Asyl für Konvertiten – und die Glaubensprüfung

Die Maßstäbe, die das Bundesverwaltungsgericht für die Prüfung, ob eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen der Religion besteht, entwickelt und in dem angegriffenen Beschluss bestätigt hat, sind für das Bundesverfassungsgericht nicht zu beanstanden. Demgemäß hat das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, die sich gegen die Ablehnung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen des Übertritts zum christlichen Glauben richtet.

Asyl für Konvertiten – und die Glaubensprüfung

Zwar dürfen die Gültigkeit eines Übertritts zu einer Religionsgemeinschaft und das religiöse Selbstverständnis einer solchen Gemeinschaft nicht in Frage gestellt werden. Die Gerichte müssen jedoch die innere Tatsache, dass die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für die religiöse Identität des Betroffenen zentrale Bedeutung hat, zu ihrer vollen Überzeugung feststellen. Diese fachgerichtliche Prüfung verletzt weder das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen oder Religionsgemeinschaften noch die Glaubens, Gewissens- und Religionsfreiheit des Einzelnen.

Der Ausgangssachverhalt

In dem hier vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall hatte ein iranischer Staatsangehöriger 2011 einen Asylantrag gestellt, den das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ablehnte, weil der Asylbewerber eine begründete Furcht vor Verfolgung nicht glaubhaft gemacht habe. Während des sich anschließenden Klageverfahrens trug der Asylbewerber ergänzend vor, dass er im Mai 2013 getauft worden sei und regelmäßig an kirchlichen Veranstaltungen in der Gemeinde teilnehme. Dies begründe für den Fall einer Abschiebung in den Iran die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung.

Die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg wies die Klage ab1; dem Asylbewerber drohe bei einer Rückkehr in den Iran keine Verfolgung aus religiösen Gründen. Die Anhörung habe das Gericht nicht von einer die religiöse Identität prägenden Hinwendung des Asylbewerbers zur christlichen Religion überzeugen können. Er habe nicht in substantieller Weise seine Beweggründe aufzeigen können, die ihn ausgerechnet zum christlichen Glauben geführt hätten. Ein Taufkurs, der die christlichen Glaubensgrundlagen auch nur grob vermittelt oder vertieft hätte, habe nicht stattgefunden. Zwar habe der Asylbewerber sich ein gewisses Grundwissen über das Christentum angeeignet. Es hätten sich aber auch hier nicht unerhebliche Lücken gezeigt. Auch wenn er christliche Glaubensinhalte richtig wiedergegeben habe, habe der Verwaltungsgerichthof nicht den Eindruck gewonnen, der Asylbewerber habe sich über das „Erlernen“ christlicher Glaubensinhalte hinaus intensiv mit dem Glauben beschäftigt und diesen als für sein weiteres Leben identitätsprägend verinnerlicht. Es dränge sich angesichts der sozialen Unterstützung durch die Pfarrerin und die iranische Kirchengemeinde der Eindruck auf, dass der Asylbewerber sich dem Christentum vornehmlich aus sozialen und integrativen Gründen angeschlossen habe.

Das Bundesverwaltungsgericht wies die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zurück2. Es liege weder eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache noch ein Verfahrensmangel vor.

Es bedürfe nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens, um zu klären, dass staatliche Behörden und Verwaltungsgerichte bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht an die Beurteilung des zuständigen Amtsträgers einer christlichen Kirche gebunden seien, der Taufe liege eine ernsthafte und nachhaltige Glaubensentscheidung zugrunde. Dies ergebe sich aus der vom Verwaltungsgerichtshof seiner Entscheidung zugrunde gelegten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.

Verwaltungsgerichten sei es – von Missbrauchsfällen abgesehen – verwehrt, die von einer Glaubensgemeinschaft bestätigte Mitgliedschaft als solche in Frage zu stellen. Im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen der Flüchtlingsanerkennung nach §§ 3 ff. AsylG hätten die Verwaltungsgerichte bei der Beurteilung der Schwere einer geltend gemachten Verletzung der Religionsfreiheit aber im Wege einer eigenen tatrichterlichen Würdigung zu prüfen, ob die Befolgung einer bestimmten gefahrenträchtigen Glaubenspraxis für den Schutzsuchenden persönlich nach seinem Glaubensverständnis ein zentrales Element seiner religiösen Identität bilde und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sei. Dass diese Frage in Teilbereichen auch als kirchenrechtliche Voraussetzung für die Taufe bedeutsam und von dem innerkirchlich zuständigen Amtsträger bejaht worden sei, mache sie mit Blick auf die den staatlichen Gerichten obliegende Prüfung der Flüchtlingsanerkennung nicht zu einer „eigenen Angelegenheit“ der Religionsgemeinschaften im Sinne von Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV, zu denen auch die Rechte und Pflichten ihrer Mitglieder, insbesondere die Bestimmungen über die Mitgliedschaft zählten.

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Es sei auch nicht klärungsbedürftig, dass die Verwaltungsgerichte mit der eigenständigen Prüfung und Würdigung dieser Frage nicht die sich aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG, Art. 4 Abs. 1 und 2 GG sowie Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 1 und 4, Art. 137 Abs. 1 WRV ergebende Pflicht des Staates zu weltanschaulicher Neutralität verletzten. Denn eine verfassungsrechtlich unzulässige Bewertung der Lehre einer Kirche oder des Glaubens eines Einzelnen sei damit nicht verbunden. Die Verwaltungsgerichte setzten sich weder mit Inhalten von Glaubenssätzen auseinander noch bewerteten sie diese oder formulierten eigene Standpunkte in Glaubensdingen. Sie entschieden auch nicht über die Legitimität religiöser Glaubensüberzeugungen, sondern gingen nur der Stellung des Antragstellers zu seinem Glauben nach, nämlich der Intensität selbst empfundener Verbindlichkeit von Glaubensgeboten für die religiöse Identität der Person.

Es sei auch geklärt, dass die Verwaltungsgerichte sich bei der Prüfung der inneren Tatsache, ob der Betroffene die unterdrückte religiöse Glaubensbetätigung für sich selbst als verpflichtend zur Wahrung seiner religiösen Identität empfinde, nicht auf eine Plausibilitätsprüfung beschränken dürften, sondern das Regelbeweismaß der vollen Überzeugung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) zugrunde zu legen hätten. Ein weitergehender Klärungsbedarf ergebe sich nicht daraus, dass die Anlegung des Regelbeweismaßes nach Ansicht der Beschwerde die Religionsfreiheit des Einzelnen und das kirchliche Selbstbestimmungsrecht verletze. Denn eine Zurücknahme des tatrichterlichen Beweismaßes sowie der gerichtlichen Kontrolldichte sei nur bei der Bestimmung der Reichweite des Schutzbereichs des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG durch eine extensive Auslegung des Begriffs der „Religionsausübung“ unter Berücksichtigung sowohl des kirchlichen als auch des Selbstverständnisses des Grundrechtsträgers angezeigt. Die gebotene Berücksichtigung des kirchlichen und individuellen Selbstverständnisses bei der Bestimmung, wie weit der Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG im Einzelfall reiche, sei aber nicht auf die der Schutzbereichsbestimmung vorgelagerte tatrichterliche Würdigung zu übertragen, ob und inwieweit eine Person eine bestimmte religiöse Bestätigung ihres Glaubens für sich selbst als verpflichtend zur Wahrung der religiösen Identität empfinde.

Das Bundesverwaltungsgericht habe bereits entschieden, dass sich die religiöse Identität als innere Tatsache nur aus dem Vorbringen des Schutzsuchenden sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen lasse. Die Glaubensfreiheit eines Schutzsuchenden werde nicht dadurch verletzt, dass es ihm im Rahmen der asylverfahrensrechtlichen Mitwirkungspflichten und des prozessrechtlichen Untersuchungsgrundsatzes obliege, staatlichen Stellen über sein religiöses Selbstverständnis Auskunft zu geben. Es unterliege der freien Beweiswürdigung und sei einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich, auf welche Weise der Tatrichter versuche, sich die erforderliche Überzeugungsgewissheit vom Vorliegen der Tatsache der Wahrung der religiösen Identität zu verschaffen. Nicht weiter klärungsbedürftig sei auch, dass es die Glaubensfreiheit nicht verletze und die Beweisanforderungen nicht überspanne, von einem Erwachsenen im Regelfall zu erwarten, dass dieser schlüssige und nachvollziehbare Angaben zu den inneren Beweggründen für die Konversion machen könne und im Rahmen seiner Persönlichkeit und intellektuellen Disposition mit den Grundzügen seiner neuen Religion vertraut sei.

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Die vom Asylbewerber erhobene Aufklärungs- und Gehörsrüge, dem Verwaltungsgerichtshof hätte sich eine Begutachtung in psychologischer und religiöser Hinsicht aufdrängen müssen, weil ihm die notwendige Sachkunde zur Beurteilung der religiösen Identität fehle, bleibe ohne Erfolg. Zum einen habe der Asylbewerber in der Berufungsverhandlung schon keinen entsprechenden Beweisantrag gestellt. Zum anderen sei weder dargelegt noch sonst ersichtlich, aus welchen Gründen der Verwaltungsgerichtshof nicht über ausreichende Sachkunde zur Beurteilung der religiösen Identität des Asylbewerbers verfügen sollte, da keine Glaubensinhalte einer fremden Religion aufzuklären gewesen seien. Für die Ermittlung und Würdigung des (Nicht-)Vorliegens dieser inneren Tatsache bedürfe es in aller Regel keines nur Experten vorbehaltenen Wissens.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Ihr kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, und die Annahme ist nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig und bleibt auch in der Sache ohne Erfolg. Die Maßstäbe, die das Bundesverwaltungsgericht für die Prüfung, ob eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen der Religion besteht, entwickelt und in dem angegriffenen Beschluss bestätigt hat, sind von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden; es ist allerdings hervorzuheben, dass bei ihrer Anwendung der Bedeutung des Grundrechts auf Glaubens, Gewissens- und Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 10 GR-Charta und Art. 9 Abs. 1 EMRK) in besonderem Maße Rechnung zu tragen ist.

(Un-)Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde

Soweit der Asylbewerber in erster Linie eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG wegen Verkennung der Bedeutung der individuellen Glaubens- und Religionsfreiheit durch den Verwaltungsgerichtshof und das Bundesverwaltungsgericht rügt, entspricht die Verfassungsbeschwerde nicht den Begründungserfordernissen der §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 BVerfGG. Der Asylbewerber legt schon mehrere für die verfassungsgerichtliche Überprüfung der Grundrechtsrüge wesentliche Unterlagen nicht vor (Protokolle der mündlichen Verhandlung beim Verwaltungsgericht, Schriftsätze aus dem erstinstanzlichen Verfahren, Schreiben der Pfarrerin). Auch wird die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung nicht hinreichend aufgezeigt3. Der Asylbewerber setzt sich weder mit der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts4, des Gerichtshofs der Europäischen Union5 und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte6 noch mit den angegriffenen Entscheidungen, insbesondere mit dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts, hinreichend substantiiert auseinander.

Verfolgung wegen der Religion – und der Prüfungsmaßstab

Die rechtlichen Maßstäbe, die das Bundesverwaltungsgericht7 im Anschluss an die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union8 im Rahmen der Prüfung, ob gemäß §§ 3 ff. AsylG eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen der Religion besteht, entwickelt hat, sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist in Fällen, in denen nicht schon die bloße Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft als solche die Gefahr einer Verfolgung begründet, bei der Frage, ob ein Eingriff in die Religionsfreiheit eine hinreichend schwere Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG, Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12 2011 darstellt, – in einem ersten Schritt – in objektiver Hinsicht festzustellen, welche Maßnahmen und Sanktionen gegenüber dem Betroffenen im Herkunftsstaat voraussichtlich ergriffen werden, wenn er eine bestimmte Glaubenspraxis dort ausübt, und wie gravierend diese sind. Die erforderliche Schwere kann insbesondere erreicht sein, wenn ihm durch die Betätigung seines Glaubens – im privaten oder öffentlichen Bereich – die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, (tatsächlich) strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Dabei kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Sodann ist – in einem zweiten Schritt – in subjektiver Hinsicht festzustellen, ob die Befolgung einer solchermaßen als verfolgungsträchtig bestimmten Glaubenspraxis ein zentrales Element für die religiöse Identität des Schutzsuchenden und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist. Maßgeblich ist dabei, wie der Einzelne seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist. Beide Prüfungsschritte unterliegen der eigenständigen tatrichterlichen Würdigung der Verwaltungsgerichte. Die innere Tatsache, dass die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für die religiöse Identität des Betroffenen zentrale Bedeutung hat, muss zur Überzeugung der Gerichte feststehen (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

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Diese im Rahmen der Zuerkennung der Flüchtlingsanerkennung für erforderlich erachtete fachgerichtliche Prüfung verletzt weder das in Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV garantierte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen oder Religionsgemeinschaften (aa) noch die Glaubens, Gewissens- und Religionsfreiheit des Einzelnen (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, Art. 10 Abs. 1 GR-Charta und Art. 9 Abs. 1 EMRK, bb).

Die Wirksamkeit einer nach kirchenrechtlichen Vorschriften vollzogenen Taufe und damit die Mitgliedschaft des Schutzsuchenden in der Kirchengemeinschaft, die zum Bereich des in Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV garantierten Selbstbestimmungsrechts zählt9, darf von den Verwaltungsgerichten nicht in Frage gestellt werden. Vielmehr haben diese die Kirchenmitgliedschaft als Rechtstatsache zu beachten und der flüchtlingsrechtlichen Prüfung zugrunde zu legen. Dies gilt auch dann, wenn der Sachvortrag zur Konversion oder die vorgelegten Unterlagen Anhaltspunkte für eine gewisse Oberflächlichkeit, für Missbräuchlichkeit10 oder für eine mitbestimmende taktische Prägung des Übertritts zur christlichen Religion erkennen lassen; derartigen Anhaltspunkten kann jedoch im Rahmen der Verfolgungsprognose Rechnung getragen werden.

Von der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft zu unterscheiden ist allerdings die Frage, ob und bejahendenfalls welche Aspekte einer Glaubensüberzeugung oder Glaubensbetätigung in einer die Furcht vor Verfolgung begründenden Intensität für die religiöse Identität des individuellen Schutzsuchenden prägend sind oder nicht. Denn bei der damit angesprochenen Prüfung, ob die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach §§ 3 ff. AsylG vorliegen, handelt es sich nicht um eine eigene Angelegenheit der Kirchen oder Religionsgemeinschaften im Sinne von Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht umfasst alle Maßnahmen, die der Sicherstellung der religiösen Dimension des Wirkens der Religionsgemeinschaft im Sinne kirchlichen Selbstverständnisses und der Wahrung der unmittelbaren Beziehung der Tätigkeit zum kirchlichen Grundauftrag dienen11. Die Prüfung der Flüchtlingseigenschaft fällt nicht in diesen der Erfüllung des religiösen Auftrags und der religiösen Sendung dienenden Bereich, sondern ist kraft Gesetzes ausschließlich der Zuständigkeit des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (§§ 5 Abs. 1, 13 Abs.1 AsylG) und – im Fall einer gerichtlichen Überprüfung – den Verwaltungsgerichten zugewiesen (§ 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO, §§ 74 ff. AsylG). Die Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland Personen in ihrem Hoheitsgebiet Schutz vor Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 und 4 AsylG in Verbindung mit Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12 2011 gewährt, obliegt nach Maßgabe der europäischen und nationalen Rechtsvorschriften ausschließlich dieser selbst und nicht der Kirche oder den Religionsgemeinschaften.

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Durch die bei Prüfung der Flüchtlingseigenschaft von den Verwaltungsgerichten zu treffenden Feststellung der Bedeutung bestimmter Glaubensbetätigungen für die religiöse Identität des Schutzsuchenden wird auch nicht die Glaubens, Gewissens- und Religionsfreiheit des Einzelnen (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, Art. 10 Abs. 1 GR-Charta, Art. 9 Abs. 1 EMRK) wegen Missachtung der sich aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG, Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, Art. 33 Abs. 3 GG und Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 1 und 4, Art. 137 Abs. 1 WRV ergebenden weltanschaulich-religiösen Neutralitätspflicht des Staates verletzt. Entgegen der Auffassung der Verfassungsbeschwerde haben die Verwaltungsgerichte nach den vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten rechtlichen Maßstäben keine inhaltliche „Glaubensprüfung“ vorzunehmen. Mit der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung wegen geltend gemachter religiöser Verfolgung ist insbesondere keine verfassungsrechtlich unzulässige Bewertung des Glaubens des Einzelnen oder der Lehre der Kirche verbunden12. Die Verwaltungsgerichte setzen sich bei der erforderlichen – subjektiven – Prüfung der Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit weder mit Inhalten von Glaubenssätzen auseinander, noch setzen sie ihre eigene Wertung zu Inhalt und Bedeutung eines Glaubenssatzes an die Stelle derjenigen des Einzelnen oder der Kirche oder Glaubensgemeinschaft oder formulieren eigene Standpunkte in Sachen des Glaubens13. Sie entscheiden auch nicht über die Legitimität religiöser Glaubensüberzeugungen und die Art und Weise ihrer Bekundung14. Die Verwaltungsgerichte müssen und dürfen lediglich der Stellung des Schutzsuchenden zu seinem Glauben nachgehen, nämlich der Intensität und Bedeutung der von ihm selbst empfundenen Verbindlichkeit von Glaubensgeboten für die eigene religiöse Identität. Darin liegt keine Verletzung der Pflicht des Staates zu weltanschaulich-religiöser Neutralität.

Besondere Bedeutung der Glaubens- und Religionsfreiheit

Die Verwaltungsgerichte haben allerdings bei der Anwendung der vorgenannten Maßstäbe auf den konkreten Fall die Bedeutung des in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG in Verbindung mit Art. 9 Abs. 1 EMRK und Art. 10 GR-Charta verbürgten Grundrechts auf Glaubens, Gewissens- und Religionsfreiheit als ein in einer demokratischen Gesellschaft zentrales Grundrecht und grundlegendes Menschenrecht15 in besonderem Maße zu berücksichtigen.

Dem hohen Wert des betroffenen Grundrechts hat die Sachverhaltsaufklärung Rechnung zu tragen16. Ihr Gegenstand ist zunächst die Frage, ob im Herkunftsstaat des Schutzsuchenden ein bestimmtes Verhalten – etwa die Abwendung von einer (Staats-) Religion, die Hinwendung zu einem anderen Glauben, eine bestimmte, als religiös verstandene Betätigung der Betroffenen – Maßnahmen nach sich ziehen kann, die als Verfolgung oder unmenschliche Behandlung einzustufen sind. Erst vor diesem Hintergrund ist zu fragen, ob für den im konkreten Fall betroffenen Schutzsuchenden ein solches Verhalten festzustellen oder im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat voraussichtlich zu erwarten sein wird, ob insbesondere die Hinwendung zu dem neuen Glauben identitätsprägendes Gewicht hat. In Fällen, in denen es um die Bedeutung einer bestimmten Glaubenspraxis für die religiöse Identität des Schutzsuchenden und die Intensität der selbst empfundenen Verpflichtung eines bestimmten Glaubensgebotes geht, kommt der verfahrensrechtlichen Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) deshalb verfassungsrechtliches Gewicht zu. Die fachgerichtliche Beurteilung muss daher auf einer hinreichend verlässlichen und auch ihrem Umfang nach zureichenden tatsächlichen Grundlage beruhen17. Dabei ist nicht nur das Vorbringen des Schutzsuchenden im Rahmen der in aller Regel gebotenen informatorischen gerichtlichen Anhörung zu berücksichtigen, sondern es sind auch äußere Anknüpfungstatsachen heranzuziehen, die Rückschlüsse auf die innere Einstellung des Betroffenen erlauben18.

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Auch im Rahmen der tatrichterlichen Beweiswürdigung ist die besondere Bedeutung des Grundrechts auf Glaubens, Gewissens- und Religionsfreiheit zu beachten. Zwar unterliegt es im Ausgangspunkt der freien Beweiswürdigung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, auf welche Weise das Tatsachengericht sich die erforderliche Überzeugungsgewissheit vom Vorliegen der entscheidungserheblichen Tatsache verschafft, ob der Schutzsuchende eine verfolgungsträchtige religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren19. Auch sind die Umstände, unter denen das Gericht die Überzeugung von dieser inneren Tatsache gewinnt, grundsätzlich einer abstrakt-generellen Verallgemeinerung nicht zugänglich. Es handelt sich stets um eine Frage des jeweiligen Einzelfalls.

Es bedarf im Rahmen der Beweiswürdigung jedoch in aller Regel der Gesamtschau einer Vielzahl von Gesichtspunkten, die Aufschluss über die religiöse Identität des Schutzsuchenden geben können, wie etwa die religiöse Vorprägung des Betroffenen und seiner Familie, eine Glaubensbetätigung bereits im Herkunftsland, der äußere Anstoß für den Konversionsprozess sowie dessen Dauer oder Intensität, die inneren Beweggründe für die Abwendung vom bisherigen Glauben, die Vorbereitung auf die Konversion und deren Vollzug, die Information und Reaktion des familiären und sozialen Umfeldes, das Wissen über die neue Religion und die Konversionskirche, die Bedeutung und Auswirkungen des neuen Glaubens für beziehungsweise auf das eigene Leben sowie Art und Umfang der Betätigung des neuen Glaubens wie zum Beispiel die Teilnahme an Gottesdiensten, an Gebeten und am kirchlichen Leben20, ZAR 2016, 281, 284 ff.)).

Die Ermittlung und Bewertung solcher Gesichtspunkte ist auch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union erforderlich21. Dabei werden die Beweisanforderungen auch im Hinblick auf Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, Art. 10 Abs. 1 GR-Charta und Art. 9 Abs. 1 EMRK nicht überspannt, wenn von einem volljährigen Antragsteller im Regelfall erwartet wird, dass er schlüssige und nachvollziehbare Angaben zu den inneren Beweggründen für die Konversion machen kann und mit den Grundzügen seiner neuen Religion hinreichend vertraut ist, um die von ihm behauptete Gefahr der Verfolgung aus religiösen Gründen gebührend zu substantiieren22. Allerdings wird der Umfang des Wissens über die neue Religion maßgeblich von der individuellen Geschichte des Antragstellers, seiner Persönlichkeit, seinem Bildungsniveau und seiner intellektuellen Disposition abhängen, die bei der Beweiswürdigung daher angemessen Berücksichtigung finden müssen23.

Bei alledem haben die Tatsachengerichte jedoch zu beachten, dass Gesichtspunkten der vorerwähnten Art stets nur die Bedeutung von Indizien zukommt, und dass sie sich im Rahmen der tatrichterlichen Würdigung jeglicher inhaltlicher Bewertung des Glaubens des Einzelnen und der Kirchen zu enthalten haben. Eine inhaltliche „Glaubensprüfung“ – etwa eine eigene Auslegung oder Priorisierung einzelner Glaubensinhalte gegenüber anderen Aspekten der jeweils betroffenen Religion – ist ihnen verschlossen, weil dies die verfassungsrechtlich verbürgte Freiheit, das eigene Verhalten an den Lehren des Glaubens auszurichten und innerer Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln, entleeren würde.

Zudem gilt, dass die Vertrautheit des Schutzsuchenden mit den Lehraussagen einer Religionsgemeinschaft zwar ein Indiz für die identitätsprägende Bedeutung eines Übertritts zu dieser Religion darstellen kann – wenn auch nicht zwingend muss –, dass indes der Umkehrschluss nicht in jedem Fall zulässig ist. Eine identitätsprägende Hinwendung zu einem Glauben kann vielmehr auch ohne eine derartige Vertrautheit vorliegen, wenn aussagekräftige und gewichtige Umstände des Einzelfalles festzustellen sind, die die Prognose rechtfertigen, dass der Schutzsuchende sich den Verhaltensleitlinien seines neu gewonnenen Glaubens derart verpflichtet sieht, dass er ihnen auch nach Rückkehr in seinen Heimatstaat folgen und sich damit der Gefahr von Verfolgung oder menschenunwürdiger Behandlung aussetzen wird. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV gebieten es, auch derartige Fallkonstellationen zutreffend zu erfassen.

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Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 3. April 2020 – 2 BvR 1838/15

  1. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15.04.2015 – A 3 S 1923/14[]
  2. BVerwG, Beschluss vom 25.08.2015 – 1 B 40.15[]
  3. vgl. zu diesem Erfordernis nur BVerfGE 108, 370, 386 f.[]
  4. vgl. BVerfGE 137, 273, 305 Rn. 88; 138, 296, 329 f. Rn. 85 f.[]
  5. vgl. EuGH, Urteil vom 05.09.2012, – C-71/11 und – C-99/11, Y und Z[]
  6. vgl. EGMR, Eweida u.a. v. United Kingdom, Urteil vom 15.01.2013, Nr. 48420/10 u.a., und Magyar Keresztény Mennonita Egyhaz u.a. v. Ungarn, Urteil vom 08.04.2014, Nr. 70945/11 u.a.[]
  7. vgl. BVerfG, Urteil vom 20.02.2013 – 10 C 23.12, BVerwGE 146, 67 25 ff.[]
  8. vgl. EuGH, Urteil vom 05.09.2012 – C-71/11 und – C-99/11, Y und Z, NVwZ 2012, 1612, Rn. 56 ff.[]
  9. vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.12 2014 – 2 BvR 278/11, Rn. 37[]
  10. insoweit abweichend wohl BVerwG, Beschluss vom 25.08.2015 – 1 B 40.15, Rn. 11[]
  11. vgl. BVerfGE 137, 273, 307[]
  12. vgl. BVerfGE 33, 23, 29; 108, 282, 300; 137, 273, 305 Rn. 88; 138, 296, 329, Rn. 86, 339 Rn. 110; BVerfG, Beschluss vom 14.01.2020 – 2 BvR 1333/17, Rn. 88[]
  13. vgl. BVerfGE 137, 273, 305 f.[]
  14. vgl. EGMR, Eweida u.a. v. United Kingdom, Urteil vom 15.01.2013, Nr. 48420/10 u.a., § 81, und Magyar Keresztény Mennonita Egyhaz u.a. v. Ungarn, Urteil vom 08.04.2014, Nr. 70945/11 u.a., § 76[]
  15. vgl. EuGH, Urteil vom 05.09.2012, – C-71/11 und – C-99/11, Y und Z, Rn. 57[]
  16. vgl. zu den Anforderungen an einen wirkungsvollen Rechtsschutz im Zusammenhang mit Art. 2 Abs. 2 GG: BVerfGE 117, 71, 106 f.; zur EMRK vgl. BVerfGE 111, 307, 323 ff.[]
  17. vgl. zur Beurteilung der Aufnahmebedingungen in einem Drittstaat als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK: BVerfG, Beschluss vom 08.05.2017 – 2 BvR 157/17, Rn. 16[]
  18. vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 – BVerwG 10 C 23.12, BVerwGE 146, 67 31, und angegriffener Beschluss vom 25.08.2015 – BVerwG 1 B 40.15 14[]
  19. vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 – BVerwG 10 C 23.12, BVerwGE 146, 67 30, und angegriffener Beschluss vom 25.08.2015 – BVerwG 1 B 40.15 14[]
  20. vgl. Berlit/Dörig/Storey, Glaubhaftigkeitsprüfung bei Asylklagen aufgrund religiöser Konversion oder Homosexualität: Ein Ansatz von Praktikern ((Teil 1[]
  21. vgl. EuGH, Urteil vom 04.10.2018, – C-56/17, Bahtiyar Fathi, NVwZ 2019, 634, 639 Rn. 88[]
  22. vgl. EuGH, Urteil vom 04.10.2018, – C-56/17, Bahtiyar Fathi, NVwZ 2019, 634, 639 Rn. 84 und 90[]
  23. vgl. BVerwG, angegriffener Beschluss vom 25.08.2015 – BVerwG 1 B 40.15 14; Berlit/Dörig/Storey, Glaubhaftigkeitsprüfung bei Asylklagen aufgrund religiöser Konversion oder Homosexualität: Ein Ansatz von Praktikern (Teil 1), ZAR 2016, 281, 284[]