Die Anordnung einer Abstammungsbegutachtung im Rahmen eines vom (vermeintlichen) biologischen Vater angestrengten familiengerichtlichen Umgangsverfahrens verletzt die Mutter und das Kind in ihrem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG), die Mutter zusätzlich in ihrem Grundrecht auf Achtung der Privat- und Intimsphäre (Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG) sowie die Mutter und den (rechtlichen) Vater in ihrem Elternrecht (Art. 6 Abs 2 GG).

Dem mit einem solchen Beweisbeschluss verbundenen Eingriff in die Grundrechte der Eltern und des Kindes fehle eine ausreichende Legitimation. Die beabsichtigten Gesetzesänderungen belegten, dass derzeit noch keine ausreichende Rechtsgrundlage für den Grundrechtseingriff vorhanden sei. In der hier vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Verfassungsbeschwerde lebten die Mutter und der (rechtliche) Vater seit jeher in einer stabilen, gefestigten familiären Gemeinschaft, für deren Fortsetzung sie sich im Bewusstsein der Möglichkeit der leiblichen Vaterschaft des Antragstellers gerade auch mit Rücksicht auf die klare Rechtslage, die ihnen eine Bewahrung der Ungewissheit über die Abstammung des Kindes ermöglichte, entschieden hätten. Vor einer Klärung der Abstammung sei auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die Kindeswohldienlichkeit etwaiger Umgangskontakte des Antragstellers mit dem Kind zu prüfen. Mit dem Vorliegen eines Abstammungsgutachtens werde der Grundrechtseingriff unumkehrbar vollzogen.
Zur Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde
Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht nicht der in § 90 Abs. 2 BVerfGG zum Ausdruck kommende Grundsatz der Subsidiarität verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes entgegen.
Das Abwarten der Endentscheidung in der Hauptsache und das Beschreiten des Rechtswegs gegen diese Endentscheidung ist den Beschwerdeführern nicht zuzumuten, weil sie die Grundrechtsverletzung bereits darin sehen, dass die biologische Abstammung des Kindes überhaupt – und zwar als Vorfrage für die eigentliche Entscheidung über das Umgangs- und Auskunftsrecht des Antragstellers – geklärt werden soll. Diese Feststellung würde für die Beschwerdeführer einen bleibenden Nachteil bedeuten, der mit einer gegen die Endentscheidung gerichteten Verfassungsbeschwerde nicht mehr behoben werden könnte1.
Ebenso wenig waren die Beschwerdeführer vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde gehalten, eine Klärung im Rahmen des Zwischenstreits nach § 178 Abs. 2 Satz 1 FamFG beziehungsweise § 372a Abs. 2 ZPO in Verbindung mit §§ 386 ff. ZPO herbeizuführen. Hiernach kann ein von einer Abstammungsuntersuchung betroffener Beteiligter eine Entscheidung des erkennenden Gerichts über die Rechtmäßigkeit seiner Weigerung zur Duldung einer für die Abstammungsbegutachtung angeordneten Untersuchung herbeiführen. Da die Beschwerdeführer jedoch gerade rügen, dass die bestehenden Eingriffsbefugnisnormen in der vorliegenden Fallkonstellation nicht griffen, sind sie auch nicht auf ein Verfahren zu verweisen, das zum Schutz gegen auf diese Vorschriften gestützte Eingriffe vorgesehen ist. Denn die Frage nach einer – den Rechtsschutz nach § 178 Abs. 2 Satz 1 FamFG beziehungsweise § 372a Abs. 2 ZPO gegebenenfalls eröffnenden – grundsätzlichen Duldungspflicht ist gerade Gegenstand der Verfassungsbeschwerde.
Eingriff in geschützte Grundrechte der Eltern und des Kindes
Die Verfassungsbeschwerde ist auch begründet. Die angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts verletzt die Mutter und den Sohn in ihrem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG), die Mutter in ihrem Grundrecht auf Achtung der Privat- und Intimsphäre (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) sowie die Mutter und den (rechtlichen) Vater in ihrem Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 GG).
Die Mutter und der Sohn sind in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt.
Das von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG umfasste Recht auf informationelle Selbstbestimmung2 schützt auch die Entscheidung über die Preisgabe und Verwertung von Daten, die Informationen über genetische Merkmale einer Person enthalten, aus denen sich in Abgleich mit den Daten einer anderen Person Rückschlüsse auf die Abstammung ziehen lassen3. Einschränkungen dieses Rechts bedürfen einer gesetzlichen Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen ergeben und die den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt4.
Diesen Anforderungen wird die angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts nicht gerecht, denn der Beweisbeschluss beschränkt das Grundrecht der Mutter und des Sohn, ohne dass hierfür eine gesetzliche Grundlage besteht.
Eine Klärung der Abstammung greift in den Schutzbereich des Rechts der Mutter und des Kindes auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) ein. Ein solcher Eingriff liegt hier bereits in der bloßen Anordnung der Beweiserhebung. Der Beweisbeschluss ist darauf gerichtet, durch eine genetische Untersuchung die Abstammung des Kindes väterlicherseits zu ermitteln, ohne im Übrigen eine konkrete Untersuchungsmethode vorzugeben. Ob ein Beweisbeschluss dann nicht in Grundrechte eingreift, wenn der Betroffene die Durchführung der Beweisaufnahme noch durch Verweigerung einer Mitwirkung an der Untersuchung und Herbeiführung einer Entscheidung im Zwischenverfahren vermeiden kann5, kann hier offenbleiben. Denn die Möglichkeit der Durchführung des Zwischenverfahrens hängt davon ab, ob § 178 Abs. 2 FamFG, der zu den Vorschriften über das Verfahren in Abstammungssachen zählt, auch im vorliegenden Verfahren um Umgangs- und Auskunftsrechte anwendbar ist. Dies war im Zeitpunkt der hier angegriffenen Entscheidungen objektiv nicht der Fall.
Der Eingriff ist nicht gerechtfertigt, da eine ausreichende gesetzliche Grundlage für die angeordnete Abstammungsbegutachtung nicht bestand.
Auf die allgemeine Ermittlungsbefugnis des Familiengerichts aus §§ 26, 29, 30 FamFG konnte der Eingriff nicht gestützt werden. Hiernach ermittelt das Gericht in Familiensachen (§ 111 FamFG), die keine Ehe- oder Familienstreitsachen sind, von Amts wegen die entscheidungserheblichen Tatsachen und kann die dafür erforderlichen Beweise erheben (§§ 112, 113 Abs. 1 FamFG). Sofern Ermittlungsmaßnahmen und Beweiserhebungen jedoch in die geschützten Rechte anderer eingreifen, bedarf es einer speziellen Eingriffsbefugnis6, wie sie etwa für die Abstammungsbegutachtung derzeit in § 178 Abs. 1 FamFG und § 372a Abs. 1 ZPO enthalten ist und sich künftig nach dem Gesetz zur Stärkung der Rechte des leiblichen, nicht rechtlichen Vaters in § 167a FamFG finden soll7.
§ 178 Abs. 1 FamFG konnte – ohne Verstoß gegen das rechtsstaatliche Willkürverbot – für die vorliegende Konstellation ebenfalls nicht als Grundlage für den Eingriff herangezogen werden. Nach dieser Vorschrift hat jede Person die für die Feststellung der Abstammung erforderlichen Untersuchungen zu dulden, es sei denn diese sind unzumutbar.
Sofern man der Auffassung ist, dass § 178 FamFG als Teil der Vorschriften über das Verfahren in Abstammungssachen unmittelbar nur für die in § 169 FamFG aufgezählten Abstammungsverfahren gilt8, kann eine Abstammungsbegutachtung in einem Umgangsverfahren hierauf nicht gestützt werden. Eine analoge Anwendung der Vorschrift scheidet dann ebenfalls aus, denn dazu fehlt es bereits an einer planwidrigen Regelungslücke: Bislang hat der Gesetzgeber bewusst davon abgesehen, einem potenziellen leiblichen Vater ein Umgangs- und Auskunftsrecht einzuräumen, soweit er keine sozial-familiäre Beziehung zu dem Kind hat, und ihm hierfür die Möglichkeit einer Klärung der Abstammung zu eröffnen.
Folgt man der Ansicht, dass die Anwendbarkeit des § 178 Abs. 1 FamFG nicht auf die in § 169 FamFG aufgezählten Verfahren beschränkt ist, sondern immer gelte, wenn ein Abstammungsverhältnis – sei es auch als bloße Vorfrage – in einem familiengerichtlichen Verfahren beweisbedürftig ist9, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Auch dann darf diese grundrechtsbeschränkende Vorschrift nur angewandt werden, soweit die Klärung der Abstammung für die Prüfung der Voraussetzungen eines gesetzlich normierten Rechts erforderlich ist. Da nach der bei Erlass des Beweisbeschlusses geltenden Rechtslage dem leiblichen Vater eines Kindes, der nicht die rechtliche Stellung als Vater innehatte, kein Recht eingeräumt war, gegen den Willen der Sorgeberechtigten Umgang mit dem Kind zu pflegen oder Auskunft über es zu verlangen, sofern er nicht bereits eine sozial-familiäre Beziehung zu dem Kind entwickelt hatte (vgl. § 1685 Abs. 2 BGB), konnte die Klärung der Abstammung hier insoweit nicht erforderlich sein.
Nach der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verstößt es gegen Art. 8 EMRK, wenn einem leiblichen Vater, der nicht zugleich der rechtliche Vater ist, bei Fehlen einer sozial-familiären Beziehung zu dem Kind ein Recht auf Umgang mit ihm und Auskunft über seine persönlichen Verhältnisse prinzipiell versagt wird, ohne dass eine gerichtliche Prüfung vorgenommen werden könnte, ob der Umgang im konkreten Fall dem Kindeswohl dienen würde10. Im Rahmen einer solchen Prüfung sollen die Gerichte im Umgangsverfahren erforderlichenfalls auch die leibliche Vaterschaft klären, wenn sie davon ausgehen, dass der Umgang im konkreten Fall – die leibliche Vaterschaft des den Umgang begehrenden Mannes unterstellt – kindeswohldienlich wäre11.
Auf diese Rechtsprechung allein lässt sich der Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen jedoch nicht stützen. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, in Umsetzung dieser Rechtsprechung entsprechende materielle Rechtsgrundlagen und Verfahrensregeln zu schaffen, zumal es gerade bei mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen wie in der vorliegenden Konstellation nicht selten unterschiedliche Wege geben wird, eine festgestellte Konventionswidrigkeit zu beheben.
Mittlerweile ausdrücklich in Reaktion auf die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte beschlossene Änderungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs und des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und die Begründung des ihnen zugrunde liegenden Regierungsentwurfs12 belegen, dass auch der Gesetzgeber davon ausging, dass die bisher bestehenden Regelungen keine Grundlage dafür bieten, dem potentiellen leiblichen Vater die Klärung der Vaterschaft gegen den Willen des Kindes, der Mutter oder des rechtlichen Vaters zu ermöglichen.
Schließlich findet der Beweisbeschluss nicht in der absehbaren Gesetzesänderung eine die Grundrechtseingriffe tragende gesetzliche Grundlage.
Am 25.04.2013 hat der Bundestag das Gesetz zur Stärkung der Rechte des leiblichen, nicht rechtlichen Vaters beschlossen. Dieses sieht insbesondere vor, dass dem leiblichen Vater, der ein ernsthaftes Interesse an dem Kind gezeigt hat, für das die rechtliche Vaterschaft eines anderen Mannes besteht, ein Umgangsrecht gewährt wird, sofern dies dem Kindeswohl dient (§ 1686a Abs. 1 Nr. 1 BGB-E). Ferner hat der leibliche Vater bei berechtigtem Interesse einen Anspruch auf Auskunft über die persönlichen Verhältnisse des Kindes, wenn dies dem Kindeswohl nicht widerspricht (§ 1686a Abs. 1 Nr. 2 BGB-E). § 167a Abs. 2 FamFG-E erlegt den Beteiligten eine Duldungspflicht für zur Abstammungsfeststellung erforderliche Untersuchungen auf, wenn diese nicht unzumutbar sind; über § 167a Abs. 3 FamFG-E werden unter anderem die Vorschriften des Zwischenfeststellungsverfahrens nach §§ 386 ff. ZPO für entsprechend anwendbar erklärt. Nach Inkrafttreten des Gesetzes sind die Fachgerichte dazu berufen, in Fallkonstellationen wie der vorliegenden zu prüfen, ob die vom Gesetzgeber normierten Voraussetzungen für eine inzidente Abstammungsfeststellung vorliegen. Dass indessen eine nach Art. 82 GG noch nicht in Kraft getretene gesetzliche Bestimmung, sei sie – wie vom Oberlandesgericht zugrunde gelegt – noch im Stadium eines Referentenentwurfs oder bereits vom Gesetzgeber beschlossen, einen Grundrechtseingriff nicht tragen kann, versteht sich von selbst. Sofern das Amtsgericht die ursprüngliche Rechtslage für mit den Grundrechten möglicher leiblicher Väter im Lichte der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte für unvereinbar hielt, hätte es die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG einholen müssen.
Die Mutter ist zudem in ihrem Recht auf Achtung der Privat- und Intimsphäre verletzt. Das aus Art. 2 Abs.1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG folgende allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt den engeren persönlichen Lebensbereich und die Erhaltung seiner Grundbedingungen. Dazu gehören der familiäre Bereich und die persönlichen, auch geschlechtlichen Beziehungen zu einem Partner13. In dieses Recht, greift die gerichtlich veranlasste Klärung der Abstammung ein, indem sie zu erforschen sucht, mit welchem Mann die Mutter den Sohn gezeugt hat14. Zwar ist das Recht auf Achtung der Privat- und Intimsphäre nicht vorbehaltlos gewährleistet. Eingriffe bedürfen jedoch einer gesetzlichen Grundlage, an der es hier fehlt.
Schließlich sind die Mutter und der (rechtlichen) Vater in ihrem Elternrecht verletzt. Zu dem den Eltern durch Art. 6 Abs. 2 GG gewährleisteten Recht, Sorge für ihr Kind zu tragen, zählt auch die Entscheidung darüber, ob jemand genetische Daten des Kindes erheben und verwerten darf15. Auch in den Schutzbereich dieses Grundrechts greift der angegriffene Beweisbeschluss ein, ohne dass hierfür eine gesetzliche Grundlage bestand.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 23. Mai 2013 – 1 BvR 2059/12
- vgl. BVerfGE 58, 1, 23; 101, 106, 120[↩]
- vgl. BVerfGE 65, 1, 43[↩]
- vgl. BVerfGE 103, 21, 32; 117, 202, 232[↩]
- vgl. BVerfGE 65, 1, 43 f.; 120, 378, 401 ff.[↩]
- vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 17.01.2007 – XII ZB 154/06, FamRZ 2007, S. 549[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 18.09.1995 – 2 BvR 103/92, NStZ 1996, S. 45 f.[↩]
- vgl. BT-Drs. 17/12163 und 17/13269; BT-PlPr 17/237, S. 29840C bis 29848A[↩]
- vgl. Musielak/Borth, Familiengerichtliches Verfahren, 3. Aufl., § 178 FamFG, Rn. 2[↩]
- vgl. Bumiller/Haders, in: dies., FamFG – Freiwillige Gerichtsbarkeit, 10. Aufl., § 178 FamFG, Rn. 1[↩]
- vgl. EGMR, Urteil vom 21.12.2010 – A. gegen Deutschland, Az.20578/07[↩]
- EGMR, Urteil vom 15.09.2011, S. gegen Deutschland, Az. 17080/07[↩]
- vgl. BT-Drs. 17/12163, S. 10[↩]
- vgl. BVerfGE 96, 56, 61[↩]
- vgl. BVerfGE 117, 202, 233[↩]
- BVerfGE 117, 202, 229[↩]