Zielvereinbarung für eine Bonuszahlung – und die Ersatzleistungsbestimmung durch die Arbeitsgerichte

Der Beurteilungsspielraum, der den Tatsachengerichten bei einer Ersatzleistungsbestimmung nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB zusteht, unterliegt nur einer beschränkten revisionsrechtlichen Kontrolle durch das Bundesarbeitsgericht.

Zielvereinbarung für eine Bonuszahlung – und die Ersatzleistungsbestimmung durch die Arbeitsgerichte

In dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall besteht im Betrieb der Arbeitgeberin eine „Betriebsvereinbarung Bonus“ („BV Bonus“), wonach hinter der variablen Vergütung ein Zielvereinbarungsprozess steht. Der Bonus kann deshalb nur verdient werden, wenn eine individuelle Zielvereinbarung getroffen worden ist. Entsprechend ist in der BV Bonus vorgeschrieben, dass der Mitarbeiter und der Vorgesetzte jährlich eine individuelle Zielvereinbarung schließen. Was den Inhalt der Zielvereinbarung angeht, ergibt sich aus der BV Bonus, dass die für einen Bonusanspruch erforderliche Zielvereinbarung (einseitig) festgelegte Geschäftsziele und vereinbarte individuelle Ziele enthält1.

Die Verpflichtung nach der BV Bonus, für den Abschluss einer Zielvereinbarung die bereitgestellte Software mit der näher beschriebenen Eingabemaske („das System“) zu nutzen, bezieht sich dabei nur auf die zu vereinbarenden persönlichen Ziele und nicht auf die einseitig vom Unternehmen bzw. dem zuständigen Geschäftsbereich festzulegenden Geschäftsziele. Anhaltspunkte dafür, dass konstitutive Voraussetzung für eine wirksame individuelle Zielvereinbarung eine bestimmte Form der Niederlegung dieser Geschäftsziele ist, ergeben sich aus der BV Bonus nicht. Vielmehr wird dort ausdrücklich auf die als Anlage 1 beigefügte Eingabemaske verwiesen. Diese betrifft ausschließlich die vereinbarten persönlichen Ziele; nur hinsichtlich solcher Ziele werden Erläuterungen („Vorstellung“) vorgenommen.

Die vom Unternehmen bzw. dem zuständigen Geschäftsbereich einseitig festzulegenden Geschäftsziele sind nach der BV Bonus von der Arbeitgeberin lediglich mitzuteilen. Daher führt der Umstand, dass die Eingabemaske nach Anlage 1 zur BV Bonus Freifelder enthält, entgegen der in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesarbeitsgericht geäußerten Auffassung der Arbeitgeberin nicht dazu, dass auch die Geschäftsziele in das System eingepflegt werden müssen. Es ist vielmehr ausreichend, wenn diese Geschäftsziele – nachdem die unternehmensinterne Willensbildung abgeschlossen ist – in einer Weise bekanntgemacht werden, dass die bonusberechtigten Arbeitnehmer die Möglichkeit haben, davon Kenntnis zu nehmen. Eine individuelle Mitteilung an jeden bonusberechtigten Arbeitnehmer setzt die BV Bonus weder nach ihrem Wortlaut noch nach dem Sinn der Bestimmung voraus. Ebenso wenig ist vorgeschrieben, dass für die Mitteilung eine besondere Form zu wahren ist.

Weiterlesen:
Arbeitsentgelt - und die Verwirkung

Eine diesen Anforderungen genügende Zielvereinbarung hat die Arbeitnehmerin im vorliegenden Fall mit der Arbeitgeberin für das Jahr 2017 geschlossen. Was die persönlichen Ziele angeht, hat die Arbeitnehmerin bereits erstinstanzlich vorgetragen, die vereinbarten Ziele vollständig erreicht zu haben. Die Arbeitgeberin ist diesem Vortrag in den Tatsacheninstanzen zu keinem Zeitpunkt substantiiert entgegengetreten. Mit Blick auf die Geschäftsziele hat die Arbeitgeberin ausgeführt, dass im Anschluss an die Mitteilung der Konzernziele die geschäftsbereichsspezifischen Ziele am 12.04.2017 kommuniziert worden seien. Damit ist die einseitige Festlegung von Geschäftszielen und deren Mitteilung iSv. Nr. II Ziff. 1 BV Bonus erfolgt.

In welcher Höhe ein Anspruch auf eine variable Vergütung für das Jahr 2017 besteht, ist aber offen. Mit der in der Vorinstanz vom Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg2 gegebenen Begründung durfte dieses die Berufung der Arbeitgeberin nicht zurückweisen und im Rahmen seiner Ersatzleistungsbestimmung von einem BPF von 100 % ausgehen. Den von der Arbeitgeberin jedenfalls in der zweiten Instanz gehaltenen Vortrag zu dieser Thematik hat das Landesarbeitsgericht vollständig übergangen. Auf Grundlage der getroffenen Feststellungen ist dem Bundesarbeitsgericht eine abschließende Entscheidung nicht möglich. Dies führt zur Zurückverweisung an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 ZPO).

Die Festlegung der Geschäftsziele im Rahmen des BPF steht im billigen Ermessen der Arbeitgeberin, das durch die Vorgaben der BV Bonus beschränkt ist. Was die Festlegung des BPF angeht, ergibt die Auslegung der BV Bonus, dass nur geschäftsbereichsspezifische und unternehmensbezogene Ziele, nicht aber konzernspezifische Ziele Eingang finden können. Das hat das Bundesarbeitsgericht im Parallelverfahren 10 AZR 729/19 bereits zu der insoweit wortgleichen BV Bonus entschieden, die im Betrieb der Arbeitgeberin in Berlin galt3. Die Vorinstanzen haben insoweit zutreffend angenommen, dass die von der Arbeitgeberin vorgenommene Festsetzung des BPF auf „Null“ nicht billigem Ermessen entspricht und daher nach § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB unverbindlich ist. Dies entspricht ebenfalls den Erwägungen des Bundesarbeitsgerichts4.

Weiterlesen:
Pauschale Bonuszahlungen der Krankenkasse - und der Sonderausgabenabzug

Die vom Landesarbeitsgericht nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB vorgenommene Ersatzleistungsbestimmung hält jedoch auch einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Kontrolle nicht stand. Das Landesarbeitsgericht hat wesentliche Umstände unberücksichtigt gelassen.

ie Ersatzleistungsbestimmung nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB ist vom Gericht auf Grundlage des Vortrags der Parteien zu treffen. Durch richterliche Ermessensentscheidung wird direkt über den geltend gemachten Anspruch entschieden. Die Ausübung des eigenen richterlichen Ermessens findet auf Grundlage des gesamten Prozessstoffs statt. Eine Darlegungs- und Beweislast im prozessualen Sinn besteht insoweit nicht, doch ist jede Partei gehalten, die für ihre Position sprechenden Umstände vorzutragen, weil das Gericht nur die ihm bekannten Umstände in seine Bestimmung einbringen kann5.

Bei der durch Ersatzleistungsbestimmung iSv. § 315 Abs. 3 BGB vorzunehmenden gerichtlichen Bestimmung einer variablen Vergütung hat das Revisionsgericht den Beurteilungsspielraum, der den Tatsachengerichten dabei zusteht, nur beschränkt zu überprüfen. Es hat zu kontrollieren, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff der Billigkeit selbst verkannt hat, ob es die gesetzlichen Grenzen seines Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat und ob es von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgegangen ist, der ihm den Zugang zu einer fehlerfreien Ermessensausübung versperrt hat6.

Die vom Landesarbeitsgericht nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB vorgenommene Ersatzleistungsbestimmung hält auch einer solchen eingeschränkten Überprüfung nicht stand, weil das Landesarbeitsgericht nicht sämtliche Umstände berücksichtigt hat.

Weiterlesen:
Das Personalratsmitglied - und die übertarifliche Leistungsvergütung

Das Landesarbeitsgericht hat zum BPF und den geschäftsbereichsspezifischen Zielen lediglich ausgeführt, zu dem von der Arbeitgeberin eingewandten Schwellenwert und der Skalierung bedürfe es keiner Feststellung. Das Arbeitsgericht, auf dessen Erwägungen das Landesarbeitsgericht nach § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen hat, hatte insoweit angenommen, die Arbeitgeberin habe nicht dargelegt, in welchem Umfang die festgesetzten Ziele erreicht worden seien. Daher hat es einen BPF von 100 % angenommen.

Die Arbeitgeberin hat bereits in ihrer Berufungsbegründung vom 31.01.2020 zu den geschäftsbereichsspezifischen Zielen und zu deren Erreichung umfangreichen Tatsachenvortrag gehalten und rechtliche Erwägungen vorgenommen. Im Schriftsatz vom 10.06.2020 befasst sich die Arbeitgeberin ausschließlich mit den geschäftsbereichsspezifischen Zielen. Auf diesen Vortrag ist das Landesarbeitsgericht an keiner Stelle eingegangen. Damit hat es Kernvorbingen der Arbeitgeberin unter Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör unberücksichtigt gelassen.

Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 ZPO). Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Landesarbeitsgericht bei Berücksichtigung des weiteren Vorbringens der Arbeitgeberin zu einer anderen Entscheidung gelangt. Da die Revision schon allein deshalb erfolgreich ist, kann dahinstehen, ob der von der Arbeitgeberin geltend gemachte absolute Revisionsgrund nach § 547 Nr. 6 ZPO gegeben ist7.

Die Leistungsbestimmung nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB ist wegen der zu berücksichtigenden Umstände des Einzelfalls vorrangig den Tatsachengerichten vorbehalten8. Eine Entscheidung durch das Revisionsgericht kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn alle maßgeblichen Tatsachen feststehen9. Hieran fehlt es vorliegend, da das Landesarbeitsgericht keine hinreichenden Feststellungen zu allen für die Bestimmung maßgeblichen Umständen getroffen hat. Die Sache ist deshalb an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen, wobei das Bundesarbeitsgericht von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht hat.

Weiterlesen:
Entgeltgleichheitsklage - und die Vermutung der Benachteiligung wegen des Geschlechts

Das Landesarbeitsgericht wird unter Berücksichtigung des bisher übergangenen Vortrags der Arbeitgeberin eine neue Ersatzleistungsbestimmung nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB vorzunehmen haben. Soweit die Arbeitgeberin meint, ein Bonusanspruch bestehe der Höhe nach deshalb nicht, weil die Ziele des Geschäftsbereichs GGM unterhalb des Schwellenwerts von 80 % lägen, wird es dabei zu beachten haben, dass schon nach den von der Arbeitgeberin genannten Zahlen eine Zielerreichung oberhalb von 80 % gegeben ist.

Nicht zu beanstanden sind die von der Arbeitgeberin zugrunde gelegten Zielerreichungsgrade von 92 % beim Einzelziel „Umsatz“ und von 85 % beim Einzelziel „Gewinn“.

Das Einzelziel „Produkteinführungen“ kann entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin nicht mit „Null“ bewertet werden. Vielmehr ist ein Zielerreichungsgrad von 61, 3 % anzusetzen. Das hat das Bundesarbeitsgericht zu dem identischen konzernspezifischen Ziel bereits entschieden10. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird darauf Bezug genommen.

Für das Einzelziel „Kosteneinsparungen“ kann nicht – wie die Arbeitgeberin meint – von einem Zielerreichungsgrad von 100 % ausgegangen werden. Vielmehr liegt dieser bei 200 %. Das Ziel, 78 Millionen US-Dollar einzusparen, wurde mit den tatsächlich erreichten 156 Millionen US-Dollar übererfüllt, was zu einem Zielerreichungsgrad von 200 % führt. Die von der Arbeitgeberin vorgebrachte Deckelung auf 100 % lässt sich den maßgeblichen Bestimmungen der BV Bonus nicht entnehmen. Soweit sich die Arbeitgeberin im Übrigen darauf beruft, dass die Kosteneinsparungen nicht mit einer Effizienzsteigerung einhergegangen, sondern auf nicht begonnene Projekte infolge der wirtschaftlichen Schieflage des Unternehmens zurückzuführen gewesen seien, erschließt sich bereits nicht, warum der Verzicht auf geplante Projekte keinen Beitrag zu einer Kosteneinsparung leisten konnte. Unabhängig davon kann die Arbeitgeberin nicht nachträglich das Ziel näher dahingehend spezifizieren, dass bestimmte Umstände bei der Zielerreichung nicht zu berücksichtigen seien bzw. zu einer Deckelung des Zielerreichungsgrads führen.

Weiterlesen:
Krankheitsbedingte Kündigung - wegen häufiger Kurzerkrankungen

Hinsichtlich des Einzelziels „Kundenservicegrad“ geht die Arbeitgeberin von einem für die Bonusberechnung maßgeblichen Zielerreichungsgrad von 80 % aus. Hierzu, insbesondere zu dem von der Arbeitgeberin vorgebrachten Umrechnungsfaktor, ist den Parteien Gelegenheit zu weiterem Vortrag zu geben.

Zum Einzelziel „People Initiatives-Maßnahmen“ ist den Parteien ebenfalls die Möglichkeit zu geben, ergänzend vorzutragen. Dies betrifft insbesondere die nicht näher substantiierte Behauptung der Arbeitgeberin, die einzelnen Teilziele seien schlicht nicht erfüllt worden, was Ausdruck der nicht effizienten Organisation des Geschäftsbereichs GGM gewesen sei.

Danach ist bereits – ohne eventuell höhere Zielerreichungsgrade bei den Einzelzielen „Kundenservicegrad“ und „People Initiatives-Maßnahmen“ – von einem Zielerreichungsgrad von 86, 88 % auszugehen, der über dem von der Arbeitgeberin genannten Schwellenwert liegt. Entsprechend der von der Arbeitgeberin genannten Gewichtung ergeben sich Einzelwerte iHv. 23 % (Umsatz), 29, 75 % (Gewinn), 6, 13 % (Produkteinführungen), 20 % (Kosteneinsparungen) und 8 % (Kundenservicegrad). Das Bundesarbeitsgericht kann daher weiter offenlassen, ob ein Schwellenwert in dieser Höhe mit den Grundsätzen das Bundesarbeitsgerichtsrechtsprechung vereinbar ist, wonach ein Anspruch auf eine variable Vergütung, die auch von der Leistung des Arbeitnehmers abhängt, nur dann „Null“ betragen kann, wenn es besonders gewichtige, außergewöhnliche Umstände gab, die ausnahmsweise die Festsetzung des Leistungsbonus auf „Null“ rechtfertigen11.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25. Januar 2023 – 10 AZR 319/20

  1. vgl. zur insoweit wortgleichen BV Bonus, die im Betrieb der Arbeitgeberin in Berlin galt, BAG 13.10.2021 – 10 AZR 729/19, Rn. 53, 61, 82[]
  2. LAG Baden-Württemberg 19.06.2020 – 7 Sa 73/19[]
  3. BAG 13.10.2021 – 10 AZR 729/19, Rn. 60 ff.[]
  4. BAG 13.10.2021 – 10 AZR 729/19, Rn. 107 ff.[]
  5. umfassend BAG 3.08.2016 – 10 AZR 710/14, Rn. 30 mwN, BAGE 156, 38[]
  6. vgl. die st. Rspr. des BGH, zuletzt zB 8.11.2011 – EnZR 32/10, Rn. 24 mwN; vgl. zur eingeschränkten Überprüfung bei der Anwendung von § 315 Abs. 1 BGB durch die Tatsachengerichte umfassend BAG 24.10.2018 – 10 AZR 285/16, Rn. 52 ff., BAGE 164, 82[]
  7. vgl. BGH 30.05.2000 – VI ZR 276/99, zu II 1 der Gründe zu § 551 Nr. 7 ZPO aF; Musielak/Voit/Ball ZPO 19. Aufl. § 547 Rn. 18; MünchKomm-ZPO/Krüger 6. Aufl. § 547 Rn. 16[]
  8. BAG 3.08.2016 – 10 AZR 710/14, Rn. 29, BAGE 156, 38[]
  9. vgl. zu einem solchen Fall BAG 11.12.2013 – 10 AZR 364/13, Rn. 30[]
  10. BAG 13.10.2021 – 10 AZR 729/19, Rn. 110 f.[]
  11. BAG 13.10.2021 – 10 AZR 729/19, Rn. 145 mwN[]
Weiterlesen:
Urlaub und Elternzeit

Bildnachweis: