Vor dem Bundesverfassungsgericht ist ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne Erfolg geblieben, mit dem sich ein Anwaltsnotar gegen das Erlöschen seines Notaramtes durch Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze für Notare wandte.

Nach § 47 Nr. 2, § 48a Bundesnotarordnung (BNotO) erlischt das Amt des Notars durch Erreichen der Altersgrenze von 70 Jahren. Der Anwaltsnotar wird diese Altersgrenze mit Ablauf des 30.11.2023 erreichen. Er wandte sich an die Fachgerichte und beantragte festzustellen, dass sein Notaramt gleichwohl nicht erlösche, blieb damit jedoch letztlich ohne Erfolg. Mit seiner Verfassungsbeschwerde macht der Anwaltsnotar in der Hauptsache insbesondere geltend, die gesetzliche Altersgrenze für Notare verletze ihn in seiner Berufsfreiheit. Zudem beantragt er, das Erlöschen seines Notaramtes im Wege der einstweiligen Anordnung bis zur Hauptsacheentscheidung vorläufig aufzuschieben.
Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg. Wird die Aussetzung des Vollzugs eines Gesetzes begehrt, gelten für den Erlass einer einstweiligen Anordnung besonders hohe Hürden. Die vom Anwaltsnotar vorgetragenen Nachteile, die ihm in der Zeit bis zur Entscheidung der Hauptsache entstehen, sind zwar gewichtig. Sie erfüllen diese strengen Voraussetzungen jedoch nicht. Der Anwaltsnotar legt insbesondere nicht hinreichend dar, dass nach dem Erlöschen seines Notaramtes eine Rückkehr in den Notarberuf ausgeschlossen wäre.
Über die Verfassungsbeschwerde des Anwaltsnotars wurde bislang noch nicht entschieden. Im Hauptsacheverfahren wird zu prüfen sein, ob die gesetzliche Altersgrenze für Notare nach wie vor den rechtlichen Anforderungen des Grundgesetzes und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union genügt.
In dem hier vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Eilverfahren wird das Notaramt des Anwaltsnotars mit Ablauf des 30.11.2023 erlöschen, weil er die gesetzliche Altersgrenze von 70 Jahren erreicht. Der Anwaltsnotar erhob Klage beim Oberlandesgericht Köln mit dem Antrag festzustellen, dass sein Notaramt nicht mit Erreichen der Altersgrenze erlösche. Das Oberlandesgericht Köln wies die Klage ab1. Die hiergegen eingelegte Berufung des Anwaltsnotars wies der Bundesgerichtshof zurück2; die Regelung der Altersgrenze sei, so der Bundesgerichtshof, nach ständiger Rechtsprechung mit dem Verfassungsrecht, der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und der Richtlinie 2000/78/EG vereinbar.
Mit seiner daraufhin erhobenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der Anwaltsnotar unmittelbar gegen die fachgerichtlichen Entscheidungen und mittelbar gegen § 47 Nr. 2, § 48a BNotO. Er sieht sich insbesondere in seiner Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) verletzt. Die Altersgrenze sei im Anwaltsnotariat weder erforderlich noch angemessen, um das Ziel einer geordneten Altersstruktur im Interesse einer funktionstüchtigen Rechtspflege zu erreichen. Denn inzwischen herrsche ein erheblicher, demographisch bedingter Mangel an Bewerbern für Stellen als Anwaltsnotar. Zugleich beantragt der Anwaltsnotar, im Wege der einstweiligen Anordnung das Erlöschen seines Notaramtes bis zur Hauptsacheentscheidung vorläufig aufzuschieben. Erginge die Anordnung nicht, entstünden ihm bei Erreichen der Altersgrenze irreversible und besonders schwerwiegende Nachteile. Insbesondere wäre seinem Notariat im Fall des Erlöschens seines Notaramtes die wirtschaftliche Grundlage entzogen.
Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung hatte keinen Erfolg:
Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Entscheidung über die einstweilige Anordnung haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Maßnahmen vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die in der Hauptsache zu entscheidende Verfassungsbeschwerde erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet3. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer Folgenabwägung die Nachteile abwägen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre4.
Wird die Aussetzung des Vollzugs eines Gesetzes begehrt, gelten dafür besonders hohe Hürden5. Das Bundesverfassungsgericht darf von seiner Befugnis, den Vollzug eines Gesetzes auszusetzen oder bereits das In-Kraft-Treten eines Gesetzes vorläufig zu unterbinden, nur mit größter Zurückhaltung Gebrauch machen, weil dies einen erheblichen Eingriff in die originäre Zuständigkeit des Gesetzgebers darstellt6. Müssen die für eine vorläufige Regelung sprechenden Gründe schon im Regelfall so schwer wiegen, dass sie den Erlass einer einstweiligen Anordnung unabdingbar machen, so müssen sie, wenn beantragt ist, den Vollzug eines Gesetzes auszusetzen, darüber hinaus ganz besonderes Gewicht haben und in Ausmaß und Schwere deutlich die Nachteile überwiegen, die im Falle der vorläufigen Außerkraftsetzung eines sich als verfassungsgemäß erweisenden Gesetzes einträten7. Insoweit ist von entscheidender Bedeutung, ob die Nachteile irreversibel oder auch nur sehr erschwert revidierbar sind, um das Aussetzungsinteresse durchschlagen zu lassen8. Stehen die jeweiligen Nachteile der abzuwägenden Folgenkonstellationen einander in etwa gleichgewichtig gegenüber, verbietet es die aus der Gewaltenteilung (Art.20 Abs. 2 Satz 2 GG) notwendige Zurückhaltung des Bundesverfassungsgerichts, das angegriffene Gesetz auszusetzen, bevor geklärt ist, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist9.
Dieser äußerst strenge Maßstab verlangt nicht nur eine besondere Schwere der Nachteile, die entstehen, wenn die einstweilige Anordnung nicht ergeht, sondern stellt auch sehr hohe Anforderungen an die nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG gebotene Begründung des Antrags, dass solche Nachteile zu gewärtigen sind. Insoweit bedarf es in tatsächlicher Hinsicht zumindest im Sinne einer Plausibilitätskontrolle nachvollziehbarer individualisierter und konkreter Darlegungen. Fehlt es daran, kommt es auf eine Folgenabwägung nicht an10.
Nach diesen Maßstäben ist dem Antrag der Erfolg zu versagen.
Der Beschwerdeführer hat keine für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe von ganz besonderem Gewicht substantiiert dargelegt. Die von ihm vorgetragenen Nachteile, die ihm in der Zeit bis zur Entscheidung der Hauptsache entstehen, sind zwar gewichtig. Gemessen an den strengen Voraussetzungen genügen sie für sich genommen jedoch nicht, um die Dringlichkeit einer Eilentscheidung gegen ein Gesetz zu begründen. Der Beschwerdeführer legt insbesondere nicht hinreichend dar, dass mit dem Erlöschen seines Notaramtes ein irreversibles oder erschwert revidierbares Ausscheiden aus dem Notarberuf verbunden wäre.
Der Beschwerdeführer trägt zunächst nicht vor, dass im Fall eines Obsiegens in der Hauptsache sein Wiedereintritt in das Notaramt bereits aus rechtlichen Gründen ausgeschlossen ist. Er führt zwar an, infolge eines faktischen Verlusts seiner Kanzleistrukturen der Sache nach wieder neu beginnen zu müssen, macht jedoch an keiner Stelle geltend, dass ihm dies schon berufsrechtlich unmöglich sei. Unbeschadet der Möglichkeit einer vom Bundesverfassungsgericht in der Hauptsache hierzu erforderlichenfalls zu treffenden ergänzenden Anordnung richten sich die Voraussetzungen einer Bestellung nach § 5 BNotO, für Anwaltsnotare zusätzlich nach § 5b BNotO, der weitgehend als Sollvorschrift ausgestaltet ist. Hiermit setzt sich der Beschwerdeführer nicht auseinander.
Weiter ist nichts dazu vorgebracht, dass – sollte sich der Beschwerdeführer erneut einem Bewerbungsverfahren unterziehen müssen – er aufgrund einer bestehenden Konkurrenzsituation nicht zum Zuge kommen könnte. Im Gegenteil trägt er selbst vor, dass gerade der Amtsgerichtsbezirk (…), in dem sich sein Amtssitz befindet, zu denjenigen Regionen zählt, die von dem Bewerbermangel für das Anwaltsnotariat betroffen sind; bereits seit dem Jahr 2012 könnten ausgeschriebene Notarstellen dort nicht oder nur zum Teil besetzt werden. Dies legt die Möglichkeit eines Wiedereintritts in das Anwaltsnotariat vielmehr umgekehrt nahe. Hinzu kommt, dass § 6 Abs. 3 Satz 2 BNotO bei der Auswahlentscheidung Erleichterungen für bereits vormalig bestellte Notare vorsieht.
Auch der Sachvortrag zum faktischen Verlust seines Notariats – insbesondere mit Blick auf Ausstattung, Fachpersonal und Urkundenaufkommen – macht nach den Umständen des Einzelfalls besonders schwere Nachteile nicht plausibel.
Der Beschwerdeführer hat selbst vorgetragen, sich erst vor kurzer Zeit mit einer im Jahr 2022 bestellten Anwaltsnotarin zur gemeinsamen Berufsausübung verbunden zu haben, zu deren Notarvertreter er überdies bestellt ist. Es ist daher jedenfalls ohne ergänzende Darlegungen nicht plausibel, dass mit Verlust des Notarstatus auch sämtliche Geschäftsstellenstrukturen verloren gehen, selbst wenn die Sozia vorübergehend in Elternzeit befindlich sein sollte, wie der Beschwerdeführer als Möglichkeit aufwirft. Ein erheblicher Verlust von Geschäftsstellenstrukturen ist auch deshalb nicht ohne Weiteres plausibel, weil der Beschwerdeführer weiterhin als Rechtsanwalt tätig sein kann. Er hat nicht nachvollziehbar dargetan, weshalb es nicht möglich sein soll, das Notariatspersonal jedenfalls teilweise für die Rechtsanwaltskanzlei einzusetzen. Dass der Beschwerdeführer unter Umständen dennoch zusätzliches Fachpersonal neu gewinnen müsste, mag den Wiedereintritt erschweren, hindert ihn aber nicht.
Soweit der Beschwerdeführer darauf verweist, er werde sein bisheriges Beurkundungsaufkommen verlieren, führt dies nicht zu einer für ihn günstigeren Beurteilung. Denn dass die Wiedergewinnung eines erheblichen Teils seiner früheren Auftraggeber vollständig unmöglich sein wird und damit das zwischenzeitliche Ausscheiden aus dem Beruf die behaupteten Folgen zeitigen wird, ergibt sich bei der gebotenen Gesamtwürdigung aller dargelegten Umstände nicht.
Insbesondere besteht die Aussicht, dass bisherige Auftraggeber nunmehr die Notarin mandatieren, mit der sich der Beschwerdeführer zur Berufsausübung verbunden hat, so dass diese zumindest der Notariatskanzlei treu bleiben. Der Beschwerdeführer meint zwar, eine Überleitung des Beurkundungsaufkommens auf seine Sozia sei „wohl“ nicht möglich, da die Auftraggeber Vertrauen zu ihm persönlich aufgebaut hätten. Weshalb das zu ihm bestehende Vertrauen dazu führen sollte, dass sich die Auftraggeber im Falle seines Ausscheidens von der Notariatskanzlei insgesamt abwenden, ist jedoch ohne nähere Darlegung besonderer Umstände nicht nachvollziehbar.
Zudem fallen Beurkundungsaufträge der einzelnen Auftraggeber in vielen Fällen nicht durchgängig, sondern in größeren Zeitabständen an. Dass gleichwohl ein sofortiger Verlust der betreffenden Mandate drohen würde, hat der Beschwerdeführer nicht vorgetragen.
Schließlich legt der Sachvortrag des Beschwerdeführers nahe, dass die allgemeinen Erwerbschancen für Notare im Amtsgerichtsbezirk (…) günstig sind, da mit Blick auf den dargelegten, langjährig bestehenden Bewerbermangel von einer Sättigung des örtlichen Marktes notarieller Dienstleistungen nicht auszugehen ist. Gegenteiliges lässt sich dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht entnehmen.
Darüber hinaus verbleibende wirtschaftliche Nachteile, die dem Beschwerdeführer durch den Vollzug des Gesetzes entstehen, sind grundsätzlich nicht geeignet, die Aussetzung der Anwendung der Normen über die Altersgrenze zu begründen11. Überdies ist der Beschwerdeführer im Zeitraum bis zur Entscheidung der Hauptsache nicht gehindert, notarielle Tätigkeiten – wenn auch in vermindertem Umfang – auszuüben. Nach eigenen Angaben ist er bereits jetzt als Notarvertreter bestellt, für den die Altersgrenze nicht gilt (vgl. § 39 Abs. 3 Satz 1 BNotO). Auch kann er zusätzlich anwaltlich tätig sein. Beides mildert etwaige finanzielle Härten zusätzlich ab.
Da es damit bereits an der Darlegung von Nachteilen von ganz besonderem Gewicht fehlt, kommt es auf eine Folgenabwägung nicht mehr an.
Dem Beschwerdeführer ist zuzugeben, dass die Altersgrenze gemäß § 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a BNotO als subjektive Zulassungsbeschränkung einen erheblichen Grundrechtseingriff bedeutet. Sie ist mit dem Ziel einer geordneten Altersstruktur des Notarberufs gerechtfertigt worden12. Ob sie unter geänderten tatsächlichen Umständen, wie sie der Beschwerdeführer in Bezug auf die Anwaltsnotare hinreichend substantiiert vorträgt, den rechtlichen Anforderungen des Grundgesetzes und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nach wie vor genügt, bedarf einer Prüfung im Hauptsacheverfahren. Auf dessen Durchführung kann der Beschwerdeführer nach dem oben Gesagten verwiesen werden.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 18. Oktober 2023 – 1 BvR 1796/23
- OLG Köln, Urteil vom 10.02.2022 – Not 5/21[↩]
- BGH, Urteil vom 07.08.2023 – NotZ(Brfg) 4/22[↩]
- vgl. BVerfGE 140, 99 <106 Rn. 11> 143, 65 <87 Rn. 35> stRspr[↩]
- vgl. BVerfGE 140, 99 <106 Rn. 11> 143, 65 <87 Rn. 35> 160, 164 <171> stRspr[↩]
- vgl. BVerfGE 140, 99 <106 f. Rn. 12> stRspr[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 15.04.2021 – 2 BvR 547/21, Rn. 67; Beschluss vom 05.05.2021 – 1 BvR 781/21 u.a., Rn.20; stRspr[↩]
- vgl. BVerfGE 122, 342 <361 f.> 140, 99 <107 Rn. 12> BVerfG, Beschluss vom 15.04.2021 – 2 BvR 547/21, Rn. 67 m.w.N.; stRspr[↩]
- vgl. BVerfGE 118, 111 <123> 140, 211 <219 f. Rn. 13> stRspr[↩]
- vgl. BVerfGE 108, 45 <51> 140, 99 <106 f. Rn. 12>[↩]
- vgl. BVerfGE 156, 335 <338> 160, 164 <175 ff.>[↩]
- vgl. BVerfGE 6, 1 <6> 7, 175 <179, 182f.> 14, 153; 20, 363f.; 160, 164 <176> dazu auch BVerfGK 7, 188 <191f.> BVerfG, Beschluss vom 28.10.2020 – 1 BvR 972/20, Rn. 18[↩]
- vgl. BT-Drs. 11/8307, S. 17 f.[↩]
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