Zeitarbeitsunternehmen – und die Erstattungsansprüche im Urlaubskassenverfahren

Wird ein Leiharbeitnehmer vom Entleiher, der keinen Baubetrieb iSv. § 1 Abs. 2 der Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes unterhält, mit baulichen Tätigkeiten beschäftigt, nimmt der Verleiher nach § 8 Abs. 3 AEntG aF in Bezug auf diesen Leiharbeitnehmer am Urlaubskassenverfahren teil. Der Verleiher ist nicht nur verpflichtet, Sozialkassenbeiträge an die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft zu leisten, sondern kann auch die Erstattung von an den Leiharbeitnehmer gezahltem Urlaubsentgelt verlangen.

Zeitarbeitsunternehmen – und die Erstattungsansprüche im Urlaubskassenverfahren

§ 8 Abs. 3 AEntG aF begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Gesetzgeber ist nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen daran gehindert, § 8 Abs. 3 AEntG aF auf Fallgestaltungen zu erstrecken, in denen der Betrieb des Entleihers nicht in den fachlichen Geltungsbereich des allgemeinverbindlichen Tarifvertrags oder der Rechtsverordnung fällt.

Die Personaldienstleisterin hat gegen die Urlaubskasse einen Anspruch aus § 8 Abs. 3 AEntG aF iVm. § 12 Abs. 1 und 2 VTV 2014 auf Erstattung von Urlaubsentgelt, das sie an den entliehenen Arbeitnehmer gezahlt hat. 

Wird ein Leiharbeitnehmer vom Entleiher, der keinen Baubetrieb iSv. § 1 Abs. 2 der Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes betreibt, mit baulichen Tätigkeiten beschäftigt, nimmt der Verleiher für diesen Leiharbeitnehmer nach § 8 Abs. 3 AEntG aF am Urlaubskassenverfahren teil. Er ist einerseits verpflichtet, Sozialkassenbeiträge an die Urlaubskasse zu zahlen, andererseits kann er von der Urlaubskasse die Erstattung von an den Leiharbeitnehmer gezahltem Urlaubsentgelt verlangen1.

Wird ein Leiharbeitnehmer oder eine Leiharbeitnehmerin vom Entleiher mit Tätigkeiten beschäftigt, die in den Geltungsbereich eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrags nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 und §§ 5, 6 Abs. 2 AEntG aF oder einer Rechtsverordnung nach § 7 oder § 7a AEntG aF fallen, hat der Verleiher zumindest die in diesem Tarifvertrag oder in dieser Rechtsverordnung vorgeschriebenen Arbeitsbedingungen zu gewähren sowie die der gemeinsamen Einrichtung nach diesem Tarifvertrag zustehenden Beiträge zu leisten (§ 8 Abs. 3 Halbs. 1 AEntG aF). Nach § 8 Abs. 3 Halbs. 2 AEntG aF gilt dies auch dann, wenn der Betrieb des Entleihers nicht in den fachlichen Geltungsbereich dieses Tarifvertrags oder dieser Rechtsverordnung fällt.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 AEntG aF sind erfüllt. Der von der Arbeitgeberin überlassene Leiharbeitnehmer wurde vom Entleiher im streitgegenständlichen Zeitraum mit Tiefbauarbeiten beschäftigt. Tiefbauarbeiten fallen nach § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 36 VTV 2014 in den Geltungsbereich des Sozialkassentarifvertrags. Der VTV 2014 ist ein für allgemeinverbindlich erklärter Tarifvertrag iSv. § 4 Abs. 1 Nr. 1 AEntG aF. § 8 Abs. 3 AEntG aF gilt ausweislich seines zweiten Halbsatzes ungeachtet des Umstands, dass der Entleiher keinen Betrieb des Baugewerbes unterhalten hat.

Als Rechtsfolge bestimmt § 8 Abs. 3 AEntG aF iVm. § 12 Abs. 1 und 2 VTV 2014, dass die Urlaubskasse verpflichtet ist, Urlaubsentgelt zu erstatten, das die Personaldienstleisterin an den überlassenen Leiharbeitnehmer ausgezahlt hat. Das ergibt die Auslegung von § 8 Abs. 3 AEntG aF nach Wortlaut, systematischem Zusammenhang, Sinn und Zweck sowie der Entstehungsgeschichte. Dem steht nicht entgegen, dass im Gesetz ausdrücklich nur die Beitragspflicht des Leiharbeitgebers, nicht dagegen dessen Anspruch auf Erstattungen geregelt ist.

Der Wortlaut von § 8 Abs. 3 AEntG aF gibt ein bestimmtes Auslegungsergebnis nicht notwendig vor. Aus der Formulierung, dass der Verleiher die der gemeinsamen Einrichtung zustehenden Beiträge zu leisten hat, ergibt sich nicht eindeutig, ob damit korrespondierende Erstattungsansprüche umfasst sind.

Ob der Begriff der Beiträge in § 8 Abs. 3 AEntG aF in einem Erstattungsansprüche umfassenden oder ausschließenden Sinn verwendet ist, erschließt sich auch nicht eindeutig durch eine Zusammenschau mit den in Vorgängerregelungen des § 8 Abs. 3 AEntG aF allein in Bezug genommenen Tarifverträgen der Bauwirtschaft.

Gegen ein Erstattungen umfassendes Verständnis spricht, dass die Beitragspflicht (§ 15 VTV 2014) und die Erstattung von Urlaubsvergütung (§ 12 VTV 2014) in getrennten Vorschriften der Sozialkassentarifverträge geregelt sind. Zudem können nach § 15 Abs. 5 Satz 1 VTV 2014 Arbeitgeber über Erstattungsansprüche nur verfügen, wenn das Beitragskonto ausgeglichen ist2. Nach § 15 Abs. 5 Satz 2 VTV 2014 ist eine Aufrechnung von Erstattungsforderungen gegen bestehende Beitragsrückstände für den Arbeitgeber ausgeschlossen. Die älteren Sozialkassentarifverträge des Baugewerbes enthalten vergleichbare Regelungen. Das deutet darauf hin, dass der Gesetzgeber den Begriff der Beiträge iSv. § 8 Abs. 3 AEntG aF in Anlehnung an ein differenzierendes Verständnis der Tarifvertragsparteien nicht als Saldo aus Beiträgen im engeren Sinn abzüglich Erstattungen verstanden haben könnte.

Andererseits erscheint ein Verständnis des Begriffs der Beiträge in § 8 Abs. 3 AEntG aF dahin, dass damit Erstattungen umfasst sind, mit Blick auf die tarifvertraglichen Regelungen nicht fernliegend. Aus den Verfahrenstarifverträgen des Baugewerbes spricht durchgehend das Verständnis, dass Beitragspflichten mit Erstattungsansprüchen korrespondieren. Im Spitzenausgleichsverfahren nach § 19 VTV 2014 und den vergleichbaren Regelungen in den Vorgängertarifverträgen ist im Übrigen ausdrücklich die Möglichkeit geregelt, dass Beitrags- und Erstattungsansprüche saldiert werden können.

Aus dem Gesetzeszusammenhang ergeben sich deutliche Anhaltspunkte dafür, dass § 8 Abs. 3 AEntG aF nicht isoliert Beitragsansprüche gegen die Leiharbeitgeber, sondern auch Erstattungsansprüche gegen die gemeinsame Einrichtung begründet.

Die Bezugnahme in § 8 Abs. 3 auf § 5 AEntG aF spricht dafür, dass Leiharbeitgeber, die Leiharbeitnehmer für bauliche Tätigkeiten an einen Entleiher überlassen, der keinen Baubetrieb unterhält, nicht nur Beiträge leisten müssen, sondern auch Erstattungen verlangen können.

Nach § 5 Satz 1 Nr. 3 iVm. § 3 Satz 1 AEntG aF können Tarifverträge, die das Urlaubskassenverfahren betreffen, auch auf Arbeitsverhältnisse zwischen einem Arbeitgeber mit Sitz im Ausland und seinen im räumlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags beschäftigten Arbeitnehmern zwingend anzuwenden sein. Nach § 5 Satz 1 Nr. 3 AEntG aF gilt das für die Einziehung von Beiträgen und die Gewährung von Leistungen im Zusammenhang mit Urlaubsansprüchen durch eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien. Damit sind in § 5 Satz 1 Nr. 3 AEntG aF die Urlaubskassenregelungen der Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes insgesamt einschließlich der Erstattungsansprüche des Arbeitgebers für gezahltes Urlaubsentgelt adressiert3.

§ 8 Abs. 3 AEntG aF nimmt auf die Regelungen des § 5 AEntG aF zwar nicht ausdrücklich im Hinblick auf die Rechtsfolgen Bezug. Die Verweisung auf § 5 AEntG aF erfolgt auf der Tatbestandsebene, um die Tätigkeiten zu bestimmen, die ein Leiharbeitnehmer ausführen muss, damit die Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 AEntG aF erfüllt sind. Die Bezugnahme auf § 5 Satz 1 Nr. 3 AEntG aF legt dennoch nahe, dass der Gesetzgeber davon ausging, das Urlaubskassenverfahren solle in den Fallgestaltungen des § 8 Abs. 3 AEntG aF einschließlich möglicher Erstattungsansprüche der Leiharbeitgeber angewendet werden.

Zutreffend verweist das Hessische Landesarbeitsgericht darauf, dass § 8 Abs. 1 AEntG aF für Arbeitgeber mit Sitz im In- oder Ausland eine mit § 8 Abs. 3 AEntG aF auf der Rechtsfolgenseite weitgehend übereinstimmende Formulierung enthält4.

Sowohl nach § 8 Abs. 1 AEntG aF als auch nach § 8 Abs. 3 AEntG aF müssen Arbeitgeber mindestens bestimmte Arbeitsbedingungen gewähren und die einer gemeinsamen Einrichtung zustehenden Beiträge leisten. Beide Normen enthalten keine ausdrückliche Regelung möglicher Erstattungsansprüche der beitragspflichtigen Arbeitgeber gegen die gemeinsame Einrichtung. In Bezug auf die von § 8 Abs. 1 AEntG aF erfassten ausländischen Arbeitgeber ist anerkannt, dass ihnen, wenn sie Arbeitnehmer in Deutschland einsetzen, ein Erstattungsanspruch gegen die Kasse für ausgezahltes Urlaubsentgelt zusteht5. Aufgrund der vergleichbaren Formulierung von § 8 Abs. 1 und 3 AEntG aF auf der Rechtsfolgenseite liegt es nahe, den Erstattungsanspruch, der von § 8 Abs. 1 AEntG aF erfassten Arbeitgebern eingeräumt wird, auch Leiharbeitgebern nach § 8 Abs. 3 AEntG aF zuzuerkennen.

Dem steht nicht entgegen, dass § 3 Satz 1 iVm. §§ 4 bis 6 AEntG aF für Arbeitsverhältnisse zwischen ausländischen Arbeitgebern und ihren im räumlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags beschäftigten Arbeitnehmern die Geltung ua. der Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes anordnet. Hieraus kann nicht der Schluss gezogen werden, dass es in § 8 Abs. 1 AEntG aF keiner Bezugnahme auf das gesamte Urlaubskassenverfahren bedürfe, weil dessen Geltung bereits durch § 3 Satz 1 AEntG aF sichergestellt sei. § 8 Abs. 1 AEntG aF betrifft nicht nur ausländische, sondern auch inländische Arbeitgeber, die von § 3 AEntG aF nicht erfasst werden.

Der Sinn und Zweck des § 8 Abs. 3 AEntG aF spricht eindeutig dafür, dass neben Beitragspflichten auch Erstattungsansprüche für Leiharbeitgeber begründet werden, die Arbeitnehmer für bauliche Tätigkeiten an Entleiher überlassen, die keinen Baubetrieb unterhalten.

§ 8 Abs. 3 AEntG aF soll verhindern, dass Arbeitgeber auf den Einsatz von Leiharbeitnehmern ausweichen, um sich den nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz zwingenden Arbeitsbedingungen zu entziehen6. Für die betroffenen Leiharbeitnehmer wird sichergestellt, dass mindestens die in einem der in § 8 Abs. 3 AEntG aF genannten Tarifverträge oder einer der genannten Rechtsverordnungen vorgeschriebenen Arbeitsbedingungen gewährt werden. Aus der Formulierung im Gesetz, dass „zumindest“ die im genannten Tarifvertrag oder in der Rechtsverordnung nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz vorgeschriebenen Arbeitsbedingungen zu gewähren sind, wird deutlich, dass beim Verleiher geltende ungünstigere Arbeitsbedingungen verdrängt werden7. Mit der Verweisung auf die an gemeinsame Einrichtungen zu zahlenden Beiträge stellt der Gesetzgeber klar, dass die Mindestarbeitsbedingungen auch in Bezug auf Arbeitnehmeransprüche aus einem Sozialkassenverfahren gelten8.

Aus dem Zweck des § 8 Abs. 3 AEntG aF, für Leiharbeitnehmer die günstigeren Mindestarbeitsbedingungen zu sichern, folgt, dass Leiharbeitnehmern Ansprüche gegen gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien zustehen. Die hier von der Arbeitgeberin geltend gemachten Erstattungen für geleistetes Urlaubsentgelt sind Teil einer solchen über die Arbeitgeberin abgewickelten Leistung von einer Sozialkasse an den Leiharbeitnehmer.

Für die Rechtsbeziehungen von gemeinsamen Einrichtungen wird grundsätzlich die Beitragsbeziehung zwischen den Arbeitgebern und der gemeinsamen Einrichtung und die Leistungsbeziehung zwischen der gemeinsamen Einrichtung und den Arbeitnehmern unterschieden9.

In die Leistungsbeziehung zwischen der gemeinsamen Einrichtung und den begünstigten Arbeitnehmern kann allerdings der jeweilige Arbeitgeber als Zahlstelle „zwischengeschaltet“ sein10. Soweit die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft an den Arbeitgeber Beiträge erstattet, geschieht dies im Rahmen der Leistungsbeziehung gegenüber dem Arbeitnehmer11.

Würde § 8 Abs. 3 AEntG aF dahin ausgelegt, dass nicht auf Erstattungsansprüche des Arbeitgebers verwiesen werde, griffe das in die Leistungsbeziehung zwischen der Sozialkasse und den begünstigten Arbeitnehmern ein. Das liefe dem arbeitnehmerschützenden Zweck des § 8 Abs. 3 AEntG aF zuwider, Mindestarbeitsbedingungen von Leiharbeitnehmern zu sichern.

Die Urlaubskasse kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, der Zweck des § 8 Abs. 3 AEntG aF bestehe darin, eine Umgehung des Verbots der Arbeitnehmerüberlassung in Betriebe des Baugewerbes aus § 1b AÜG zu verhindern. Dem steht bereits entgegen, dass in der streitigen Fallgestaltung Leiharbeitnehmer gerade nicht in einen Baubetrieb überlassen werden. Es ist auch nicht ersichtlich, dass § 8 Abs. 3 AEntG aF Sanktionscharakter zukäme, um die Überlassung von Arbeitnehmern für bauliche Tätigkeiten durch Beitragspflichten ohne korrespondierende Erstattungsansprüche zu verteuern.

Die Entstehungsgeschichte des § 8 Abs. 3 AEntG aF bestätigt, dass dem beitragspflichtigen Leiharbeitgeber Erstattungsansprüche zustehen, wenn der Entleihbetrieb nicht in den betrieblichen Geltungsbereich des allgemeinverbindlichen Tarifvertrags nach § 8 Abs. 3 AEntG aF fällt.

§ 8 Abs. 3 AEntG in seiner bis zum 15.08.2014 geltenden Fassung griff nur ein, wenn der Betrieb des Entleihers in den betrieblichen Geltungsbereich des allgemeinverbindlichen Tarifvertrags fiel. Das hat der Fünfte Bundesarbeitsgericht im Jahr 2009 entschieden12.

Um das zu ändern, hat der Gesetzgeber auf das Urteil des Fünften Bundesarbeitsgerichts vom 21.10.2009 reagiert und § 8 Abs. 3 AEntG in seiner seit dem 16.08.2014 geltenden Fassung ergänzt. Danach gilt § 8 Abs. 3 AEntG aF auch dann, „wenn der Betrieb des Entleihers nicht in den fachlichen Geltungsbereich dieses Tarifvertrages oder dieser Rechtsverordnung fällt“. Der Umstand, dass § 8 Abs. 3 AEntG bei im Übrigen unveränderter Formulierung lediglich um einen Satzteil ergänzt worden ist, spricht dafür, dass für beide Konstellationen dieselben Rechtsfolgen gelten sollen.

Die Urlaubskasse kann sich für seine abweichende Auffassung nicht mit Erfolg darauf berufen, dass der gesetzliche Anspruch aus § 7 Abs. 2 SokaSiG iVm. § 12 VTV 2014 auf Arbeitgeber begrenzt sei, die in den betrieblichen Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes fielen. Die gesetzliche Erstreckung der Vorschriften des Urlaubskassenverfahrens aus dem VTV 2014 auf die Personaldienstleisterin erfolgt nicht nach § 7 Abs. 2 SokaSiG, sondern nach § 8 Abs. 3 AEntG aF. Die Personaldienstleisterin betreibt Arbeitnehmerüberlassung und unterhält unstreitig keinen Baubetrieb, der in den betrieblichen Geltungsbereich des VTV 2014 fiele. Dennoch nimmt sie aufgrund der gesetzlichen Anordnung des § 8 Abs. 3 AEntG aF am Urlaubskassenverfahren teil, soweit sie Leiharbeitnehmer für bauliche Tätigkeiten in Unternehmen überlässt, die keinen Baubetrieb unterhalten. Davon geht auch die Urlaubskasse aus, soweit sie Beiträge von der Arbeitgeberin fordert.

Das von der Urlaubskasse vertretene Verständnis von § 8 Abs. 3 AEntG aF stünde im Übrigen dem Zweck des Sozialkassenverfahrens in der Bauwirtschaft entgegen, Bedingungen für den fairen Wettbewerb zu schaffen13. Müssten Leiharbeitgeber für Arbeitnehmer, die für bauliche Tätigkeiten an Entleiher überlassen werden, die keinen Baubetrieb unterhalten, Beiträge abführen, ohne Erstattungen zu erlangen, wären sie im Wettbewerb mit Baubetrieben benachteiligt.

§ 8 Abs. 3 AEntG aF begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken14. Der Gesetzgeber ist nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen daran gehindert, § 8 Abs. 3 AEntG aF auf Fallgestaltungen zu erstrecken, in denen der Betrieb des Entleihers nicht in den fachlichen Geltungsbereich des allgemeinverbindlichen Tarifvertrags oder der Rechtsverordnung fällt. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG kommt daher nicht in Betracht. § 8 Abs. 3 AEntG aF ist eine wirksame Gesetzesgrundlage für die von der Arbeitgeberin begehrten Erstattungsansprüche.

Die gesetzliche Erweiterung des Anwendungsbereichs von § 8 Abs. 3 AEntG mit Gesetz vom 11.08.2014 auf Entleiherbetriebe, die nicht in den fachlichen Geltungsbereich fallen, hat im Schrifttum Kritik erfahren15. Insbesondere wird eingewandt, es sei ein Wertungswiderspruch gegeben, weil der Entleiher Arbeitnehmern, die bei ihm selbst angestellt seien, nicht die Mindestarbeitsbedingungen gewähren müsse, wohl aber der Verleiher den Arbeitnehmern, die beim Entleiher für die gleichen Tätigkeiten eingesetzt seien16. Die Vorschrift werfe daneben erhebliche Anwendungsschwierigkeiten auf. Insbesondere sei nicht geklärt, welcher Zeitraum für die Beurteilung maßgeblich sei, ob Leiharbeitnehmer Tätigkeiten im Geltungsbereich eines Tarifvertrags ausübten17.

Eine Verletzung der Verfassung ist gleichwohl nicht zu erkennen. Insbesondere verletzt § 8 Abs. 3 AEntG aF nicht das allgemeine Gleichheitsgrundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG.

Zwar müssen Leiharbeitgeber, die Arbeitnehmer für bestimmte Tätigkeiten in Betriebe überlassen, die nicht in den fachlichen Geltungsbereich eines Tarifvertrags oder einer Rechtsverordnung iSd. § 8 Abs. 3 AEntG aF fallen, die Mindestarbeitsbedingungen gewähren. Sie werden damit schlechter behandelt als nicht in den fachlichen Geltungsbereich fallende Arbeitgeber, die die gleichen Tätigkeiten mit eigenen Arbeitnehmern erbringen.

Es kann dahinstehen, ob Leiharbeitgeber mit Arbeitgebern vergleichbar sind, die beispielsweise bauliche Tätigkeiten von eigenen Arbeitnehmern verrichten lassen, ohne in den betrieblichen Geltungsbereich der Bautarifverträge zu fallen. Leiharbeitsverhältnisse unterscheiden sich in vielfacher Hinsicht von anderen Arbeitsverhältnissen. Der Gesetzgeber hat mit dem AÜG eine Vielzahl von Regelungen geschaffen, um die Stellung der Leiharbeitskräfte zu stärken18. Aus diesem Grund steht bereits in Frage, ob es sich um vergleichbare Normadressaten handelt. Jedenfalls wäre eine Ungleichbehandlung durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt.

Aus Art. 3 Abs. 1 GG folgt das Gebot, wesentlich Gleiches gleich- und wesentlich Ungleiches ungleichzubehandeln. Differenzierungen sind nicht untersagt. Sie müssen jedoch durch Sachgründe gerechtfertigt sein, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind19.

Der Gesetzgeber hat § 8 Abs. 3 AEntG aF dahin erweitert, dass die Regelung auch gilt, „wenn der Betrieb des Entleihers nicht in den fachlichen Geltungsbereich dieses Tarifvertrags oder dieser Rechtsverordnung fällt“. Damit verfolgt er den Zweck, eine Umgehung der über das Arbeitnehmer-Entsendegesetz festgesetzten Arbeitsbedingungen durch den Einsatz von Leiharbeitskräften zu verhindern20. Die Erstreckung ist geeignet, erforderlich und angemessen, um diesen Zweck zu erreichen.

Die Erstreckung von § 8 Abs. 3 AEntG aF ist geeignet, eine Umgehung von Mindestarbeitsbedingungen zu vermeiden. Unternehmen, die bestimmte Arbeiten iSv. § 8 Abs. 3 AEntG aF nicht mit eigenen Arbeitnehmern erbringen wollen, können einen Werkauftrag erteilen oder Leiharbeitskräfte einsetzen. Ein beauftragter Werkauftragnehmer fällt typischerweise in den fachlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags oder der Rechtsverordnung mit den Mindestarbeitsbedingungen. Über den Werklohn gibt er typischerweise die höheren Kosten aufgrund der Mindestarbeitsbedingungen an den Auftraggeber weiter. Ein Leiharbeitgeber, der lediglich einzelne Leiharbeitskräfte für vergleichbare Tätigkeiten vermittelt, musste bis zur Änderung von § 8 Abs. 3 AEntG mit Gesetz vom 11.08.2014 entsprechende Mindestarbeitsbedingungen nicht gewähren und konnte dem Entleiher aus diesem Grund einen günstigeren Preis bieten21. Die Erstreckung von § 8 Abs. 3 AEntG mit Gesetz vom 11.08.2014 auf nicht in den betrieblichen Anwendungsbereich fallende Entleiher ist geeignet, diese Umgehung der Mindestarbeitsbedingungen zu verhindern.

Die Erweiterung von § 8 Abs. 3 AEntG aF ist erforderlich, um die aufgezeigte Umgehungsmöglichkeit zu unterbinden. Vergleichbar wirksame und weniger einschneidende Maßnahmen sind nicht ersichtlich.

Die Erstreckung von Mindestbedingungen auf den Verleih von Leiharbeitskräften in Betriebe von nicht in den fachlichen Geltungsbereich fallenden Entleihern ist angemessen. Dem Gesetzgeber ist grundsätzlich ein weiter Gestaltungsspielraum zuzubilligen22.

§ 8 Abs. 3 AEntG aF verstößt auch nicht gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Bestimmtheit und Normenklarheit.

Gesetze müssen so bestimmt sein, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist. Dass ein Gesetz unbestimmte, der Auslegung und Konkretisierung bedürftige Begriffe verwendet, verstößt allein noch nicht gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz der Normenklarheit und Justiziabilität. Unvermeidbare Auslegungsschwierigkeiten in Randbereichen sind aus verfassungsrechtlicher Sicht hinzunehmen. Erforderlich ist allerdings, dass die von der Norm Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können. Sie müssen in zumutbarer Weise feststellen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die Rechtsfolge erfüllt sind23.

Nach diesen Grundsätzen ist ein Verstoß gegen das Gebot der Bestimmtheit und Normenklarheit nicht gegeben. Der Gesetzgeber hat verständlich klargestellt, dass § 8 Abs. 3 AEntG auch eingreift, wenn lediglich die Tätigkeit des Leiharbeitnehmers in den fachlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags oder der Rechtsverordnung mit den Mindestarbeitsbedingungen fällt. Es mag praktische Schwierigkeiten verursachen, überwiegend einschlägige Tätigkeiten festzustellen. Der Gesetzgeber darf es jedoch Praxis, Wissenschaft und Rechtsprechung überlassen, diese Schwierigkeiten zu bewältigen. Das gilt beispielsweise für den Zeitraum, für den zu prüfen ist, ob einschlägige Tätigkeiten überwiegen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 8. Dezember 2021 – 10 AZR 101/20

  1. ErfK/Franzen 22. Aufl. AEntG § 8 Rn. 6; BeckOK ArbR/Gussen Stand 1.12.2021 AEntG § 8 Rn. 9; Krätzig/Jäger jurisPR-ArbR 36/2020 Anm. 4 zu C III; aA Hennig/Nadler FA 2018, 110, 112[]
  2. vgl. BAG 3.07.2019 – 10 AZR 499/17, Rn. 79, BAGE 167, 196[]
  3. vgl. zur Vorgängerregelung in § 1 Abs. 3 AEntG idF vom 19.12.1998 BAG 1.04.2009 – 10 AZR 134/08, Rn.20[]
  4. Hess. LAG 17.12.2019 – 12 Sa 460/19 SK[]
  5. BAG 30.10.2019 – 10 AZR 567/17, Rn. 54, BAGE 168, 273; für das AEntG idF vom 19.12.1998 BAG 1.04.2009 – 10 AZR 134/08, Rn.19 ff.; siehe auch BT-Drs. 18/10631 S. 648[]
  6. BAG 21.10.2009 – 5 AZR 951/08, Rn. 11, BAGE 132, 228; Thüsing/Bayreuther MiLoG/AEntG 2. Aufl. AEntG § 8 Rn.20 mwN[]
  7. BeckOK ArbR/Gussen Stand 1.12.2021 AEntG § 8 Rn. 4; ErfK/Franzen 22. Aufl. AEntG § 8 Rn. 6; BT-Drs.19/19371 S. 30[]
  8. BeckOK ArbR/Gussen aaO[]
  9. ErfK/Franzen 22. Aufl. TVG § 4 Rn. 25; Wiedemann/Wank TVG 8. Aufl. § 4 Rn. 340[]
  10. Löwisch/Rieble TVG 4. Aufl. § 4 Rn. 410; Wiedemann/Wank TVG 8. Aufl. § 4 Rn. 340[]
  11. Löwisch/Rieble aaO[]
  12. BAG 21.10.2009 – 5 AZR 951/08, Rn. 8 ff., BAGE 132, 228[]
  13. BAG 16.09.2020 – 10 AZR 9/19, Rn. 30; 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 60, BAGE 164, 201[]
  14. aA Hennig/Nadler FA 2018, 110, 114[]
  15. Thüsing/Bayreuther MiLoG/AEntG 2. Aufl. AEntG § 8 Rn.20 ff.; ErfK/Franzen 22. Aufl. AEntG § 8 Rn. 5; Dreyer PuR 2014, 236 ff.; Hennig/Nadler FA 2018, 110 ff.[]
  16. Thüsing/Bayreuther aaO; ErfK/Franzen aaO; zur früheren Rechtslage BAG 21.10.2009 – 5 AZR 951/08, Rn. 12, BAGE 132, 228[]
  17. ErfK/Franzen aaO Rn. 6; Hennig/Nadler FA 2018, 110, 111[]
  18. BT-Drs. 18/9232 S. 14; ErfK/Wank/Roloff 22. Aufl. AÜG § 1 Rn. 4[]
  19. BVerfG 26.05.2020 – 1 BvL 5/18, Rn. 94, BVerfGE 153, 358; BAG 9.12.2020 – 10 AZR 334/20, Rn. 33[]
  20. BT-Drs. 18/1558 S. 52[]
  21. vgl. dazu Rieble DB 2011, 356 f.[]
  22. vgl. BVerfG 11.08.2020 – 1 BvR 2654/17, Rn. 35[]
  23. BVerfG 3.09.2014 – 1 BvR 3353/13, Rn. 16; 7.05.2001 – 2 BvK 1/00, zu C II der Gründe mwN, BVerfGE 103, 332; BAG 31.01.2019 – 8 AZR 1073/12, Rn. 61[]