Erhalten Beschäftigte Übergangsgeld, ist der Zuschuss nach § 22 Abs. 2 Satz 1 TVöD-V in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen dem ausbezahlten Übergangsgeld (ggf. zuzüglich des Beitragszuschlags für Kinderlose in der Pflegeversicherung nach § 59 Abs. 5, § 55 Abs. 3 SGB XI) und dem Nettoentgelt iSv. § 22 Abs. 2 Satz 2 TVöD-V zu zahlen.

§ 22 Abs. 2 Satz 1 TVöD-V gewährt den Beschäftigten nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums einen Zuschuss des Arbeitgebers zum Krankengeld „oder entsprechenden gesetzlichen Leistungen“. Das im streitgegenständlichen Zeitraum bei medizinischer Rehabilitation nach § 20 SGB VI vom Träger der Rentenversicherung zu leistende Übergangsgeld ist eine solche „entsprechende gesetzliche Leistung“1. Dies entspricht dem Zweck der Absicherung der Beschäftigten im Krankheitsfall2.
Im hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Streitfall erhielt die Arbeitnehmerin vom 05.03.2015 bis zum 17.05.2015 Übergangsgeld von der Deutschen Rentenversicherung Bund in Höhe von kalendertäglich 60, 29 €. Hierbei handelt es sich – abgesehen von einem etwaigen Beitragszuschlag für Kinderlose in der Pflegeversicherung – um die durch den Zuschuss aufzustockende „tatsächliche Barleistung des Sozialleistungsträgers“ im Sinne von § 22 Abs. 2 Satz 1 TVöD-V. Dies ergibt die Auslegung der tariflichen Regelung unter Berücksichtigung des sozialrechtlichen Zusammenhangs.
Die Tarifvertragsparteien haben mit § 22 Abs. 2 Satz 1 TVöD-V den Anspruch auf einen (weiteren) Zuschuss des Arbeitgebers an „gesetzliche Leistungen“ geknüpft und damit von der jeweiligen gesetzlichen Ausgestaltung der Leistungen von Sozialversicherungsträgern abhängig gemacht. Eine solche dynamische Anbindung an das Sozialrecht ist Tarifvertragsparteien gerade im öffentlichen Dienst nicht fremd3. Die Abhängigkeit des tariflichen Anspruchs vom Sozialrecht zeigt sich auch in der von § 22 Abs. 2 Satz 1 TVöD-V vorgegebenen Berechnung der Höhe des Zuschusses. Maßgeblich ist demnach der Unterschiedsbetrag zwischen den „tatsächlichen Barleistungen des Sozialleistungsträgers“ und dem nach § 22 Abs. 2 Satz 2 TVöD-V zu bestimmenden Nettoentgelt.
Aus der Formulierung „tatsächlichen Barleistungen des Sozialleistungsträgers“ lässt sich aber nicht entnehmen, ob und ggf. in welcher Höhe Sozialversicherungsbeiträge bei der Berechnung der Zuschusshöhe nach § 22 Abs. 2 Satz 1 TVöD-V zu berücksichtigen sind. Der Begriff der „Barleistung“ stellt lediglich klar, dass es sich um eine Sozialleistung handelt, die keine Dienst- oder Sachleistung ist4. Auch aus dem Adjektiv „tatsächlich“ lässt sich kein Rückschluss auf die Höhe des Zuschusses ziehen. Damit wird nur zum Ausdruck gebracht, dass der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes an die Festsetzungen des Sozialleistungsträgers gebunden sein soll und keine eigene Berechnung der Sozialleistung vornehmen muss5.
Entsprechend der tariflichen Verknüpfung mit dem Sozialrecht hängt die Berücksichtigung von Sozialversicherungsbeiträgen bei der Berechnung der Zuschusshöhe davon ab, wer nach den sozialrechtlichen Vorgaben die Beiträge zu entrichten hat. Dies ist bei den von § 22 Abs. 2 Satz 1 TVöD-V erfassten gesetzlichen Leistungen unterschiedlich6.
Im Falle des Bezugs von Krankengeld trägt der Arbeitnehmer als Leistungsempfänger die Hälfte der Beiträge zur Renten, Pflege- und Arbeitslosenversicherung (§ 170 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a SGB VI; § 59 Abs. 2 Satz 1 SGB XI; § 347 Nr. 5 SGB III). Hinzu kommt ggf. der Beitragszuschlag für Kinderlose in der Pflegeversicherung (vgl. § 59 Abs. 5, § 55 Abs. 3 SGB XI)7. Das Krankengeld wird nach § 22 Abs. 2 Satz 1 TVöD-V durch den Krankengeldzuschuss ergänzt. Das gesetzliche Krankengeld beträgt 70 vH des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts und Arbeitseinkommens, soweit es der Beitragsberechnung unterliegt (Regelentgelt). Es darf 90 vH des Nettoarbeitsentgelts nicht übersteigen (§ 47 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 SGB V). Beim Bezug von Krankengeld ist nach § 22 Abs. 2 TVöD-V das volle, nicht um die Arbeitnehmeranteile zur Renten, Pflege- und Arbeitslosenversicherung geminderte Krankengeld (sog. „Bruttokrankengeld“) aufzustocken. Nur insoweit werden die wirtschaftlichen Nachteile, die Beschäftigten im Krankengeldbezug entstehen, gemindert. An keiner Stelle bezeichnet das Gesetz nur den dem Arbeitnehmer zufließenden Auszahlungsbetrag als Krankengeld. Ohne eine ausdrückliche Regelung kann nicht davon ausgegangen werden, dass Tarifvertragsparteien die wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers um die Differenz von Brutto- und Nettokrankengeld erhöhen und damit die laut Gesetz vom Arbeitnehmer zu tragenden Beitragsanteile zur Renten, Pflege- und Arbeitslosenversicherung dem Arbeitgeber auferlegen wollten8. Bei der Berechnung des Krankengeldzuschusses ist daher das Bruttokrankengeld von der errechneten Nettovergütung in Abzug zu bringen9.
Demgegenüber hat der Leistungsempfänger beim Übergangsgeld nur den etwaigen Beitragszuschlag für Kinderlose in der Pflegeversicherung zu tragen (§ 59 Abs. 5, § 55 Abs. 3 SGB XI). Im Übrigen sind von ihm keine Beiträge zur Sozialversicherung zu entrichten. Diese werden vielmehr vollständig vom Leistungsträger getragen (vgl. § 251 Abs. 1 SGB V, § 170 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b SGB VI, § 347 Nr. 5 Halbs. 2 Buchst. a SGB III, § 59 Abs. 1 Satz 1 SGB XI iVm. § 251 Abs. 1 SGB V). Beim Übergangsgeld wäre die Bezeichnung „Bruttoübergangsgeld“ somit irreführend, denn die von der gesetzlichen Rentenversicherung als Sozialleistungsträger festgesetzte „tatsächliche Barleistung“ entspricht bei Elternteilen dem Auszahlungsbetrag und weicht bei Kinderlosen nur äußerst geringfügig von diesem ab. Die zum Bruttokrankengeld ergangene Rechtsprechung kann daher nicht undifferenziert auf das Übergangsgeld übertragen werden10, obwohl sich auch dieses in Relation zum Nettoarbeitsentgelt bemisst (vgl. § 21 SGB VI iVm. § 46 SGB IX aF bzw. seit 1.01.2018 § 66 SGB IX). Maßgeblich für die Bestimmung des Zuschusses zum Übergangsgeld ist vielmehr die Differenz zwischen dem ausbezahlten Übergangsgeld – evtl. zuzüglich des genannten Beitragszuschlags – und dem Nettoentgelt iSv. § 22 Abs. 2 Satz 2 TVöD-V. Dies führt im Verhältnis zum Krankengeld zu einer – sozialrechtlich bedingten – Besserstellung der Beschäftigten.
Dieser Unterscheidung zwischen Kranken- und Übergangsgeld kann nicht entgegengehalten werden, dass § 13 des Tarifvertrags zur Überleitung der Beschäftigten der kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-VKA) zu Gunsten der bis zum 30.09.2005 von § 71 BAT erfassten Beschäftigten abweichend von § 22 Abs. 2 TVöD auf das Nettokrankengeld abstellt, wobei Nettokrankengeld als das um die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung reduzierte Krankengeld definiert wird11. § 13 TVÜ-VKA bezieht sich ebenso wie § 13 Abs. 1 TVÜ-Länder ausschließlich auf das Krankengeld in seiner sozialrechtlichen Ausgestaltung. Zudem gilt § 13 TVÜ-VKA nicht für die Beschäftigten der Kommunen im Beitrittsgebiet, welche wie die Arbeitnehmerin dem BAT-O unterfielen.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29. April 2021 – 6 AZR 215/20
- vgl. Bredemeier/Neffke/Pielok TVöD/TV-L 5. Aufl. § 22 TVöD Rn. 36; Clausen in HK-TVöD/TV-L 4. Aufl. § 22 Rn. 61; Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TVöD § 22 Stand November 2020 Rn. 273; Fieberg in Fürst GKÖD Bd. IV E § 22 Stand April 2020 Rn. 94; BeckOK TVöD/Guth TVöD-AT § 22 Stand 1.10.2012 Rn. 26a; Fritz in Sponer/Steinherr TVöD § 22 Stand September 2013 Rn. 223[↩]
- vgl. BSG 6.09.2017 – B 13 R 33/16 R, Rn. 39[↩]
- vgl. zu § 22 Abs. 4 TVöD-AT BAG 12.05.2016 – 6 AZR 365/15, Rn. 24, BAGE 155, 88; zu § 33 TVöD-AT BAG 14.01.2015 – 7 AZR 880/13, Rn. 41; zur Überbrückungsbeihilfe nach dem TV SozSich BAG 10.09.2020 – 6 AZR 286/19, Rn. 23; zur Ausgleichszahlung nach dem TV UmBw BAG 5.09.2019 – 6 AZR 533/18, Rn. 18, BAGE 167, 382; aus der Privatwirtschaft vgl. bzgl. § 20 MTV Einzelhandel NRW BAG 13.02.2002 – 5 AZR 604/00, zu 3 der Gründe[↩]
- vgl. BAG 22.04.1998 – 5 AZR 121/97, zu II 1 b der Gründe; 21.08.1997 – 5 AZR 517/96, zu 3 der Gründe; Breier/Dassau/Kiefer/Lang/Langenbrinck TVöD § 22 Stand März 2020 Rn.191 f.; Clausen in HK-TVöD/TV-L 4. Aufl. § 22 Rn. 70; Dassau/Wiesend-Rothbrust TVöD Verwaltung-VKA 6. Aufl. § 22 TVöD-V Rn. 81[↩]
- vgl. Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TVöD § 22 Stand November 2020 Rn. 280; BeckOK TVöD/Guth TVöD-AT § 22 Stand 1.10.2012 Rn. 29[↩]
- vgl. BAG 31.08.2005 – 5 AZR 6/05, zu 2 c der Gründe[↩]
- BSG 5.05.2010 – B 12 KR 14/09 R, Rn. 13[↩]
- so zu § 13 Abs. 3 MTV Nr. 2 für das Kabinenpersonal der Deutschen Lufthansa AG BAG 20.11.2019 – 5 AZR 39/19, Rn. 32; zu § 4 RTV Baugewerbe BAG 31.08.2005 – 5 AZR 6/05, zu 2 b der Gründe; zu § 20 MTV Einzelhandel NRW BAG 13.02.2002 – 5 AZR 604/00, zu 2 der Gründe; zu § 21 MTV KLM BAG 24.04.1996 – 5 AZR 798/94, zu 3 und 4 der Gründe[↩]
- BAG 27.05.2020 – 5 AZR 258/19, Rn. 24 ff.[↩]
- in diesem Sinne aber Bredemeier/Neffke/Pielok TVöD/TV-L 5. Aufl. § 22 TVöD Rn. 41[↩]
- vgl. zu § 13 Abs. 1 TVÜ-Länder BAG 19.10.2011 – 5 AZR 138/10, Rn. 23[↩]
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