Mit der Frage der Anerkennung einer Vertretung in einem Klageverfahren als eigener Fall, wenn bereits die in einem vorherigen einstweiligen Verfügungsverfahren erfolgte Vertretung als Fall anerkannt worden ist, hatte sich aktuell der Bundesgerichtshof zu befassen:

Nach § 43c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 2 Abs. 1 FAO hat der Antragsteller für die Verleihung einer Fachanwaltsbezeichnung besondere theoretische Kenntnisse und besondere praktische Erfahrungen nachzuweisen. Solche liegen vor, wenn sie auf dem Fachgebiet erheblich das Maß dessen übersteigen, das üblicherweise durch die berufliche Ausbildung und praktische Erfahrung im Beruf vermittelt wird (§ 2 Abs. 2 FAO).
Ein Fall im Sinne von § 5 Abs. 1 FAO ist jede juristische Aufarbeitung eines einheitlichen Lebenssachverhalts, der sich von anderen Lebenssachverhalten dadurch unterscheidet, dass die zu beurteilenden Tatsachen und die Beteiligten verschieden sind1. Sachen, die ein Anwalt sowohl außergerichtlich als auch gerichtlich bearbeitet, zählen folgerichtig nur als ein Fall, auch wenn sich das Mandat auf mehrere gerichtliche Instanzen erstreckt2. Etwa erforderliche Korrekturen werden durch § 5 Abs. 4 FAO ermöglicht, wonach Bedeutung, Umfang und Schwierigkeit einzelner Fälle zu einer höheren (oder niedrigeren) Gewichtung führen können3. Einer erweiternden Auslegung des Fallbegriffs in § 5 Abs. 1 FAO bedarf es deshalb nicht2. Entscheidend ist letztlich, ob bei verständiger Würdigung aller Umstände von einem einheitlichen Lebenssachverhalt auszugehen ist, der in mehrere Fälle aufgespalten wurde, oder ob in sich geschlossene, von anderen Sachverhalten deutlich unterscheidbare Lebenssachverhalte juristisch aufzuarbeiten waren. Bei der erstgenannten Konstellation liegt nur ein Fall vor. Bei der letztgenannten Gestaltung sind mehrere Fälle anzunehmen, wobei allerdings in der Regel nicht alle mit dem Faktor „1“ gewichtet werden können4.
Diese Grundsätze sind auch auf die Vertretung in einem Mahnverfahren beziehungsweise einem einstweiligen Verfügungsverfahren und einem anschließenden Klageverfahren anzuwenden. In solchen Konstellationen handelt es sich ebenfalls grundsätzlich nicht um verschiedene Fälle im Sinne von § 5 Abs. 1 FAO. Der Umstand, dass es sich bei einstweiligem Verfügungs- und anschließendem Klageverfahren um verschiedene Verfahrensarten handelt, führt noch nicht zur Annahme von zwei verschiedenen Fällen5. Von zwei Fällen ist etwa – trotz unterschiedlicher Verfahrensarten – dann nicht auszugehen, wenn sowohl im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes als auch im späteren Klageverfahren dieselbe Rechtsfolge (Unterlassung) begehrt wird. Entscheidend ist auch hier stets, ob bei verständiger Würdigung aller Umstände von einem einheitlichen Lebenssachverhalt auszugehen ist, der in mehrere Fälle aufgespalten wurde, oder ob in sich geschlossene, von anderen Sachverhalten deutlich unterscheidbare Lebenssachverhalte juristisch aufzuarbeiten waren.
Der Verfahren über die eEinstweilige Verfügung und dem Klageverfahren lag jeweils dieselbe anspruchsbegründende Urheberrechtsverletzung zugrunde. Sie wiesen mit der jeweils begehrten Unterlassung zumindest auch eine wichtige Teilüberschneidung der Rechtsschutzziele auf. Der Anwältin ist zwar einzuräumen, dass in dem beabsichtigten Klageverfahren mit den auf Schadensersatz und Kostenerstattung gerichteten Begehren zusätzliche Rechtsschutzziele verfolgt werden sollten, hinsichtlich derer zusätzliche Anspruchsvoraussetzungen zu prüfen waren. Im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung aller Umstände führt dies angesichts der beiden Verfahren zugrunde liegenden identischen Urheberrechtsverletzung und der Teilidentität der verfolgten Rechtsschutzziele jedoch noch nicht zur Annahme zweier in sich geschlossener und deutlich voneinander unterscheidbarer Lebenssachverhalte.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs6 ist im Anschluss an die Ermittlung der berücksichtigungsfähigen Fälle zu prüfen, welches Gewicht den einzelnen Fällen zukommt, das heißt, ob Bedeutung, Umfang und Schwierigkeit einzelner Fälle zu einer höheren oder niedrigeren Gewichtung führen (§ 5 Abs. 4 FAO).
hinsichtlich des durch das Verfügungs- und das Klageverfahren gebildeten – einheitlichen – Lebenssachverhalts kommt unter Anwendung der in § 5 Abs. 4 FAO bestimmten Gewichtungskriterien eine Höhergewichtung um bis zu 0, 5 Punkte in Betracht. Sie erscheint angesichts der im beabsichtigten Klageverfahren im Verhältnis zum vorangegangenen einstweiligen Verfügungsverfahren zusätzlich verfolgten Rechtsschutzziele und der deshalb zu prüfenden zusätzlichen Anspruchsvoraussetzungen gerechtfertigt7. Eine – von der Anwältin hilfsweise angestrebte – Gewichtung mit dem Faktor „2“ scheidet dagegen in Anbetracht der Verfügungs- und beabsichtigtem Klageverfahren zugrunde liegenden identischen Urheberrechtsverletzung und der Teilidentität der verfolgten Rechtsschutzziele aus.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 9. Februar 2015 – AnwZ (Brfg) 54/13
- vgl. zu § 5 Satz 1 FAO a.F. Bundesgerichtshof, Beschlüsse vom 06.03.2006 – AnwZ (B) 36/05, BGHZ 166, 292 Rn. 12; und vom 12.07.2010 – AnwZ (B) 85/09, NJW-RR 2011, 279 Rn. 3[↩]
- BGH, Beschluss vom 12.07.2010, aaO[↩][↩]
- BGH, Beschluss vom 12.07.2010, aaO; Urteil vom 08.04.2013 – AnwZ (Brfg) 54/11, BGHZ 197, 118 Rn. 51; Vossebürger in Feuerich/Weyland, aaO § 5 FAO Rn. 4; Hartung/Scharmer, aaO § 5 FAO Rn. 53[↩]
- BGH, Beschluss vom 25.09.2013 – AnwZ (Brfg) 52/12 11[↩]
- anderer Auffassung für den Regelfall Kleine-Cosack, BRAO, 6. Aufl., § 5 FAO Rn. 11[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 08.04.2013 – AnwZ (Brfg) 54/11, BGHZ 197, 118 Rn.20 ff.[↩]
- zur Höhergewichtung, wenn sich bei einer Fallbearbeitung über mehrere Instanzen andere rechtliche Fragen stellen, vgl. BGH, Beschluss vom 12.07.2010, aaO Rn. 6; Vossebürger in Feuerich/Weyland, aaO § 5 FAO Rn. 4[↩]