Grünes Licht für den Europäischen Stabilitätsmechanismus

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat keine unionsrechtlichen Bedenken gegen den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Das europäische Unionsrecht steht damit dem Abschluss und der Ratifikation des Vertrags zur Einrichtung des ESM durch die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, nicht entgegen.

Grünes Licht für den Europäischen Stabilitätsmechanismus

ESM – Der Europäische Stabilitätsmechanismus[↑]

Der Europäische Rat erließ am 25. März 2011 den Beschluss 2011/199/EU1, der vorsieht, dass dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union eine neue Bestimmung – der neue Absatz 3 in Art. 136 AEUV – hinzugefügt wird, wonach die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, einen Stabilitätsmechanismus einrichten können, der aktiviert wird, wenn dies unabdingbar ist, um die Stabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt zu wahren. Die neue Bestimmung sieht ferner vor, dass die Gewährung aller erforderlichen Finanzhilfen im Rahmen des Mechanismus strengen Auflagen unterliegen wird. Diese Änderung des Vertrags soll zum 1. Januar 2013 in Kraft treten, sofern die Mitgliedstaaten ihr im Einklang mit ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften zugestimmt haben.

Die Staaten des Euro-Währungsgebiets – Belgien, Deutschland, Estland, Irland, Griechenland, Spanien, Frankreich, Italien, Zypern, Luxemburg, Malta, Niederlande, Österreich, Portugal, Slowenien, Slowakei und Finnland – schlossen sodann am 2. Februar 2012 den Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), der eine eigene Rechtspersönlichkeit besitzt. Der ESM soll Finanzmittel mobilisieren und seinen Mitgliedern, die schwerwiegende Finanzierungsprobleme haben oder denen solche Probleme drohen, unter strengen, dem gewählten Finanzhilfeinstrument angemessenen Auflagen eine Stabilitätshilfe bereitstellen. Diese Hilfe kann nur gewährt werden, wenn sie zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt und seiner Mitgliedstaaten unabdingbar ist. Zu diesem Zweck ist der ESM berechtigt, Mittel aufzunehmen, indem er Finanzinstrumente begibt oder mit seinen Mitgliedern, Finanzinstituten oder sonstigen Dritten finanzielle oder sonstige Vereinbarungen oder Übereinkünfte schließt. Das maximale Darlehensvolumen wurde zunächst auf 500 Milliarden Euro festgesetzt. Die strengen Auflagen, von denen jede Finanzhilfe abhängig zu machen ist, können von einem makroökonomischen Anpassungsprogramm bis zur kontinuierlichen Erfüllung zuvor festgelegter Anspruchsvoraussetzungen reichen.

Die Vorlage des irischen Supreme Court[↑]

Vor den irischen Gerichten machte Herr Pringle, ein irischer Parlamentarier, geltend, die Änderung des AEUV durch einen Beschluss des Rates – und damit im Wege des vereinfachten Änderungsverfahrens – sei rechtswidrig. Diese Änderung enthalte nämlich eine Änderung der Zuständigkeiten der Union und sei mit den Vorschriften der Verträge, auf denen die Europäische Union beruhe, also des Vertrages über die Europäische Union (EUV) und des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) – , über die Wirtschafts- und Währungsunion sowie mit den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts unvereinbar. Außerdem machte Herr Pringle geltend, Irland würde durch die Ratifikation, Genehmigung oder Annahme des ESM-Vertrags Verpflichtungen übernehmen, die mit den genannten Verträgen unvereinbar seien.

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Daraufhin hat der irische Supreme Court, der Oberste Gerichtshof Irlands, ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichtet, in dem er nach der Gültigkeit des Beschlusses 2011/199 des Europäischen Rates und nach der Vereinbarkeit des ESM mit dem Unionsrecht fragt.

Im Wege eines solchen Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Europäischen Union vorlegen. Der Gerichtshof der Europäischen Union entscheidet dabei nur über die vorgelegte Rechtsfrage, nicht aber über den nationalen Rechtsstreit. Es ist und bleibt Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.

Um die in diesen Fragen zum Ausdruck kommende Unsicherheit so schnell wie möglich zu beenden, hat der Präsident des Gerichtshofs der Europäischen Union dem Antrag des Supreme Court stattgegeben, die vorliegende, am 3. August 2012 beim Europäischen Gerichtshof eingegangene Rechtssache dem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen2. Überdies hat der Gerichtshof aufgrund der außergewöhnlichen Bedeutung, die er dieser Rechtssache beimisst, entschieden, sie in dem aus allen 27 Richtern bestehenden Plenum zu prüfen.

Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs[↑]

In seinem heute verkündeten Urteil stellt nun der Gerichtshof der Europäischen Union fest, dass seine Prüfung nichts ergeben hat, was die Gültigkeit des Beschlusses 2011/199/EU berühren könnte.

Ferner stellt der Europäische Gerichtshof fest, dass die Bestimmungen des EUV und des AEUV sowie der allgemeine Grundsatz eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes dem Abschluss und der Ratifikation des ESM-Vertrags nicht entgegenstehen.

Überdies hängt das Recht eines Mitgliedstaats, diesen Vertrag abzuschließen und zu ratifizieren, nicht vom Inkrafttreten des Beschlusses 2011/199/EU ab.

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Der ESM-Beschluss 2011/199/EU[↑]

Mit dem Beschluss 2011/199/EU macht der Rat Gebrauch von der Möglichkeit, den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union in einem vereinfachten Verfahren – ohne Einberufung eines Konvents von Vertretern der nationalen Parlamente, der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten, des Europäischen Parlaments und der Kommission – zu ändern. Dieses Verfahren findet nur auf die internen Politikbereiche der Union (Dritter Teil des AEUV) Anwendung und darf nicht zu einer Ausdehnung der der Union im Rahmen der Verträge übertragenen Zuständigkeiten führen.

Der ESM als interner Politikbereich der Europäischen Union

Nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs betrifft die angefochtene Änderung – sowohl formal als auch inhaltlich – die internen Politikbereiche der Union, so dass die erste Voraussetzung erfüllt ist:

  • Die durch den Beschluss 2011/199/EU erfolgte Änderung des AEUV greift nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der Union (Erster Teil des AEUV) im Bereich der Währungspolitik für die Mitgliedstaaten ein, deren Währung der Euro ist.Während das vorrangige Ziel der Währungspolitik der Union die Gewährleistung der Preisstabilität ist, wird mit dem ESM ein davon klar abweichendes Ziel verfolgt, und zwar die Stabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt. Die bloße Tatsache, dass diese wirtschaftspolitische Maßnahme mittelbare Auswirkungen auf die Stabilität des Euro haben kann, erlaubt es nicht, sie einer währungspolitischen Maßnahme gleichzustellen. Überdies gehören die zur Erreichung des mit dem ESM verfolgten Ziels, dafür zu sorgen, dass ein Mitgliedstaat eine Finanzhilfe erhält, ins Auge gefassten Mittel offenkundig nicht zur Währungspolitik.Der ESM stellt vielmehr einen ergänzenden Teil des neuen Regelungsrahmens für die Verstärkung der wirtschaftspolitischen Steuerung der Union dar. Durch diesen Rahmen wird eine engere Koordinierung und Überwachung der Wirtschafts- und Haushaltspolitiken der Mitgliedstaaten geschaffen, und er dient zur Konsolidierung der makroökonomischen Stabilität und der Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen. Während er insofern präventiver Art ist, als er die Gefahr von Staatsverschuldungskrisen so weit wie möglich verringern soll, dient die Einrichtung des ESM zur Bewältigung von Finanzkrisen, die trotz getroffener präventiver Maßnahmen eintreten könnten. Der ESM gehört infolgedessen zum Bereich der Wirtschaftspolitik.
  • Desweiteren berührt die streitige Änderung auch nicht die Zuständigkeit der Union (Erster Teil des AEUV) im Bereich der Koordinierung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten.Da die Bestimmungen des EUV und des AEUV der Union nämlich keine spezielle Zuständigkeit für die Schaffung eines Stabilitätsmechanismus wie des im Beschluss 2011/199 ins Auge gefassten verleihen, sind die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, befugt, untereinander eine Übereinkunft über die Einrichtung eines Stabilitätsmechanismus zu treffen. Im Übrigen sollen die strengen Auflagen, von denen die streitige Änderung des AEUV die Gewährung einer Finanzhilfe durch den ESM abhängig macht, gewährleisten, dass beim Einsatz dieses Mechanismus das Unionsrecht, einschließlich der von der Union im Rahmen der Koordinierung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten getroffenen Maßnahmen, beachtet wird.
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Keine Ausdehnung der Zuständigkeiten der EU

Auch die zweite Voraussetzung für einen Rückgriff auf das vereinfachte Änderungsverfahren, die darin besteht, dass durch die Änderung des AEUV die der Union im Rahmen der Verträge übertragenen Zuständigkeiten nicht ausgedehnt werden, ist nach Ansicht des Gerichtshofs der Europäischen Union erfüllt.

Die streitige Änderung schafft nämlich keine Rechtsgrundlage, die es der Europäischen Union erlaubt, eine zuvor nicht mögliche Handlung vorzunehmen. Auch der Umstand, dass der ESM auf Unionsorgane, insbesondere die Kommission und die EZB, zurückgreift, ist jedenfalls nicht geeignet, die Gültigkeit des Beschlusses 2011/199/ESM zu berühren, der nur die Einrichtung eines Stabilitätsmechanismus durch die Mitgliedstaaten vorsieht und sich nicht zu einer etwaigen Rolle der Unionsorgane in diesem Rahmen äußert.

Der ESM-Vertrag[↑]

Der Gerichtshof der Europäischen Union prüft sodann, ob eine Reihe von Bestimmungen des EUV und des AEUV sowie der allgemeine Grundsatz eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes dem Abschluss einer Übereinkunft wie des ESM-Vertrags durch die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, entgegenstehen, und verneint dies.

Im Einzelnen handelt es sich hierbei

  • um Bestimmungen des AEUV
    • über die ausschließliche Zuständigkeit der Union im Bereich der Währungspolitik (Artt. 3 Abs. 1 Buchst. c AEUV und 127 AEUV) und
    • für den Abschluss internationaler Übereinkünfte (Art. 3 Abs. 2 AEUV),
    • über die Wirtschaftspolitik der Union (Artt. 2 Abs. 3 AEUV, 119 AEUV bis 123 AEUV, 125 AEUV und 126 AEUV) und schließlich
  • um die Bestimmungen des EUV, die
    • die Mitgliedstaaten zur loyalen Zusammenarbeit verpflichten (Art. 4 Abs. 3 EUV) und
    • vorsehen, dass jedes Organ nach Maßgabe der ihm in den Verträgen zugewiesenen Befugnisse handelt (Art. 13 EUV).

Zuständigkeit für die Währungspolitik im Euro-Raum

In Bezug auf die ausschließliche Zuständigkeit der Union im Bereich der Währungspolitik für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Artt. 3 Abs. 1 Buchst. c AEUV und 127 AEUV), wiederholt der Gerichtshof der Europäischen Union, dass diese Politik die Preisstabilität gewährleisten soll. Die Tätigkeiten des ESM gehören jedoch nicht zur Währungspolitik.

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Der Europäische Stabilitätsmechanismus soll nämlich nicht die Preisstabilität gewährleisten, sondern den Finanzierungsbedarf seiner Mitglieder decken. Zu diesem Zweck ist er weder zur Festsetzung der Leitzinssätze für das Euro-Währungsgebiet noch zur Ausgabe von Euro-Münzen oder Banknoten befugt; die von ihm gewährte Finanzhilfe muss in vollem Umfang aus eingezahltem Kapital oder durch die Begabe von Finanzinstrumenten finanziert werden. Und selbst wenn man unterstellt, dass die Tätigkeiten des ESM die Inflationsrate beeinflussen könnten, würde ein solcher Einfluss nur die mittelbare Folge der getroffenen wirtschaftspolitischen Maßnahmen darstellen.

Zuständigkeit für den Abschluss internationaler Verträge

Zur ausschließlichen Zuständigkeit der Europäischen Union für den Abschluss internationaler Übereinkünfte, wenn ihr Abschluss gemeinsame Regeln beeinträchtigen oder deren Tragweite verändern könnte (Art. 3 Abs. 2 AEUV), stellt der Gerichtshof der Europäischen Union fest, dass keines der in diesem Zusammenhang vorgebrachten Argumente ergeben hat, dass eine Übereinkunft wie der ESM-Vertrag solche Auswirkungen hätte.

Zuständigkeit für die Koordinierung der Wirtschaftspolitik

In Bezug auf die Zuständigkeit der Union für die Koordinierung der Wirtschaftspolitik (Artr. 2 Abs. 3 AEUV, 119 AEUV bis 121 AEUV und 126 AEUV) führt der Gerichtshof der Europäischen Union aus, dass die Mitgliedstaaten befugt sind, untereinander eine Übereinkunft über die Einrichtung eines Stabilitätsmechanismus wie den ESM-Vertrag zu schließen, sofern die von den vertragschließenden Mitgliedstaaten im Rahmen einer solchen Übereinkunft eingegangenen Verpflichtungen mit dem Europäischen Unionsrecht im Einklang stehen. Der ESM hat aber nicht die Koordinierung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten zum Gegenstand, sondern stellt einen Finanzierungsmechanismus dar.

Außerdem stellen die strengen Auflagen, von denen jede Hilfe abhängig zu machen ist und die die Form eines makroökonomischen Anpassungsprogramms haben können, kein Instrument zur Koordinierung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten dar, sondern sollen die Vereinbarkeit der Tätigkeiten des ESM insbesondere mit der „Nichtbeistandsklausel“ des AEUV (Art. 125 AEUV) und den von der Europäischen Union getroffenen Koordinierungsmaßnahmen gewährleisten.

Zuständigkeit des Rates bei übermäßigen Haushaltsdefiziten

Im Übrigen beeinträchtigt der ESM-Vertrag auch nicht die Zuständigkeit des Rates der Europäischen Union für die Abgabe von Empfehlungen auf der Grundlage von Art. 126 Abs. 7 und 8 AEUV gegenüber einem Mitgliedstaat, der ein übermäßiges Defizit aufweist.

Finanzieller Beistand der EU

Insbesondere steht die Befugnis des Rates, einem Mitgliedstaat, der aufgrund von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Ereignissen, die sich seiner Kontrolle entziehen, von Schwierigkeiten betroffen oder von gravierenden Schwierigkeiten ernstlich bedroht ist, einen finanziellen Beistand der Union zu gewähren (Art. 122 Abs. 2 AEUV), der Einrichtung eines Stabilitätsmechanismus wie des ESM durch die Mitgliedstaaten nicht entgegen, soweit bei seiner Funktionsweise das Unionsrecht und insbesondere die Maßnahmen der Union im Bereich der wirtschaftspolitischen Koordinierung der Mitgliedstaaten beachtet werden. Der ESM-Vertrag enthält aber Bestimmungen (Art. 13 Abs. 3 Unterabs. 2 und Abs. 4 des ESM-Vertrags), die gerade gewährleisten sollen, dass alle vom ESM gewährten Finanzhilfen mit solchen Koordinierungsmaßnahmen vereinbar sind.

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Verbot der Hilfe durch die EZB

Das Verbot für die Europäische Zentralbank (EZB) und die Zentralbanken der Mitgliedstaaten, Körperschaften und Einrichtungen der Union und der Mitgliedstaaten Überziehungs- oder andere Kreditfazilitäten zu gewähren oder unmittelbar von ihnen Schuldtitel zu erwerben (Art. 123 AEUV), wird durch den ESM nicht umgangen. Dieses Verbot richtet sich nämlich speziell an die EZB und die Zentralbanken der Mitgliedstaaten. Wenn ein oder mehrere Mitgliedstaaten einem anderen Mitgliedstaat unmittelbar oder über den ESM finanziellen Beistand leisten, fällt dies somit nicht unter das genannte Verbot.

Nichtbeistandsklausel

Mit der „Nichtbeistandsklausel“ des Art. 125 AEUV, nach der die Europäische Union oder ein Mitgliedstaat nicht für die Verbindlichkeiten eines anderen Mitgliedstaats eintritt und nicht für sie haftet, soll der Union und den Mitgliedstaaten nicht jede Form der finanziellen Unterstützung eines anderen Mitgliedstaats untersagt werden. Sie soll vielmehr sicherstellen, dass die Mitgliedstaaten auf eine solide Haushaltspolitik achten, indem sie gewährleistet, dass die Mitgliedstaaten bei ihrer Verschuldung der Marktlogik unterworfen bleiben. Sie verbietet es daher nicht, dass ein oder mehrere Mitgliedstaaten einem Mitgliedstaat, der für seine eigenen Verbindlichkeiten gegenüber seinen Gläubigern haftbar bleibt, eine Finanzhilfe gewähren, vorausgesetzt, die daran geknüpften Auflagen sind geeignet, ihn zu einer soliden Haushaltspolitik zu bewegen. Der ESM und die daran teilnehmenden Mitgliedstaaten haften aber nicht für die Verbindlichkeiten des Empfängermitgliedstaats einer Stabilitätshilfe und treten auch nicht im Sinne der „Nichtbeistandsklausel“ für sie ein.

Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit

Da der ESM die Bestimmungen des AEUV über die Wirtschafts- und Währungspolitik nicht berührt und Bestimmungen enthält, die gewährleisten, dass er sich bei der Erfüllung seiner Aufgaben an das Unionsrecht halten wird, verstößt er auch nicht gegen den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV), demzufolge die Mitgliedstaaten alle Maßnahmen unterlassen, die die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden könnten.

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Funktionsübertragungen auf EU-Kommission, EZB und EuGH

Überdies stellt der Gerichtshof der Europäischen Union fest, dass die Übertragung neuer Funktionen auf die Kommission, die EZB und den Gerichtshof durch den ESM-Vertrag mit ihren in den Verträgen festgelegten Befugnissen (etwa in Art. 13 EUV) vereinbar ist.

Der Europäische Gerichtshof hebt insbesondere hervor, dass die der Kommission und der EZB im Rahmen des ESM-Vertrags übertragenen Funktionen keine Entscheidungsbefugnis im eigentlichen Sinne umfassen und dass die Tätigkeiten dieser beiden Organe im Rahmen des ESM-Vertrags nur den ESM verpflichten.

Der Gerichtshof der Europäischen Union selbst ist für jede mit dem Gegenstand der Verträge in Zusammenhang stehende Streitigkeit zwischen Mitgliedstaaten zuständig, wenn diese bei ihm aufgrund eines Schiedsvertrags anhängig gemacht wird (Art. 273 AEUV). Und nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs hindert die Mitgliedsstaaten nichts daran, eine solche Vereinbarung vorab in Bezug auf eine ganze Kategorie im Voraus festgelegter Streitigkeiten zu treffen.

Grundsatz eines effektiven Rechtsschutzes

Der Gerichtshof stellt zudem fest, dass auch der allgemeine Grundsatz eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes dem ESM nicht entgegensteht. Wenn die Mitgliedstaaten einen Stabilitätsmechanismus wie den ESM einrichten, für dessen Einrichtung der EUV und der AEUV der Union keine spezielle Zuständigkeit einräumen, führen sie nämlich nicht das Recht der Union durch, so dass die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, die in ihgrem Art. 47 für jede Person einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gewährleistet, nicht zur Anwendung kommt.

Abschluss und Ratifikation des ESM-Vertrags vor dem Inkrafttreten des Beschlusses 2011/199/EU[↑]

Die Änderung des AEUV durch den Beschluss 2011/199/EU bestätigt nur die Existenz einer Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Da dieser Beschluss den Mitgliedstaaten somit keine neue Zuständigkeit verleiht, hängt, wie der Gerichtshof der Europäischen Union ausdrücklich bestätigt, das Recht eines Mitgliedstaats, den ESM-Vertrag abzuschließen und zu ratifizieren, nicht vom Inkrafttreten des Beschlusses ab.

Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 27. November 2011 – C-370 [Thomas Pringle / Ireland]

  1. Beschluss 2011/199/EU des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, ABl.EU L 91, S. 1[]
  2. EuGH, Beschluss des Präsidenten vom 04.10.2012 – C-370/12[]