Fachanwaltsfortbildung auf mehreren Fachgebieten

Die Teilnahme an einer Kombinationsbzw. fachgebietsübergreifenden Veranstaltung im Rahmen des § 15 Abs. 3 FAO kann nicht gleichzeitig vollständig auf mehrere Fachanwaltsbezeichnungen angerechnet werden1.

Fachanwaltsfortbildung auf mehreren Fachgebieten

Nach § 43c Abs. 1 Satz 1, § 59b Abs. 2 Nr. 2b BRAO i.V.m. § 15 Abs. 1, Abs. 3 FAO darf die Gesamtdauer der Fortbildung je Fachgebiet im Kalenderjahr fünfzehn Zeitstunden nicht unterschreiten.

Aus der Formulierung des § 15 Abs. 3 FAO („je Fachgebiet“) ergibt sich, dass in jedem Fachgebiet jeweils das volle Stundenkontingent zu erbringen ist, d.h., dass bei zwei oder drei Fachanwaltsbezeichnungen insgesamt mindestens 30 bzw. mindestens 45 Fortbildungszeitstunden erbracht und nachgewiesen werden müssen. Nach dem Wortlaut der Regelung kommt somit eine mehrfache Anrechnung der Teilnahme an einer Fortbildungsveranstaltung auf zwei oder drei Fachanwaltsbezeichnungen nicht in Betracht; vielmehr muss für jedes Fachgebiet für sich genommen die gebotene Mindeststundenzahl und damit bei mehreren Fachanwaltsbezeichnungen auch die entsprechend höhere Gesamtzahl an Mindeststunden erreicht werden.

Dieses Wortlautverständnis entspricht dem ausdrücklichen Willen des Satzungsgebers, der mit der Einfügung der Formulierung „je Fachgebiet“ in § 15 Abs. 2 FAO a.F. (nunmehr § 15 Abs. 3 FAO) durch Beschluss der 3. Sitzung der 4. Satzungsversammlung am 15.06.2009 unter VIII. 1.2 gerade klarstellen wollte, dass eine Doppelzählung der Teilnahme an einer Veranstaltung bei Führen mehrerer Fachanwaltsbezeichnungen grundsätzlich ausgeschlossen sein sollte. So ergibt sich aus den vom Bundesgerichtshof herangezogenen Materialien der Satzungsversammlung, dass bereits in der 3. Sitzung des Ausschusses 1 der 4. Satzungsversammlung am 6.10.2008 beschlossen wurde, dass ein Fachanwalt die erforderlichen Zeitstunden „pro Fachgebiet“ nachweisen müsse; die Teilnahme an einer Kombinationsveranstaltung sollte auch bei sich überschneidenden Rechtsgebieten für eine doppelte Anrechnung laut Protokoll nicht ausreichen. Mit TOP 3.2 der Antragsliste des Ausschusses 1 der 4. Satzungsversammlung3 wurde u.a. die Einfügung der Formulierung „je Fachgebiet“ in § 15 Abs. 2 FAO a.F. (nunmehr § 15 Abs. 3 FAO) beantragt und in Ziffer 4 der Begründung dazu ausdrücklich ausgeführt, damit solle klargestellt werden, dass bei mehreren Fachanwaltsbezeichnungen die erforderliche Mindeststundenzahl nachzuweisen sei und dies auch bei dem Besuch von Kombinationsveranstaltungen gelte, die thematisch mehrere Gebiete abdecken. Auf dieser Grundlage wurde am 19.01.2009 in der 4. Sitzung des Ausschusses 1 der 4. Satzungsversammlung zu TOP 4 einstimmig beschlossen, dass die beantragte Klarstellung im Rahmen des § 15 FAO bedeute, dass eine Doppelzählung von Veranstaltungen grundsätzlich ausgeschlossen sei. Dementsprechend ist die Einfügung der Formulierung „je Fachgebiet“ anlässlich der 3. Sitzung der 4. Satzungsversammlung am 15.06.2009 unter VIII. 1.2 beschlossen worden. Auch hier lag laut Protokoll der Sitzung die Absicht zugrunde, dass auch bei dem Besuch von Kombinationsveranstaltungen bei mehreren Fachanwaltsbezeichnungen die entsprechende mehrfache Mindeststundenzahl erbracht werden müsse.

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Soweit dagegen eingewendet wird, laut Protokoll der Ausschusssitzung vom 19.01.2009 sei eine Doppelzählung nur grundsätzlich ausgeschlossen, so dass unter Umständen auch Ausnahmen davon möglich seien, zeigen die oben wiedergegebenen Materialien, dass jedenfalls für Kombinationsoder fachgebietsübergreifende Veranstaltungen keine Ausnahme beabsichtigt war. Dass sich die „Berliner Empfehlungen 2009“ unter II. 144 dafür ausgesprochen haben, dass bei Überschneidung von Themen durch den Besuch eines Fachlehrgangs in einem Gebiet eine Fortbildung für ein anderes Gebiet nachgewiesen werden könne und hier eine „Doppelverwertung“ ausnahmsweise möglich sein solle, führt zu keiner anderen Beurteilung, da die Satzungsversammlung diese Anregung jedenfalls bislang nicht zu einer Änderung von § 15 Abs. 3 FAO zum Anlass genommen hat. Ohne Erfolg macht der Kläger auch geltend, der Wille des Satzungsgebers könne nach der Andeutungstheorie des Bundesverfassungsgerichts5 nur insoweit berücksichtigt werden, als er in der Regelung selbst einen hinreichend bestimmten Ausdruck gefunden habe, da diese Voraussetzung hier mit der Formulierung „je Fachgebiet“ wie oben ausgeführt erfüllt ist.

Auch Sinn und Zweck des § 15 Abs. 3 FAO sprechen gegen eine gleichzeitige Anrechnung einer Fortbildungsveranstaltung auf mehrere Fachanwaltsbezeichnungen.

Die Fortbildungspflicht nach § 15 FAO dient der Qualitätssicherung. Sie soll erreichen, dass der Fachanwalt durch den Aufbau, die Vertiefung und die Aktualisierung seiner bereits vorhandenen Kenntnisse nicht nur bei Erwerb des Fachanwaltstitels über besondere theoretische Kenntnisse und praktische Erfahrungen auf seinem Fachgebiet verfügt, sondern auch später und dauerhaft6. Dadurch wird das rechtsuchende Publikum geschützt, dem gegenüber der Rechtsanwalt mit der Verleihung und Führung der Fachanwaltsbezeichnung eine auf diesem Gebiet besondere Qualifikation in Anspruch nimmt. Es entspricht der verständigen Erwartung der Rechtsuchenden und damit vernünftigen Gründen des Gemeinwohls, dass er seine spezifischen Kenntnisse jeweils auf dem neuesten Stand hält. Zudem dient die Fortbildungspflicht der Sicherung eines einheitlichen Qualitätsstandards aller Fachanwälte7.

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Dieser Schutz des rechtsuchenden Publikums durch Sicherung eines seinen verständigen Erwartungen entsprechenden Qualitätsstandards eines Fachanwalts wäre im Fall der gleichzeitigen Anrechnung einer Fortbildungsveranstaltung auf mehrere Fachanwaltsbezeichnungen nicht gewahrt. Führt ein Rechtsanwalt mehrere Fachanwaltsbezeichnungen nimmt er nicht nur im Vergleich zu anderen Anwälten ohne Fachanwaltsbezeichnung eine besondere Qualifikation auf den jeweiligen Gebieten in Anspruch, sondern auch gegenüber anderen Anwälten mit nur einer Fachanwaltsbezeichnung. Es entspricht der berechtigten Erwartung des rechtsuchenden Publikums, dass ein Rechtsanwalt, der mehrere Fachanwaltstitel führt, in jedem der betreffenden Gebiete über besondere, vertiefte Kenntnisse und damit auch über eine entsprechend weitergehende Qualifikation verfügt als ein Rechtsanwalt mit (nur) einem Fachanwaltstitel.

Eine solche besondere, weitergehende Qualifikation bei mehreren Fachanwaltsbezeichnungen wäre nicht dauerhaft gewährleistet, wenn der Rechtsanwalt seiner Fortbildungsverpflichtung für mehrere Fachgebiete durch Teilnahme an nur einer Kombinationsoder fachgebietsüberschreitenden Fortbildungsveranstaltung nachkommen könnte. Auch wenn diese Veranstaltung inhaltlich als Fortbildung für mehrere Gebiete geeignet ist und daher als solche auch bei jedem Gebiet für sich genommen in Anrechnung gebracht werden kann, würde die Anerkennung ihrer vollständigen Anrechnung auf mehrere Fachanwaltsbezeichnungen im Ergebnis dazu führen, dass sich die Fortbildung eines Rechtsanwalts mit mehreren Fachanwaltstiteln nicht von derjenigen eines Rechtsanwalts unterscheidet, der nur über einen dieser Fachanwaltstitel verfügt. Die berechtigte Erwartung des rechtsuchenden Publikums in eine weitergehende Qualifikation des Rechtsanwalts mit mehreren Fachanwaltsbezeichnungen aufgrund seiner dauerhaften intensiven Befassung mit jedem der betreffenden Spezialgebiete wäre damit nicht mehr erfüllt, sondern es käme zu einer für den Rechtsuchenden nicht erkennbaren und von ihm auch nicht erwarteten Angleichung des Qualitätsstandards mit demjenigen eines Rechtsanwalts mit nur einem Fachanwaltstitel. Daraus folgt sich zugleich, dass ein Rechtsanwalt seine Fortbildungspflicht für mehrere Fachanwaltsbezeichnungen anders als der Kläger einwendet auch nicht schlicht dadurch erfüllen könnte, dass er ein und dieselbe (inhaltsgleiche) Veranstaltung doppelt, d.h. an zwei verschiedenen Terminen besucht, da in diesem Fall wie der Kläger selbst erkennt mit der zweiten Teilnahme an der Veranstaltung kein besonderer, fortbildender Erkenntnisgewinn verbunden wäre.

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Eine andere Beurteilung ergibt sich schließlich auch nicht daraus, dass im Schrifttum bei Fachanwaltslehrgängen zum Nachweis der besonderen theoretischen Kenntnisse für den Erwerb einer Fachanwaltsbezeichnung gemäß § 4 FAO bei Überschneidungen von Lehrgangsinhalten unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit der Anrechnung eines Lehrgangs für ein Fachgebiet auch auf ein anderes Fachgebiet befürwortet wird8. Beim Erwerb der Fachanwaltsbezeichnung findet gemäß § 4a FAO durch schriftliche Aufsichtsarbeiten eine Leistungskontrolle statt, durch die sichergestellt werden soll, dass der Rechtsanwalt die erforderlichen besonderen Kenntnisse in seinem Fachgebiet erworben hat. Eine solche Kontrolle findet hinsichtlich der Erfüllung der Fortbildungsverpflichtung nach § 15 FAO nicht statt; hier genügt worauf der Anwaltsgerichtshof zutreffend hingewiesen hat der rein formale Nachweis der Teilnahme an den Fortbildungsveranstaltungen in dem erforderlichen zeitlichen Mindestumfang.

Die Entscheidung verletzt den mehrere Fachanwaltsbezeichnungen führenden Rechtsanwalt auch nicht in seinen Grundrechten.

Ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG liegt nicht vor. Es fehlt bereits an der erforderlichen Vergleichbarkeit von Fachanwälten mit mehreren Fachanwaltsbezeichnungen mit Fachanwälten mit (nur) einer Fachanwaltsbezeichnung. Zudem ist die nur einfache Berücksichtigung der Teilnahme an einer Kombinationsbzw. fachgebietsüberschreitenden Veranstaltung bei Fachanwälten mit mehreren Fachanwaltsbezeichnungen wie bereits ausgeführt durch den gebotenen Schutz der Rechtsuchenden gerechtfertigt.

Der Fachanwalt wird auch nicht in seiner durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleisteten Berufsfreiheit verletzt. Der mit der Fortbildungsverpflichtung nach § 15 FAO als solcher und der nur einfachen Anrechnung der Teilnahme an Kombinationsoder fachgebietsüberschreitenden Fortbildungsveranstaltungen insbesondere verbundene Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit des Fachanwalts ist wie oben im Einzelnen ausgeführt durch Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt, hierfür geeignet und auch erforderlich.

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Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28. Oktober 2019 – AnwZ (Brfg) 14/19

  1. ebenso: Vossebürger in Feuerich/Weyland, BRAO, 9. Aufl., § 15 FAO Rn. 6; Quaas in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl., § 15 FAO Rn. 23; Offermann-Burckart in Henssler/Prütting, BRAO, 5. Aufl., § 15 FAO Rn. 60 f.; dies. in Fachanwalt werden und bleiben, 3. Aufl., Rn. 370, Rn. 1347 ff.; Scharmer in Hartung/Scharmer, BORA/FAO, 6. Aufl., § 15 FAO Rn. 78 ff.; Zilles/Podszun in Festschrift zum 125jährigen Bestehen der Rechtsanwaltskammer Hamm, 2006, S. 463, 488[]
  2. BRAK-Mitt. 2009, 279, 280[][]
  3. SVMat.20/2009[]
  4. abgedruckt bei Offermann-Burckart, Fachanwalt werden und bleiben, 3. Aufl., Rn. 1449[]
  5. BVerfGE 11, 126, 130[]
  6. vgl. BGH, Urteil vom 18.07.2016 AnwZ (Brfg) 46/13, NJW-RR 2016, 1459 Rn.20 mwN[]
  7. vgl. BGH, Beschluss vom 05.05.2014 AnwZ (Brfg) 76/13, NJW-RR 2014, 1083 Rn. 8; Urteil vom 18.07.2016 aaO; jeweils mwN; ebenso Quaas in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl., § 15 FAO Rn. 8; Offermann-Burckart in Henssler/Prütting, BRAO, 5. Aufl., § 15 FAO Rn. 10, 12[]
  8. vgl. Scharmer in Hartung/Scharmer, BORA/FAO, 6. Aufl., § 4 FAO Rn. 47; Offermann-Burckart in Henssler/Prütting, BRAO, 5. Aufl., § 4 FAO Rn.19 f.; Vossebürger in Feuerich/Weyland, BRAO, 9. Aufl., § 4 FAO Rn. 2; Quaas in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl., § 4 FAO Rn.19 f.[]
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