfolgerung, in all den Fällen, in denen der Gegenstand nicht anhängig geworden sei, sei für eine Wertfestsetzung durch das Gericht gemäß § 33 RVG kein Raum, sondern der Gegenstandswert erforderlichenfalls im Gebührenprozess vom Prozessgericht zu ermitteln10.
Dies leuchtet nur für die Konstellation der Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG ein, bei der der Auftrag endet, ohne dass es überhaupt zu einem gerichtlichen Verfahren gekommen ist. Denn wenn ein solches insgesamt fehlt, gibt es auch kein Gericht, das mit anhängigen und nicht anhängigen Sachverhalten befasst war und quasi nur noch zum Abschluss des Verfahrens noch den Gegenstandswert festsetzen soll.
Um dieses zutreffende Ergebnis für diesen Teil des Gebührentatbestands der Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG aus dem Anwendungsbereich des § 33 Abs. 1 RVG herauszulösen, bedarf es jedoch nicht der Gleichstellung des „gerichtlichen Verfahrens“ mit der Anhängigkeit des jeweiligen Gegenstandes. Vielmehr reicht es aus, das Gesetz schlicht beim Wort zu nehmen und zu fordern, dass der Rechtsanwalt überhaupt in einem „gerichtlichen Verfahren“ tätig war, in dem neben anhängigen auch über „nicht rechtshängige Ansprüche“ (so ausdrücklich die Nrn. 3101 Nr. 2 und 3104 Abs. 2 VV RVG) verhandelt worden ist.
Nur diese Sichtweise vermeidet Wertungswidersprüche und entspricht der Prozessökonomie.
Es ist, soweit ersichtlich, unbestritten, dass der Rechtsanwalt gegenüber der von ihm vertretenen Partei im vereinfachten Vergütungsfestsetzungsverfahren gemäß § 11 RVG auch die Gebühren Nrn. 3101 Nr. 2 und 3104 Abs. 2 VV RVG festsetzen lassen kann11. Zuständig hierfür ist gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 aE RVG das Gericht des ersten Rechtszugs. Dann gibt es aber keinen einleuchtenden Grund, warum das Prozessgericht nicht für die der Vergütungsfestsetzung vorgelagerte Frage der Festsetzung des Wertes des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit zuständig sein soll, zumal eine isolierte Festsetzung nur dieses Wertes durch ein anderes Gericht gar nicht erreichbar wäre (vgl. § 11 Abs. 4 RVG, wonach im Falle eines von einem Beteiligten bestrittenen; vom Rechtsanwalt angegebenen Gegenstandswerts das Vergütungsfestsetzungsverfahren auszusetzen ist, bis „das Gericht“ – also das Prozessgericht – hierüber entschieden hat). Erst, wenn das vereinfachte Vergütungsfestsetzungsverfahren nicht in Betracht kommt (vgl. § 11 RVG), kann und muss der Rechtsanwalt den Vergütungsanspruch vor dem ordentlichen Gericht einklagen. Für eine vorweggenommene bloße Festsetzung nur des Wertes des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit bei ansonsten in Betracht kommendem vereinfachten Vergütungsfestsetzungsverfahren steht ein ordentliches Gericht nicht zur Verfügung.
Der mögliche Einwand, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für das Vorliegen der Gebühren der Nrn. 3101 Nr. 2 und 3104 Abs. 2 VV RVG sich in der Praxis bisweilen nur aufwändig feststellen ließen, weil diese nicht aktenkundig sind und/oder ohne Mitwirkung des Gerichts stattgefunden haben, ließe sich durch die Forderung nach einer Anhängigkeit sämtlicher in Frage stehender Gegenstände nicht ausräumen.
Diesem wird vom Bundesgerichtshof12 auch im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens nach §§ 103, 104 ZPO keine Bedeutung mehr beigemessen. Zwischenzeitlich wird die Terminsgebühr für die Mitwirkung an einer auf die Erledigung des gerichtlichen Verfahrens gerichteten außergerichtlichen Besprechung nach §§ 103, 104 ZPO grundsätzlich als festsetzungsfähig angesehen, auch wenn die tatsächlichen Voraussetzungen für den Anfall der Gebühr und deren Erstattungsfähigkeit im Kostenfestsetzungsverfahren zwischen den Parteien streitig sind. Der BGH begründet dies wie folgt:
Nach §§ 103, 104 ZPO sind grundsätzlich alle von der unterliegenden Partei gemäß § 91 Abs. 1 und 2 ZPO zu tragenden Kosten des Rechtsstreits festsetzungsfähig. Dazu zählt auch die Gebühr für die Mitwirkung an einer auf die Erledigung des gerichtlichen Verfahrens gerichteten außergerichtlichen Besprechung, die einen ausreichenden Bezug zu dem jeweiligen Rechtsstreit aufweist. Der Einwand, die Voraussetzungen einer derartigen Gebühr ließen sich in der Praxis häufig nicht zuverlässig feststellen, greift nicht. Dass das formalisierte Kostenfestsetzungsverfahren im Interesse der Rechtssicherheit klarer und praktikabler Berechnungsgrundlagen bedarf, bedeutet nicht, dass Kosten, die nicht ohne weiteres anhand der Gerichtsakten oder anderer Urkunden feststellbar sind, nicht festsetzungsfähig sind. Wie sich aus § 104 Abs. 2 ZPO ergibt, reicht für die Berücksichtigung einer prozessbezogenen Kostenposition deren Glaubhaftmachung aus, wobei sich der Rechtspfleger sämtlicher Beweismittel des § 294 Abs. 1 ZPO bedienen kann und muss. Folgerichtig werden zum Beispiel durch die Terminswahrnehmung entstandene Reisekosten oder Verdienstausfälle der betroffenen Partei allgemein als festsetzungsfähig angesehen.
Diese Betrachtungsweise entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers. Mit der Anerkennung der Terminsgebühr soll das ernsthafte Bemühen des Prozessbevollmächtigten um einen Abschluss des Verfahrens ohne Beteiligung des Gerichts honoriert und damit zugleich die außergerichtliche Streitbeilegung – auch zur Entlastung der Gerichte – gefördert werden13. Dieser Zielsetzung widerspräche es, wenn der Anwalt dazu veranlasst würde, entweder einen gerichtlichen Termin anzustreben, um damit eine Festsetzung der Terminsgebühr gemäß §§ 103 ff. ZPO sicherzustellen, oder ein eigenes gerichtliches Verfahren über seinen materiell-rechtlichen Erstattungsanspruch durchzuführen.
Diese Erwägungen gelten gleichermaßen für das Vergütungsfestsetzungsverfahren gemäß § 11 RVG, auf das gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 RVG die Vorschriften der §§ 103 ff. ZPO entsprechend anwendbar sind.
Der im Rahmen des § 33 Abs. 1 RVG festzusetzende Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit war damit im vorliegenden Fall mit 92.386, 18 € zu bemessen.
Die Voraussetzungen der Tatbestände der Nrn. 3101 Nr. 2 und 3104 Abs. 2 VV RVG liegen vor.
Verlangt wird das Vorliegen eines entsprechenden Verfahrensauftrags und das Stattfinden von Einigungsgesprächen über nirgendwo sonst oder jedenfalls im Ausgangsverfahren nicht rechtshängige, sondern allenfalls anderweitig anhängige Gegenstände14.
Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall betreffend die von der Beklagten zur Aufrechnung gestellten behaupteten Schadensersatzansprüche gegenüber dem Kläger vor. Im Kammertermin am 28.05.2015 wurde u.a. auch über die Schadensersatzansprüche der Beklagten verhandelt. Diese flossen auch in den widerruflichen Vergleich vom selben Tage ein. Insoweit ist von einem entsprechenden Verfahrensauftrag und der Durchführung von Einigungsgesprächen auszugehen, nachdem der Kläger dem diesbezüglichen Vorbringen seines Prozessbevollmächtigten nicht entgegengetreten ist. Der spätere Widerruf des Vergleichs ist unerheblich, da die Gebührenvorschriften der Nrn. 3101 Nr. 2 und 3104 Abs. 2 VV RVG nur einen Vergleichsversuch erfordern. Die Schadensersatzansprüche wurden von der Beklagten nur zur Aufrechnung gestellt und waren damit nicht rechtshängig.
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten des Klägers ist auf 92.386, 18 € festzusetzen. Dies entspricht dem Nennwert der von der Beklagten aufrechnungsweise geltend gemachten Schadensersatzforderung. Diese war insgesamt Gegenstand des Einigungsversuchs. Nach Nr. 7 des widerruflichen Vergleichs sollten etwaige Schadensersatzansprüche gegen den Kläger vollständig erledigt sein.
Landesarbeitsgericht Baden -Württemberg, Beschluss vom 13. Januar 2016 – 5 Ta 93/15
- Aufgabe von LAG Baden-Württemberg 25.07.2011 – 5 Ta 77/11[↩]
- LAG Baden-Württemberg 25.07.2011 – 5 Ta 77/11 Rn 27[↩]
- vgl. Hartmann Kostengesetze 45. Aufl. § 32 RVG Rn. 3[↩]
- Hartmann Kostengesetze 45. Aufl. § 33 RVG Rn. 3[↩]
- BGH 25.09.2008 – VII ZB 99/07 Rn 18; Gerold/Schmidt-Mayer RVG 22. Aufl. § 33 RVG Rn. 4[↩]
- vgl. Gerold/Schmidt-Mayer 22. Aufl., § 33 RVG Rn. 3; Hartmann Kostengesetze 45. Aufl. § 33 RVG Rn. 4 f.[↩]
- LAG Baden-Württemberg 25.07.2011 – 5 Ta 77/11 Rn 36[↩]
- Gerold/Schmidt-Mayer RVG 22. Aufl. § 33 RVG Rn. 5; Riedel/Sußbauer-Fraunholz RVG 9. Aufl. § 33 RVG Rn. 2; Hartmann Kostengesetze 45. Aufl. § 33 RVG Rn. 3[↩]
- Gerold/Schmidt-Mayer § 33 RVG Rn. 5; Riedel/Sußbauer-Fraunholz § 33 Rn. 2, § 32 Rn. 8; Hartmann § 33 RVG Rn. 3[↩]
- Gerold/Schmidt-Mayer § 33 RVG Rn. 3; Riedel/Sußbauer-Fraunholz § 33 RVG Rn. 3; Hartmann § 33 RVG Rn. 3[↩]
- vgl. hierzu etwa LAG Hamburg 12.04.2010 – 4 Ta 5/10; OLG Karlsruhe 3.02.2011 – 5 WF 220/10; OLG Stuttgart 15.08.2006 – 8 W 327/06 – jew. juris, die dies nicht einmal problematisieren[↩]
- BGH 27.02.2007 – XI ZB 38/05[↩]
- vgl. BT-Drs. 15/1971, S. 148, 209[↩]
- vgl. Gerold/Schmidt-Müller-Rabe RVG 22. Aufl. Nr. 3101 VV RVG Rn 79 ff.; Nr. 3104 VV RVG Rn 90 ff.[↩]