Das Gericht der Europäischen Union hat die Mitteilung der EU-Kommission bestätigt, mit der das Ergreifen der in der Europäischen Bürgerinitiative „Minority SafePack – one million signatures for diversity in Europe“ verlangten Maßnahmen abgelehnt wurde. Die von der Union bereits ergriffenen Maßnahmen, um die Bedeutung der Regional- und Minderheitensprachen hervorzuheben sowie die kulturelle und sprachliche Vielfalt zu fördern, reichen nach Ansicht des Unionsgerichts aus, um die Ziele dieser Initiative zu erreichen.

Der Kläger, das Citizens‘ Committee of the European Citizens‘ Initiative „Minority SafePack – one million signatures for diversity in Europe“, beantragte bei der Europäischen Kommission, die geplante Europäische Bürgerinitiative (EBI) „Minority SafePack – one million signatures for diversity in Europe“ gemäß der Verordnung (EU) Nr. 211/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 über die Bürgerinitiative (ABl. 2011, L 65, S. 1), mit Wirkung vom 1. Januar 2020 aufgehoben und ersetzt durch die Verordnung (EU) 2019/788 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 (ABl. 2019, L 130, S. 55) zu registrieren. Mit der geplanten EBI sollte die Europäische Union dazu aufgefordert werden, eine Reihe von Rechtsakten zu erlassen, um den Schutz von Personen, die nationalen und sprachlichen Minderheiten angehören, zu verbessern sowie die kulturelle und sprachliche Vielfalt in der Union zu stärken.
Nachdem die Kommission die geplante EBI registriert hatte1 und genügend Unterschriften zu ihrer Unterstützung gesammelt worden waren, legte der Kläger die fragliche EBI der Kommission vor. Auf die Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu dieser EBI2 hin nahm die Kommission am 14. Januar 2021 die Mitteilung an, mit der sie das Ergreifen der in der EBI verlangten Maßnahmen ablehnte3. Diese Maßnahmen waren Gegenstand von neun Vorschlägen, die sich u. a. auf Folgendes bezogen:
- eine Empfehlung des Rates zum Schutz und zur Förderung kultureller und sprachlicher Vielfalt in der Union (Vorschlag 1),
- einen Beschluss oder eine Verordnung des Parlaments und des Rates zur Schaffung eines durch die Union finanzierten Zentrums für Sprachenvielfalt im Bereich der Regional- und Minderheitensprachen, das den Auftrag hat, die Vielfalt auf allen Ebenen zu fördern (Vorschlag 3),
- eine Änderung des Unionsrechts mit dem Ziel, eine annähernde Gleichstellung von Staatenlosen und Unionsbürgern zu gewährleisten (Vorschlag 6), und
- eine Änderung der Richtlinie 2010/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. März 2010 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste (Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste4, um den freien Dienstleistungsverkehr und den Empfang audiovisueller Inhalte in Regionen, in denen Angehörige nationaler Minderheiten wohnen, zu gewährleisten (Vorschlag 8).
Mit seinem jetzt verkündeten Urteil weist das Unionsgericht die Klage auf Nichtigerklärung der Mitteilung der Kommission ab. Die vorliegende Rechtssache gibt dem Gericht die Gelegenheit, zum einen klarzustellen, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung – vorbehaltlich der Einhaltung der Anforderungen der Verordnung 2019/788 – die Kommission nicht dazu verpflichtet, mit den Organisatoren jeder EBI genau gleich viele Treffen abzuhalten, und zum anderen die Feststellungen heranzuziehen, die der Gerichtshof im Urteil Préfet du Gers und Institut national de la statistique et des études économiques5 in Bezug auf die ausschließlich Unionsbürgern vorbehaltenen Rechte getroffen hat.
Als Erstes stellt das Unionsgericht fest, dass die Kommission in Bezug auf die angefochtene Mitteilung die Begründungspflicht eingehalten hat. Unter Berücksichtigung der von den Unionsorganen in den von der fraglichen EBI erfassten Bereichen bereits ergriffenen Maßnahmen und angesichts der Tatsache, dass sie die Umsetzung dieser Maßnahmen überwacht, hat die Kommission befunden, dass derzeit keine weiteren gesetzgeberischen Maßnahmen erforderlich seien, um die mit dieser EBI angestrebten Ziele zu erreichen.
Als Zweites hebt das Unionsgericht hervor, dass die Zahl der Treffen, die die Kommission mit den Organisatoren einer EBI abhält, in Abhängigkeit u. a. von der Art oder der Komplexität der EBI durchaus variieren kann, ohne dass dies gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstieße. Die Kommission ist also nicht verpflichtet, mit den Organisatoren jeder EBI genau gleich viele Treffen abzuhalten.
Als Drittes stellt das Unionsgericht fest, dass die Kommission bei der Prüfung der Vorschläge 1, 3, 6 und 8 der fraglichen EBI keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen hat.
So hat die Kommission in Bezug auf den Vorschlag 1 in der angefochtenen Mitteilung zu Recht die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen des Europarats vom 5. November 19926 angeführt, um ihre Entscheidung zu begründen, keine Maßnahme im Sinne dieses Vorschlags zu ergreifen. Der Umstand, dass die Union nicht Vertragspartei dieser Charta ist, belegt keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler der Kommission, da der Kläger nicht bestreitet, dass die Union dieses Dokument regelmäßig als Rechtsinstrument anführt, das die Leitlinien für die Förderung und den Schutz von Regional- und Minderheitensprachen vorgibt. Außerdem ist die Tatsache, dass manche Mitgliedstaaten die Charta noch nicht unterzeichnet oder ratifiziert haben, für die Beurteilung der Maßnahmen der Union in diesem Bereich ohne Belang. Desgleichen kann von der Kommission nicht verlangt werden, dass sie bei der Prüfung einer EBI ausschließlich Handlungen der Union berücksichtigt, die sich auf sämtliche Mitgliedstaaten und alle von dieser EBI betroffenen Personen beziehen. Im Übrigen ist die Tatsache, dass ein bestimmter Rechtsakt bei isolierter Betrachtung nicht die vollständige Erreichung der mit einer EBI angestrebten Ziele ermöglicht, ohne Belang, wenn die von der Kommission in ihrer Mitteilung angeführten Rechtsakte und Maßnahmen in ihrer Gesamtheit geeignet sind, zur Verwirklichung dieser Ziele beizutragen.
Was den Vorschlag 3 anbelangt, befindet das Unionsgericht gleichermaßen, dass die Kommission zu Recht angenommen hat, dass die Aufgaben, Ziele und Tätigkeiten des Europäischen Fremdsprachenzentrums des Europarats (EFSZ) geeignet sind, zur Verwirklichung der mit diesem Vorschlag angestrebten Ziele beizutragen, die insbesondere darin bestehen, das Bewusstsein für die Bedeutung von Regional- und Minderheitensprachen zu stärken und die Vielfalt auf verschiedenen Ebenen zu fördern.
Insoweit ist die Kommission in der angefochtenen Mitteilung zu Recht davon ausgegangen, dass die Aufrechterhaltung und Entwicklung einer Zusammenarbeit mit einer anderen internationalen Organisation in Bereichen, die jenen entsprechen, die der Kläger dem Zentrum für Sprachenvielfalt zuweisen wollte, nämlich die Zusammenarbeit mit dem EFSZ, dem sich die meisten Mitgliedstaaten der Union angeschlossen haben und das eng mit dem Europarat verbunden ist, geeignet ist, zur Erreichung der mit dem Vorschlag 3 angestrebten Ziele beizutragen und die Verdoppelung von Aufwand und Ressourcen zu vermeiden.
In Bezug auf den Vorschlag 6, der darauf abzielt, die mit der Unionsbürgerschaft zusammenhängenden Rechte auf Staatenlose und ihre Familien auszuweiten, die schon immer in ihrem Herkunftsland gelebt haben, weist das Unionsgericht darauf hin, dass der Besitz der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats eine unabdingbare Voraussetzung dafür ist, dass eine Person den Unionsbürgerstatus erlangen und behalten und sämtliche damit verbundenen Rechte in Anspruch nehmen kann. Daher können gemäß dem vorgenannten Urteil Préfet du Gers und Institut national de la statistique et des études économiques die mit dem Unionsbürgerstatus verbundenen Rechte nicht auf Personen ausgeweitet werden, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen. Überdies ist die Kommission zu Recht davon ausgegangen, dass ihr Aktionsplan für Integration und sozialen Zusammenhalt7 geeignet ist, dem Bedürfnis der Staatenlosen nach besserer Integration in die Gesellschaft durch bessere Beschäftigungs- und Bildungsperspektiven sowie bessere soziale Chancen Rechnung zu tragen.
Zum Vorschlag 8 führt das Unionsgericht aus, dass die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste bereits den Empfang und die Weiterverbreitung audiovisueller Mediendienste in der gesamten Union erleichtert. Dies betrifft insbesondere audiovisuelle Inhalte aus Mitgliedstaaten, die an einen bestimmten Mitgliedstaat angrenzen, und zwar in Sprachen, die für Personen interessant sein können, die nationalen Minderheiten in letzterem Mitgliedstaat angehören. Zudem hat die Kommission zutreffend angenommen, dass die Überwachung der Anwendung dieser Richtlinie dazu beitragen kann, ein mit dem Vorschlag 8 verfolgtes Ziel zu erreichen, nämlich den Zugang zu audiovisuellen Inhalten unterschiedlicher Herkunft und in verschiedenen Sprachen zu verbessern. Folglich konnte die Kommission berechtigterweise den Schluss ziehen, dass keine Änderung der genannten Richtlinie erforderlich sei, um das mit dem Vorschlag 8 verfolgte Ziel zu erreichen.
Gericht der Europäischen Union, Urteil vom 9. November 2022 – T -158/21
- EU-Kommission, Beschluss (EU) 2017/652 vom 29. März 2017 über die geplante Bürgerinitiative „Minority SafePack – one million signatures for diversity in Europe“, ABl.EU 2017, L 92, S. 100[↩]
- Europäisches Parlament, Entschließung (2020)2846(RSP), P9_TA-PROV (2020)0370 vom 17. Dezember 2020[↩]
- EU-Kommission, Mitteilung C(2021) 171 final vom 14. Januar 2021[↩]
- ABl.EU 2010, L 95, S. 1[↩]
- EuGH, Urteil vom 9. Juni 2022 „Préfet du Gers und Institut national de la statistique et des études économiques“ – C-673/20[↩]
- Sammlung Europäischer Verträge – Nr. 148[↩]
- Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen mit dem Titel „Aktionsplan für Integration und Inklusion 2021-2027“ – COM[2020] 758 final[↩]
Bildnachweis:
- Gerichtshof der Europäischen Unoin: Marc Schneider