Barunterhalt und Betreuungsunterhalt – für das fremduntergebrachte Kind

Schuldet ein Elternteil nach dem Tod des anderen Elternteils seinem fremduntergebrachten minderjährigen Kind neben dem Barunterhalt auch Betreuungsunterhalt, so ist der Betreuungsunterhalt grundsätzlich pauschal in Höhe des Barunterhalts zu bemessen. Für einen davon abweichenden Betreuungsbedarf trägt derjenige die Darlegungs- und Beweislast, der sich darauf beruft1. Das gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Unterhaltspflichtige aus der höchsten Einkommensgruppe und der dritten Altersstufe (12 bis 17 Jahre) Unterhalt schuldet.

Barunterhalt und Betreuungsunterhalt – für das fremduntergebrachte Kind

Nach § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB erfüllt der Elternteil eines minderjährigen unverheirateten Kindes, bei dem dieses lebt, seine Unterhaltsverpflichtung in der Regel durch dessen Pflege und Erziehung. Die Vorschrift stellt klar, dass diese Betreuungsleistungen und die Barleistungen des anderen Elternteils grundsätzlich gleichwertig sind. Damit wird das Gesetz nicht nur der gerade für das Unterhaltsrecht unabweisbaren Notwendigkeit gerecht, die Bemessung der anteilig zu erbringenden Leistungen zu erleichtern. Es trägt auch der Tatsache Rechnung, dass eine auf den Einzelfall abstellende rechnerische Bewertung des Betreuungsaufwands unzulänglich bliebe. Insbesondere bestehen Bedenken, den Geldwert der Betreuung, ähnlich wie im Schadensersatzrecht beim Ausfall von Leistungen des haushaltsführenden und betreuenden Elternteils, durch den Ansatz der Aufwendungen, die für die Besorgung vergleichbarer Dienste durch Hilfskräfte erforderlich sind, oder durch ähnliche Schätzungen zu ermitteln. Denn gerade im Unterhaltsrecht ist eine Pauschalierung dringender erforderlich als im Schadensersatzrecht, weil es sich hier um ein Massenphänomen handelt und deswegen schon aus Gründen der Praktikabilität erleichterte Berechnungsregeln für die gerichtliche Praxis notwendig sind. Die aus § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB abgeleitete Regel der Gleichwertigkeit von Bar- und Betreuungsunterhalt gilt dabei für jedes Kindesalter bis hin zum Erreichen der Volljährigkeit2. Nach §§ 1601, 1610 BGB haftet zwar regelmäßig auch der andere Elternteil für den Unterhalt des Kindes, was nach § 1606 Abs. 3 BGB wegen der anteiligen Haftung bzw. der Übernahme der Betreuung des Kindes zu einer Entlastung des barunterhaltspflichtigen Elternteils führt. Ist der andere Elternteil aber – wie hier – verstorben, bleibt es grundsätzlich bei der alleinigen Haftung des überlebenden Elternteils für den Bar- und den Betreuungsunterhalt3.

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Zwar sind auch in Fällen einer Fremdunterbringung Ausnahmen von der Gleichwertigkeit des Barunterhalts und des Betreuungsunterhalts denkbar, etwa, wenn ein besonders hoher Betreuungsbedarf besteht oder wenn der Betreuungsbedarf im Einzelfall durch die Höhe der Betreuungskosten konkret feststeht. Dafür trägt aber derjenige Elternteil die Darlegungs- und Beweislast, der sich auf einen solchen Ausnahmefall beruft4. An dieser Rechtsprechung hält der Bundesgerichtshof fest5.

Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts Düsseldorf6 würde das unterhaltsberechtigte und fremduntergebrachte Kind bei guten bis sehr guten Einkommensverhältnissen auch nicht bessergestellt sein, als wenn beide Elternteile unterhaltspflichtig wären. Vielmehr müssten in diesem Falle beide Elternteile ebenfalls anteilig haften7, und zwar für den Barund den Betreuungsunterhalt.

Soweit eingewendet wird, der Betreuungsunterhalt sei im Falle des Versterbens eines Elternteils, jedenfalls soweit es über den Bezug von Halbwaisenrente und Kindergeld hinausgehe, nicht zu monetarisieren, kann dem nicht gefolgt werden. Diese Auffassung, mit dem Tod des betreuenden Elternteils müsse der Anspruch auf Betreuung notwendig erlöschen, ist rechtsfehlerhaft. Zwar ordnet § 1615 Abs. 1 BGB an, dass der Unterhaltsanspruch mit dem Tode des Verpflichteten erlischt. Das bedeutet aber nur, dass die Unterhaltsverpflichtung nicht auf dessen Erben übergeht. Es ändert nichts daran, dass der andere Elternteil gemäß §§ 1601 ff. BGB seinem minderjährigen Kind nunmehr allein zum Betreuungs- und Barunterhalt verpflichtet ist. Zudem stellt die Betreuung durch den Onkel – wie die Betreuung durch die Großeltern – eine freiwillige Leistung Dritter dar und befreit den Elternteil grundsätzlich nicht von seiner Unterhaltsverpflichtung8. Es handelt sich auch nicht um eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber getrenntlebenden Elternteilen. Denn dass der überlebende Elternteil seinem minderjährigen Kind gegenüber zu dessen Wohl allein unterhaltspflichtig geworden ist, ist Ausfluss seiner in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG statuierten Elternverantwortung.

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Diesen Maßstäben wird die Entscheidung des in der Vorinstanz tätigen Oberlandesgerichts Düsseldorf6 nicht gerecht. Insbesondere überzeugt den Bundesgerichtshof nicht, dass es in der dritten Altersstufe und der obersten Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle an der Gleichwertigkeit von Betreuungsleistung und Barleistung fehle. Zwar mag die Frage, ob der Wert der Betreuung mit dem Alter des Kindes und dem Einkommen des Elternteils steigt, im Einzelfall nicht unberechtigt sein9. Maßgeblich ist indessen, dass gerade im Unterhaltsrecht eine Pauschalierung aus Gründen der Praktikabilität dringend erforderlich ist. Deshalb hat der Bundesgerichtshof unter Hinweis auf § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB für den Regelfall bereits entschieden, dass die Gleichwertigkeit von Bar- und Betreuungsunterhalt für jedes Kindesalter bis hin zum Erreichen der Volljährigkeit gilt10.

Soweit das Oberlandesgericht Düsseldorf von einer Ausnahme der Gleichwertigkeit von Bar- und Betreuungsunterhalt ausgegangen ist, wird seine Entscheidung den hierzu vom Bundesgerichtshof aufgestellten Maßstäben nicht gerecht. Es hat nicht hinreichend begründet, weshalb es bei der Bemessung des Betreuungsunterhalts einen Multiplikator von 0, 5 angesetzt hat. Würde man den Betreuungsunterhalt lediglich mit dem hälftigen Barunterhalt ansetzen, so läge dieser auch bei der obersten Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle, die mit 160 % des Mindestunterhalts veranschlagt ist, bei nur 80 % und damit unter dem Mindestunterhalt. Allein der pauschale – vom Oberlandesgericht allerdings nicht aufgegriffene – Hinweis des Vaters darauf, dass beim betreuenden Onkel keine besonderen Kosten für die Betreuung angefallen seien und dass er neben der Betreuung Vollzeit arbeite, genügt zur Begründung nicht. Dass die Betreuung als solche regelmäßig keine konkreten Kosten nach sich zieht, liegt in der Natur der Sache. Ebenso wenig schließt die Vollbeschäftigung des Onkels dessen – zu monetarisierende – Belastung durch die Betreuung des Kindes aus. Dass der Betreuungsbedarf im vorliegenden Fall durch die Höhe der Betreuungskosten konkret feststünde und unterhalb des monetarisierten Betreuungsunterhalt läge, ist weder vom Oberlandesgericht festgestellt noch sonst dargetan.

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Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21. Oktober 2020 – XII ZB 201/19

  1. im Anschluss an BGH, Urteil vom 30.08.2006 – XII ZR 138/04 , FamRZ 2006, 1597[]
  2. BGH, Urteil vom 30.08.2006 – XII ZR 138/04 , FamRZ 2006, 1597, 1598 f. mwN[]
  3. BGH, Urteil vom 30.08.2006 – XII ZR 138/04 , FamRZ 2006, 1597, 1598[]
  4. BGH, Urteil vom 30.08.2006 – XII ZR 138/04 , FamRZ 2006, 1597, 1599 mwN[]
  5. vgl. bereits BGH, Urteil vom 28.11.2012 – XII ZR 19/10 FamRZ 2013, 278 Rn.19[]
  6. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.04.2019 – II-7 UF 151/18[][]
  7. Staudinger/Klinkhammer BGB [2018] § 1606 Rn.19[]
  8. Staudinger/Klinkhammer BGB [2018] § 1606 Rn. 39[]
  9. vgl. Staudinger/Klinkhammer BGB [2018] § 1606 Rn. 39[]
  10. BGH, Urteil vom 30.08.2006 – XII ZR 138/04 , FamRZ 2006, 1597, 1599[]