Vermögensverfall – und der Widerruf der Anwaltszulassung

Gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind.

Vermögensverfall – und der Widerruf der Anwaltszulassung

Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs allein auf den Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Widerrufsverfahrens, also auf den Erlass des Widerspruchsbescheids oder – wenn das [nach neuem Recht] grundsätzlich vorgeschriebene Vorverfahren entbehrlich ist – auf den Ausspruch der Widerrufsverfügung abzustellen; die Beurteilung danach eingetretener Entwicklungen ist einem Wiederzulassungsverfahren vorbehalten1.

Ein Vermögensverfall liegt vor, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, und außerstande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen2.

Ein Vermögensverfall wird vermutet, wenn der Rechtsanwalt in das vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis (§ 882b ZPO) eingetragen ist (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 Halbsatz 2 BRAO). Ein Rechtsanwalt, der in diesem Verzeichnis eingetragen ist, muss zur Widerlegung der Vermutung des Vermögensverfalls ein vollständiges und detailliertes Verzeichnis seiner Gläubiger und Verbindlichkeiten vorlegen und konkret darlegen sowie belegen, dass seine Vermögens- und Einkommensverhältnisse nachhaltig geordnet sind3.

Im vorliegenden Fall hat der Anwaltsgerichtshof den Vermögensverfall des Rechtsanwalts aus der gesetzlichen Vermutung des Vermögensverfalls gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO hergeleitet, da zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids zwei Eintragungen des Rechtsanwalts im Schuldnerverzeichnis bestanden hätten. Der Rechtsanwalt habe nicht nachgewiesen, dass die Forderungen, die diesen Eintragungen zugrunde gelegen hätten, zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids bereits getilgt gewesen seien4.

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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss ein Rechtsanwalt, der in das vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis (§ 882b ZPO) eingetragen ist, zur Widerlegung der daraus folgenden Vermutung des Vermögensverfalls (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 Halbsatz 2 BRAO) ein vollständiges und detailliertes Verzeichnis seiner Gläubiger und Verbindlichkeiten vorlegen und – bezogen auf den Zeitpunkt des Widerrufs- beziehungsweise Widerspruchsbescheids – konkret darlegen sowie belegen, dass seine Vermögens- und Einkommensverhältnisse nachhaltig geordnet sind5.

Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls ist allein auf den Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Widerrufsverfahrens, vorliegend also auf den Erlass des Widerspruchsbescheids, abzustellen. Die Beurteilung danach eingetretener Entwicklungen, so auch das Verhalten des Rechtsanwalts nach diesem Zeitpunkt, ist einem Wiederzulassungsverfahren vorbehalten.

Um eine solche nachträgliche Entwicklung handelt es sich auch, soweit der Rechtsanwalt geltend macht, im Falle der Bestandskraft des angefochtenen Urteils werde sich eine Gefährdung der Interessen seiner Mandanten ergeben, da er aktuell in großem Umfang für Mandanten tätig werde, die im Zuge des „W.-Skandals“ und sonstiger Vorfälle erheblichen Schaden erlitten hätten, und es kaum möglich sei, ihnen im Rahmen einer von der Rechtsanwaltskammer zu bewerkstelligenden Bestellung eines Abwicklers kurzfristig einen adäquaten Ersatz zur Seite zu stellen. Dem Rechtsanwalt stand es frei, nach dem Widerrufsbescheid bei der Rechtsanwaltskammer einen Antrag auf Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft zu stellen. Lagen die Voraussetzungen hierfür vor, wäre es ihm möglich, die Interessen der von ihm genannten Mandanten durchgehend zu vertreten. Aus diesen Gründen verstößt eine Aufrechterhaltung des Widerrufsbescheids auch nicht gegen das Übermaßverbot und gegen Art. 12 Abs. 1 GG.

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Die Frage, wie die durch Eintragungen im Schuldnerverzeichnis ausgelöste Vermutung eines Vermögensverfalls widerlegt werden kann, ist in der Bundesgerichtshofsrechtsprechung geklärt. Mit der danach erforderlichen Erstellung eines Vermögensverzeichnisses wird von den Betroffenen nichts „Unmögliches“ verlangt.

In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist des Weiteren geklärt, wann bei Vorliegen eines Vermögensverfalls von einer Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden auszugehen ist. Danach ist keineswegs „praktisch in jedem Fall“ von einer solchen Gefährdung auszugehen. Allerdings ist mit dem Vermögensverfall eines Rechtsanwalts bereits nach der in § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO („es sei denn“) zum Ausdruck gekommenen Wertung des Gesetzgebers grundsätzlich eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden verbunden. Die Annahme ist regelmäßig schon im Hinblick auf den Umgang des Rechtsanwalts mit Fremdgeldern und den darauf möglichen Zugriff von Gläubigern gerechtfertigt6. Auch wenn die Regelung des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO, nach der der Vermögensverfall die Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden indiziert, nicht im Sinne eines Automatismus zu verstehen ist, die Gefährdung daher nicht zwangsläufig und ausnahmslos schon aus dem Vorliegen des Vermögensverfalls folgt, kann die Gefährdung im nach der gesetzlichen Wertung vorrangigen Interesse der Rechtsuchenden nur in seltenen, in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs näher beschriebenen Ausnahmefällen verneint werden7.

Der pauschale Einwand des Rechtsanwalts, dass Beweise für eine verstärkte Kriminalität von Rechtsanwälten mit Vermögensverfall nicht erbracht werden könnten, ist ungeeignet, diese gesetzgeberische Wertung ernsthaft in Frage zu stellen8. Im Übrigen rückt die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keineswegs jeden Rechtsanwalt, der – aus welchen Gründen auch immer – in finanzielle Schwierigkeiten geraten ist, in die Nähe eines potenziellen Straftäters. Denn eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden kann auch völlig unabhängig von einem kriminellen Verhalten des Betroffenen eintreten9, etwa dadurch, dass bei einem in Vermögensverfall befindlichen Rechtsanwalt das Risiko eines Zugriffs von Gläubigern auf Fremdgelder erheblich größer ist als im Fall eines Rechtsanwalts mit geordneten Einkommens- und Vermögensverhältnissen.

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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Beurteilung von Entwicklungen, die nach dem Abschluss des Widerrufsverfahrens eingetreten sind, einem Wiederzulassungsverfahren vorbehalten. Die beruflichen Nachteile, die einem Rechtsanwalt durch den Verweis auf ein erneutes Zulassungsverfahren entstehen, sind vergleichsweise gering, denn der Rechtsanwalt hat bei nachträglichem Wegfall des Widerrufsgrundes einen Anspruch auf sofortige Wiederzulassung und kann jederzeit einen entsprechenden Antrag stellen. Dieser setzt nicht voraus, dass der Anfechtungsprozess abgeschlossen ist. Sind die Voraussetzungen für die Wiederzulassung erfüllt, ist die Rechtsanwaltskammer vielmehr unabhängig davon zur Wiederzulassung verpflichtet und kann gegebenenfalls der Rechtsanwalt gegen einen ablehnenden Bescheid gerichtlich vorgehen und dieses Verfahren mit dem Anfechtungsprozess verbunden werden. Auf diese Weise kann bei zweifelsfreiem Wegfall des Widerrufsgrundes eine lückenlose Zulassung zur Rechtsanwaltschaft sichergestellt werden10.

Die Möglichkeit, eine negative (Wieder)Zulassungsentscheidung zusammen mit der Widerrufsentscheidung in demselben (verbundenen) gerichtlichen Verfahren überprüfen zu lassen, setzt voraus, dass bis zum rechtskräftigen Abschluss des Widerrufsverfahrens über den Antrag auf Wiederzulassung entschieden worden ist. Indes ist nicht erkennbar, weshalb dies im Regelfall nicht erfolgen sollte. Denn die Rechtsanwaltskammer ist gem. § 32 Abs. 2 Satz 1 BRAO i.V.m. § 42a Abs. 2 VwVfG verpflichtet, über den Antrag – bei einmaliger Verlängerungsmöglichkeit – innerhalb von drei Monaten zu entscheiden.

Es trifft nicht zu, dass – wie der Rechtsanwalt meint – einer positiven Bescheidung eines Antrages seinerseits auf Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft bis zur Rechtskraft der Widerrufsentscheidung das Bestehen der bisherigen Zulassung entgegensteht. Anders als das vom Rechtsanwalt bei der Rechtsanwaltskammer beantragte Wiederaufgreifen des Verfahrens betreffend den Widerruf seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft gem. § 32 Abs. 1 Satz 1 BRAO i.V.m. § 51 Abs. 1 VwVfG setzt – wie ausgeführt – die Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht voraus, dass ein zuvor erfolgter Widerruf der Zulassung unanfechtbar geworden und der betreffende Anfechtungsprozess abgeschlossen ist11.

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Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20. Dezember 2022 – AnwZ (Brfg) 22/22

  1. st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 29.06.2011 – AnwZ (Brfg) 11/10, BGHZ 190, 187 Rn. 9 ff.; vom 10.03.2014 – AnwZ (Brfg) 77/13 3 mwN; und vom 12.12.2018 – AnwZ (Brfg) 60/17 4[]
  2. st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 21.04.2016 – AnwZ (Brfg) 1/16 6; und vom 15.12.2017 – AnwZ (Brfg) 11/17 4; jeweils mwN[]
  3. vgl. BGH, Beschlüsse vom 30.01.2017 – AnwZ (Brfg) 61/16 4; vom 07.12.2018 – AnwZ (Brfg) 55/18 8; und vom 17.11.2020 – AnwZ (Brfg) 20/20 32, 34 ff.; jeweils mwN[]
  4. vgl. dazu BGH, Beschluss vom 11.12.2019 – AnwZ (Brfg) 50/1920[]
  5. vgl. nur BGH, Beschluss vom 30.05.2022 – AnwZ (Brfg) 6/22, Rn. 6 mwN[]
  6. st. Rspr.; vgl. nur zuletzt BGH, Beschluss vom 30.05.2022 – AnwZ (Brfg) 43/21 8 mwN[]
  7. BGH, Beschluss vom 30.05.2022 aaO[]
  8. vgl. BGH, Beschluss vom 22.05.2013 – AnwZ (Brfg) 73/12 4[]
  9. BGH, Beschluss vom 22.05.2013 aaO[]
  10. BGH, Beschlüsse vom 13.06.2019 – AnwZ (Brfg) 25/19 5 f.; vom 04.03.2019 – AnwZ (Brfg) 47/18 4; vom 07.12.2018 – AnwZ (Brfg) 55/18 6; und vom 20.05.2015 – AnwZ (Brfg) 7/15 5; jeweils mwN; siehe auch BVerwG, NVwZ 1991, 372, 373 zu § 35 Abs. 1 GewO[]
  11. vgl. im Übrigen zur Unanwendbarkeit von § 51 VwVfG auf Widerrufsverfahren betreffend die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft: BGH, Beschluss vom 18.10.2010 – AnwZ (B) 22/10, NJW-RR 2011, 561 Rn. 7 f.[]
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