Wenn ein Arzt ausdrücklich die Reiseunfähigkeit des Patienten bescheinigt, steht dies ‑bei einer am Grundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs orientieren Betrachtung- der Erklärung gleich, der Patient sei nicht in der Lage, einen Gerichtstermin wahrzunehmen. Damit ist in aller Regel ein erheblicher Grund für eine Terminverlegung glaubhaft gemacht. Bei einem zwei Tage vor dem Terminstag eingegangenen Terminverlegungsantrag handelt es sich ‑ohne Vorliegen besonderer Umstände- grundsätzlich nicht um einen „in letzter Minute“ gestellten Antrag, so dass keine erhöhten Anforderungen an die sofortige Glaubhaftmachung des erheblichen Grundes gelten.

Das Finanzgericht hat den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 119 Nr. 3 FGO, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) verletzt, indem es die mündliche Verhandlung durchgeführt und eine verfahrensabschließende Entscheidung getroffen hat, obwohl der Kläger unter Vorlage eines ärztlichen Attests erklärt hatte, krankheitsbedingt nicht an dem Termin teilnehmen zu können.
Einem Verfahrensbeteiligten wird das rechtliche Gehör versagt, wenn das Gericht mündlich verhandelt und in der Sache entscheidet, obwohl der Beteiligte einen Antrag auf Terminverlegung gestellt und dafür erhebliche Gründe geltend gemacht hat (§ 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 227 Abs. 1 ZPO). Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung gehört zu diesen erheblichen Gründen auch die krankheitsbedingte Verhinderung1.
Grundsätzlich sind die erheblichen Gründe für eine Terminverlegung nur „auf Verlangen“ des Vorsitzenden glaubhaft zu machen (§ 227 Abs. 2 ZPO). Strengere Anforderungen gelten allerdings, wenn der Terminverlegungsantrag „in letzter Minute“ gestellt wird und dem Gericht keine Zeit bleibt, den Antragsteller zur Glaubhaftmachung aufzufordern. In diesem Fall müssen die Beteiligten von sich aus alles unternehmen, damit ihrem Vortrag auch in tatsächlicher Hinsicht gefolgt werden kann. In derartigen eiligen Fällen ist daher entweder die Vorlage eines ärztlichen Attests erforderlich, aus dem sich eindeutig die Verhandlungsunfähigkeit der erkrankten Person ergeben muss; ersatzweise muss der Beteiligte die Erkrankung so genau schildern und glaubhaft machen, dass das Gericht selbst beurteilen kann, ob sie so schwer ist, dass ein Erscheinen zum Termin nicht erwartet werden kann2.
Dabei reicht die ärztliche Bescheinigung der „Reiseunfähigkeit“ grundsätzlich aus, weil ein Arzt für diese Beurteilung sachkompetenter ist als ein Richter3. Gleiches gilt, wenn der Arzt unter Nennung eines bestimmten Tages ausdrücklich erklärt, der Patient sei nicht in der Lage, einen Gerichtstermin wahrzunehmen4. Demgegenüber genügt die Vorlage einer bloßen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung grundsätzlich nicht5.
Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe erwies sich in dem hier vom Bundesfinanzhof beurteilten Streitfall das Vorgehen des Sächsischen Finanzgerichts, die mündliche Verhandlung in Abwesenheit des erkrankten Klägers durchzuführen6, als verfahrensfehlerhaft:
Es lag schon kein „in letzter Minute“ gestellter Terminverlegungsantrag vor, bei dem auch ohne Hinweis des Gerichts erhöhte Anforderungen an die sofortige Glaubhaftmachung der erheblichen Gründe gelten.
Solche Anträge sind in der bisherigen Rechtsprechung vor allem dann angenommen worden, wenn sie erst am Sitzungstag selbst gestellt wurden und dem Gericht keine Zeit blieb, den Antragsteller zur Glaubhaftmachung aufzufordern. Wurde der Terminverlegungsantrag hingegen bereits am Vortag des Terminstages ‑vor Dienstschluss- gestellt, stellt der BFH, sofern keine besonderen Umstände vorliegen, grundsätzlich keine erhöhten Anforderungen an die Glaubhaftmachung. Der Antragsteller trägt dann allerdings das Risiko, dass er für die in § 227 Abs. 2 ZPO vorgesehene Aufforderung zur Glaubhaftmachung nicht mehr kurzfristig erreichbar ist7.
Solche besonderen Umstände, die der Kläger auch bei einem vor dem Terminstag gestellten Verlegungsantrag zur sofortigen Glaubhaftmachung verpflichtet hätten, lagen im Streitfall nicht vor. Der Antrag war an einem Montag um 11:34 Uhr gestellt worden; die mündliche Verhandlung sollte erst am Mittwoch stattfinden. Das Finanzgericht war daher nicht daran gehindert, den Kläger noch kurzfristig zur Glaubhaftmachung aufzufordern.
Darüber hinaus hat der Kläger aber auch die ‑strengeren- Maßstäbe an die Glaubhaftmachung des erheblichen Grundes erfüllt, die bei Anträgen „in letzter Minute“ gelten. Zwar hat der Arzt nicht ausdrücklich die Verhandlungsunfähigkeit des Klägers bescheinigt, wohl aber dessen Reiseunfähigkeit. Dies muss ‑bei einer am Grundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs orientierten Betrachtung- der Erklärung, ein Patient sei nicht in der Lage, einen Gerichtstermin wahrzunehmen8, gleichstehen. Denn ein reiseunfähiger Patient ist denklogisch nicht in der Lage, einen an einem auswärtigen Ort anberaumten Gerichtstermin wahrzunehmen.
Der von der Vorinstanz für ihre gegenteilige Auffassung einzig angeführte BFH, Beschluss in BFH/NV 2007, 936 passt auf den vorliegenden Fall schon deshalb nicht, weil der dortige Kläger sich ‑anders als der im vorliegenden Verfahren- vor dem Termin der mündlichen Verhandlung überhaupt nicht beim Finanzgericht gemeldet hatte, sondern dem Termin schlicht „unentschuldigt“ ferngeblieben war. Erst nach der Verkündung des Urteils hatte der dortige Kläger behauptet, erkrankt gewesen zu sein. Ebenso verhielt es sich im Fall des BFH-Beschlusses vom 01.02.19999, auf den der VI. Senat des Bundesfinanzhofs im Beschluss in BFH/NV 2007, 936 verwiesen hat.
Demgegenüber hatte der Kläger sich im vorliegenden Verfahren rechtzeitig ‑zwei Tage vor dem Verhandlungstermin- beim Finanzgericht gemeldet und ärztliche Atteste nicht nur über seine Arbeitsunfähigkeit, sondern auch über seine Reiseunfähigkeit beigefügt.
Dass der Kläger in seinem Telefax-Schreiben keinen ausdrücklichen Terminverlegungsantrag gestellt hat, sondern nur bat, „das Versäumnis zu entschuldigen“, ist unschädlich. Angesichts der umfangreichen rechtlichen und tatsächlichen Streitfragen, um die es im Klageverfahren ging, durfte das Finanzgericht das Schreiben des ‑selbst nicht fachkundigen- Klägers nicht lediglich als Information über das Fernbleiben im Termin verstehen. Vielmehr lag es äußerst nahe, dass das Interesse des Klägers ‑über den unmittelbaren Wortlaut seines Schreibens hinaus- auf eine Verlegung des Verhandlungstermins gerichtet war. Hierfür spricht auch, dass er unmittelbar zuvor nach der Entpflichtung seines bisherigen Rechtsanwalts erklärt hatte, er werde sich umgehend um eine neue anwaltliche Vertretung zum Termin bemühen und sehe sich ohne anwaltliche Unterstützung nicht in der Lage, seine Interessen wegen der komplizierten steuerlichen Rechtslage alleine wahrzunehmen.
Sollte das Finanzgericht sich hinsichtlich der Auslegung dieses Schreibens des Klägers im Unklaren gewesen sein, hätte es angesichts der verbleibenden zwei Arbeitstage bis zum Terminstag noch hinreichend Gelegenheit gehabt, eine Rückfrage an den Kläger zu richten.
Soweit das Finanzamt mutmaßt, beim Kläger habe eine Prozessverschleppungsabsicht vorgelegen, hat weder das Finanzgericht sich hierauf für die Ablehnung des Terminverlegungsantrags berufen noch lassen sich den Akten durchgreifende Anhaltspunkte dafür entnehmen. Es handelte sich um einen erstmaligen Terminverlegungsantrag in einem gerichtlichen Verfahren, das bereits seit über 13 Jahren anhängig war. In den Akten weist nichts darauf hin, dass diese lange Verfahrensdauer auf das Verhalten des Klägers zurückzuführen ist. Zwar hatte er seinem bisherigen Prozessbevollmächtigten relativ kurzfristig vor dem Termin das Mandat entzogen. Dies hat er aber ‑unter Darlegung näherer Einzelheiten- mit fachlichen Fehlleistungen des Prozessbevollmächtigten und einer Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses begründet. Zudem hat der Kläger den Mandatsentzug gerade nicht zum Anlass genommen, (auch) aus diesem Grund einen Terminverlegungsantrag zu stellen.
Die weitere Mutmaßung des Finanzamtes, der Kläger sei möglicherweise tatsächlich gar nicht reiseunfähig gewesen, führt ebenfalls nicht zu einem anderen Ergebnis. Das Finanzamt bringt in diesem Zusammenhang vor, der Kläger habe sich am Vortag der mündlichen Verhandlung im Rahmen des Insolvenzeröffnungsverfahrens zu einer 4, 2 km von seiner Wohnung entfernten Schuldnerberatungsstelle begeben und hätte daher auch zum 87, 8 km entfernten Finanzgericht fahren können.
Das Finanzgericht hat sich für seine Ablehnung des Terminverlegungsantrags nicht auf mögliche Zweifel an der Reiseunfähigkeit des Klägers gestützt, sondern die rechtlichen Anforderungen an die Behandlung von Terminverlegungsanträgen grundsätzlich verkannt.
Entgegen der Auffassung des Finanzamt können vom Beschwerdeführer bei der vorliegenden Fallgestaltung keine Darlegungen dazu verlangt werden, welches entscheidungserhebliche Vorbringen der Kläger dem Finanzgericht noch unterbreitet hätte, wenn die mündliche Verhandlung in seiner Anwesenheit stattgefunden hätte.
Nach der Rechtsprechung des Großen Senats des Bundesfinanzhofs10 ist bei der ‑gemäß § 119 Nr. 3 FGO grundsätzlich nicht unter einem Kausalitätsvorbehalt stehenden- Gehörsrüge danach zu differenzieren, ob sich der Gehörsverstoß auf das Gesamtergebnis des Verfahrens bezieht (dann sind weitere Ausführungen entbehrlich) oder ob er nur einzelne Feststellungen betrifft (dann kann auf Darlegungen zur Kausalität nicht verzichtet werden).
Wenn eine mündliche Verhandlung verfahrensfehlerhaft trotz eines Terminverlegungsantrags eines Beteiligten, dem das Gericht hätte nachkommen müssen, durchgeführt wird, dann betrifft dieser Mangel nicht nur einzelne Feststellungen, sondern das Gesamtergebnis des Verfahrens11. Ausführungen zur Kausalität des Verfahrensmangels sind damit entbehrlich.
Der Bundesfinanzhof hielt es für angezeigt, nach § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Finanzgericht zurückzuverweisen.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 21. April 2020 – X B 13/20
- ausführlich zum Ganzen BFH, Beschluss vom 04.11.2019 – X B 70/19, BFH/NV 2020, 226, m.w.N.[↩]
- vgl. BFH, Beschlüsse vom 10.03.2005 – IX B 171/03, BFH/NV 2005, 1578, unter 1.a; und vom 14.12.2017 – V B 57/17, BFH/NV 2018, 345, Rz 4[↩]
- BFH, Beschluss vom 07.11.2017 – III B 31/17, BFH/NV 2018, 214, Rz 8, m.w.N.[↩]
- BFH, Beschluss vom 10.08.2011 – IX B 175/10, BFH/NV 2011, 1912[↩]
- BFH, Beschlüsse vom 05.07.2004 – VII B 7/04, BFH/NV 2005, 64, unter II. 2.; vom 19.11.2009 – IX B 160/09, BFH/NV 2010, 454; und vom 08.09.2015 – XI B 33/15, BFH/NV 2015, 1690, Rz 13[↩]
- Sächs. FG, Urteil vom 06.02.2019 – 2 K 1624/18[↩]
- vgl. ausführlich BFH, Beschluss in BFH/NV 2020, 226, Rz 13 ff., m.w.N.[↩]
- vgl. hierzu BFH, Beschluss in BFH/NV 2011, 1912[↩]
- BFH, Beschlusses vom 01.02.1999 – X R 146/96, BFH/NV 1999, 958[↩]
- BFH, Beschluss vom 03.09.2001 – GrS 3/98, BFHE 196, 39, BStBl II 2001, 802[↩]
- vgl. BFH, Beschluss in BFHE 196, 39, BStBl II 2001, 802[↩]