Kindesmissbrauch durch den Vater – und der längerfristige Ausschluss des Umgangsrechts

Die drohenden Kindeswohlgefährdungen nach einem erfolgten Kindesmissbrauch können auch einen längerfristigen Ausschluss des Umgangsrechts des Vater rechtfertigen.

Kindesmissbrauch durch den Vater – und der längerfristige Ausschluss des Umgangsrechts

In dem hier vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Verfahren hatte der beschwerdeführende Vater Ende März 2019 sein ältestes, damals 9-jähriges Kind erheblich sexuell missbraucht. Das auf eine Selbstanzeige des Vaters eingeleitete strafrechtliche Ermittlungsverfahren stellte die Staatsanwaltschaft gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein, weil nach Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens eine Aufhebung der Einsichtsfähigkeit (vgl. § 20 StGB) des Vaters bei Begehung der Tat nicht ausgeschlossen werden konnte. Die Mutter verließ nach der Tat mit den Kindern den Vater. Seitdem hat er keinen Kontakt mehr zu diesen.

Im hier zugrundeliegenden Ausgangsverfahren hatte das Familiengericht den Umgang des Vaters mit seinen beiden älteren Kindern bis zum 31.07.2023 ausgeschlossen und für das jüngste Kind eine befristete Umgangspflegschaft sowie einen monatlich stattfindenden zweistündigen Umgang des Vaters in Anwesenheit der Umgangspflegerin angeordnet. Auf die Beschwerde des Vaters, der Mutter und der für die Kinder bestellten Verfahrensbeiständin hin änderte das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht die amtsgerichtliche Entscheidung unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen ab und schloss den Umgang des Vaters mit allen drei Kindern auf der Grundlage von § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB bis zum 31.12.2024 aus1. Ohne den Ausschluss wäre die geistig-seelische Entwicklung der Kinder konkret gefährdet. Für die beiden älteren Kinder ergebe sich dies vor allem daraus, dass sie seit längerer Zeit Umgangskontakte nachhaltig ablehnten. Der entsprechende Wille sei auch beachtlich. Insbesondere bei dem ältesten Kind sei angesichts dessen mit der Person des Vaters verbundener Traumafolgenstörung besonders wichtig, selbst über Kontakte entscheiden zu können, weil anderenfalls Ohnmachts- und Hilflosigkeitsgefühle drohten. Für das jüngste Kind würden allein von ihm wahrzunehmende Umgangskontakte bei vehementer Ablehnung solcher durch die älteren Geschwister eine sehr schwierige Situation herbeiführen. Es sei zu erwarten, dass er die von seinen Geschwistern kommunizierten Ängste vor Umgängen mit dem Vater übernehmen und dadurch ganz erheblich belastet würde. Da die beiden älteren Kinder zudem auch Umgänge des jüngsten Kindes mit dem Vater ablehnten und deren eventuelle Durchführung bei ihnen große Ängste und Sorgen verursache, wirkten sich solche Umgänge auch auf ihr Wohl erheblich nachteilig aus. 

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Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde des Vaters nahm das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung an:

Der angeordnete längerfristige Umgangsausschluss hält trotz des bereits seit Ende März 2019 fehlenden Kontakts des Vaters zu seinen Kindern den verfassungsrechtlichen Anforderungen2 auch unter Berücksichtigung der aus Art. 8 Abs. 1 EMRK folgenden Gewährleistungen3 noch stand. Der Vater ist nicht in seinem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt.

Ausgehend von den dem Verfassungsrecht entsprechenden Voraussetzungen von § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB4 hat das Oberlandesgericht den längerfristigen Umgangsausschluss auf eine bei Durchführung von Umgängen eintretende Gefährdung des Wohls aller drei Kinder gestützt. Die drohenden Kindeswohlgefährdungen hat es dabei zwischen den Kindern differenzierend nach Art, Schwere und Eintrittswahrscheinlichkeit noch hinreichend konkret benannt. Für die entsprechenden Feststellungen kann es sich vor allem mit dem bereits durch das Familiengericht eingeholten psychologischen Sachverständigengutachten, der mündlichen Erläuterung dieses Gutachtens vor dem Oberlandesgericht selbst sowie der Anhörung der Verfahrensbeiständin und des Jugendamtes auf eine hinreichend zuverlässige Grundlage für eine am Kindeswohl ausgerichtete Entscheidung stützen5.

Die Ausgestaltung des fachgerichtlichen Verfahrens durch das Oberlandesgericht lässt auch ansonsten keine Mängel erkennen, die an der Eignung und Angemessenheit zur wirkungsvollen Durchsetzung der materiellen Grundrechtspositionen6 zweifeln ließen und insoweit zu einer Verletzung des Elternrechts des Vaters aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG führen könnten. So dürfte bereits fachrechtlich nicht grundsätzlich zu beanstanden sein, dass das Oberlandesgericht unter Berufung auf § 159 Abs. 2 Nr. 1 FamFG von einer Anhörung der betroffenen Kinder im Beschwerdeverfahren abgesehen hat. Die Vorschrift gilt auch dort7. Seine Anwendung ist nach zum Fachrecht vertretener Auffassung nicht durch § 68 Abs. 5 FamFG ausgeschlossen, vielmehr ist es Aufgabe des Beschwerdegerichts, das Vorliegen der Voraussetzungen von § 159 Abs. 2 FamFG in der Beschwerdeinstanz zu beurteilen8. Ob das Oberlandesgericht fachrechtlich ohne Rechtsfehler von einer eigenen Anhörung der Kinder aus § 159 Abs. 2 Nr. 1 FamFG abgesehen hat, ist im Verfassungsbeschwerdeverfahren nicht zu entscheiden. Wegen der erstinstanzlich durchgeführten und dokumentierten Kindesanhörungen sowie der vom Oberlandesgericht selbst vorgenommenen Sachverhaltsaufklärung einschließlich der Anhörung der Sachverständigen stand dem Gericht eine zuverlässige Tatsachengrundlage für die nach § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB maßgebliche Beurteilung von Kindeswohlgefährdungen zur Verfügung. Damit ist den aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG folgenden Anforderungen an die Verfahrensgestaltung genügt9.

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Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 3. April 2023 – 1 BvR 2353/22

  1. OLG Schleswig, Beschluss vom 22.11.2022 – 8 UF 110/22[]
  2. zu diesen BVerfG, Beschlüsse vom 16.06.2021 – 1 BvR 709/21, Rn. 9 f.; und vom 25.05.2022 – 1 BvR 326/22, Rn. 13; Beschlüsse vom 27.12.2022 – 1 BvR 1943/22, Rn. 13 ff.; und vom 20.01.2023 – 1 BvR 2345/22, Rn. 10 jeweils m.w.N.[]
  3. vgl. dazu EGMR, H. v. Deutschland, Entscheidung vom 17.05.2011, Nr. 9732/10, §§ 27 ff.[]
  4. vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.05.2022 – 1 BvR 326/22, Rn. 13[]
  5. vgl. BVerfGE 55, 171 <182>[]
  6. vgl. BVerfGE 84, 34 <49>[]
  7. vgl. BGH, Beschluss vom 31.10.2018 – XII ZB 411/18, Rn. 15[]
  8. vgl. Witt, FamRZ 2021, S. 1510 <1512>[]
  9. vgl. BVerfG, Beschluss vom 07.02.2022 – 1 BvR 1655/21, Rn. 11; Beschluss vom 13.07.2022 – 1 BvR 580/22, Rn.19 jeweils m.w.N.[]