Beendigung bilateraler Investitionsschutzverträge zwischen den EU-Mitgliedstaaten

Vor dem Bundesverfassungsgericht blieb jetzt ein Eilantrag gegen die Inkraftsetzung des Übereinkommens zur Beendigung bilateraler Investitionsschutzverträge zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union ohne Erfolg.

Beendigung bilateraler Investitionsschutzverträge zwischen den EU-Mitgliedstaaten

Die Antragstellerin begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der dem Bundespräsidenten und der Bundesregierung unter anderem aufgegeben werden soll, das „Übereinkommen zur Beendigung bilateraler Investitionsschutzverträge zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union“ (nachfolgend: Übereinkommen) bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsbeschwerde im Verfahren 2 BvR 557/19 nicht zu ratifizieren oder in sonstiger Weise in Kraft zu setzen.

Die Antragstellerin gründete in der Slowakischen Republik nach dem Beitritt zur Europäischen Union eine Tochtergesellschaft, über die sie private Krankenversicherungen anbot. Mit Gesetz vom 25.10.2007 verbot die Slowakische Republik die Ausschüttung von Gewinnen aus dem Krankenversicherungsgeschäft. Das Verfassungsgericht der Slowakischen Republik erklärte das Verbot am 26.01.2011 für verfassungswidrig; ab dem 1.08.2011 wurden Gewinnausschüttungen wieder zugelassen.

Im Oktober 2008 leitete die Antragstellerin, eine niederländische Gesellschaft, auf der Grundlage von Art. 8 des Abkommens über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Investitionen zwischen der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik und dem Königreich der Niederlande ein Schiedsverfahren ein, mit dem sie von der Slowakischen Republik Ersatz ihrer Schäden infolge der gesetzlichen Regulierungsmaßnahmen begehrte. Das hierauf konstituierte Schiedsgericht legte Frankfurt am Main als Ort des schiedsgerichtlichen Verfahrens fest.

Mit Schiedsspruch vom 07.12 2012 wurde die Slowakische Republik zur Zahlung von rund 22, 1 Millionen Euro nebst Zinsen an die Antragstellerin wegen Verletzung verschiedener Bestimmungen des genannten Investitionsschutzvertrages durch die oben genannten gesetzlichen Restriktionen verurteilt. Die von der Slowakischen Republik beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main beantragte Aufhebung des Schiedsspruchs wies dieses mit Beschluss vom 18.12 2014 zurück. Hiergegen erhob die Slowakische Republik Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof.

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Auf verschiedene vom Bundesgerichtshof im Vorabentscheidungsverfahren (Art. 267 AEUV) vorgelegte Fragen entschied der Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteil vom 06.03.20181, dass Bestimmungen wie Art. 8 des gegenständlichen Investitionsschutzvertrages nicht mit Art. 267, 344 AEUV vereinbar seien. Hierauf hob der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 31.10.2018 den Beschluss des Oberlandesgerichts vom 18.12 2014 sowie den Schiedsspruch vom 07.12 2012 auf2. Eine Anhörungsrüge blieb erfolglos. Die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs sind Gegenstand der von der Antragstellerin erhobenen Verfassungsbeschwerde im Verfahren 2 BvR 557/19.

Am 9.11.2018 nahmen die Mitgliedstaaten der Europäischen Union in der von der Europäischen Kommission eingerichteten „Group for the Termination of Intra-EU-Bilateral Investment Treaties“ Verhandlungen über ein entsprechendes Übereinkommen auf, die am 24.10.2019 abgeschlossen wurden. Das Übereinkommen bündelt die verschiedenen bilateralen Aufhebungsvereinbarungen in Form eines ratifizierungsbedürftigen völkerrechtlichen Vertrages. Die Kommission hat als Termin für die Unterzeichnung des Übereinkommens, dem sich vermutlich 25 Mitgliedstaaten anschließen werden, den 5.05.2020 vorgeschlagen.

Die Vorschriften des Übereinkommens lauten – soweit vorliegend von Bedeutung – wie folgt:

Artikel 4 („Gemeinsame Bestimmungen“)

(2) Die Beendigung der im Anhang A genannten bilateralen Investitionsschutzverträge gemäß Artikel 2 und die Beendigung von Nachwirkungsklauseln in den in Anhang B genannten bilateralen Investitionsschutzverträgen gemäß Artikel 3 werden bei jedem dieser Verträge wirksam, sobald das vorliegende Übereinkommen gemäß Artikel 16 für die betreffenden Vertragsparteien in Kraft tritt.

Artikel 16 („Inkrafttreten“)

(1) Dieses Übereinkommen tritt 30 Kalendertage nach dem Tag in Kraft, an dem der Verwahrer die zweite Ratifikations, Genehmigungs- oder Annahmeurkunde erhält.

(2) Dieses Übereinkommen tritt für jede Vertragspartei, die es nach seinem Inkrafttreten gemäß Absatz 1 ratifiziert, annimmt oder genehmigt, 30 Kalendertage nach dem Tag in Kraft, an dem diese Vertragspartei ihre Ratifikations, Genehmigungs- oder Annahmeurkunde hinterlegt hat.

Im Anhang A findet sich eine „Liste der durch dieses Übereinkommen beendeten bilateralen Investitionsschutzverträge“. Dort wird auch das Abkommen über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Investitionen zwischen der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik und dem Königreich der Niederlande aufgeführt.

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Den Erlass einer – isolierten – einstweiligen Anordnung lehnte das Bundesverfassungsgericht ab; teilweise (Antrag zu 1) liege der Fall eines – ausnahmsweise zulässigen – vorbeugenden Rechtsschutzes nicht vor, teilweise (Antrag zu 2) habe sich das Verfahren aufgrund der Übersendung der deutschen Sprachfassung erledigt und teilweise (Antrag zu 3) sei der Antrag auf eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet:

Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall auch bereits vor Anhängigkeit eines Verfahrens in der Hauptsache3 einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei müssen die Gründe, welche für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme sprechen, außer Betracht bleiben, es sei denn, die Hauptsache erweist sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet4. Maßgebend für die Beurteilung ist der Verfahrensstand zum Zeitpunkt der Entscheidung5. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, hat das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich im Rahmen einer Folgenabwägung die Nachteile abzuwägen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre6. Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG gegeben sind, ist wegen der weittragenden Folgen einer einstweiligen Anordnung grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen7.

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Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde setzt voraus, dass die gerügte Maßnahme oder Unterlassung objektiv vorliegt. Dies gilt grundsätzlich auch im Verfahren der einstweiligen Anordnung, da es ansonsten an einem Streitfall nach § 32 Abs. 1 BVerfGG fehlte8. Für vorbeugenden Rechtsschutz ist im Verfahren des § 32 BVerfGG demgemäß grundsätzlich kein Raum.

Etwas anderes kann dann gelten, wenn dem Antragsteller ohne eine vorläufige vorbeugende Regelung effektiver Rechtsschutz nicht mehr gewährt werden könnte, weil ansonsten nicht mehr korrigierbare Folgen einträten9.

Ein solcher Fall liegt insbesondere dann vor, wenn das Zustimmungsgesetz zu einem völkerrechtlichen Vertrag (Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG) zur Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht gestellt wird, weil hier mit der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde der Eintritt einer völkerrechtlichen Bindung droht10. Zur Wahrung der Effektivität des Rechtsschutzes und um zu verhindern, dass eine mögliche Rechtsverletzung nicht mehr rückgängig gemacht werden könnte, muss die verfassungsrechtliche Kontrolle daher auf den Zeitraum nach Abschluss der parlamentarischen Beratungen und vor Ausfertigung und Verkündung des Vertragsgesetzes durch den Bundespräsidenten vorverlagert werden11. Das Gesetzgebungsverfahren muss allerdings bis auf die Ausfertigung des Vertragsgesetzes und dessen Verkündung durch den Bundespräsidenten abgeschlossen sein12.

Ein derartiger Fall liegt hier nicht vor. Ein deutsches Ratifizierungsgesetz existiert bislang nicht einmal im Entwurf; das entsprechende Gesetzgebungsverfahren wurde bisher noch nicht eingeleitet. Dass die Europäische Kommission als Termin zur Unterzeichnung des Übereinkommens den 5.05.2020 vorgeschlagen hat, ändert hieran nichts.

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Ob eine Beteiligung Deutschlands, die mit dem Antrag unterbunden werden soll, überhaupt Auswirkungen auf die Aufhebung des gegenständlichen Investitionsschutzvertrages hätte, kann vor diesem Hintergrund offen bleiben.

Der Antrag zu 2) hat sich durch die Übermittlung der deutschen Sprachfassung des Übereinkommens erledigt.

Schließlich würde mit dem Erlass der einstweiligen Anordnung gemäß dem Antrag zu 3) die Hauptsache in unzulässiger Weise vorweggenommen.

Durch eine einstweilige Anordnung darf die Hauptsache nicht vorweggenommen werden13. Über die in der Hauptsache aufgeworfenen Fragen kann im Verfahren nach § 32 BVerfGG grundsätzlich nicht entschieden werden14; durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung soll lediglich ein Zustand vorläufig geregelt, nicht aber die Hauptsache präjudiziert werden15. Eine Vorwegnahme der Hauptsache steht der Zulässigkeit eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nur dann nicht entgegen, wenn eine Entscheidung in der Hauptsache möglicherweise zu spät käme und dem Antragsteller in anderer Weise ausreichender Rechtsschutz nicht mehr gewährt werden könnte16. Unzulässig ist ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung regelmäßig dann, wenn es dem Antragsteller nur um eine eilige Entscheidung über die im Hauptsacheverfahren angegriffene Maßnahme geht17. Eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache liegt vor, wenn der beantragte Inhalt der einstweiligen Anordnung und das Rechtsschutzziel in der Hauptsache, wenn nicht deckungsgleich, so doch zumindest vergleichbar sind, wenn also die stattgebende einstweilige Anordnung mit dem Zeitpunkt ihres Erlasses einen Zustand in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht zu verwirklichen erlaubt, der erst durch die zeitlich spätere Entscheidung in der Hauptsache hergestellt werden soll18.

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So liegen die Dinge hier. Der Antrag zu 3) ist auf dasselbe Rechtsschutzziel wie die Verfassungsbeschwerde im Verfahren 2 BvR 557/19 gerichtet. Hierbei genügt es, dass im Wege der einstweiligen Anordnung lediglich die vorläufige Suspendierung eines Teils des Beschlusstenors begehrt wird; hinsichtlich der „Wiederherstellung“ des Schiedsspruchs vom 07.12 2012 deckt sich das Rechtsschutzinteresse mit demjenigen im Hauptsacheverfahren und stellt sich somit als unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache dar.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 23. März 2020 – 2 BvQ 6/20

  1. EuGH, Urteil vom 06.03.2018 – C-284/16, EU:C:2018:158[]
  2. BGH, Beschluss vom 31.10.2018 – I ZB 2/15[]
  3. vgl. BVerfGE 3, 267, 277; 11, 339, 342; 16, 236, 238; 35, 193, 195; 71, 350, 352; 150, 163, 166 Rn. 9; stRspr[]
  4. vgl. BVerfGE 89, 344, 345; 92, 130, 133; 118, 111, 122; 143, 65, 87; 145, 348, 356 Rn. 28; 150, 163, 166 Rn. 9; BVerfG, Beschluss vom 12.03.2019 – 2 BvQ 91/18, Rn. 11; stRspr[]
  5. vgl. BVerfG, Beschluss vom 18.09.2018 – 1 BvQ 70/18, Rn. 3; Beschluss vom 13.11.2018 – 1 BvQ 82/18, Rn. 2[]
  6. vgl. BVerfGE 105, 365, 371; 106, 351, 355; 108, 238, 246; 125, 385, 393; 132, 195, 232 f. Rn. 87; BVerfG, Beschluss vom 17.09.2019 – 2 BvQ 59/19, Rn. 16; stRspr[]
  7. vgl. BVerfGE 55, 1, 3; 82, 310, 312; 94, 166, 216 f.; 106, 51, 58; BVerfG, Beschluss vom 08.06.2018 – 2 BvR 1094/18, Rn. 2; Beschluss vom 01.10.2018 – 2 BvR 1845/18, Rn. 18; stRspr[]
  8. vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.01.2004 – 1 BvQ 38/03, Rn. 2; Graßhof, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 32 Rn. 22, Juli 2002; Walter, in: ders./Grünewald, Beck´scher Online-Kommentar BVerfGG, § 32 Rn.20, 1.01.2020[]
  9. vgl. BVerfGE 131, 47, 52 f.; 134, 366, 391 Rn. 34; BVerfG, Beschluss vom 11.03.1999 – 2 BvQ 4/99, Rn. 11; Beschluss vom 12.10.2017 – 2 BvQ 66/17, Rn. 3; Beschluss vom 30.10.2018 – 2 BvQ 90/18, Rn. 11[]
  10. vgl. BVerfGE 132, 195, 233 Rn. 88; 143, 65, 88 Rn. 36[]
  11. vgl. Lenz/Hansel, in: dies., BVerfGG, 2. Aufl.2015, § 32 Rn. 23; Schneider, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2015, § 32 Rn. 46; Walter, in: ders./Grünewald, Beck´scher Online-Kommentar BVerfGG, § 32 Rn. 21, 1.01.2020; vgl. auch BVerfGE 89, 155, 164 f.; 123, 267, 304; 132, 195, 197 Rn. 1; Graßhof, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 32 Rn. 22, Juli 2002[]
  12. vgl. BVerfGE 1, 396, 411 ff.; 24, 33, 53 f.; 112, 363, 367; 123, 267, 329; 132, 195, 234 f. Rn. 92; 134, 366, 391 f. Rn. 34; 142, 123, 177 Rn. 91[]
  13. vgl. BVerfGE 34, 160, 162; 46, 160, 163 f.; 67, 149, 151; 147, 39, 46 f. Rn. 11; stRspr[]
  14. vgl. BVerfGE 12, 276, 279; 15, 77, 78; BVerfG, Beschluss vom 30.10.2019 – 2 BvR 980/16, Rn. 5[]
  15. vgl. BVerfGE 8, 42, 46; 15, 219, 221; 147, 39, 47 Rn. 11[]
  16. vgl. BVerfGE 34, 160, 162 f.; 67, 149, 151; 108, 34, 40; 113, 113, 122; 130, 367, 369[]
  17. vgl. BVerfGE 147, 39, 47 Rn. 11[]
  18. vgl. BVerfGE 147, 39, 47 Rn. 12; BVerfG, Beschluss vom 30.10.2019 – 2 BvR 980/16, Rn. 6[]
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EU-Dienstleistungsrichtlinie verabschiedet

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