Zeiten unterbrochener Betriebszugehörigkeit im Baugewerbe und der Kündigungsschutz

Gem. § 1 Abs. 1 KSchG bedarf eine Kündigung zu ihrer Wirksamkeit der sozialen Rechtfertigung, wenn das Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat. Sinn und Zweck dieser „Wartezeit“ ist es, den Parteien des Arbeitsverhältnisses für eine gewisse Zeit die Prüfung zu ermöglichen, ob sie sich auf Dauer binden wollen1.

Zeiten unterbrochener Betriebszugehörigkeit im Baugewerbe und der Kündigungsschutz

Dem Wortlaut nach knüpft die Vorschrift an den Bestand des Arbeitsverhältnisses, nicht an die tatsächliche Beschäftigung an. Danach schadet jede rechtliche Unterbrechung, sei sie auch nur von kurzer Dauer. Eine solch enge Sichtweise würde aber dem Gesetzeszweck nicht gerecht werden. Danach kann eine rechtliche Unterbrechung unbeachtlich sein, wenn sie verhältnismäßig kurz ist und zwischen beiden Arbeitsverhältnissen ein enger sachlicher Zusammenhang besteht. Unter welchen Voraussetzungen eine Unterbrechung als verhältnismäßig kurz anzusehen ist, lässt sich nicht generell festlegen. Zu berücksichtigen sind neben der absoluten Dauer auch mögliche Besonderheiten des Arbeitsverhältnisses oder der betreffenden Branche. Ob ein sachlicher Zusammenhang anzunehmen ist, hängt insbesondere von Anlass der Unterbrechung und Art der Weiterbeschäftigung ab2. Je länger die zeitliche Unterbrechung gedauert hat, desto gewichtiger müssen die für einen sachlichen Zusammenhang sprechenden Umstände sein3.

§ 1 Abs. 1 KSchG ist einseitig zwingendes Recht4. Vereinbarungen zum Nachteil des Arbeitnehmers sind unwirksam5. Zulässig sind dagegen zu Gunsten des Arbeitnehmers abweichende Regelungen, etwa – einzelvertragliche oder kollektivrechtliche – Vereinbarungen über den Ausschluss oder die Verkürzung der Wartezeit6 oder über die Anrechnung von Vorbeschäftigungszeiten bei demselben oder einem anderen Arbeitgeber7.

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Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der persönlichen Voraussetzungen des allgemeinen Kündigungsschutzes trägt der Arbeitnehmer. Dazu gehört auch die Obliegenheit darzulegen, dass das Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung mindestens sechs Monate „ohne Unterbrechung“ bestanden hat8. Liegt unstreitig eine Unterbrechung vor, hat der Arbeitnehmer die Umstände darzulegen und ggf. zu beweisen, aus denen sich ein enger sachlicher Zusammenhang ergibt9.

Danach kann ein enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen dem am 20.12.2006 beendeten und dem am 2.05.2007 aufgenommenen Arbeitsverhältnis nicht allein mit Blick auf die Unterbrechungsdauer von knapp viereinhalb Monaten verneint werden.

§ 12 Nr.01.2 Satz 3 des allgemeinverbindlichen Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe in der Bundesrepublik Deutschland (BRTV-Bau) enthält keine den Arbeitnehmer begünstigende ausdrückliche Regelung zur Berechnung der Wartezeit iSv. § 1 Abs. 1 KSchG. Die Tarifnorm sieht unter der Überschrift „Verlängerte Kündigungsfristen“ vor, dass „Zeiten unterbrochener Betriebszugehörigkeit … zusammengerechnet [werden], wenn die Unterbrechung nicht vom Arbeitnehmer veranlasst wurde und wenn sie nicht länger als sechs Monate gedauert hat“. Die systematische Einordnung der Bestimmung in die Regelungen zur Dauer von Kündigungsfristen macht deutlich, dass die Tarifvertragsparteien die Zusammenrechnung unterbrochener Betriebszugehörigkeitszeiten hier lediglich für die Berechnung von Kündigungsfristen angeordnet haben. Hätten sie eine Regelung auch für die Berechnung der Wartezeit iSv. § 1 Abs. 1 KSchG treffen wollen, hätte es nahe gelegen, das auch äußerlich mit einer eigenen Überschrift hervorzuheben und auf diese Weise klarzustellen. Das ist unterblieben. Auch an anderer Stelle findet sich im BRTV-Bau keine Vorschrift, die Regelungen zur Berechnung der Wartefrist des § 1 KSchG enthielte.

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Gleichwohl ist die von den Tarifparteien in § 12 Nr.01.2 Satz 3 BRTV-Bau getroffene Wertung bei der Berechnung der Wartezeit iSv. § 1 Abs. 1 KSchG zu berücksichtigen. Eine Unterbrechung von bis zu sechs Monaten kann danach im Geltungsbereich des BRTV-Bau unbeachtlich sein.

Die tarifvertragliche Regelung trägt den besonderen Bedürfnissen des Baugewerbes Rechnung. Wie der Verlauf des Arbeitsverhältnisses der Parteien zeigt, besteht dort in den Wintermonaten häufig die Notwendigkeit einer saisonalen „Freistellung“ des Arbeitnehmers, ohne dass seine „Weiterbeschäftigung“ bei Beginn der Aufträge im Frühjahr in Frage gestellt werden soll. Durch die Regelung zur Berechnung der Kündigungsfristen in § 12 Nr.01.2 Satz 3 BRTV-Bau haben die Tarifparteien deutlich gemacht, dass eine – wiederholte – zeitliche Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses von bis zu sechs Monaten im Baugewerbe durchaus üblich ist und als solche keinen Anlass bieten soll, den Zusammenhang zweier Arbeitsverhältnisse in Abrede zu stellen.

Diese branchenspezifischen Besonderheiten sind auch im Rahmen des § 1 Abs. 1 KSchG zu berücksichtigen10. Das gebietet der Bestandsschutzgedanke sowohl des Kündigungsschutzgesetzes als auch der tariflichen Regelung. Diese gibt zu erkennen, dass nach dem Willen der Tarifvertragsparteien Zeiten der Unterbrechung der Betriebszugehörigkeit von bis zu sechs Monaten den sozialen Besitzstand des Arbeitnehmers aus § 622 Abs. 2 BGB, § 12 Nr.01.2 Satz 1 BRTV-Bau nicht schmälern sollen, wenn die Unterbrechung nicht vom Arbeitnehmer veranlasst worden ist. Damit ist zwar nicht zwingend die Konsequenz verbunden, solche Unterbrechungszeiten müssten auch im Rahmen von § 1 KSchG unbeachtlich bleiben. Es ergäbe sich jedoch ein schwerlich auszuräumender Widerspruch, wenn ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis nach einer Unterbrechung der Betriebszugehörigkeit von weniger als sechs Monaten in den ersten sechs Monaten nach Wiedereinstellung gekündigt wird, sich wegen § 12 Nr.01.2 Satz 3 BRTV-Bau ggf. auf eine Länge der Kündigungsfrist von mehreren Monaten – statt von sechs Werktagen nach § 12 Nr.01.1 BRTV-Bau – berufen könnte, die Kündigung als solche aber einer sozialen Rechtfertigung nach § 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG nicht bedürfte. Im Extremfall könnten so die Kündigungsfristen im Laufe der Zeit kontinuierlich anwachsen, ohne dass die Wartefrist des § 1 Abs. 1 KSchG je erfüllt wäre. Einem solchen Widerspruch ist durch eine den tarifvertraglichen Wertungen Rechnung tragende Auslegung der gesetzlichen Bestimmung zu begegnen. Danach ist im Geltungsbereich des BRTV-Bau eine Unterbrechung der Betriebs-/Unternehmenszugehörigkeit von bis zu sechs Monaten für sich allein genommen nicht ausreichend, um eine Zusammenrechnung der Zeiten vor und nach der Unterbrechung im Rahmen von § 1 Abs. 1 KSchG auszuschließen. Schutzwürdige Belange des Arbeitgebers stehen dem nicht entgegen. Die Wartezeit ermöglicht es dem Arbeitgeber, innerhalb der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses zu prüfen, ob der Arbeitnehmer persönlich und fachlich geeignet ist, die vorgesehene Tätigkeit auszuüben. Auf diesen Schutz ist ein Arbeitgeber, der einen Arbeitnehmer – ggf. über mehrere Jahre – wegen saisonbedingter fehlender Beschäftigungsmöglichkeit entlässt, bei Anlaufen der Geschäfte aber wieder einstellt, nach einer Betriebszugehörigkeit von insgesamt mehr als sechs Monaten regelmäßig nicht mehr angewiesen.

  1. vgl. zB BAG 28.08.2008 – 2 AZR 101/07, Rn. 17; 24.11.2005 – 2 AZR 614/04, zu B 1 b der Gründe, BAGE 116, 254[]
  2. vgl. BAG 7.07.2011 – 2 AZR 12/10, Rn. 22 mwN, BAGE 138, 321; grundlegend: 6.12.1976 – 2 AZR 470/75, zu 3 d der Gründe, BAGE 28, 252[]
  3. BAG 22.05.2003 – 2 AZR 426/02, zu B I 2 a der Gründe[]
  4. BAG 14.05.1987 – 2 AZR 380/86, zu B I der Gründe, BAGE 55, 298[]
  5. allg. Ansicht, zB KR/Griebeling 10. Aufl. § 1 KSchG Rn. 94; Krause in vHH/L 15. Aufl. § 1 Rn. 22; Löwisch/Spinner KSchG 9. Aufl. § 1 Rn. 37; APS/Dörner/Vossen 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 6; ErfK/Oetker 13. Aufl. § 1 KSchG Rn. 15[]
  6. vgl. BAG 8.06.1972 – 2 AZR 285/71, zu 5 b aa der Gründe mwN[]
  7. vgl. BAG 2.06.2005 – 2 AZR 480/04, Rn. 34, BAGE 115, 92; 28.02.1990 – 2 AZR 425/89, zu II 1 f der Gründe, BAGE 64, 209[]
  8. KR/Griebeling 10. Aufl. § 1 KSchG Rn. 129; APS/Dörner/Vossen 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 49; Krause in vHH/L 15. Aufl. § 1 Rn. 142; HaKo/Mayer 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 165; Ascheid Beweislastfragen S. 52[]
  9. vgl. KR/Griebeling 10. Aufl. § 1 KSchG Rn. 130; APS/Dörner/Vossen 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 51; HaKo/Mayer aaO; Ascheid Beweislastfragen S. 58[]
  10. vgl. BAG 17.06.2003 – 2 AZR 257/02, zu B I 2 d der Gründe[]
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