Der Gerichtshof der Europäischen Union hat das Rechtsmittel Frankreichs gegen ein Urteil des Gerichts der Europäischen Union zurückgewiesen, nach dem die People’s Mojahedin Organization of Iran (PMOI) von der europäischen Liste der terroristischen Organisationen zu streichen war. Das Gericht der Europäischen Union hat nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs zu Recht entschieden, dass der Rat die Verteidigungsrechte der PMOI dadurch verletzt hat, dass er dieser nicht vor Erlass seines Beschlusses die Gründe für ihre Aufnahme in die Liste mitgeteilt hat.

Im Dezember 2008 erklärte das Gericht der Europäischen Union einen Beschluss des Rates für nichtig, mit dem die People’s Mojahedin Organization of Iran in die europäische Liste der terroristischen Organisationen aufgenommen worden war, deren Gelder und sonstigen finanziellen Vermögenswerte eingefroren werden sollten [1]. Es war das dritte Mal, dass das Gericht einen Beschluss dieser Art für nichtig erklärte.
Die vorangegangenen vom Gericht für nichtig erklärten [2] Beschlüsse des Rates waren auf eine Entscheidung über das Verbot der PMOI im Vereinigten Königreich gestützt. Eine solche von einer zuständigen Behörde auf nationaler Ebene erlassene Entscheidung ist Voraussetzung für die Eintragung einer Organisation in die europäische Liste. Die PMOI war jedoch am 24. Juni 2008 aufgrund einer Entscheidung einer britischen Justizbehörde vom November 2007, mit der ihre Eintragung als „abwegig“ und „vernunftwidrig“ qualifiziert worden war, von der Liste der im Vereinigten Königreich verbotenen Organisationen gestrichen worden.
Trotzdem führte der Rat, als er am 15. Juli 2008 einen neuen Beschluss [3] erließ, mit dem er die europäische Liste auf den neuesten Stand brachte, den Namen der Volksmajahedin auch in dieser Liste auf. Die Nennung dieser Organisation in dieser Liste beruhte auf Informationen der französischen Regierung über zwei Vorgänge: die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens durch die Antiterror-Abteilung der Staatsanwaltschaft beim Tribunal de grande instance de Paris im Jahr 2001 und zwei ergänzende Anschuldigungen gegen mutmaßliche Mitglieder der PMOI im Jahr 2007. Diese Informationen wurden der PMOI vom Rat am Tag des Erlasses des Beschlusses übermittelt.
Im Rahmen der Nichtigerklärung dieses Beschlusses vertrat das Gericht der Europäischen Union die Ansicht, der Rat habe die Verteidigungsrechte der PMOI dadurch verletzt, dass er ihr diese neuen Informationen nicht vor Erlass seines Beschlusses mitgeteilt habe.
Auch wenn diese Begründung für die Nichtigerklärung des Beschlusses ausreichte, prüfte das Europäische Gericht der Vollständigkeit halber gleichwohl auch das übrige Vorbringen der PMOI. Es befand insbesondere, dass die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und die beiden ergänzenden Anschuldigungen keinen Beschluss einer zuständigen Justizbehörde gegenüber der PMOI selbst darstellten und dass der Rat keine Gründe dafür angegeben habe, warum Handlungen, die einzelnen Personen – mutmaßlichen Mitgliedern der PMOI – zur Last gelegt würden, der Organisation selbst zuzurechnen seien. Zudem habe der Rat dadurch, dass er der PMOI nicht bestimmte in den Akten enthaltene Informationen mitgeteilt habe, deren Freigabe von den französischen Behörden abgelehnt worden sei, auch das Grundrecht der PMOI auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz verletzt.
Gegen dieses Urteil des Gerichts der Europäischen Union hat Frankreich beim Gerichtshof der Europäischen Union ein Rechtsmittel eingelegt. Beim Gerichtshof der Europäischen Union kann ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel gegen ein Urteil oder einen Beschluss des Gerichts der Europäischen eingelegt werden. Das Rechtsmittel hat grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Ist das Rechtsmittel zulässig und begründet, hebt der Europäische Gerichtshof die Entscheidung des Europäischen Gerichts auf. Ist die Rechtssache zur Entscheidung reif, kann der Europäische Gerichtshof den Rechtsstreit selbst entscheiden. Anderenfalls verweist er die Rechtssache an das Gericht zurück, das an die Rechtsmittelentscheidung des Gerichtshofs gebunden ist.
In seinem jetzt verkündeten Urteil weist der Gerichtshof der Europäischen Union das Rechtsmittel zurück und bestätigt das EuG-Urteil.
Der Gerichtshof der Europäischen Union macht zunächst darauf aufmerksam, dass der Rat im Fall eines Ausgangsbeschlusses über das Einfrieren von Geldern nicht verpflichtet ist, der betroffenen Person oder Organisation im Voraus die Gründe für ihre Aufnahme in die Liste mitzuteilen. Eine solche Maßnahme muss nämlich, um ihre Wirksamkeit nicht einzubüßen, schon aufgrund ihrer Natur überraschend kommen und sofort angewandt werden können. In diesem Fall genügt es grundsätzlich, dass das Organ gleichzeitig mit oder unmittelbar nach Erlass des Beschlusses der betroffenen Person oder Organisation die Gründe mitteilt und sie anhört. Hingegen ist der Überraschungseffekt bei einem Folgebeschluss, nach dem der Betroffene auf der Liste verbleibt, nicht mehr erforderlich, so dass grundsätzlich vor Erlass eines solchen Beschlusses die belastenden Umstände mitgeteilt werden müssen und der betroffenen Person oder Organisation Gelegenheit zur Anhörung gegeben werden muss.
Das Gericht der Europäischen Union hat diese Grundsätze im angefochtenen Urteil auf den vorliegenden Fall angewandt und ist hierbei zu der zutreffenden Schlussfolgerung gelangt, dass der Rat der PMOI, da ihr Name durch den Beschluss auf der Liste belassen wurde, die zu ihren Lasten berücksichtigten neuen Erkenntnisse nicht, wie er es hier getan hat, gleichzeitig mit dem Erlass des streitigen Beschlusses mitteilen konnte. Der Rat hätte vor Erlass dieses Beschlusses unbedingt die Verteidigungsrechte der PMOI wahren müssen, d. h. ihr die zu ihren Lasten berücksichtigten Erkenntnisse mitteilen und ihr rechtliches Gehör gewähren müssen. Der Europäische Gerichtshof hebt hervor, dass der durch diese Mitteilung gebotene Schutz von fundamentaler und entscheidender Bedeutung für die Verteidigungsrechte ist.
Das EuG hat auch keinen Rechtsfehler begangen, indem es festgestellt hat, dass der Rat nicht nachgewiesen habe, dass der Beschluss so dringend habe erlassen werden müssen, dass es ihm vor dessen Erlass nicht möglich gewesen sei, der PMOI die ihr gegenüber berücksichtigten neuen Erkenntnisse mitzuteilen und ihre Anhörung zuzulassen. Auch wenn der Rat, wie Frankreich ausgeführt hat, eine Situation, in der dem vorangegangenen Beschluss wegen der Streichung der PMOI von der britischen Liste die Grundlage entzogen war, nicht fortbestehen lassen durfte, wirkte sich diese Streichung, wie dieser Mitgliedstaat auch einräumt, doch nicht automatisch und unmittelbar auf diesen Beschluss aus, der wegen der Vermutung der Rechtmäßigkeit der Rechtsakte der Unionsorgane in Kraft blieb.
Schließlich weist der EuGH die gegen nichttragende Gründe des Urteils des EuG gerichteten Rügen zurück, da sie keinesfalls zur Aufhebung dieses Urteils führen können und daher ins Leere gehen.
Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C‑27/09 P [Frankreich /People’s Mojahedin Organization of Iran]
- EuG, Urteil vom 04.12.2008 – T‑284/08 [People’s Mojahedin Organization of Iran/Rat][↩]
- EuG, Urteile vom 12.12.2006 – T‑228/02 [Organisation des Modjahedines du peuple d’Iran/Rat]; und vom 23.10.2008 – T‑256/07 [People’s Mojahedin Organization of Iran/Rat][↩]
- Beschluss 2008/583/EG des Rates vom 15. Juli 2008 zur Durchführung von Artikel 2 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung des Beschlusses 2007/868/EG (ABl. L 188, S. 21).[↩]