Gesetzliche Verweisungsketten – und der Grundsatz der Normenklarheit

Die Normenklarheit setzt der Verwendung gesetzlicher Verweisungsketten Grenzen, steht dieser aber nicht grundsätzlich entgegen.

Gesetzliche Verweisungsketten – und der Grundsatz der Normenklarheit

Bei der Normierung sicherheitsrechtlicher Datenverarbeitungen kann es zweckdienlich sein, auf Fachgesetze zu verweisen, in deren Kontext Auslegungsfragen – anders als bei heimlichen Maßnahmen – im Wechselspiel von Anwendungspraxis und gerichtlicher Kontrolle verbindlich geklärt werden können. Ob eine Verweisung mit dem Gebot der Normenklarheit vereinbar ist, hängt von einer wertenden Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung möglicher Regelungsalternativen ab.

Das Erfassen des Normgehaltes wird insbesondere durch Verweisungsketten erleichtert, die die in Bezug genommenen Vorschriften vollständig aufführen.

Grundrechtseingriffe bedürfen einer eigenen hinreichend bestimmten und normenklaren Rechtsgrundlage1. Der Grundsatz der Bestimmtheit und Normenklarheit dient dabei der Vorhersehbarkeit von Eingriffen für die Bürgerinnen und Bürger, einer wirksamen Begrenzung der Befugnisse gegenüber der Verwaltung sowie der Ermöglichung einer effektiven Kontrolle durch die Gerichte.

Bei der Bestimmtheit geht es vornehmlich darum, dass Regierung und Verwaltung im Gesetz steuernde und begrenzende Handlungsmaßstäbe vorfinden und dass die Gerichte eine wirksame Rechtskontrolle vornehmen können. Der Gesetzgeber ist gehalten, seine Regelungen so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhalts mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist2. Dabei reicht es aus, wenn sich im Wege der Auslegung der einschlägigen Bestimmung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln feststellen lässt, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen. Verbleibende Unsicherheiten dürfen nicht so weit gehen, dass die Vorhersehbarkeit und Justiziabilität des Handelns der durch die Norm ermächtigten staatlichen Stellen gefährdet sind3.

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Bei der Normenklarheit steht die inhaltliche Verständlichkeit der Regelung im Vordergrund, insbesondere damit Bürgerinnen und Bürger sich auf mögliche belastende Maßnahmen einstellen können4. Bei der heimlichen Datenerhebung und -verarbeitung, die tief in die Privatsphäre einwirken können, stellt sie besonders strenge Anforderungen. Da deren Handhabung von den Betroffenen weitgehend nicht wahrgenommen und angegriffen werden kann, kann ihr Gehalt nur sehr eingeschränkt im Wechselspiel von Anwendungspraxis und gerichtlicher Kontrolle konkretisiert werden. Im Einzelnen unterscheiden sich hierbei die Anforderungen allerdings maßgeblich nach dem Gewicht des Eingriffs und sind insoweit mit den jeweiligen materiellen Anforderungen der Verhältnismäßigkeit eng verbunden5.

Weil die Grundrechte hier ohne Wissen der Bürgerinnen und Bürger und oft ohne die Erreichbarkeit gerichtlicher Kontrolle durch die Verwaltung, durch Polizei und Nachrichtendienste eingeschränkt werden, muss der Inhalt der einzelnen Norm verständlich und ohne größere Schwierigkeiten durch Auslegung zu konkretisieren sein. So mag eine Regelung durch Auslegung bestimmbar oder der verfassungskonformen Auslegung zugänglich und damit im Verfassungssinne bestimmt sein, jedoch geht damit nicht zwingend auch ihre Normenklarheit für die Adressaten einher6.

Die Normenklarheit setzt insbesondere der Verwendung gesetzlicher Verweisungsketten Grenzen. An einer normenklaren Rechtsgrundlage fehlt es zwar nicht schon deshalb, weil in einer Norm auf eine andere Norm verwiesen wird. Doch müssen Verweisungen begrenzt bleiben, dürfen nicht durch die Inbezugnahme von Normen, die andersartige Spannungslagen bewältigen, ihre Klarheit verlieren und in der Praxis nicht zu übermäßigen Schwierigkeiten bei der Anwendung führen. Unübersichtliche Verweisungskaskaden sind mit den grundrechtlichen Anforderungen daher nicht vereinbar7. Die inhaltliche Verständlichkeit der Regelung darf nicht verloren gehen. Die Verständlichkeit kann etwa durch eine hohe Anzahl von Gliedern in einer Verweisungskette verloren gehen. Problematisch kann es auch sein, wenn sich die Verweisungskette über eine Vielzahl verschiedener Fachgesetze erstreckt, indem die in Bezug genommenen Normen ihrerseits wieder auf andere Normen verweisen. Dies gilt umso mehr, wenn die in Bezug genommenen Normen aus ihrem inhaltlichen Kontext herausgelöst und in einen anderen Kontext gestellt werden, so dass der Bezug zum Gegenstand der Ausgangsnorm zunehmend unschärfer wird. Der Klarheit abträglich sind ferner pauschale Verweisungen auf ganze Fachgesetze mit verschiedenen Regelungskomplexen. Ein Mangel an Normenklarheit ist auch damit verbunden, dass auf Rechtsgrundlagen verwiesen wird, deren maßgebender Inhalt nur mit Schwierigkeiten erfasst werden kann8. Verweist der Gesetzgeber auf andere Regelungen, hat er deshalb einzubeziehen, inwieweit sich diese selbst und für sich genommen bereits im Grenzbereich der Normenklarheit bewegen. Lange, über mehrere Ebenen gestaffelte, unterschiedlich variable Verweisungsketten, die bei gleichzeitiger Verzweigung in die Breite den Charakter von Kaskaden annehmen, sind daher problematisch9.

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Die Normenklarheit steht aber der Verwendung von Verweisungsketten nicht grundsätzlich entgegen. Verweisungen entlasten den Normtext und beugen unterschiedlichen Regelungen inhaltlich vergleichbarer Fragen vor. Verweisungsketten können auch als solche in komplexen Regelungszusammenhängen gegenüber der als Alternative in Betracht kommenden Umschreibung aller Eingriffsvoraussetzungen in einer Eingriffsnorm selbst durchaus vorzugswürdig sein. An Klarheit wird durch die Zusammenfassung in einer einzigen Norm nicht notwendig etwas gewonnen10. Das Gebot der Normenklarheit des Gesetzes darf deshalb nicht übersteigert werden, da die Gesetze sonst zu lang und wiederum unverständlich würden.

Diese Gefahr läge nahe, wenn der Gesetzgeber stets jede Übermittlungsvorschrift bis ins Letzte ausführen müsste, ohne auf Verweisungen zurückgreifen zu können. Es kann im Bereich heimlicher Überwachung zweckdienlich und der Normenklarheit zuträglich sein, auf Fachgesetze zu verweisen. So werden die dort geregelten Sachverhalte häufig nicht in selber Weise der Heimlichkeit unterworfen sein wie sicherheitsrechtliche Datenverarbeitungen. Unbestimmte Rechtsbegriffe oder Auslegungsfragen können daher im dortigen Kontext – mit entsprechender Wirkung auch für die hieran anknüpfende heimliche Datenübermittlung – im Wechselspiel von Anwendungspraxis und gerichtlicher Kontrolle konkretisiert werden11.

Auch die Verwendung mehrgliedriger Verweisungsketten ist nicht ausgeschlossen, wenn die Normadressaten aus diesen selbst heraus klar erfassen können, ob sie von einer heimlichen Datenübermittlung betroffen sein können. Das zu erfassen wird insbesondere durch Verweisungsketten erleichtert, die die in Bezug genommenen Vorschriften vollständig aufführen. Dabei gibt es keine starre Höchstgrenze der Glieder einer Verweisungskette. Vielmehr ist in einer wertenden Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung möglicher Regelungsalternativen zu entscheiden, ob eine Verweisung mit dem Gebot der Normenklarheit vereinbar ist. Zu gewichten sind die Besonderheiten des jeweiligen Übermittlungstatbestands einschließlich der Umstände, die zu der gesetzlichen Regelung führen12, wobei insbesondere auch der jeweilige Kreis der Normanwender und Normbetroffenen von Bedeutung sein kann13.

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Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 28. September 2022 – 1 BvR 2354/13

  1. vgl. BVerfGE 113, 348 <375 ff.> 154, 152 <237 f. Rn. 137, 266 Rn. 213> 156, 11 <44 ff. Rn. 85 ff.> BVerfG, Urteil vom 26.04.2022 – 1 BvR 1619/17, Rn.199, 272; stRspr[]
  2. vgl. BVerfGE 145, 20 <69 f. Rn. 125> m.w.N.[]
  3. vgl. BVerfGE 134, 141 <184 Rn. 126> 156, 11 <44 f. Rn. 85 ff.> m.w.N.[]
  4. vgl. BVerfGE 145, 20 <69 f. Rn. 125>[]
  5. BVerfGE 141, 220 <265 Rn. 94> 155, 119 <181 Rn. 133> BVerfG, Urteil vom 26.04.2022 – 1 BvR 1619/17, Rn. 273 jeweils m.w.N.; stRspr[]
  6. vgl. BVerfGE 156, 11 <45 f. Rn. 87 f.> m.w.N.[]
  7. BVerfGE 154, 152 <266 Rn. 215> mit Verweis auf BVerfGE 110, 33 <57 f., 61 ff.> BVerfG, Urteil vom 26.04.2022 – 1 BvR 1619/17, Rn. 391[]
  8. vgl. BVerfGE 110, 33 <63>[]
  9. vgl. BVerfGE 110, 33 <63 f.>[]
  10. vgl. insoweit BVerfGE 110, 33 <63>[]
  11. vgl. zu diesem Aspekt BVerfGE 156, 11 <45 Rn. 87>[]
  12. vgl. BVerfGE 28, 175 <183> 86, 288 <311> 126, 170 <196> 149, 293 <324 Rn. 78>[]
  13. vgl. BVerfGE 110, 33 <64> 123, 39 <81> 128, 282 <318> 149, 293 <324 Rn. 77>[]
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