Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen1. Es ist mit Art. 103 Abs. 1 GG daher nicht vereinbar, wenn ein Gericht einen ordnungsgemäß eingereichten Schriftsatz unberücksichtigt lässt.

Dabei kommt es nicht auf ein Verschulden des Gerichts hinsichtlich der unterbliebenen Kenntnisnahme des Vorbringens an; die Gründe für den Gehörsverstoß, etwa in Form eines Versehens der gerichtlichen Geschäftsstelle beim Einsortieren des betreffenden Schriftsatzes in die Akte, sind nicht entscheidungserheblich2. Unerheblich ist dabei etwa auch, ob ein Schriftsatz innerhalb einer laufenden Frist in die für diese Sache bereits angelegte Akte eingeordnet war3.
Nach § 130a Abs. 1 und 2 ZPO ist die Einreichung als elektronisches Dokument möglich, wenn das elektronische Dokument für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist. Die Anforderungen an die Eignung ergeben sich dabei gemäß § 130a Abs. 2 Satz 2 ZPO aus der Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung (ERVV) vom 24.11.20174. In den insoweit maßgeblichen §§ 2 und 5 ERVV jeweils in der bis 31.12.2021 geltenden Fassung sind keine Höchstgrenzen für die Länge von Dateinamen vorgegeben. Auch aus der aufgrund von § 5 ERVV ergangenen Elektronischer-Rechtsverkehr-Bekanntmachung 2018 (ERVB 2018) vom 19.12.2017 ergeben sich lediglich Obergrenzen für die Anzahl elektronischer Dokumente pro Nachricht und für das Gesamtvolumen elektronischer Dokumente pro Nachricht, nicht jedoch für die Zeichenanzahl der verwendeten Dateinamen. Wenn ein im elektronischen Rechtsverkehr eingereichter Schriftsatz trotz Erfüllung der technischen Voraussetzungen dennoch vom zuständigen Gericht nicht verarbeitet werden kann, steht dies einer ordnungsgemäßen Einreichung nicht entgegen, wenn sich der Inhalt des Dokuments nachträglich einwandfrei feststellen lässt5. Etwas Anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn das eingereichte Dokument trotz Erfüllung der technischen Voraussetzungen objektiv nicht zur Bearbeitung geeignet ist, beispielweise aufgrund Virenbefalls oder Verschlüsselung6.
Im vorliegenden Fall entsprach das eingereichte elektronische Dokument den aus der Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung und der Elektronischer-Rechtsverkehr-Bekanntmachung 2018 folgenden Anforderungen. Die zulässige Länge des Dateinamens des angehängten Auszugs aus dem Handelsregister war durch diese nicht beschränkt. Der Inhalt des Schriftsatzes ließ sich einschließlich der Anlage nachträglich einwandfrei feststellen. Der Schriftsatz und die dazu beigefügte Anlage wurde vom Amtsgericht vor Erlass des angegriffenen Beschlusses nicht zur Kenntnis genommen und entsprechend in dem Beschluss nicht berücksichtigt.
Dieser beruht auch auf dem Gehörsverstoß, wenn es nicht auszuschließen ist, dass die Berücksichtigung des Vorbringens der Beschwerdeführerin aus dem Schriftsatz das Gericht zu einer anderen Beurteilung des Sachverhalts oder in einem wesentlichen Punkt zu einer anderen Würdigung veranlasst oder im Ganzen zu einer anderen, ihr günstigeren Entscheidung geführt hätte.
Der Gehörsverstoß ist im Rahmen des Anhörungsrügeverfahrens nicht geheilt worden, wenn das Gericht in seiner Entscheidung über die Gehörsrüge inhaltlich nicht auf den Vortrag aus dem Schriftsatz eingegangen ist, sondern lediglich das Vorliegen eines Gehörsverstoßes verneint hat.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 16. Februar 2023 – 1 BvR 1881/21
- vgl. BVerfGE 47, 182 <187> stRspr[↩]
- BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Bundesgerichtshofs vom 18.07.2019 – 2 BvR 1082/18 , Rn. 14 m.w.N.[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Bundesgerichtshofs vom 12.12.2012 – 2 BvR 1294/10 , Rn. 14[↩]
- BGBl I 2017 S. 3803[↩]
- vgl. Fritsche, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl.2020, § 130a Rn. 22; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl.2022, § 130a Rn. 13; siehe auch BT-Drs.- 17/12634, S. 26 f.[↩]
- vgl. von Selle, in: BeckOK ZPO, 47. Ed.2022, § 130a Rn. 10[↩]