Posttraumatische Belastungsstörung – als Berufskrankheit bei Rettungssanitätern

Eine Posttraumatische Belastungsstörung bei Rettungssanitätern kann als „Wie-Berufskrankheit“ anerkannt werden, auch wenn die Posttraumatische Belastungsstörung nicht zu den in der Berufskrankheiten-Verordnung aufgezählten Berufskrankheiten gehört. 

Posttraumatische Belastungsstörung – als Berufskrankheit bei Rettungssanitätern

In dem hier vom Bundessozialgericht entschiedenen Fall erlebte der klagende Rettungssanitäter viele traumatisierende Ereignisse, unter anderem Amokläufe, Suizide und andere das Leben sehr belastende Momente. Im Jahr 2016 wurde bei ihm eine Posttraumatische Belastungsstörung festgestellt. Konkret habe die beschriebene Symptomatik nach zwei Amokläufen begonnen, als der Rettungssanitäter als Helfer eingesetzt worden sei, sowie nach Suiziden von zwei miteinander befreundeten Mädchen.

Die Unfallversicherung Bund und Bahn lehnte es ab, diese Erkrankung als Berufskrankheit anzuerkennen, weil die Posttraumatische Belastungsstörung nicht zu den in der Berufskrankheiten-Liste aufgezählten Berufskrankheiten gehört. Die Posttraumatische Belastungsstörung sei auch nicht als „Wie-Berufskrankheit“ anzuerkennen.

Die Klage vor dem Sozialgericht Stuttgart blieb erfolglos1, ebenso die Berufung vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg2. Das Landessozialgericht ging davon aus, dass Rettungssanitäter während ihrer Arbeitszeit einem erhöhten Risiko der Konfrontation mit traumatisierenden Ereignissen ausgesetzt seien. Ausreichend gesicherte neue medizinische Erkenntnisse über ein deutlich erhöhtes Risiko bei Rettungssanitätern, eine beruflich verursachte Posttraumatische Belastungsstörung zu entwickeln, lägen aber nicht vor. Ebenso wenig seien entsprechende Erkenntnisse vorhanden, dass (allein) die wiederholte Konfrontation mit traumatischen Ereignissen bei dritten Personen generell geeignet sei, eine Posttraumatische Belastungsstörung zu verursachen.

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Anders als die Vorinstanzen hat das Bundessozialgericht nunmehr entschieden, dass eine Posttraumatische Belastungsstörung bei Rettungssanitätern als „Wie-Berufskrankheit“ anerkannt werden kann. Rettungssanitäter sind während ihrer Arbeitszeit einem erhöhten Risiko der Konfrontation mit traumatisierenden Ereignissen ausgesetzt. Diese Einwirkungen sind abstrakt-generell nach dem Stand der Wissenschaft Ursache einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Dieser Ursachenzusammenhang ergibt sich aus den international anerkannten Diagnosesystemen, insbesondere dem Statistischen Manual Psychischer Störungen der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung (DSM), sowie den Leitlinien der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften.

Die Posttraumatische Belastungsstörung ist eine Erkrankung, die wegen der besonderen Einwirkungen, denen Rettungssanitäter gegenüber der übrigen Bevölkerung ausgesetzt sind, als Wie-Berufskrankheit bei dieser Personengruppe anzuerkennen ist. Rettungssanitäter sind einem erhöhten Risiko der Konfrontation mit traumatisierenden Ereignissen (unter anderem erfolglose Rettungsmaßnahmen, Bergung von Schwerverletzten oder Unfalltoten, Auffinden von Suizidenten und insbesondere das Auffinden und Bergen von Kindern) ausgesetzt. Diese Einwirkungen sind abstrakt-generell nach dem Stand der Wissenschaft Ursache einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Der generelle Ursachenzusammenhang ergibt sich jedenfalls für die Posttraumatische Belastungsstörung bereits aus den international anerkannten Diagnosesystemen ICD (Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten der Weltgesundheitsorganisation) und DSM (Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung) sowie den Leitlinien der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften. Der Senat hat bereits entschieden, dass insbesondere das DSM V (5. Auflage) den repräsentativen aktuellen Erkenntnisstand im Bereich der Psychiatrie darstellt3. Die Erkenntnisse zum generellen Ursachenzusammenhang sind auch „neu“ im Rechtssinne. Bis jetzt ist nicht einmal eine Vorprüfung durch die zuständigen Gremien erfolgt, so dass sich der Verordnungsgeber zu keinem Zeitpunkt mit dem aus den Diagnosesystemen ableitbaren Ursachenzusammenhang auseinandergesetzt beziehungsweise eine Anerkennung oder Ablehnung der Posttraumatischen Belastungsstörung als (Listen-)Berufskrankheit bei Rettungssanitätern geprüft hat.

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Ob beim Rettungssanitäter tatsächlich eine Posttraumatische Belastungsstörung vorliegt, die auf seine Tätigkeit als Rettungssanitäter zurückzuführen ist, bedarf indes noch weiterer Feststellungen, sodass die Sache vom Bundessozialgericht an das Landessozialgericht Baden-Württemberg zurückverwiesen wurde.

Bundessozialgericht, Urteil vom 22. Juni 2023 – B 2 U 11/20 R

  1. SG Stuttgart, Urteil vom 08.11.2018 – S 1 U 1682/17[]
  2. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13.12.2019 – L 8 U 4271/18[]
  3. BSG, Urteil vom 28.6.2022 – B 2 U 9/20 R, Rdnr. 24f[]