Wird eine tarifvertragliche Leistung als „Zuschuss zum Kurzarbeitergeld“ bezeichnet, liegt die Annahme nicht fern, dass der Zuschuss in seiner Summe umso höher sein soll, je größer der Verdienstausfall der betroffenen Arbeitnehmer durch die Kurzarbeit ist.

In dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall findet auf das Arbeitsverhältnis kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit die Tarifverträge des Groß- und Außenhandels Nordrhein-Westfalen Anwendung. Die Tarifvertragsparteien schlossen am 26.03.2020 den „Tarifvertrag über befristete Erleichterungen bei der Kurzarbeit“ (TV Kurzarbeit), der befristet bis zum 31.12.2020 die Regelungen zur Kurzarbeit in § 5 Manteltarifvertrag für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen im Groß- und Außenhandel Nordrhein-Westfalen vom 28.06.2007 (MTV) durch § 3 TV Kurzarbeit ersetzte.
§ 3 Nr. 3 Abs. 2 TV Kurzarbeit normiert – mit identischem Wortlaut wie § 5 Nr. 3 Abs. 2 MTV – einen Zuschuss zum Kurzarbeitergeld wie folgt:
„Für die Dauer der Kurzarbeit erhält der betroffene Arbeitnehmer zum Kurzarbeitergeld einen Zuschuss des Arbeitgebers in Höhe von 16 % des durchschnittlichen Nettoentgelts der letzten 3 Kalendermonate. Die Gesamtbezüge dürfen 100 % des Nettoentgelts nicht überschreiten.“
Auf der Grundlage einer von der Arbeitgeberin mit ihrem Betriebsrat am 30.03.2020 geschlossenen Betriebsvereinbarung zur Einführung von konjunktureller Kurzarbeit war die Arbeitnehmerin in den Monaten April bis Juni 2020 in Kurzarbeit, wegen der im April 44, im Mai 72 und im Juni 76 Arbeitsstunden ausfielen. Als Zuschuss zum Kurzarbeitergeld zahlte die Arbeitgeberin der Arbeitnehmerin im April 118, 62 €, im Mai 194, 11 € und im Juni 204, 89 €. Den Zuschuss zum Kurzarbeitergeld berechnete die Arbeitgeberin folgendermaßen: Sie summierte die Nettoentgelte der Monate Januar bis März 2020 (8.795,62 €) und teilte sie durch 522 in diesem Zeitraum anfallende Arbeitsstunden. Von dem so ermittelten durchschnittlichen Nettostundenentgelt der letzten drei Monate (16,84 €) zahlte sie 16 % für jede durch Kurzarbeit ausgefallene Arbeitsstunde als Zuschuss zum Kurzarbeitergeld. Die Arbeitnehmerin hält diese Berechnungsweise für tarifwidrig und hat gemeint, der Zuschuss zum Kurzarbeitergeld nach § 3 Nr. 3 Abs. 2 TV Kurzarbeit betrage unabhängig vom Umfang der von den Beschäftigten jeweils geleisteten Kurzarbeit stets 16 % des durchschnittlichen Nettoentgelts der letzten drei Kalendermonate, somit bei ihr 16 % aus 2.931,87 € (8.795,62 € : 3), also 469,10 € brutto monatlich, allerdings begrenzt durch das durchschnittliche Nettoentgelt der letzten drei Monate vor Beginn der Kurzarbeit. Nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung hat die Arbeitnehmerin ausgehend von ihrem Verständnis der Tarifnorm einen höheren Zuschuss zum Kurzarbeitergeld verlangt. Wie zuvor bereits beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf1 hatte die Klage auch letztinstanzlich beim Bundesarbeitsgericht keinen Erfolg:
Die Klage ist unbegründet. Die Arbeitgeberin hat den Anspruch der Arbeitnehmerin auf Zuschuss zum Kurzarbeitergeld nach § 3 Nr. 3 Abs. 2 TV Kurzarbeit im streitbefangenen Zeitraum durch Zahlung vollständig erfüllt (§ 362 Abs. 1 BGB). Die Auslegung der Tarifnorm ergibt, dass die Arbeitgeberin den Zuschuss richtig berechnete. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.
Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags, die in der Revisionsinstanz in vollem Umfang überprüfbar ist, folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei sind der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend herangezogen werden. Mit zu berücksichtigen ist ferner die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt2.
Entgegen der Auffassung der Revision ist der Wortlaut des § 3 Nr. 3 Abs. 2 TV Kurzarbeit nicht im Sinne ihres Verständnisses der Tarifnorm eindeutig. Vielmehr lässt der Wortlaut, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen hat, sowohl die Berechnungsmethode der Arbeitgeberin als auch die der Arbeitnehmerin zu.
Nach dem Wortlaut des § 3 Nr. 3 Abs. 2 TV Kurzarbeit soll der von Kurzarbeit „betroffene Arbeitnehmer“ – also derjenige, der einen Arbeits- und damit Verdienstausfall durch Kurzarbeit erleidet – „für die Dauer der Kurzarbeit“, also solange und soweit der betroffene Arbeitnehmer Kurzarbeit leistet, eine bestimmte finanzielle Leistung des Arbeitgebers erhalten. Für deren Höhe sehen die Tarifvertragsparteien „16 % des durchschnittlichen Nettoentgelts der letzten 3 Kalendermonate“ vor, ohne ausdrücklich klarzustellen, ob die Leistung unabhängig vom Umfang der vom betroffenen Arbeitnehmer geleisteten Kurzarbeit gewährt werden soll oder an diesen anknüpft.
Die vom Arbeitgeber zu gewährende Leistung ist allerdings schon nach dem Wortlaut der Tarifnorm nicht gänzlich unabhängig vom Umfang der von den betroffenen Arbeitnehmern zu leistenden Kurzarbeit. Denn sie wird als „Zuschuss zum Kurzarbeitergeld“ bezeichnet. Bei dieser Einordnung der tariflichen Leistung liegt die Annahme nicht fern, dass der Zuschuss in seiner Summe umso höher sein soll, je größer der Verdienstausfall der betroffenen Arbeitnehmer durch die Kurzarbeit ist. Dagegen führt das Wortlautverständnis der Arbeitnehmerin dazu, dass der Zuschuss umso höher ist, je weniger Kurzarbeit geleistet wird. So berechnet sie bei 44 Stunden Kurzarbeit im Monat April 2020 einen weiteren Zuschuss von 350, 48 Euro, während für 72 Stunden Kurzarbeit im Mai 2020 nur 274, 99 Euro und für 76 Stunden Kurzarbeit im Juni 2020 nur 264, 21 Euro als weiterer Zuschuss anfallen sollen.
Außerdem darf bei der Exegese des Wortlauts nicht außer Betracht bleiben, dass die Tarifvertragsparteien mit § 3 Nr. 3 Abs. 2 TV Kurzarbeit keinen „neuen Text“ geschaffen, sondern einen seit Jahrzehnten in den einschlägigen Manteltarifverträgen enthaltenen Wortlaut unverändert übernommen haben. Weil sich zum Zeitpunkt der Entstehung des in § 3 Nr. 3 Abs. 2 TV Kurzarbeit übernommenen Tariftextes das Kurzarbeitergeld nach den Ausfallstunden bemessen hat, bestand für die damaligen Tarifvertragsparteien bei der Regelung eines Zuschusses zum Kurzarbeitergeld kein Anlass, eine entsprechende – klarstellend verdeutlichende – Formulierung in die Tarifnorm aufzunehmen.
Entscheidend sprechen aber Sinn und Zweck des tariflichen Zuschusses zum Kurzarbeitergeld für die von der Arbeitgeberin für die Ermittlung von dessen Höhe angewandte Berechnungsmethode.
Durch die Kurzarbeit und den mit ihr verbundenen Arbeitsausfall erleiden die betroffenen Arbeitnehmer Verdiensteinbußen, denn die Sozialversicherungsleistung Kurzarbeitergeld gleicht seit jeher die durch Kurzarbeit bedingte Verdienstminderung nicht vollständig aus. In dieser Situation soll der tarifliche Zuschuss zum Kurzarbeitergeld durch eine zusätzliche finanzielle Leistung des Arbeitgebers die Verdiensteinbuße abmildern. Von diesem Zweck ausgehend liegt es nahe, dass der vom Arbeitgeber zu gewährende Zuschuss zum Kurzarbeitergeld umso höher sein soll, je größer die Verdiensteinbuße des Arbeitnehmers durch die Kurzarbeit ist, also je mehr Arbeitsstunden durch die Kurzarbeit ausfallen. Der tarifliche Zuschuss zum Kurzarbeitergeld knüpft damit an die Berechnung des Kurzarbeitergeldes an, die zwar nicht mehr unmittelbar wie früher in § 86 Abs. 1 AFG auf die „Ausfallstunden“, sondern nach § 105 SGB III auf die „Nettoentgeltdifferenz“ abstellt. Das Kurzarbeitergeld wird aber nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB III „für den Arbeitsausfall“ geleistet, so dass für dessen Höhe gleichwohl mittelbar die durch die Kurzarbeit ausgefallenen Arbeitsstunden und die dadurch verursachte Verdienstminderung maßgeblich sind.
Deshalb liegt die Annahme der Revision, die Tarifvertragsparteien hätten gleichsam einen „einheitlichen Zuschuss“ für alle Betroffenen unabhängig davon, wie viele Arbeitsstunden bei den einzelnen Arbeitnehmern jeweils durch Kurzarbeit ausfallen, gewähren wollen, fernliegend. Die Berechnungsmethode der Arbeitnehmerin führt letztlich dazu, dass unabhängig vom Umfang der jeweils geleisteten Kurzarbeit allen Beschäftigten, die von Kurzarbeit betroffen sind, das durchschnittliche Nettoentgelt der der Kurzarbeit vorangehenden drei Monate im Wesentlichen erhalten bliebe. Wäre dies der tatsächliche Wille der Tarifvertragsparteien gewesen, hätten sie das entsprechend klar und eindeutig formulieren können und müssen.
Das Verständnis des § 3 Nr. 3 Abs. 2 TV Kurzarbeit dahingehend, der dort vorgesehene Zuschuss beziehe sich auf die durch Kurzarbeit bei den betroffenen Arbeitnehmern jeweils ausgefallenen Arbeitsstunden, führt – wie das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen hat, zu einer praktisch brauchbaren und vor allem auch sachgerechten Regelung.
Praktisch brauchbar deshalb, weil die bei den jeweils betroffenen Arbeitnehmern durch die Kurzarbeit ausgefallenen Arbeitsstunden feststehen und der Zuschuss zum Kurzarbeitergeld rechnerisch einfach und ohne viel Abrechungsaufwand ermittelt werden kann. Die Auslegung der Tarifnorm durch die Arbeitnehmerin führt hingegen zu einem für die betriebliche Praxis erheblichen Berechnungsaufwand, weil nicht ohne weiteres ersichtlich ist, bei welcher Höhe des Zuschusses die Netto-Obergrenze des § 3 Nr. 3 Abs. 2 Satz 2 TV Kurzarbeit nicht (mehr) überschritten wird.
Die Anknüpfung des Zuschusses zum Kurzarbeitergeld an den Umfang der Kurzarbeit, also die durch sie ausgefallenen Arbeitsstunden, ist auch sachgerecht. Sie knüpft an die individuellen Verdiensteinbußen der von der Kurzarbeit Betroffenen an und ist damit geeignet, die Akzeptanz der Regelung bei den Tarifunterworfenen zu stärken. Dagegen würde das Verständnis der Revision dazu führen, den betroffenen Arbeitnehmern unabhängig vom Umfang der von ihnen geleisteten Kurzarbeit weitgehend das durchschnittliche Nettoentgelt der der Kurzarbeit vorangehenden drei Monate zu erhalten. Ein dahingehender Wille der Tarifvertragsparteien hat aber im TV Kurzarbeit keinen Niederschlag gefunden, zumal die Tarifvertragsparteien in § 3 Nr. 3 Abs. 2 TV Kurzarbeit nur einen seit Jahrzehnten in den einschlägigen Manteltarifverträgen existierenden Text übernommen haben und die Arbeitnehmerin nicht vorgebracht hat, ihre Auslegung entspräche einem seit langem vorherrschenden Verständnis des übernommenen Textes oder einer entsprechenden praktischen Tarifübung.
Das gefundene Auslegungsergebnis wird bestätigt von der vom Landesarbeitsgericht herausgearbeiteten Tarifhistorie.
Die Tarifvertragsparteien haben im März 2020 im TV Kurzarbeit für die Regelung des Zuschusses zum Kurzarbeitergeld auf einen erstmals in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts formulierten Text zurückgegriffen, der unverändert in § 3 Nr. 3 Abs. 2 TV Kurzarbeit übernommen wurde. Zum damaligen Zeitpunkt bemaß sich das Kurzarbeitergeld nach § 68 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 2 AFG idF vom 22.12.1981 nach den Ausfallstunden und betrug 68 % des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts. Damit bestand eine rechnerische Differenz zum Nettoentgelt von 32 %, die die Tarifvertragsparteien offensichtlich hälftig auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer verteilten, indem sie die Höhe des Zuschusses des Arbeitgebers auf 16 % des durchschnittlichen Nettoentgelts der letzten drei Monate vor der Kurzarbeit festlegten. An dem ursprünglichen Tarifwortlaut hielten die Tarifvertragsparteien trotz der Änderungen im Recht des Kurzarbeitergeldes auch in § 5 MTV vom 28.06.2007, der durch § 3 TV Kurzarbeit befristet ersetzt werden sollte (§ 2 TV Kurzarbeit), fest. Auch das spricht dafür, dass – wie in der Vergangenheit – der tarifliche Zuschuss zum Kurzarbeitergeld an der Verdiensteinbuße infolge des Umfangs der Kurzarbeit anknüpfen soll und bezogen auf die durch die Kurzarbeit beim jeweils betroffenen Arbeitnehmer ausgefallenen Arbeitsstunden zu bemessen ist.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12. Oktober 2022 – 5 AZR 48/22
- LAG Düsseldorf 05.11.2021 – 6 Sa 315/21[↩]
- st. Rspr., zB BAG 19.02.2020 – 5 AZR 179/18, Rn. 16; 13.10.2021 – 4 AZR 365/20, Rn. 21 – jeweils mwN[↩]
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