Adoptierte Adelstitel in Österreich

Ein Mitgliedstaat der Europäischen Union darf es nach einem gestern verkündeten Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union aus Erwägungen der öffentlichen Ordnung ablehnen, den einen Adelstitel enthaltenden Namen eines seiner eigenen Staatsangehörigen, wie er in einem anderen Mitgliedstaat erworben wurde, anzuerkennen. Die Europäische Union stellt die Wahrung des Grundsatzes der Gleichheit der Bürger sicher, und mit dem österreichischen Adelsaufhebungsgesetz wird dieser Grundsatz ausgeführt.

Adoptierte Adelstitel in Österreich

In dem Rechtstreit ging es um einen anadoptierten deutschen Adelstitel für eine Österreicherin: Frau Ilonka Sayn-Wittgenstein, eine in Deutschland wohnende österreichische Staatsangehörige, erhielt nach ihrer Adoption im Jahr 1991 durch Herrn Lothar Fürst von Sayn-Wittgenstein, einen deutschen Staatsangehörigen, dessen Nachnamen samt Adelstitel in der Form „Fürstin von Sayn-Wittgenstein“ als Geburtsnamen. Unter diesem Namen wurde ihr in Deutschland ein Führerschein ausgestellt, und sie gründete dort ein Unternehmen. Die österreichischen Behörden trugen ihrerseits diesen neuen Namen in das österreichische Personenstandsregister ein. Sie erneuerten auch einen Reisepass und stellten zwei Staatsbürgerschaftsnachweise aus, sämtlich auf den Namen Ilonka Fürstin von Sayn-Wittgenstein.

Der österreichische Verfassungsgerichtshof entschied jedoch 2003 in einem ähnlichen Fall, dass es nach dem Adelsaufhebungsgesetz von 1919 – das im Verfassungsrang stehe und den Gleichheitsgrundsatz ausführe – unzulässig sei, dass ein österreichischer Staatsbürger aufgrund einer Adoption durch einen deutschen Staatsangehörigen, der einen Adelstitel rechtmäßig als Teil des Namens führe, einen Namen erwerbe, der diesen Adelstitel enthalte. Da die Wiener Standesbehörde im Anschluss an dieses Erkenntnis die Frau Ilonka Fürstin von Sayn-Wittgenstein nach ihrer Adoption ausgestellte Geburtsurkunde als unrichtig ansah, berichtigte sie den Eintrag im Geburtenbuch auf „Sayn-Wittgenstein“.

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Vor dem österreichischen Verwaltungsgerichtshof macht Frau Sayn-Wittgenstein geltend, dass die Nichtanerkennung der namensrechtlichen Folgen ihrer Adoption eine Beeinträchtigung ihres Freizügigkeitsrechts – da sie dadurch gezwungen werde, in zwei Mitgliedstaaten unterschiedliche Namen zu führen – sowie, durch die Änderung ihres Namens, den sie 15 Jahre lang geführt habe, einen Eingriff in ihr Familienleben darstelle.

In diesem Zusammenhang legte der österreichische Verwaltungsgerichtshof dem Gerichtshof der Europäischen Union die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob es der Grundsatz der Freizügigkeit und des freien Aufenthalts der Unionsbürger zulässt, dass die österreichischen Behörden es ablehnen, den Nachnamen eines österreichischen Staatsangehörigen, wie er in Deutschland, wo dieser Staatsangehörige wohnt, bestimmt wurde, in allen seinen Bestandteilen anzuerkennen, weil dieser Name einen Adelstitel enthält, der nach österreichischem Verfassungsrecht unzulässig ist.

Der Gerichtshof der Europäischen Union weist nun in seinem gestrigen Urteil zunächst darauf hin, dass zwar die Regelung des Nachnamens einer Person und von Adelstiteln in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt, dass diese dabei aber gleichwohl das Unionsrecht beachten müssen. So gehört der Name zur Identität einer Person und zu ihrem Privatleben, deren Schutz in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten niedergelegt ist.

Der Europäische Gerichtshof hat bereits in einem früheren Verfahren festgestellt1, dass jedes Mal, wenn der von einer Person in einer konkreten Situation benutzte Name nicht dem Namen entspricht, der in seinem Ausweis steht, oder wenn in zwei zusammen vorgelegten Dokumenten nicht derselbe Name steht, Zweifel an der Identität dieser Person, an der Echtheit der Dokumente oder an der Wahrheitsgemäßheit der Angaben entstehen können. Schon die konkrete Gefahr, Zweifel an der Identität der eigenen Person ausräumen zu müssen, stellt eine Beeinträchtigung der Freizügigkeit dar.

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Diese Beeinträchtigung lässt sich jedoch rechtfertigen, wenn sie auf objektiven Erwägungen beruht und in einem angemessenen Verhältnis zu dem mit dem nationalen Recht legitimerweise verfolgten Zweck steht. Der Gerichtshof weist dazu darauf hin, dass die Europäische Union die nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten achtet, zu der auch die republikanische Staatsform gehört. Demgemäß kann das Adelsaufhebungsgesetz vor dem Hintergrund der österreichischen Verfassungsgeschichte als ein Rechtfertigungsgrund der öffentlichen Ordnung angesehen werden und muss daher gegen das vom Unionsrecht gewährte Recht der Freizügigkeit von Personen abgewogen werden.

Da dieser Begriff der öffentlichen Ordnung eine Ausnahme von einer Grundfreiheit rechtfertigen soll, ist er eng zu verstehen, und seine Tragweite darf nicht von jedem Mitgliedstaat einseitig ohne Nachprüfung durch die Unionsorgane bestimmt werden. Allerdings können die konkreten Umstände, die allenfalls die Berufung auf den Begriff der öffentlichen Ordnung rechtfertigen, von einem Mitgliedstaat zum anderen und im zeitlichen Wechsel verschieden sein. Den innerstaatlichen Behörden kommt innerhalb der durch den Vertrag gesetzten Grenzen ein Beurteilungsspielraum zu.
Was Österreich betrifft, zeigt sich, dass das Adelsaufhebungsgesetz die Ausführung des allgemeineren Grundsatzes der Gleichheit aller österreichischen Staatsbürger vor dem Gesetz darstellt. Die Unionsrechtsordnung zielt darauf ab, den Gleichheitsgrundsatz als allgemeinen Rechtsgrundsatz zu wahren.

Maßnahmen, durch die eine Grundfreiheit eingeschränkt wird, können nur dann durch Gründe der öffentlichen Ordnung gerechtfertigt werden, wenn sie zum Schutz der Belange, die sie gewährleisten sollen, erforderlich sind und diese Ziele nicht mit weniger einschränkenden Maßnahmen erreicht werden können.

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Nach Auffassung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist es nicht unverhältnismäßig, wenn ein Mitgliedstaat das Ziel der Wahrung des Gleichheitssatzes dadurch erreichen will, dass er seinen Angehörigen den Erwerb, den Besitz oder den Gebrauch von Adelstiteln oder von Bezeichnungen verbietet, die glauben machen könnten, dass derjenige, der den Namen führt, einen solchen Rang innehat.

Der Gerichtshof der Europäischen Union urteilte daher, dass es keine ungerechtfertigte Beeinträchtigung des Rechts der Unionsbürger auf Freizügigkeit und freien Aufenthalt darstellt, wenn die Behörden eines Mitgliedstaats es ablehnen, den Namen eines seiner Staatsangehörigen, wie er in einem zweiten Mitgliedstaat bei seiner Adoption als Erwachsener durch einen Angehörigen dieses zweiten Staates bestimmt wurde, in allen seinen Bestandteilen anzuerkennen, wenn dieser Name einen Adelstitel enthält, der im ersten Mitgliedstaat aus verfassungsrechtlichen Gründen unzulässig ist.

Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 22. Dezember 2010 – C-208/09 [Ilonka Sayn-Wittgenstein / Landeshauptmann von Wien]

  1. EuGH, Urteil vom 14. Oktober 2008 – C-353/06 [Grunkin und Paul][]