Ein Rechtsanwalt hat durch geeignete organisatorische Vorkehrungen dafür zu sorgen, dass Fristversäumnisse möglichst vermieden werden. Hierzu gehört die allgemeine Anweisung, bei Verfahrenshandlungen, deren Vornahme ihrer Art nach mehr als nur einen geringen Aufwand an Zeit und Mühe erfordert, wie dies regelmäßig bei Rechtsmittelbegründungen der Fall ist, außer dem Datum des Fristablaufs noch eine grundsätzlich etwa einwöchige Vorfrist im Fristenkalender zu notieren.

In dem Unterlassen der Weisung, eine Vorfrist im Fristenkalender zu notieren, liegt ein dem Beteiligten nach § 113 FamFG iVm § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Organisationsverschulden seines Verfahrensbevollmächtigten. Ein Rechtsanwalt darf zwar die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft übertragen. Er hat aber durch geeignete organisatorische Vorkehrungen dafür zu sorgen, dass Fristversäumnisse möglichst vermieden werden. Hierzu gehört nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung die allgemeine Anordnung, bei Verfahrenshandlungen, deren Vornahme ihrer Art nach mehr als nur einen geringen Aufwand an Zeit und Mühe erfordert, wie dies bei Rechtsmittelbegründungen regelmäßig der Fall ist, außer dem Datum des Fristablaufs noch eine grundsätzlich etwa einwöchige Vorfrist zu notieren. Die Vorfrist dient dazu sicherzustellen, dass auch für den Fall von Unregelmäßigkeiten und Zwischenfällen noch eine ausreichende Überprüfungs- und Bearbeitungszeit bis zum Ablauf der zu wahrenden Frist verbleibt. Die Eintragung einer Vorfrist bietet eine zusätzliche Fristensicherung. Sie kann die Fristwahrung in der Regel selbst dann gewährleisten, wenn die Eintragung einer Rechtsmittelbegründungsfrist versehentlich unterblieben ist1.
Diese Vorgaben haben die Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners bei der Organisation ihrer Kanzlei nicht eingehalten. Eine Vorfrist war nicht notiert.
Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat im vorliegenden Fall der von dem Antragsgegner vorgelegten schriftlichen Arbeitsanweisung keine Verpflichtung der Bürokräfte entnehmen können, für Rechtsmittelbegründungen auch eine Vorfrist im Fristenkalender zu notieren2. Dies lässt für den Bundesgerichtshof keine Rechtsfehler erkennen. Folgerichtig und rechtsbedenkenfrei hat das Oberlandesgericht Düsseldorf daher für eine ordnungsgemäße Kanzleiorganisation eine weitergehende Anweisung an das Büropersonal verlangt, bei der Notierung des Fristendes für Rechtsmittelbegründungen durch Rückrechnung auch eine angemessene Vorfrist zu bestimmen und diese zumindest im Fristenkalender zu notieren. Das Bestehen einer solchen allgemeinen Büroanweisung oder konkreten Einzelanweisung hat der Antragsgegner weder dargelegt noch glaubhaft gemacht. Gegen diese Würdigung des Oberlandesgerichts Düsseldorf erinnert letztlich auch die Rechtsbeschwerde nichts.
Im hier entschiedenen Fall war der Organisationsmangel in der Kanzlei der Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners für die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist auch ursächlich.
Eine Wiedereinsetzung kann bereits dann nicht gewährt werden, wenn die Ursächlichkeit des Organisationsmangels für das Versäumen der Frist nicht vollständig ausgeschlossen werden kann. Hat der Rechtsanwalt nicht alle ihm möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Wahrung einer Rechtsmittelbegründungsfrist ergriffen, geht es zu seinen Lasten, wenn das Gericht nicht festzustellen vermag, dass die Frist auch bei Durchführung dieser Maßnahmen versäumt worden wäre3.
Es besteht keine Vermutung dafür, dass die im vorliegenden Fall im Büro der Verfahrensbevollmächtigten beschäftigte Kanzleimitarbeiterin H. nur deshalb, weil sie den Eintrag der Beschwerdebegründungsfrist in den Fristenkalender versäumt hat, auch den Eintrag der Vorfrist in den Fristenkalender versäumt hätte. Es ist zumindest nicht ausgeschlossen, dass in diesem Fall die zusätzliche Fristensicherung der Vorfrist gegriffen, die Bürokraft nicht denselben Fehler zwei Mal gemacht und wenigstens die Vorfrist im Fristenkalender notiert hätte4.
Die Kanzleimitarbeiterin H. hatte den Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist grundsätzlich zutreffend auf den 7.06.2022 berechnet und diesen Termin auch in der Handakte vermerkt. Bei einem auf die Vorfrist bezogen unterstellt ordnungsgemäßem Vorgehen der Bürokraft wäre die Vorfrist auf den 31.05.2022 berechnet und die Akte dem bearbeitenden Rechtsanwalt an diesem Tage vorgelegt worden. In diesem Fall hätte der Rechtsanwalt bereits zu diesem Zeitpunkt bemerkt, dass eine Beschwerdebegründung noch nicht erstellt war. Ein Rechtsanwalt hat eine ihm aufgrund einer Vorfrist vorgelegte und damit in seinen persönlichen Verantwortungsbereich zurückgelangte Fristsache rechtzeitig zu bearbeiten und für die Weiterleitung der bearbeiteten Sache in der Weise Sorge zu tragen, dass der entsprechende Schriftsatz fristgerecht bei Gericht eingeht. Dieser Pflicht wird er durch eine weitere, auf den Tag des Fristablaufs notierte Frist nicht enthoben5. Hätte mithin der bearbeitende Rechtsanwalt nach Vorlage der Akten zur Vorfrist am 31.05.2022 die Beschwerdebegründung fristgerecht fertiggestellt und den Bürokräften mit der Weisung übergeben, sie bei Gericht einzureichen, hätte die Beschwerdebegründungsfrist dadurch gewahrt werden können. Das würde im Übrigen auch dann gelten, wenn der Rechtsanwalt aus besonderen Gründen die Wiedervorlage der Akte am letzten Tag der laufenden Frist verfügt hätte6. Denn in diesem Falle wäre im Büro der Verfahrensbevollmächtigen möglicherweise aufgedeckt worden, dass das Ende der Beschwerdebegründungsfrist am 7.06.2022 überhaupt nicht im Fristenkalender notiert worden war7.
Auch liegt hier kein Fall der sogenannten überholenden Kausalität vor. Nach den Grundsätzen der überholenden Kausalität schließt ein früheres Verschulden eines Beteiligten oder ihres Verfahrensbevollmächtigten die Wiedereinsetzung dann nicht aus, wenn dessen rechtliche Erheblichkeit durch ein späteres, dem Beteiligten oder ihrem Bevollmächtigten nicht zuzurechnendes Ereignis entfällt8. Die unterlassene Eintragung der Beschwerdebegründungsfrist im Fristenkalender, die auf einem dem Antragsgegner und seinen Verfahrensbevollmächtigten nicht zurechenbaren Fehler der Kanzleimitarbeiterin H. beruht, lässt die (Mit)Ursächlichkeit der unzureichenden Kanzleiorganisation im Zusammenhang mit der versäumten Arbeitsanweisung zur Notierung einer Vorfrist aber gerade nicht entfallen. Denn die ordnungsgemäße Bearbeitung der Sache nach Vorlage der Akte zur Vorfrist hätte unter den hier obwaltenden Umständen eine fristgerechte Einreichung der Beschwerdebegründung sicherstellen können, ohne dass es auf die versäumte Eintragung der Beschwerdebegründungsfrist im Fristenkalender angekommen wäre.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21. Juni 2023 – XII ZB 418/22
- BGH Beschlüsse vom 20.09.2022 – VI ZB 17/22 NJW-RR 2022, 1717 Rn. 7; und vom 06.10.2020 – XI ZB 17/19 9 mwN[↩]
- OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.09.2022 – II7 UF 67/22[↩]
- BGH Beschlüsse vom 20.09.2022 – VI ZB 17/22 NJW-RR 2022, 1717 Rn. 10; und vom 06.10.2020 – XI ZB 17/19 12 mwN[↩]
- vgl. BGH Beschluss vom 20.09.2022 – VI ZB 17/22 NJW-RR 2022, 1717 Rn. 11[↩]
- vgl. BGH Beschlüsse vom 20.09.2022 – VI ZB 17/22 NJW-RR 2022, 1717 Rn. 12; und vom 06.10.2020 – XI ZB 17/19 14 mwN[↩]
- vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 19.10.2022 – XII ZB 113/21 NJW-RR 2023, 136 Rn. 13; und vom 17.05.2023 – XII ZB 533/22[↩]
- vgl. BGH Beschlüsse vom 06.10.2020 – XI ZB 17/19 15; und vom 17.06.1999 – IX ZB 32/99 NJW 1999, 2680[↩]
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 27.01.2016 – XII ZB 684/14 FamRZ 2016, 624 Rn. 25; und vom 18.07.2007 – XII ZB 32/07 FamRZ 2007, 1722 Rn. 11[↩]